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Gegner der Energiewende auf dem Vormarsch

Erschienen am 01.06.2016 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2016_06_01.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Im Zuge der EEG-Reform 2016 drohen massive Hemmnisse für die deutsche Energiewende. Der Artikel erklärt, welche Interessen mächtiger Stromkonzerne, vertreten durch einflussreiche Politiker, dem zu Grunde liegen, und wie eine am Gemeinwohl orientierte Energiepolitik aussehen würde.

Rüdiger Paschotta

Die deutsche Energiewende genießt zwar in der Bevölkerung mittlerweile einen sehr großen Rückhalt – die große Mehrheit hat längst erkannt, dass unser derzeitiger Umgang mit Energie nicht zukunftsfähig (nachhaltig) ist, also grundlegend geändert werden muss. Jedoch versuchen weiterhin etliche Gegner der Energiewende in einflussreichen Positionen, die Energiewende wenn schon nicht zu beenden, dann immerhin so gut wie möglich zu behindern. Dies basiert im Kern auf den wirtschaftlichen Interessen großer Energieversorgungsunternehmen (v. a. in der Stromwirtschaft), die durch die Energiewende stark gelitten haben. Solche Kreise verfolgen vor allem diese Interessen:

Leider verfügen diese Kreise in der amtierenden schwarz-roten Bundesregierung offensichtlich über ein größeres Gewicht als das Gemeinwohl. Jedenfalls wird ernsthaft über massive Einschnitte in Form einer Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) verhandelt, die schwer zu rechtfertigen sind:

  • Es wird eine Umstellung vom bisherigen System mit Einspeisevergütungen auf ein neues System mit Ausschreibungen gefordert. Theoretisch könnte dies zu einer Senkung der Kosten beitragen, weil immer nur diejenigen Anbieter für Wind- und Solarstrom zum Zuge kämen, die die billigsten Preise dafür anbieten. In der Praxis ist allerdings das Gegenteil zu befürchten, da ein großer Vorteil des bisherigen Systems – die Planungssicherheit für die Betreiber – verloren ginge. Selbstverständlich müssen alle Stromanbieter genügend Reserven entsprechenden Unsicherheiten einplanen, und das zahlen am Ende die Verbraucher. Auch wenn sich die eingeplanten Reserven später als nicht ausreichend erweisen und Insolvenzen auftreten, ist dies volkswirtschaftlich natürlich ungünstig. Zudem ist die Teilnahme an solchen Ausschreibungen für die meisten kleineren Anbieter (etwa Bürgerenergieprojekte) gar nicht mehr praktikabel, weil zu aufwendig; offenbar sollen damit aber die großen Stromkonzerne gegenüber ihrer kleinen, aber zahlreichen Konkurrenz bevorzugt werden. Aber auch für die großen Anbieter wird bei Ausschreibungen die Finanzierung durch die verstärkten Unsicherheiten erschwert; auch sie müssen dann viele Projekte aufwendig zu planen, ohne zu wissen, ob sie dann auch den Zuschlag erhalten. Dies lässt nicht nur viele bereits geplante Projekte letztendlich scheitern, sondern treibt vor allem auch die Zinskosten in die Höhe. Abgesehen von den Kostenrisiken entsteht dadurch die Gefahr, dass das offizielle Ziel von 45 % Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 2025 verfehlt wird, weil zu viele Projekte scheitern. (Freilich würden das diejenigen, die die Energiewende bremsen möchten, nicht als Gefahr wahrnehmen.)
  • Zudem gibt es Pläne, auch den Eigenverbrauch z. B. von Photovoltaik-Strom stärker zu besteuern – zumindest bei einer Produktion oberhalb von 20 000 kWh pro Jahr. Dies beträfe zwar nicht Kleinanlagen z. B. auf Ein- oder Zweifamilienhäusern, aber viele Mieterstromprojekte. Auch hier wird wieder die Planungssicherheit unterminiert, indem man neue Belastungen selbst für bereits bestehende Anlagen einführt; dies verunsichert natürlich Investoren.
  • Die Ausbauziele für erneuerbare Energien sind ohnehin bescheidener als nötig. Beispielsweise wird damit nicht berücksichtigt, dass im Zuge der zunehmenden Sektorkopplung, also des vermehrten Einsatzes von Strom in den Bereichen Wärme und Verkehr, der Strombedarf zunehmen dürfte. Bei der Photovoltaik bleibt es aber anscheinend vorerst beim 52-GW-Deckel für die gesamte installierte Leistung; wenn diese Leistung erreicht ist, würde die Förderung neuer Anlagen in einigen Jahren auf einen Schlag komplett entfallen. Dies, obwohl durchaus auch ein höherer Photovoltaik-Anteil verwertbar wäre, vorausgesetzt dass die Stromnetze genügend ausgebaut werden (siehe unten).
  • Die maximale EEG-Umlage für besonders energieintensive Industrien soll nochmals massiv reduziert werden. Dies, obwohl Großverbraucher bereits heute in kaum zu vertretender Weise bevorzugt werden. Sie profitieren enorm davon, dass die Energiewende zu stark sinkenden Börsenstrompreisen geführt hat, und werden gleichzeitig nur noch marginal an der Finanzierung der Energiewende beteiligt. In der Folge steigt die EEG-Umlage für Kleinverbraucher, was aber von gewissen Politikern offenbar gerade erwünscht ist, denn damit lässt sich dann wieder besser Druck gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien aufbauen.

Offenkundig möchten auch einflussreiche Teile der Bundesregierung die Energiewende so stark wie möglich behindern, während gleichzeitig die zuletzt in Paris bekräftigten Klima-Verpflichtungen mangels ausreichender Maßnahmen absehbar nicht eingehalten werden.

Zu langsame Fortschritte beim Netzausbau: eine durchsichtige Ausrede

Bekanntlich wird seit einigen Jahren der Ausbau der überregionalen Stromnetze geplant – vor allem betreffend Leitungen, die vermehrt Strom aus Norddeutschland (wo es viel Windenergie gibt) nach Süddeutschland transportieren könnten, wo in den nächsten Jahren etliche Kernkraftwerke stillgelegt werden, der Ausbau der Windenergie aber schwieriger ist. Leider kommen diese Projekte aber nicht allzu schnell voran, und dies wird nun als Grund dafür genannt, dass der Ausbau vor allem der Windenergie im Norden gebremst werden müsse.

Nun trifft es zwar zu, dass in Norddeutschland immer häufiger Stromüberschüsse auftreten, die mangels Leitungen nicht in den Süden transportiert werden können. Es ist in der Tat sehr unerwünscht, dass deswegen zeitweise Windenergie-Anlagen im Norden abgeregelt werden müssen, während weiter im Süden konventionelle Kraftwerke den Strom auf klimaschädliche Weise bereitstellen. Bezeichnenderweise wehren sich diejenigen, die deswegen die Windenergie bremsen wollen, aber gleichzeitig gegen einen schnellen Kohleausstieg. Dabei ist es nicht einsehbar, dass im Norden und Osten weiterhin massenhaft die äußerst klimaschädliche Kohle verbrannt wird, während man den Verbrauch mit Windstrom decken könnte. Teilweise laufen Kohlekraftwerke sogar in Zeiten mit negativen Börsenstrompreisen weiter, weil sie zu träge sind, um in diesen Stunden abgestellt werden zu können. Übrigens verdrängen die entstehenden Überschüsse auch noch Gaskraftwerke im Ausland (z. B. in Holland), obwohl diese immerhin deutlich weniger klimabelastend wären und zudem technisch weit besser für die Deckung einer schwankenden Residuallast geeignet sind.

So ginge es mit Vernunft und Orientierung am Gemeinwohl

Wäre unsere Energiepolitik in erster Linie dem Gemeinwohl verpflichtet, ginge es in etwa so weiter:

  • Wir würden einen möglichst baldigen Kohleausstieg durchführen - beginnend mit der besonders schädlichen Braunkohle. Dies würde die derzeitigen Stromüberschüsse in Norddeutschland stark reduzieren, sodass die vorhandenen Leitungskapazitäten nach Süden vorerst einigermaßen ausreichen würden. Die Exportüberschüsse, die einige unserer Nachbarn zunehmend stören (und wegen der niedrigen Börsenstrompreise auch für Deutschland wenig attraktiv sind), würden deutlich vermindert. Die Abschaltung der Kohlekraftwerke wäre ein großer Fortschritt für den Klimaschutz und würde jedes Jahr zahlreiche Todesfälle vermeiden. (In Europa sterben jedes Jahr mehrere hunderttausend Menschen vorzeitig wegen der Luftverschmutzung, wovon ein wesentlicher Teil auf das Konto der Kohlekraftwerke geht!) Dazu kommt, dass die Zerstörung von Landschaften und die Entwurzelung vieler Menschen gestoppt würde.
  • Das System der Einspeisevergütungen würde beibehalten, weil es sich im Gegensatz zu Ausschreibungs-Systemen sehr bewährt hat. Die Vergütungssätze sind in den letzten Jahren bereits massiv gesunken, sodass die von neu gebauten Anlagen erzeugten Strommengen die EEG-Umlage nicht mehr massiv belasten. (Die Zahlungen für ältere Anlagen sind ohnehin fest vereinbart, also nicht vermeidbar.) Die Bewahrung einer hohen Planungssicherheit der Betreiber eine hohe Priorität genießen, weil dies betriebs- und volkswirtschaftlich sehr wichtig ist.
  • Eine stärkere Besteuerung des PV- und KWK-Eigenverbrauchs würde entfallen, da dies schlicht unnötig und kontraproduktiv ist.
  • Der Ausbau der Stromnetze, vor allem der Nord-Süd-Verbindungen, würde konsequent vorangetrieben, da diese Kapazitäten eine Voraussetzung für einen noch deutlich höheren Anteil erneuerbaren Energien sind. Stattdessen einfach die Windenergienutzung vorzugsweise im Süden voranzutreiben, würde wohl kaum funktionieren, da es dort viel weniger günstige Standorte gibt, die Standort-Konflikte und Kosten also wesentlich höher wären. Da fallen die Kosten für Leitungen deutlich weniger ins Gewicht – zumal diese Leitungen auch einen viel größeren Nutzen bringen. Beispielsweise sollten wir zukünftig die riesigen Speicherkapazitäten norwegischer Wasser-Speicherkraftwerke nutzbar machen, was natürlich stärkere Leitungen nicht nur von Norwegen nach Norddeutschland, sondern auch bis nach Süddeutschland notwendig macht. (Leider werden immer wieder die Möglichkeiten für neu zu bauenden Energiespeichern überschätzt bzw. werden deren Kosten unterschätzt, während die Wichtigkeit von Stromnetzen für die Zukunft der Energiewende nicht ausreichend erkannt wird.)

Leider wird aber auch bei uns die Politik viel zu stark von gewissen Lobbyinteressen gesteuert, als dass eine konsequente Orientierung am Gemeinwohl möglich wäre. Deswegen ist es nötig, dass die Bevölkerung möglichst gut darüber aufgeklärt wird, was wirklich in ihrem Interesse liegt – was der Zweck unserer Website und dieses Artikels ist. Dies erleichtert es den Verteidigern der Energiewende, wenigstens die ärgsten Verschlechterungen abzuwehren. Unterstützend wirken übrigens die mittlerweile entstandenen vielen Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien; es dürfte wenig populär sein, diese durch radikale Wendungen der Energiepolitik zu gefährden.

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