Bauphysik
Definition: der Bereich der Physik, der für Gebäude relevante Zusammenhänge erklärt, etwa zu Wärmeleitung, Feuchtigkeit, Schall und Brandverhalten
Englisch: building physics
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Ursprüngliche Erstellung: 25.02.2020; letzte Änderung: 31.03.2020
Bauphysik ist der Bereich der Physik, der für Gebäude relevante Zusammenhänge erklärt. Dies betrifft vor allem die folgenden Themenbereiche:
- Das Phänomen der Wärmeleitung ist einerseits für den Energieverbrauch bei Betrieb eines Gebäudes relevant (→ Transmissionswärmeverluste), hat andererseits aber auch Einfluss auf das Verhalten von Feuchtigkeit und damit auch auf die Beständigkeit der Konstruktion. Physikalische Gesetze bestimmen die Stärke und Form von Wärmeströmen z. B. in Bauteilen oder Wandkonstruktionen – einerseits das statische Verhalten bei konstanten Temperaturen und andererseits dynamische Aspekte bei wechselnden Temperaturen. Im letzteren Fall kommen auch Aspekte der Wärmespeicherung in Materialien zum Tragen.
- Auch das Verhalten von Feuchtigkeit kann mit diversen physikalischen Gesetzen beschrieben werden – beispielsweise unter welchen Voraussetzungen Wasserdampf in der Raumluft (Luftfeuchtigkeit) kondensieren kann, es also zur Bildung von Kondenswasser kommt, und wie dieses sich weiter verhält. Beispielsweise kann Kondenswasser von Materialien mehr oder weniger gebunden werden und sich durch Diffusion oder Kapillarkräfte bewegen.
- Das Klima in Gebäuden (Wohnklima) hat verschiedene Aspekte wie Temperatur, Wärmestrahlung, Luftfeuchtigkeit und Kohlendioxidkonzentration, die ebenfalls diversen physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind.
- Die Ausbreitung von Schallwellen – beispielsweise verursacht durch gehende Personen (Trittschall) oder durch Quellen außerhalb des Gebäudes – in Baukonstruktionen, mit Phänomenen wie Reflexionen und Absorption in Materialien, kann ebenfalls physikalisch beschrieben werden (Wohnakustik), was die entsprechende Optimierung von Konstruktionen ermöglicht.
- Auch die Ausbreitung von Tageslicht und künstlichem Licht wird durch diverse physikalische Phänomene beeinflusst.
- Ein anderer wichtiger Bereich ist das Brandverhalten von Bauelementen und Konstruktionen. Besondere Aufmerksamkeit erhält dieser Bereich nach Brandkatastrophen wie z. B. der von Grenfell Tower in London vom Juni 2017, wo eine Fassadenkonstruktion unkontrollierbare abbrannte und 72 Menschen ums Leben kamen.
Gebiete wie Statik und Baustoffkunde profitieren ebenfalls in erheblichem Umfang von physikalischen Erkenntnissen, gelten aber nicht als Teile der Bauphysik.
Bauphysikalische Berechnungen
In der Regel liefert die Physik quantitative Beschreibungen für alle möglichen Zusammenhänge, zumindest auf einer elementaren Ebene (häufig in Form von Differenzialgleichungen). Daraus lassen sich häufig für einfache Fälle relativ simpel anzuwendende Gleichungen ableiten, die in der Praxis schnelle Berechnungen ermöglichen. In komplizierteren Fällen sind nur Gleichungen auf der Basis von Näherungen (vereinfachenden Annahmen) verfügbar, die je nach Fall mehr oder weniger gut erfüllt sind. Für deren Anwendung sollte man in der Lage sein, die Tragweite mögliche Fehler durch die genannten Näherungen zu beurteilen.
In noch schwierigeren Fällen können die Grundgleichungen nicht mehr analytisch gelöst werden (d. h. mit direkt auswertbaren Gleichungen), aber dann können häufig numerische Modelle verwendet werden, die mithilfe von Computern ausgewertet werden können. Beispielsweise gibt es numerische Modelle für Wärmeströme in komplexen Baukonstruktionen, die auf Differenzialgleichungen beruhen. Geeignete durch Computer ausführbare Algorithmen können solche Gleichungen meist nicht exakt, aber mit für die Praxis völlig ausreichender Genauigkeit lösen. In der Regel genügt schon die Leistungsfähigkeit eines gewöhnlichen Büro-PCs für solche Anwendungen völlig.
Für die Anwendung solcher Computermodelle ist ein ausreichender Kenntnisstand für diverse Aspekte unabdingbar – beispielsweise bei der Sammlung der Materialparameter, der korrekten Beschreibung der Konstruktion in der verwendeten Software, der korrekten Definition von Randbedingungen und schließlich bei der Interpretation der Resultate. Bauphysik-Software ist ein leistungsfähiges Instrument, dessen verlässliche Anwendung aber eben nicht trivial ist – also kein Ersatz für bauphysikalisches Wissen und Verständnis.
Eine fehlende Übereinstimmung zwischen bauphysikalischen Berechnungen und tatsächlichen Verhältnissen in einem Gebäude wird häufig daher, dass die nötigen Eingabedaten nicht genau genug bekannt sind. Dies ist vor allem für die Analyse von Altbauten ein Problem, bei denen mangels Dokumentation häufig nicht genau bekannt ist, woraus beispielsweise eine Mauerkonstruktion besteht. Dagegen kann die Bauphysik für die Planung neuer Gebäude, die dann mit genormten Baustoffen nach relativ genau beschriebenen Plänen errichtet werden, recht zuverlässige Vorhersagen machen. Viele Probleme lassen sich auch bereits während der Planungsphase erkennen und durch entsprechende Anpassung der Planung vermieden werden, bevor die Bautätigkeit überhaupt beginnt. Beispielsweise lassen sich die Effekte von Wärmebrücken genau analysieren und ggf. durch zusätzliche Maßnahmen eindämmen. Ebenso kann simuliert werden, welches Feuchteprofil in Wänden oder Wärmedämmungen sich in bestimmten Szenarien (z. B. bei unzureichender Belüftung) einstellt und ob dies zu Feuchteproblemen führen würde. Natürlich können auch hier wesentliche Abweichungen von der Realität entstehen, beispielsweise wenn die Bauausführung mangelhaft ist. Wenn etwa in einem Modell eine Dampfsperre angenommen wird, diese aber durch unsachgemäßen Einbau nicht voll funktionstüchtig ist, kann es zu unerwarteten Problemen kommen.
Bauphysik, Ingenieurwesen und Architektur
Die Bauphysik ist eine wichtige wissenschaftliche Grundlage für das Ingenieurwesen verschiedener Sektoren, insbesondere auch für die Architektur und für die Entwicklung von Baustoffen. Ebenfalls ist die korrekte Arbeit von Gutachtern stets physikalisch fundiert. Es geht diesen Personengruppen selten um die Untersuchung physikalischer Phänomene an sich, sondern in aller Regel um praktische Anwendungen, etwa die Optimierung von Gebäudekonstruktionen oder die Analyse aufgetretener Probleme. Typische untersuchte Problemfelder sind Feuchte- und Schimmelschäden oder Bauschäden anderer Art, zu niedrige oder zu hohe Luftfeuchtigkeit, Hellhörigkeit von Gebäuden, ein zu hoher Energieverbrauch durch die Heizungsanlage oder Brandgefahren.
Die Bauphysik beschäftigt hauptsächlich nicht Physiker, obwohl diese letztendlich die Grundlagen geliefert haben, sondern Ingenieure und Architekten. Deswegen sollten deren Ausbildungsgänge ein solides Wissen über bauphysikalische Zusammenhänge vermitteln. Ein Stück weit ist dies auch für die Ausbildung von Handwerkern wünschenswert, aber hier werden in der Regel nur ziemlich elementare Zusammenhänge behandelt.
Die beispielsweise in Deutschland geltenden Baunormen sind in großem Umfang nicht nur von praktischen Erfahrungen, sondern auch von bauphysikalischen Wissen geprägt. Theoretisches Wissen ist hierbei beispielsweise für die Interpretation praktischer Erfahrungen von großer Bedeutung; allzu leicht können sonst grobe Fehlinterpretationen auftreten, die sehr in die Irre führen. Die häufig vertretene Meinung, theoretisches physikalisches Wissen sei nicht relevant angesichts verfügbarer praktischer Erfahrungen, ist grundsätzlich fragwürdig, da Erfahrungen niemals direkt Fakten liefern, sondern erst einmal sinnvoll interpretiert werden müssen – was ohne ein gewisses theoretisches Verständnis nur in ganz einfachen Situationen möglich ist. Beispielsweise führt die Entdeckung eines Feuchteproblems an einem Bau nicht unmittelbar zu einem Verständnis der Ursachen und zu einem Wissen über die besten Gegenmaßnahmen. Umgekehrt muss theoretisches Verständnis stets auch mit praktischen Erfahrungen abgeglichen werden, beispielsweise um sicherzustellen, dass die verwendeten Modelle alle wesentlichen Aspekte der Realität angemessen berücksichtigen.
Auch das neuere Gebiet der Bauökologie profitiert entscheidend von der Bauphysik. Während die Physik ein gutes Verständnis der Entwicklung physikalischer Größen liefert, beschäftigt sich die Bauökologie zusätzlich genauer damit, was beispielsweise für das Wohlbefinden von Menschen in Gebäuden notwendig ist.
Bauphysikalische Einwände gegen Wärmedämmung
Für den Bereich der Wärmedämmung ist eine Reihe physikalischer Zusammenhänge betreffend Wärmeleitung und auch Feuchtigkeit von Bedeutung. Auf dieser Grundlage kann gut verstanden werden, dass bestimmte fehlerhaft ausgeführte Wärmedämmungen das Auftreten von teils auch ernsten Problemen wahrscheinlich machen. Solche Probleme sind der Fachwelt seit längerer Zeit gut bekannt und sind deswegen längst in den einschlägigen Baunormen entsprechend behandelt worden. Jedoch kommt es gelegentlich zu Aktionen unkundiger Handwerker oder Hobbyisten unter Verletzung der einschlägigen Baunormen, die zu Problemen führen können.
Inkompetenz kommt in allen Lebensbereichen vor, also auch beispielsweise unter Mitgliedern von Normengremien und Gutachtern. Jedoch wirken in den Normengremien zu viele Fachpersonen mit, als dass mangelndes Verständnis einzelner Mitglieder mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit zu unsinnigen Beschlüssen mit langfristigen Wirkungen (etwa massenhaft fehlerhaft ausgeführten Bauten) führen könnte. Deswegen ist beispielsweise die Behauptung mancher lautstarker “Dämmkritiker” und “Ziegel-Physiker”, die geltenden Baunormen zeugten von Ignoranz der Bauphysik und führten massenhaft zu Bauschäden, durchaus abwegig.
Literatur
[1] | Einwände gegen Wärmedämmung – detailliert geprüft |
[2] | Telepolis-Artikel (08.03.2015): “Kritik an Wärmedämmung”, http://www.heise.de/tp/artikel/44/44298/1.html |
[3] | Schimmel durch neue luftdichte Fenster |
[4] | W. Eicke-Hennig, “Der Taupunkt ist kein Wandersmann”, http://www.energiesparaktion.de/downloads/Altbau/Diffusionsbetrachtung.pdf, eine sehr solide und verständliche Darstellung der Feuchtigkeitsproblematik |
[5] | Ratgeber zu Schimmel und Feuchtigkeit in Wohnräumen |
Siehe auch: Wärmedämmung, Luftfeuchtigkeit, Schimmel in Wohnräumen
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