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Das Klima-Verbrechen und die Rolle der Klima-Lügen

Erschienen am 13.09.2021 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2021_09_13.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Die jahrzehntelange Vernachlässigung des Klimaschutzes trotz des Wissens um die resultierenden katastrophalen Auswirkungen ist ein kapitales Verbrechen. Möglich ist es nur durch ein Geflecht von Lügen mit vielfältigen Wirkungen, die vielfach auch gerne angenommen werden. Während die krass wissenschaftsfeindlichen Lügen kaum mehr verfangen, wird die Lebenslüge unserer Gesellschaft, man könne sich weiter einfach irgendwie Durchwursteln, weiter sorgfältig gepflegt.

Rüdiger Paschotta

Bekanntlich drohen der Menschheit und der gesamten Erde gewaltige Schäden durch womöglich außer Kontrolle geratende Klimaveränderungen als Folge menschlicher Aktivitäten. Sollte dieses Problem nicht in den nächsten Jahren durch entschiedenes globales Handeln noch weitgehend entschärft werden können, so werden wir uns auf eine kaum planbare und schwer bewältigbare Folge katastrophaler Entwicklungen noch innerhalb der Lebenszeit der heute noch jungen Menschen einstellen müssen.

In diesem Artikel analysiere ich die gegenwärtige Entwicklung unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung – als ein begonnenes (und hoffentlich noch zu stoppendes) Großverbrechen, welches in seinen Auswirkungen langfristig selbst schlimmste Katastrophen wie den Zweiten Weltkrieg völlig in den Schatten stellen wird, und allemal die derzeit so breit diskutierten Anschläge vom 11. September 2001. Dabei ist nicht nur zu bedenken, worin genau das Verbrechen besteht, sondern auch wo die Verantwortung hierfür liegt und wie es trotz der monströsen Folgen vor unser aller Augen geschehen kann, ohne dass es bislang auf massiven Widerstand breiter Schichten der Bevölkerung stößt.

Eine Spur der Zerstörung

Wie beispielsweise Vuval Noah Harari in seinem sehr lesenswerten Buch "Eine kurze Geschichte der Menschheit" dargestellt hat, haben Menschen vielerorts eine Spur der Zerstörung hinterlassen. Durch die Klimaveränderungen kommt nun nochmals eine neue Qualität und Quantität hinzu: Während bislang die zerstörerischen Auswirkungen praktisch immer noch wenigstens einigermaßen räumlich begrenzt waren, geht es nun um globale Auswirkungen, die wirklich keine Gegend auf dieser Erde unberührt lassen. Der manchmal gehört der Einwand, manche Veränderungen seien doch auch positiv – etwa weniger grimmige Kälte in manchen bislang schwer bewohnbaren Gegenden mit entsprechenden Vorteilen auch für die Flora und Fauna – ist denkbar schwach, weil man dabei die begrenzte Fähigkeit ökologischer Systeme, sich auf schnell wandelnde Bedingungen einzustellen, effektiv ausblendet: Stabile und damit auch für uns gedeihliche Bedingungen entstehen vielleicht irgendwann wieder, aber eben erst nach einer turbulenten und extrem zerstörerischen Phase.

Diese Einsichten führen allmählich zu einem grundlegenden Wandel der Selbsteinschätzung der Menschheit: nicht mehr als Krone der Schöpfung, sondern als eine riesige Plage auf diesem Planeten. Das ist an sich noch weitaus kränkender als beispielsweise die Erkenntnis Darwins der engen Verwandtschaft mit Affen und anderen Tieren. Jedoch ist die Spur der Verwüstung einfach nicht mehr zu übersehen.

Ein Großverbrechen der Menschheit?

Dass hier ein riesiges Verbrechen im Gange ist, ist kaum bestreitbar: Schließlich wissen wir seit geraumer Zeit, dass eine Fortführung der im 20. Jahrhundert etablierten Art des Wirtschaftens mit einer rücksichtslosen Ausbeutung der auf diesem Planeten zu findenden Rohstoffe zu katastrophalen globalen Schäden führen würde, und trotzdem machen wir Menschen bislang im Wesentlichen so weiter – mit sogar immer noch weiter steigenden globalen CO2-Emissionen. Dass die Klimaveränderungen gar nicht gewollt sind, sondern sich "nur" als ungewollte Folge des Handelns ergeben, ändert auch nichts Grundlegendes am Charakter des Verbrechens: Gewaltige Schäden für andere als Preis für den eigenen Wohlstand hinzunehmen, ist nicht zu rechtfertigen, zumal die Schäden für die Allgemeinheit sogar viel größer sind als der für eine Minderheit errungene zeitweilige Nutzen.

Spätere Generationen werden es nicht fassen können, dass vielen heute noch nicht einmal ein generelles Tempolimit auf Autobahnen und der Verzicht auf komplett übermotorisierte SUVs zumutbar erschienen – als sofort wirksame Maßnahmen zu Kosten von weniger als gar nichts, nur eben mit dem Verzicht auf eine moderate Reduktion von Reisezeiten und das Fahrgefühl in einem dicken Schiff. Die verheerende Wirkung durch das damit ausgesandte Signal an die ganze Welt ist vielleicht noch schlimmer als die direkte Auswirkung auf die Emissionen. Die sich hier beispielhaft ausdrückende Rücksichtslosigkeit ist schon atemberaubend: Kleine Annehmlichkeiten für sich selbst zählen mehr als die Erhaltung der Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen.

Trotz all dem wäre es aus mehreren Gründen unangemessen, dies als ein Großverbrechen der Menschheit einzustufen:

  • Die klimaschädlichen Emissionen sind in der Weltbevölkerung extrem ungleich verteilt. Während ein großer Teil der Menschheit nach wie vor relativ geringe Emissionen aufweist, verursacht eine zahlenmäßig relativ geringe Zahl von Menschen, hauptsächlich in den Industrieländern, den größten Teil dieser Problematik. Absurderweise werden manche schädlichen Aktivitäten, etwa das Fliegen, oft auch noch dadurch entschuldigt, dass es global gesehen ja kein so großer Teil des Problems sei – aber eben nur deswegen, weil es die allermeisten Menschen (noch) nicht tun. Sich etliche Tonnen CO2 pro Jahr durch diverse Flüge zu genehmigen, ist ja gerade nicht dadurch zu rechtfertigen, dass das global gesehen kaum jemand tut – ganz im Gegenteil.
  • Leider sind auch wir Deutschen trotz unserer (inzwischen weitgehend ausgebremsten) Energiewende keineswegs die globalen Musterknaben, wie es manche gerne sähen, sondern vielmehr Vorreiter einer Wirtschaft des Raubbaus, die global mehr und mehr Nachahmer gefunden hat. Und Jahrzehnte, nachdem wir das erkannt haben, wirtschaften wir immer noch mit weit überdurchschnittlichen Emissionen.
  • Nur wenige Generationen haben einen Großteil des Problems verursacht, und dies auf Kosten der kommenden Generationen. Zwar hat die Industrialisierung schon im 19. Jahrhundert begonnen, und zwar von Anfang an mit Raubbau ohne allzu viel Gedanken an das Prinzip der Nachhaltigkeit, aber so extreme Ausmaße hat dies erst im Laufe des 20. Jahrhunderts angenommen. Also sind Tausende von früheren Generationen unbeteiligt, viele kommende Generationen allein auf der Seite der Opfer, und dazwischen liegen die Täter – genau wir! Die kommenden Generation werden erstens wieder fast ohne fossile Energieträger auskommen müssen (was viele heute lebenden Menschen für sich selbst als unmöglich betrachten) und zweitens mit den Folgen von deren früherer Verbrennung leben müssen, also unter stark erschwerten Umständen als Preis für den Wohlstand einer Minderheit in wenigen Generationen davor.
  • Auch innerhalb der am meisten verantwortlichen Gesellschaften und Generationen ist die Macht und damit die Verantwortung extrem ungleich verteilt. Der größte Teil etwa der deutschen Bevölkerung hat nur recht begrenzte Möglichkeiten zur Problemlösung zur Verfügung. Er kann zwar Flüge vermeiden und Autofahrten reduzieren, häufig aber nicht seine Wohnräume klimafreundlich beheizen lassen und von weitgehend klimafreundlich hergestellten Gütern leben. Gelegentlich mit Stimmzetteln Signale auszusenden, wirkt auch nur recht begrenzt. Weitaus umfassendere Möglichkeiten hätten führende Politiker und Leute in der Wirtschaft, aber auch dies mit der gewichtigen Einschränkung, dass man als verantwortungsbewusster Vorreiter häufig seine Position im System aufs Spiel setzt (nicht zuletzt auch wegen des Wahlverhaltens vieler "kleiner Leute"). Immerhin liegt bei diesen Personen der größte Teil der Verantwortung, da es sehr viel ausmacht, ob sie sich ernsthaft für Problemlösungen engagieren oder einfach nur nach dem Prinzip "nach mir die Sintflut" durchwursteln. Letzteres ist leider bei fast allen zu beobachten – selbst nach der Erkenntnis, dass das ewige Verschieben eines effektiven Klimaschutzes sogar verfassungswidrig ist, weil es kommenden Generationen immer noch weiter wachsende Herausforderungen bei gleichzeitig schwindenden Mitteln auferlegt und damit deren elementare Grundrechte verletzt.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die derzeitige Klimaschädigung als ein Großverbrechen der Menschheit arg verzerrt dargestellt wäre: Zwar gibt es eine sehr große Zahl von mehr oder weniger involvierten Tätern, aber der größte Teil der Verantwortung liegt bei einer kleinen Minderheit, die zumindest für begrenzte Zeit damit recht gut lebt. Allerdings wird sich eine zunehmende Zahl von Menschen auch auf der Seite der Opfer wiederfinden – man denke beispielsweise an die Flutkatastrophe dieses Sommers, aber auch an die verheerenden Brände und Überflutungen in vielen anderen Gegenden der Welt. Immer mehr Menschen werden also zu Tätern und Opfern. Aber die meisten können sich das nicht so recht vorstellen, bevor es ihnen selbst zustößt – ähnlich wie die Raucher, die mit Lungenkrebs nie gerechnet hätten.

Die Rolle von Lügen

Praktisch kein Großverbrechen ist möglich ohne ein umfangreiches Konstrukt von Lügen, und zwar aus mehreren Gründen:

  • Die Täter müssen ihr Gewissen beruhigen. Beispielsweise muss man wohl davon ausgehen, dass die Planer des Holocaust als erstes sich selbst belogen, um sich ihr Handeln als gerechtfertigten und alternativlosen Kampf für die Durchsetzung berechtigter Ansprüche einer Herrenrasse vorzustellen.
  • Eine große Zahl von Mittätern muss motiviert werden, häufig sogar völlig gegen deren eigene Interessen. Beispielsweise wäre es unmöglich, Millionen als Soldaten in einen brutalen Krieg zu schicken, ohne eine große Zahl von Aspekten durch ein sorgfältig errichtetes Konstrukt von Lügen zu vernebeln.
  • Wenn es eine große Zahl von Opfern gibt, müssen diese möglichst effektiv eingelullt werden, um den zu erwartenden Widerstand zu minimieren.

Auch im Zusammenhang mit der Klimakrise spielen diverse Lügenkonstrukte eine entscheidende Rolle:

  • Am Anfang stand das Verschweigen des Problems. Beispielsweise wussten die Führungsriegen der globalen Ölkonzerne schon vor etlichen Jahrzehnten aufgrund der wissenschaftlichen Expertise nicht zuletzt ihrer eigenen Mitarbeiter, dass die exponentiell zunehmende Ausbeutung fossiler Energieträger früher oder später katastrophale Folgen für das Klima auf der Erde haben würde. Davon gelang jedoch fast nichts nach außen, d. h. in die Öffentlichkeit oder in die Politik.
  • Als das Wissen über die Klimaproblematik in den 1980er Jahren allmählich in die Öffentlichkeit gelangte (Stichwort Global 2000)), stellte man um auf die Leugnung des Problems. Im Widerspruch zu detailliertem besserem Wissen, dass man intern längst sorgfältig zusammengetragen hatte, behauptete man öffentlich, dass es gar kein Klimaproblem gäbe oder dass zumindest entsprechende Befürchtungen dermaßen schlecht abgesichert seien, dass man auf dieser Basis wirklich nicht sein Handeln umstellen könne – zumal wenn dadurch Wohlstand gefährdet würde.
  • Inzwischen funktioniert diese Strategie natürlich nur noch bei den Dümmsten. Vor allem durch die Arbeit des IPCC ist mittlerweile der breiten Öffentlichkeit gut bekannt, dass die Wissenschaft trotz der noch verbleibenden Unsicherheiten die folgenden Kernpunkte ganz klar bestätigt: Die seit Jahrzehnten schnell steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist das Resultat der menschlich verursachten Emissionen. Dies (mit zusätzlichen Einflüssen z. B. von Methan und Lachgas) verschiebt die Energiebilanz der Atmosphäre und führt damit zu einer erheblichen globalen Erwärmung (Treibhauseffekt). Dies würde mit so weitergehenden Emissionen innerhalb von einigen Jahrzehnten katastrophale Folgen haben, z. B. einen erheblichen Anstieg des Meeresspiegels, eine Versauerung der Meere, viel häufiger werdende Extremwetterlagen (z. B. Stürme, Überflutungen und Dürren), kräftige Störungen des Wasserhaushalts, massenhaftes Aussterben von Tieren und Pflanzen mit unabsehbaren Wirkungen auf das ökologische Gleichgewicht in vielen Regionen, in der Folge auch Flüchtlingsströme in nicht gekanntem Ausmaß, etc. Nur noch die verbohrtesten Zeitgenossen glauben, das seien alles nur haltlose Behauptungen einer weltweiten z. B. kommunistisch/jüdisch/… motivierten Verschwörung, die zigtausende Wissenschaftler aus aller Welt eingebunden hat, um uns zu unterjochen.
  • Deswegen können die Drahtzieher diese Strategie nur noch als verdeckte Operation mit einer Minderheit als Zielgruppe verfolgen; man finanziert im Verborgenen diverse Gruppen, um noch etwas Sand in diverse Getriebe zu streuen. Selbst Ölkonzerne können das Klimaproblem offiziell nicht mehr leugnen, da sie auf den Großteil der Gesellschaften und der Politik mangels Glaubwürdigkeit sonst keinen Einfluss mehr haben könnten.
  • Heute dominiert eine subtilere Strategie der Vernebelung mit vielfältigen Ansätzen:

– Man führt endlose Diskussionen darüber, ob bestimmte Schäden tatsächlich zu 100 % klimabedingt sind – als wüsste man nicht längst, dass jedenfalls die Wahrscheinlichkeit solcher Schäden klimabedingt heftig zunimmt. – Man spielt die Wichtigkeit des Handels in einem Land wie Deutschland (bzw. der Schweiz, den USA etc.) herunter mit dem Hinweis auf viel größere Emissionen anderswo – als wäre es realistisch zu erwarten, dass andere für uns das Problem lösen, während wir uns zurücklehnen. – Man simuliert aktiven Klimaschutz mit erkennbar völlig unzureichenden Maßnahmen, mit dem man die Klimaziele dann regelmäßig leider wieder verpasst – als wäre das nicht von Anfang an klar gewesen. – Man spekuliert haltlos auf nicht näher beschriebene Zukunftstechnologien, die die Kräfte des Marktes schon noch irgendwie entwickeln würden – ohne konkrete Vorstellungen dazu zu haben. – Man heuchelt Besorgtheit um den sozialen Frieden (die sich aber z. B. in der Steuerpolitik nirgends zeigt) als Ausrede für unzureichendes Handeln – als wären die Folgen des nicht aufgehaltenen Klimawandels sozialverträglich. – Man stellt das Problem als nahezu unlösbar hin, während man selbst einfachste Maßnahmen (z. B. Tempolimit) blockiert. – Man stellt Klimapolitik zugunsten der Bewahrung des Wohlstands zurück – als wäre zukünftiger Wohlstand überhaupt denkbar im Szenario eines scheiternden Klimaschutzes.

Willkommene Lügen

Viele Lügen sind nicht etwa deswegen sehr wirksam, weil sie so überzeugend vorgebracht würden. Eine so große Dummheit einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ist an sich nicht anzunehmen. Der bisherige Erfolg beruht vielmehr darauf, dass diverse Lügen aus psychologischen Gründen von vielen gerne angenommen werden:

  • Es wäre doch angenehmer zu glauben, dass ein Verzicht auf diverse liebgewordene Gewohnheiten und Annehmlichkeiten gar nicht nötig ist, da das Problem ja vielleicht doch gar nicht so groß ist, nicht so schnell kommt, oder von irgend jemandem irgendwie ohne unser Zutun gelöst werden wird.
  • Die eigene Mitverantwortung tut dem Ego natürlich gar nicht gut; angenehmer ist es deswegen zu glauben, dass doch eigentlich irgendjemand anders schuld sei (die Amerikaner, die Chinesen, die Saudis, die Politiker, die Industrie, usw.) und wir gar nichts tun könnten. Anstatt die einzige Chance darin zu erkennen, dass wir global gemeinsam das Problem noch lösen (was ohne unseren entschiedenen Beitrag dazu kaum denkbar ist, und mit ihm leider auch alles andere als sicher), redet man sich ein, doch ohnehin nichts tun zu können, um sich dann mit anderen Dingen abzulenken, da man schließlich das Leben noch genießen möchte.
  • Man stellt sich gerne vor, dass die Opfer ja nur irgendwo weit weg leiden, aber nicht, dass man selbst demnächst dazugehören könnte. So kann man als (zwar unschöne) Notlösung Politiker unterstützen, die eine absolut rücksichtslose Vorgehensweise fordern (etwa kein Klimaschutz und eine harte Abschottung gegen Flüchtlinge) – nicht sehen, dass das nicht nur unverantwortlich ist, sondern auch gar nicht funktionieren kann.
  • Eine (auf Seiten der Adressaten meist unbewusste) Strategie der Ablenkung spielt sicherlich häufig eine große Rolle. Wohlgemerkt müssen es gar nicht unbedingt angenehme Dinge sein: Ebenfalls geeignet sind andere Probleme, die aber jedenfalls insofern weniger bedrohlich wirken, dass man irgendetwas relativ Konkretes dagegen tun kann: – Man kann mit aller Kraft gegen eine böswillige Verschwörung der internationalen Ärzte und Politiker mit dem Ziel einer Corona-Diktatur kämpfen und damit das Klimaproblem kaum mehr spüren. (Alles in Ordnung, solange mir kein finsterer Schuft eine Spritze in den Arm rammt, und das kann ich ja verhindern!) – Ähnlich geeignet ist die Kultivierung von Elektrosmog-Ängsten, die man dann mit geeigneten technischen Maßnahmen einigermaßen überzeugend lösen kann. (Wie wohltuend, mit einem elektromagnetisch geschützten Schlafplatz endlich sicher zu sein! Dann muss ich nicht daran denken, dass meine Heizung mangels Wärmedämmung Jahr für Jahr das Klima massiv schädigt, was teurer zu beheben wäre. Und notfalls kann ich die Wärmedämmung ja mit vielfältigen Einwänden ablehnen.)

– Diverse kulturelle Konflikte in unseren Gesellschaften (bei Themen wie Einwanderung, Kriminalität, Religionen, Brauchtum, Gender-Sprache) sind ebenfalls bestens wirksam zur Ablenkung der Menschen von größeren Problemen und werden deswegen auch sorgsam geschürt vor allem von denjenigen Politikern, die nicht möchten, dass sich ihre Klientel allzu sehr mit ihrer Steuerpolitik, Anti-Klimapolitik etc. beschäftigt. In der Regel wird auf diese Weise eine Politik, die den eigentlichen Interessen der genutzten Klientel klar zuwiderläuft, diesen Menschen nahegebracht. So können beispielsweise Millionäre und Milliardäre Steuerpolitik zu ihren eigenen Gunsten durchsetzen, ein Unternehmensstrafrecht zum Schutz ihrer Klientel verhindern und den dadurch geschädigten "kleinen Leuten" mit "kulturellen" Ködern weismachen, sie verträten deren Interessen. - /Ablenkung von den wirklichen Problemen wird also sowohl gezielt manipulativ betrieben als auch von vielen Opfern selbst ersehnt.

Klimaschutz im Wahlkampf

Auch im aktuellen Wahlkampf für die deutsche Bundestagswahl sind beim Thema Klimaschutz ganz klar Bemühungen erkennbar, nicht unbedingt maximal überzeugend, aber doch emotional erfolgreich zu agieren:

  • Die AfD kann zwar sicher nicht darauf hoffen, dass ein wesentlicher Teil der Bevölkerung ihre teils nur noch absurden Positionen zur Klimaproblematik für ernsthaft sachlich gerechtfertigt hält. Jedoch sucht eben nicht jeder wirklich nach der Wahrheit; wir beobachten ja auch beispielsweise in den Vereinigten Staaten, dass selbst offensichtlichste Lügen in einem Teil der gründlich verunsicherten Gesellschaft auf begeisterte Zustimmung stoßen, wenn dadurch eine emotionale Resonanz getroffen werden kann. Und vielleicht ist ja dieser Anteil auch in unserer Gesellschaft noch ausbaufähig.
  • Die CDU/CSU versichert einerseits, dass ihr die Bewahrung der Schöpfung so sehr am Herzen liege, ist andererseits aber extrem zurückhaltend mit konkreten Maßnahmen, ohne die erfolgreicher Klimaschutz natürlich nicht auskommt. Sie schürt Hoffnungen auf neue Technologien als bessere Alternative zu Verboten – etwa mit Verweis auf die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, die freilich nicht einmal die Bezeichnung als Strategie verdient und absehbar höchstens einen sehr bescheidenen Lösungsbeitrag erbringen kann. Eine Abkehr von der bisherigen Politik der Blockade (z. B. Sabotieren der erneuerbaren Energien mit vielen Mitteln, auch unter Inkaufnahme der Vernichtung von Arbeitsplätzen, und EU-weites Bremsen des Klimaschutzes im Verkehrsbereich) ist nicht zu erkennen. Nicht einmal das Tempolimit auf Autobahnen – mit Einsparungen von Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zu Kosten von weniger als gar nichts – wird akzeptiert, wohl wegen der Abhängigkeit von Parteispenden aus der Wirtschaft, die sicher auch beim Abgasskandal seit 2015 (eine Folge von Korruption) eine große Rolle spielten. Generell wird praktisch keine Maßnahme erwähnt, ohne sogleich zu betonen, dass man dies natürlich immer nur mit Augenmaß tun könne, weil man schließlich auch unseren Wohlstand bewahren möchte. Dass immer mehr Menschen (allen voran die Flutopfer) erkennen, dass es Wohlstand ohne Klimaschutz zukünftig gar nicht geben kann, könnte freilich mehr und mehr zum Problem werden. Immerhin haben aber bislang Millionen von Wählern mehr oder weniger akzeptiert (wenn auch teils mit unguten Gefühlen), dass diese Politik den Klimaschutz völlig unzureichend angepackt hat.
  • Im Einzelnen sieht es bei der SPD ein wenig besser aus. Jedoch herrscht auch hier die unselige Denkweise vor, dass Wohlstand (hier etwas mehr mit Blick auf die ärmeren Leute) und Klimaschutz gegeneinander abgewogen werden müssten. Das Setzen von Zielen (etwa Klimaneutralität bis 2045) ist (nach bewährter Manier der großen Koalition) beliebter als die Formulierung konkreter, dafür nötiger Maßnahmen, weswegen die Zielverfehlung nach wie vor vorprogrammiert ist.
  • Die FDP stützt sich voll auf die diffuse Hoffnung, dass neue Technologien das Problem schon irgendwie lösen werden, wenn nur die Steuern gesenkt werden und immerhin eine stärkere CO2-Bepreisung erfolgt; letzteres kann auch ihre Klientel am lockersten mittragen. Die Gesellschaft als Ganzes würde das aber nicht tolerieren – bald hätten wir auch eine Gelbwesten-Bewegung. Eine Beteiligung der FDP an der nächsten Regierung dürfte den Klimaschutz jedenfalls massiv erschweren.
  • Die Linke möchte durchaus engagierter vorangehen, teils auch mit Verboten, etwa von Kurzstreckenflügen mit Distanzen unter 500 km. Dagegen ist sie sehr skeptisch gegenüber einer CO2-Bepreisung wegen der Befürchtung, dass dies Niedrigverdiener zu stark treffen würde. Damit verzichtet sie auf ein wichtiges Instrument, flächendeckend geeignete Anreize zu setzen, und müsste somit ordnungspolitisch entsprechend härter durchgreifen, um genügend zu erreichen. Eine ökonomisch optimierte Strategie kommt so nicht zustande – dabei ist dies entscheidend für sozialverträglich erzielten Erfolg.
  • Am Ehesten ließen sich die notwendigen Fortschritte von den Grünen erreichen, die eine CO2-Bepreisung in ausreichend wirksamer Höhe (und sozialverträglich gestaltet) mit einer Palette von ordnungspolitischen Maßnahmen kombinieren würden. Von ihnen könnte man wohl auch am ehesten erwarten, dass die seit vielen Jahrzehnten beständig falsche Anreize setzenden Subventionen auf fossile Energien bald beendet würden, und dass ganz Europa beim Klimaschutz nicht mehr von Deutschland gebremst, sondern angestoßen würde. Jedoch sieht man auch bei den Grünen (wohl als Folge früherer schmerzhafter Erfahrungen), dass sie sich sehr davor fürchten, den Leuten umfassend klar zu machen, was in den nächsten Jahrzehnten notwendig sein wird: der umfassende Umbau unserer Energieversorgung und weiter Bereiche der Wirtschaft, ebenfalls die allmähliche Aufgabe von vielen Annehmlichkeiten, an die man sich im Ölzeitalter gewöhnt hat. Beispielsweise möchten die Grünen Kurzstreckenflüge vorerst unangetastet lassen, bis die Angebote der Bahn den Verzicht darauf ganz einfach machen sollen. Auch hier verspricht man im Prinzip erfolgreichen Klimaschutz ohne allzu spürbare Einschränkungen, obwohl dies nach all den verbummelten Jahren und all den in falsche Richtungen investierten Milliarden ziemlich schwierig werden dürfte. Deswegen droht eine deutliche Zielverfehlung selbst mit einer grün geführten Bundesregierung, zumal es ohne zusätzliche Bremser ja nicht geht.

Fast die gesamte deutsche Politik geht offenbar davon aus, dass die nach Jahrzehnten des Wissens über die Klimaproblematik immer noch bestehende kognitive Dissonanz – prinzipielle Einsicht und gleichzeitig das Fehlen jeder Entschiedenheit im Handeln – zu respektieren sei, weswegen allzu deutliche Ansagen unterlassen werden müssen. Im Ausmaß gibt es hier allerdings doch große Unterschiede. Es gibt sehr klare Signale, dass eine von CDU, CSU, SPD und FDP dominierte Politik weiterhin die Probleme vor sich her schieben würde mit der erwartbaren Folge des Scheiterns. Die Chancen für einen global erfolgreichen Klimaschutz würden hiermit noch weiter schwinden.

Die Lebenslüge unserer Gesellschaft

Dass ein großer Teil der jungen Generation dies im Wesentlichen einfach hinnimmt, als hätte sie sich damit abgefunden, dass ihre Zukunft der Mehrheit eben leider nicht genügend wichtig ist, müsste eigentlich sehr verwundern. Jedoch wirkt auch hier in nicht geringem Maße das Geflecht an Lügen, welches dieses Verbrechen ermöglicht – meist nicht die krassen, die Ergebnisse der Wissenschaft negierenden Klimalügen, sondern die große Lebenslüge unserer Gesellschaft: dass man schon irgendwie durchkäme, indem man nur "maßvolle" (d. h. objektiv unzureichende) Anpassungen durchführt, mit denen aber das Ziel der Nachhaltigkeit auf absehbare Zeit nicht erreichbar ist. Immer noch wird die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen zugunsten kurzfristiger Bequemlichkeit zurückgestellt, und der Minderheit, die diesen Wahnsinn erkannt hat, erscheint der Zustand unserer Gesellschaft (in der politischen Diskussion wie auch im Alltag) seltsam geistig vernebelt. Den jetzigen Verzicht auf diverse Dinge zu fordern, um unsere Zukunft zu retten, scheint bislang noch keiner Mehrheit ernsthaft vermittelbar zu sein. Aber das Leiden wird umso heftiger werden, je später zur prinzipiellen Einsicht auch die Bereitschaft zum Handeln kommt.

Fragen und Kommentare von Lesern

13.09.2021

Auch die geschenkte Chance der Corona-Pandemie, unsere Wirtschaft in eine nachhaltige Kreislauf-Wirtschaft umzubauen, wird nicht ergriffen – im Gegenteil, man muss jetzt das Verlorene aufholen. Schande über uns Egoisten und Opportunisten.

28.09.2021

Um in Deutschland "Klimaneutralität" bis 2045 zu erreichen, was muss da z. B. bezüglich der Stromerzeugung konkret geschehen:

  • Wie groß muss die bis dahin zu installierende Windenergiekapazität (Leistung) und Photovoltaikkapazität sein? (Die bis heute installierte Kapazität wird wohl 2045 weitgehend nicht mehr am Netz sein.)
  • Wie ist in einem entsprechenden Szenario die Versorgungssicherheit technisch (Energiespeicherung, Cybersicherheit, …) zu gewährleisten?
  • Wie groß müssten, dem Beispiel Deutschlands folgend, die entsprechenden global zu installierenden Stromerzeugungs-Kapazitäten für Windenergie- und Sonnenenergienutzung sein?

Mir sind bisher nur stark divergierende bzw. inkonsistente Aussagen zu diesen Fragen bekannt.

Antwort vom Autor:

Solche Fragen lassen sich nicht so einfach beantworten. Hierfür sind umfangreiche Szenarien zu analysieren, die auf mehr oder weniger überzeugenden Annahmen basieren. Natürlich kommt es auch stark darauf an, ob man beispielsweise einen ausufernden Energiebedarf als gegebene Größe annimmt oder aber die begrenzten Ressourcen als eine natürliche Grenze akzeptiert.

07.12.2021

Ich stimme zu, dass die Politik und Wirtschaft mehr tun muss, und zwar sofort. Nicht zustimmen tue ich beim Punkt der Einzelpersonen - jeder kann etwas tun:

  1. Energieverbrauch im Privatbereich, Autogebrauch etc. etc.

  2. Konsum – was kaufe ich von wem – warum etc.

Man darf nicht vergessen, dass wir auch eine Informationspflicht haben; wir können nicht für alles Politik verantwortlich machen wenn wir als die Masse die Mittel haben durch unsere Wahl und unseren Konsum zu beeinflussen, wer unsere Macht erhält.

Antwort vom Autor:

Selbstverständlich kann und muss jeder Einzelne etwas tun, und zwar an vielen Stellen, und auch ein Teil der Verantwortung übernehmen. Nur sollten wir keinesfalls auf Vorschläge hereinfallen, dass das dann auch genügen muss – so nach dem freiheitlichen Motto, es solle doch jeder so viel Klimaschutz betreiben, wie er möchte. Ich stelle Forderungen an die Politik und sehe darin eine der vielen Möglichkeiten meines eigenen Handelns.

09.01.2022

Ich möchte mich einfach bedanken für diese sehr differenzierte, unnötige Schuldzuweisung vermeidende, Darstellung eines sehr komplexen Problems. Die Unaufgeregtheit, mit der Sie die Lage in einfachen Worten verständlich formulieren, kann ich nur begrüßen!

Antwort vom Autor:

Das Attribut der Unaufgeregtheit überrascht mich mal damit die Sache durchaus aufregt und ich ja auch deutliche Worte verwendet habe.

Eine klar verständliche Darstellung ohne unnötige Komplikationen ist mir immer sehr wichtig.

25.03.2023

Die Problemverschiebung auf Politiker, Industrie und Reiche ist zu einfach. Es wird auch durch Wiederholung nicht richtig, dass Demokratie nicht wirkt. Die Politiker können durch Umfragen sehr genau vorhersehen, welche Wirkungen sie erzielen und reagieren darauf.

Jeder Einzelne entscheidet täglich über seinen Beitrag zur ökologischen Entwicklung (Wahl des Verkehrsmittels, Größe der Wohnung, Raumtemperatur, Anzahl beheizter Räume, Fleichkonsum ..).

Die ausgebremste Energiewende ist auch durch Missachtung wichtiger Zusammenhänge entstanden. Es fand eine Überförderung statt, die die Innovation im Markt ausgebremst hat. Ihre Thesen zum Supergrid widersprechen doch früherem Ansätzen lokaler Energieerzeugung. Der weitere Ausbaudruck in Deutschland geht doch in die falsche Richtung, falls die Lösung im Supergrid besteht. Ihre sozialverträgliche Gestaltung nimmt doch den Druck von vielen, ökologisch zu handeln, da einer Mehrheit egal ist, was aus dem Nachbar und der Zukunft wird. In vielen Umfragen sind unter 20 % aus Umwelschutzgründen für das Energiesparen.

Antwort vom Autor:

Es ist doch einfach so, dass wir auf verschiedenen Seiten ein Problem haben:

  • Politiker, die den Wunsch der Mehrheit nach mehr Klimaschutz jahrzehntelang übergangen haben, teils auch mit übler Propaganda die Energiewende behindern und schlechtmachen
  • Bürger, die ihre eigene Verantwortung nicht sehen und Klimaschutz immer nur von anderen einfordern
  • Politiker, die die Bürger auch entsprechend manipulieren
  • Bürger, die gerne diejenigen wählen, welche ihren Selbstbetrug effektiv unterstützen und damit auf die Dauer ihre Interessen gewaltig schädigen

Immer nur zu sagen, das eine sei es nicht, sondern das andere, bringt uns nicht weiter.

Was die Ansätze lokaler Energieerzeugung betrifft, muss man deren Grenzen auch realistisch sehen. Ins Extrem getrieben – mit dem Versuch lokaler Energieautarkie – kommt man niemals zu bezahlbaren Lösungen, anders als mit einem Supergrid.

Hier können Sie Fragen und Kommentare zur Veröffentlichung und Beantwortung vorschlagen. Über die Annahme wird der Autor des RP-Energie-Lexikons nach gewissen Kriterien entscheiden. Im Kern geht es darum, dass die Sache von breitem Interesse ist.

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