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Gefährdet die Energiewende unsere Versorgungssicherheit?

Erschienen am 17.11.2014 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2014_11_17.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Die deutsche Energiewende verstärkt manche Herausforderungen im Bereich der Versorgungssicherheit. Die öffentliche Diskussion darüber führt jedoch durch eine Reihe von Denkfehlern oft in die Irre. Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass Überlegungen zur Versorgungssicherheit wenig darüber aussagen können, ob die Energiewende sinnvoll ist oder nicht. Der entscheidende Aspekt ist wohl der Klimaschutz.

Ref.: Lexikonartikel über Versorgungssicherheit

(siehe auch den bei Telepolis am 14.12.2014 erschienen Artikel "Ist die Energiewende eine Gefahr für unsere Versorgungssicherheit?")

Rüdiger Paschotta

Zur deutschen Energiewende werden vielerlei Sorgen geäußert – teils in Form von Propaganda, die von Interessengruppen gezielt in die Welt gesetzt wird, teils aber auch als Ausdruck ehrlicher Besorgnis. Über die Rückmeldungen zum RP-Energie-Lexikon werde ich auch gelegentlich direkt darauf angesprochen.

Die Versorgungssicherheit im Bereich der Stromversorgung ist angesichts unserer enormen Abhängigkeit von elektrischer Energie in der Tat extrem wichtig. Der zunehmende Anteil fluktuierender Einspeisungen aus erneuerbaren Energien (v. a. Wind und Sonne) führt nun zu zunehmenden Herausforderungen für die Stabilisierung der Stromnetze, was die Netzbetreiber nachvollziehbar berichten. Allerdings scheint bisher kein Anlass zu ernster Sorge zu bestehen; es ist nicht zu erwarten, dass unsere Versorgungssicherheit in absehbarer Zukunft das deutlich niedrigere Niveau in anderen Industrieländern (beispielsweise den USA) erreichen wird. Beispielsweise beschäftigt sich die Bundesnetzagentur damit, "welche vielfältigen Maßnahmen notwendig sind, um die hohe Versorgungsqualität in Deutschland auch weiterhin zu garantieren". Dass dieses Ziel nicht erreichbar sei, hört man von dort nicht.

Vorsorge ist Gefahrenabwehr und nicht ein Alarmzeichen

Diverse Denkfehler sind in der Diskussion der Versorgungssicherheit regelmäßig zu erkennen. Beispielsweise wird der Umstand, dass Netzbetreiber und auch die Politik diverse Maßnahmen ergreifen oder planen, bereits als Beweis für eine konkrete Gefahr (und eine bereits reduzierte Versorgungssicherheit) gewertet. Dabei geht es gerade darum, durch rechtzeitige vorausschauende Maßnahmen solche Probleme zu lösen, bevor sie akut werden.

Kürzlich wurde mir der Bericht "Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und lang andauernden Ausfalls der Stromversorgung" (2011) des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgehalten. Dieser zeigt auf nachvollziehbare Weise, dass ein großräumiger und lange dauernder Stromausfall sehr schwere Folgen haben könnte. Er sagt jedoch rein gar nichts darüber aus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines solchen Falls ist und wie diese durch die Energiewende beeinflusst werden könnte – das war schlicht nicht das Thema der Untersuchung. Dies nun aber Beweis dafür zu werten, dass die Energiewende unsere Versorgungssicherheit gefährde, ist wohl reichlich schräg.

Natürlich wäre es trotzdem im Prinzip denkbar, dass beispielsweise die Experten der Bundesnetzagentur alle völlig inkompetent sind und demnächst alles zusammenbricht, ohne dass uns diese Leute gewarnt hätten. Freilich sehe ich keinerlei Grund dafür, dies anzunehmen.

Versorgungssicherheit hat viele Aspekte

Ein anderer Fehler ist, nur die klassische Herausforderung für die Versorgungssicherheit zu betrachten, nämlich die Gewährleistung von stets ausreichenden Kraftwerkskapazitäten. Vergessen wird hierbei häufig, dass Kraftwerke nicht nur technisch betriebsbereit sein müssen, um die Versorgungssicherheit stützen zu können, sondern dass auch diverse andere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Beispielsweise ist eine ausreichende Brennstoffversorgung essenziell. Die Gefahr entsprechender Engpässe wird durch eine Energiewende, zu der die Förderung der Energieeffizienz gehört, offenkundig nicht erhöht, sondern reduziert.

Dem scheint zwar zu widersprechen, dass ein vermehrter Einsatz von Erdgas nötig werden könnte, um die fluktuierende Erzeugung von Sonnen- und Windenergie besser ausgleichen zu können; bei Erdgas ist die Versorgungslage ja unsicherer als bei Kohle und Uran. Jedoch wird dabei vergessen, dass wir in Deutschland das meiste Gas keineswegs für Gaskraftwerke verwenden, sondern für Heizungsanlagen – weswegen das Vorantreiben der energetischen Sanierung von Gebäuden das einzige wirklich wirksame Instrument zur Verminderung der Importabhängigkeit wäre. Zudem ist noch nicht ausgemacht, inwieweit wir tatsächlich mehr Erdgas für die Stromerzeugung brauchen werden; beispielsweise würde ein beherzter Aufbau der Stromnetze hin zu einem europäischen Supergrid den Ausgleich von Erzeugung und Nachfrage sehr erleichtern, den Bedarf an hochflexiblen Kraftwerken also vermindern. Auch die Notwendigkeit einer Erweiterung der Kapazitäten von Speichern für elektrische Energie (etwa mit neuen Technologien wie Power to Gas) würde damit stark vermindert.

Schert sich eine konservative Energiepolitik wirklich um die Versorgungs­sicherheit?

Bemerkenswert ist ohnehin, dass die Apologeten einer konservativen Energiepolitik den Aspekt der Versorgungssicherheit im Bereich von Heizungen und Verkehr anscheinend am liebsten gar nicht betrachten möchten – wohl weil sie für diese sehr reale Bedrohung keinerlei Lösung anbieten können. Sie wollen nichts für energetische Sanierungen von Gebäuden ausgeben, bekämpfen strengere Verbrauchsgrenzen für Gebäude und Autos, fordern mehr Straßenbau und die Förderung des Flugverkehrs mithilfe von Subventionen für Flughäfen, etc. Dass uns all dies in eine gefährliche Abhängigkeit von Erdölimporten getrieben hat, nehmen sie schweigend hin. Gerne lenken sie davon sogar noch ab, indem sie angeblich schwer beherrschbare Gefahren im Strombereich an die Wand malen.

Festhalten am Status quo – die sicherste Strategie?

Den größten Denkfehler sehe ich darin, stillschweigend davon auszugehen, dass ein Beharren auf dem Status quo die geringsten Gefahren mit sich brächte. Schließlich betreiben wir die Energiewende ja gerade, um große Gefahren abzuwenden – dies teilweise auch mit Bezug auf die Versorgungssicherheit. Und diesbezüglich steht beispielsweise Frankreich viel schlechter da als Deutschland. Trotz seiner vielen Kernkraftwerke ist Frankreich im Winter stark auf Stromimporte angewiesen – zu einem guten Teil aus Deutschland, wo hierfür zusätzliche Kohlekraftwerke betrieben werden. (Deren Notwendigkeit im Winter wird dann wieder als Argument gegen die deutsche Energiewende verwendet …)

Das wohl schlagendste Beispiel ist aber wohl Japan. Hier hielt es die Politik lange Zeit für am besten, einfach am konventionellen Weg einer Kombination von fossil befeuerten Kraftwerken mit Kernkraftwerken festzuhalten. Ein einziger schwerer Unfall (Fukushima) hat dieses Konzept nun zerstört und Japans Energieversorgung in eine prekäre Lage gebracht. Der Bevölkerung ist ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke größtenteils nicht mehr zu vermitteln. Selbst wer diese Haltung für übertrieben hält, muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Fortsetzung der Kernenergienutzung in einem demokratischen Land unter solchen Umständen schlicht nicht mehr möglich ist. Die unumgängliche Folge ist also ein ungeplanter und entsprechend chaotischer Ausstieg aus der Kernenergie, verbunden mit stark vermehrtem Einsatz klimaschädlicher fossiler Energieträger, einem rapiden Ausbau insbesondere der Photovoltaik und zusätzlich immer noch nötigen Bemühungen des einschneidenden Energiesparens. Dass dies sowohl die Kosten erhöht als auch die Versorgungssicherheit vermindert, ist vernünftigerweise nicht den erneuerbaren Energien anzulasten, sondern der konventionellen Energiepolitik, die von der annähernden Unmöglichkeit atomarer Unfälle ausgegangen war.

Fazit: Klimaschutz ist der entscheidende Aspekt

Mein Fazit ist, dass die Energiewende einerseits gewisse Herausforderungen für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit sich bringt – die wir bei vorausschauendem Handeln freilich meistern sollten. Andererseits bedroht ein Beharren auf dem Status quo die Versorgungssicherheit jedoch auf andere Weisen. Unter dem Strich dürften Überlegungen zur Versorgungssicherheit wenig Einfluss darauf haben, ob man das Vorantreiben der Energiewende für sinnvoll halten soll oder nicht.

Das entscheidende Ziel ist aus meiner Sicht die Abwendung einer Klimakatastrophe durch einen ausreichenden Klimaschutz – angefangen vor und hinter unserer Tür in der Hoffnung, das weltweit noch rechtzeitig zu schaffen. Zumal eine Klimakatastrophe unter anderem auch jede Versorgungssicherheit zerstört …

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