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Neue CO2-Grenzwerte für Autos: unrealistische Vorgaben?

Erschienen am 18.12.2018 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2018_12_18.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Teile der Automobilindustrie lehnen sich entrüstet gegen die neuen Emissionsvorgaben auf EU-Ebene auf. Dass diese Vorgaben kaum mehr erfüllbar sind, trifft zu, wenn man von entsprechenden Prämissen ausgeht. Diese beruhen aber einfach auf falsch gesetzten Prioritäten.

Rüdiger Paschotta

Vor kurzem wurde beschlossen, wie sich die in der Europäischen Union geltenden CO2-Grenzwerte für Personenwagen und leichte Lieferfahrzeuge in den Jahren 2020 bis 2030 entwickeln werden. Bis 2021 gilt für Autos eine Grenze von 95 g CO2/km für den Flottendurchschnitt eines Herstellers, 2025 sollen es 15 % weniger sein, um 2030 dann 37,5 % weniger. Gleichzeitig wird das Unterlaufen der Bestimmungen erschwert, indem die tatsächlichen Emissionen mithilfe von Verbrauchsmessgeräten in den Fahrzeugen gemessen und für jeden Hersteller jährlich veröffentlicht werden. Diese Festlegung ist deutlich schärfer, als ist die EU-Kommission vorgeschlagen hatte, hauptsächlich wegen der weitergehenden Forderung des Europaparlaments. Der Einsatz der deutschen Bundesregierung gegen strengere Grenzwerte für Autos hat für einmal nicht ausgereicht, um den Klimaschutz europaweit zu verzögern.

Ist dies noch technisch realistisch?

Einige Akteure aus der Industrie verkünden nun lauthals, solche Vorgaben seien technisch überhaupt nicht mehr realistisch. Ob dies zutrifft, hängt entscheidend von den jeweils gewählten Prämissen ab, die allerdings selten kommuniziert werden:

  • Wenn man davon ausgeht, dass es nach wie vor in erster Linie möglich bleiben muss, beliebig schwere und stark motorisierte Fahrzeuge (z. B. SUVs) unbeschränkt zu verkaufen, stößt man tatsächlich schon bald an physikalische Grenzen. Die Wirkungsgrade von Verbrennungsmotoren lassen sich nicht mehr beliebig steigern, und die von ihnen zu erbringenden Antriebsleistungen lassen sich bei den genannten Vorgaben ebenfalls nicht dramatisch reduzieren. Selbst mit einem Hybridantrieb kommt man damit nicht weit genug.
  • Andererseits bleibt es auch mit den neuen EU-Vorgaben sicherlich möglich, entsprechend leichtere und schwächer motorisierte Fahrzeuge zu bauen, die trotz Verwendung eines Verbrennungsmotors wenigstens in den nächsten Jahren noch annähernd genug sparsam sind. Die verbleibende zunächst nicht allzu große Lücke kann mit einem moderaten Anteil von emissionsfreien Elektroautos geschlossen werden. Diese Lücke wird dann zwar im Laufe der nächsten zehn Jahre deutlich größer, aber andererseits macht man ja auch erhebliche Fortschritte beispielsweise bei der Entwicklung von Batterien. Und diese Strategie wird dann auch nicht am mangelnden Strom für Elektroautos scheitern.

Die richtige Frage ist also nicht, ob diese Vorgaben noch technisch realistisch sind, sondern wo die Prioritäten liegen. Wer in allererster Linie unsere bisherige Mobilität erhalten und höchstens leicht anzupassen bereit ist, kann durchaus zum Schluss kommen, dass Klimaschutz in diesem Sektor eben "nicht möglich" oder jedenfalls nicht praktikabel sei. Wer dagegen den Klimaschutz als eine Überlebensfrage ansieht – was freilich nicht Ansichtssache ist, sondern durch immer detailliertere wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt ist – wird eher umgekehrt zum Schluss kommen, dass unsere bisherige Mobilität eben nicht in dieser Form aufrechterhalten werden kann, oder in anderen Worten nicht nachhaltig ist.

Muss Klimaschutz zwingend bei der Mobilität ansetzen?

Natürlich ist es immer denkbar, mit den Anstrengungen in einem Sektor etwas nachzulassen und dies durch entsprechend größere Anstrengungen in anderen Sektoren zu kompensieren. Nur müsste man dann eben überzeugend aufzeigen, wo diese günstigeren Handlungsmöglichkeiten genau liegen sollen und ggf. auch tatkräftig dafür einstehen. Leider läuft es auch in anderen Sektoren so, dass groß geschriehen wird, gerade hier gehe es nun wirklich nicht, und man solle eben irgendwo anders tätig werden:

  • Kohle-Kumpels, ihre Gewerkschaften und Arbeitgeber tun so, als sei es nicht seit Jahrzehnten klar, dass ihre Industrie keine Zukunft hat. Schließlich ist der Schaden für die Allgemeinheit, den sie mit ihrer Arbeit anrichten, erheblich größer als der Nutzen. Trotzdem soll man den Klimaschutz hier zurückstellen – ohne konkreten Vorschlag, wie es denn sonst gehen soll.
  • Ein weiterer wichtiger Sektor sind die Gebäude, in denen ein großer Teil der gesamten Energie verbraucht wird. Durch die energetische Sanierung könnte man enorme Energiemengen einsparen, was leider einige Investitionen voraussetzt; bislang ist die Sanierungsrate z. B. in Deutschland bei weitem zu klein, und nicht wenige setzen sich noch mit teils abstrusen Einwänden gegen Wärmedämmung zur Wehr. Also wieder einmal: nichts gegen Klimaschutz, aber doch nicht gerade hier.

Mittlerweile ist hinreichend bekannt, dass erstens die 2015 in Paris beschlossenen Klima-Ziele noch lange nicht ausreichen, um katastrophale Entwicklungen zu vermeiden, und zweitens dass Deutschland schon seine bisherigen Klima-Ziele mangels Maßnahmen bei weitem verfehlt. Offensichtlich besteht kein Spielraum dafür, jetzt noch einzelne Branchen von den Bemühungen auszunehmen. Und mit jedem Jahr, um dass der Klimaschutz verzögert wird, wird es in allen Sektoren nur noch schwieriger und teurer.

Oder Klimaschutz lieber woanders?

Die bequemste Lösung wäre natürlich, wenn man auf Klimaschutz im jeweils eigenen Land ganz verzichten könnte und andere Länder diese Aufgabe dann für einen übernehmen. Wieder und wieder werden wir mit entsprechenden Vorschlägen konfrontiert. Eines der häufigsten gehörten Argumente ist, dass es auf das kleine Deutschland, das gerade einmal ca. 2 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht, gar nicht ankäme. Ich habe dieses Argument schon öfters zerlegt - hier nochmals in Kürze:

  • Wenn diese Art von Argument schlüssig wäre, könnte jede einzelne Person auf dieser Erde (oder jede Stadt, jede kleine Region etc.) es für sich anwenden – mit der Folge, dass niemand etwas für Klimaschutz tut und wir alle zusammen in die Klimakatastrophe schlittern. Das Argument ist also schon von seiner Struktur her prinzipiell unsinnig.
  • Für eine vernünftige Beurteilung der Frage, ob Deutschland mehr oder weniger tun sollte, müssen vor allem die folgenden beiden Parameter betrachtet werden: erstens der Pro-Kopf-Ausstoß – der im weltweiten Vergleich immer noch ziemlich hoch ist – und zweitens die historischen Emissionen, wo wir nochmals erheblich schlechter aussehen.
  • Es ist zwar durchaus zutreffend, dass die entscheidende Frage nicht ist, ob die Emissionen Deutschlands sinken, da beispielsweise diejenigen von China viel wichtiger sind. Jedoch können wir kaum erwarten, dass die Chinesen das Problem für uns lösen, während wir uns bequem zurücklehnen. Länder wie Deutschland und die Schweiz haben eine besonders wichtige Vorbildfunktion – im Guten wie im Schlechten. Wenn der globale Klimaschutz jemals erfolgreich wird, dann nicht ohne dass gerade solche Länder vorangehen (wie es für Deutschland schon einmal der Fall war, bevor eine "konservative" Politik ihre Wirkung entfaltete). Und wenn aus dem globalen Klimaschutz nichts wird, ist das nicht einfach nur schade, sondern eine Katastrophe.

Prioritäten

Jedem sollte klar sein, dass eine noch so prosperierende Autoindustrie nicht annähernd ein ausreichender Trost für ein Versagen im Klimaschutz sein kann. Ein solches Versagen wäre auch für unseren Wohlstand katastrophal; er wäre mit übergroßen Herausforderungen von verschiedenen Seiten konfrontiert. Deswegen ist der einzig vernünftige Ansatz, die Prioritäten entsprechend zu setzen. In erster Linie müssen wir den globalen Klimaschutz zum Erfolg führen – wir als Weltgemeinschaft, was nicht ohne einen überzeugenden Beitrag von uns als ein besonders wohlhabendes Industrieland geht.

Natürlich versuchen wir gleichzeitig unseren Wohlstand und Komfort so gut wie möglich zu bewahren, indem wir beispielsweise nicht viele Ressourcen für Ansätze aufwenden, die dafür zu wenig bringen. Dazu gehört insbesondere, dass man nicht einzelne Sektoren ohne guten Grund von den Bemühungen ausnimmt und dann anderswo entsprechend massiver arbeiten muss.

Man bedenke außerdem, dass unabdingbare Anpassungen oft umso teurer werden, je länger man sie hinausschiebt. Genau dies gilt insbesondere für den Klimaschutz. Je länger wir CO2-Emissionen auch dort nicht vermeiden, wo es noch relativ einfach ginge, desto teurer und mühsamer wird es später entweder durch die entstandenen Klimaschäden oder durch spätere sehr viel aufwändigere Bemühungen.

Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass es eine riesige Dummheit und Rücksichtslosigkeit ist, für die vergleichsweise geringfügige Annehmlichkeit, in einem schweren und stark motorisierten Fahrzeug unterwegs zu sein, unnötig hohe CO2-Emissionen hinzunehmen, weil die dadurch zusätzlich nötigen Einsparungen anderswo schwieriger zu erreichen sind. Ich hoffe, dass sich diese Einsicht zunehmend verbreiten wird – womit auch das "Image" als Motivation für den Verkauf spritfressender Fahrzeuge allmählich entfiele.

Fragen und Kommentare von Lesern

19.12.2018

Ich finde, dass Sie den entscheidenden Punkt zu diesem Thema richtig und knapp formuliert haben.

Auf dem Gebiet der Verbrennungsmotoren ist noch einiges an Effizienzsteigerung möglich durch Verbesserung des Hubraum-zu-Oberfläche-Verhältnisses: weniger Zylinder und Gegenkolbenprinzip.

Die Drohung der Autoindustrie mit Arbeitsplatzverlusten ist allerdings begründet. Es sollte aber gesellschaftlich wahrgenommen werden, dass dieser Schrumpfungprozess einer Reihe von Industriezweigen, diese Umstrukturierung der Wirtschaft, unvermeidlich ist, wenn wir unserer Verantwortung für das Erdklima gerecht werden wollen. Sie ist unvermeidlich, kostet "Wohlstand" im klassischen volkswirtschaftlichen Sinn und muss diskutiert und staatlich begleitet werden.

Antwort vom Autor:

In der Tat werden die kommenden unvermeidlichen Anpassungsprozesse erhebliche Arbeitsplatzverluste mit sich bringen – allein schon deswegen, weil die große Wertschöpfung bei Verbrennungsmotoren stark zurückgehend wird und dies nicht bei den kommenden Elektroantrieben kompensiert werden kann. Nur wird das eben nicht besser, wenn man einem kurzfristigen Denken verhaftet bleibt und die Anpassung so lange wie möglich hinausschiebt. Freilich scheinen das einige wichtige Akteure auch schon begriffen zu haben und geben sich zunehmend Mühe, sich als Mobilitätsanbieter ganz neu zu positionieren.

Übrigens gibt mein vor gut einem Jahr erschienener Artikel über autonom fahrende Autos einige Hinweise darauf, wohin die Reise gehen könnte.

05.01.2019

Ihr Appell an den Klimaschutz zum Wohle der Erde und aller auf ihr lebenden Menschen ist sicherlich gut gemeint. Mit Zwang und Verzicht hat sich der Mensch jedoch nie wohl gefühlt und man darf getrost davon ausgehen, dass dies immer so sein wird. Ihr Vorschlag, die Menschen in Deutschland sollen auf SUVs und hohe PS-Zahlen verzichten, wird daher kaum auf Resonanz stoßen.

Die E-Mobilität ist in dieser Hinsicht eine große Chance, denn sie ermöglicht eine leistungsstarke Motorisierung bei 0,0 g lokalem CO2-Ausstoß, selbst bei sehr großen und schweren Autos. Da der durchschnittliche Deutsche am Tag lediglich 40 Kilometer zur Arbeit pendelt, sind bereits die jetzigen Akkukapazitäten alltagsfähig, wenn denn Ladestationen zur Verfügung stehen.

Für die Zukunft der E-Mobilität wird entscheidend sein, dass genügend Lademöglichkeiten zur Verfügung stehen und weltweit ein Markt für die E-Mobilität mit viel Konkurrenz entsteht. Denn nur dann werden auch die Preise sinken, die Batterietechnologie weiterhin verbessert und der Wille zum Umstieg da sein.

Ich persönlich glaube, dass die CO2-Richtwerte in der EU gar nicht zum Tragen kommen werden, da die "E-Welle" schon bald auf Deutschland treffen wird. Wirtschaftliche Umstrukturierungen wird das genau so erfordern.

Antwort vom Autor:

So kann man nur reden, wenn man die Tragweite des Problems immer noch nicht realisiert hat. Wenn wir umgebremst in eine Klimakatastrophe schlittern, führt das zu massiv schmerzhafteren Einschränkungen als den Verzicht auf SUVs und übermotorisierte Fahrzeuge.

Ein "lokal CO2-freier Betrieb" hilft nichts; es kommt nicht darauf an, wo das CO2 emittiert wird.

Ich glaube aus mehreren Gründen nicht, dass das "E-Welle" nun plötzlich so rasant anlaufen wird, dass die CO2-Richtwerte nicht mehr relevant sind, aber wir werden das ja sehen.

18.01.2019

Ähnlich wie Schmieröle könnten auch Treibstoffe synthetisch aus H2 (Wasserelektrolyse mittels Wind- oder Solarenergieüberschussstrom) sowie CO bzw. CO2 aus Industrie- oder Verbrennungsprozessen maßgeschneidert und CO2-neutral erzeugt werden. Die Wertschöpfung verbliebe in Europa, was die Schaffung innovativer Industriestrukturen ebenso wie die neuer Arbeitsplätze z.B. in ehemaligen Kohlerevieren fördern würde.

Antwort vom Autor:

Im Prinzip ja, aber das löst für die Autohersteller das Problem der CO2-Grenzwerte schon deswegen nicht, weil diese Entwicklung dafür viel zu spät kommt.

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