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Windkraft – eine Gefahr für die Versorgungssicherheit?

(Dieser Artikel ist in ähnlicher Form erschienen in Energie & Umwelt 1/2007, dem Magazin der Schweizerischen Energiestiftung.)

Autor:

Immer wieder taucht die Behauptung auf, Windenergie und andere erneuerbare Energien trügen nicht zur Versorgungssicherheit bei, oder gefährdeten diese gar. Dabei lässt sich leicht zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Erneuerbare Energien können sogar besonders große Beiträge zur Stabilisierung des Netzes bringen, wenn sie entsprechend eingebunden werden.

Die Sicherheit unserer Versorgung mit elektrischer Energie wird mit einem komplizierten System gewährleistet, welches viele Kraftwerke, Hochspannungsleitungen und Regeleinrichtungen enthält. Trotz dessen Komplexität lässt sich anhand einfacher Modelle gut nachvollziehen, dass häufig geäußerte Befürchtungen betreffend die Versorgungssicherheit mit der Realität wenig zu tun haben.

Windstromangebot und Verbrauch
Abbildung 1: Die Windstromerzeugung (links) schwankt und passt nicht zufällig zum zeitlichen Verlauf des Elektrizitätsverbrauchs (rechts). Dies ist unbestritten, jedoch was folgt daraus?

Modell 1: Erdgas und Windkraft

Nehmen wir an, dass eine kleine Region ihren Strom zunächst elektrisch autark mit Erdgas-Kraftwerken und Windenergie erzeugt. Während die Gaskraftwerke bei gutem Wind deutlich reduziert laufen können, müssen sie bei Flaute immer noch die volle Last abdecken. Hier spart der Einsatz von Windenergie zwar Erdgas (und CO2-Emissionen), aber keine Reserveleistung und Regelenergie ein. In diesem Sinne trägt die Windenergie zur Versorgungssicherheit nur wenig bei, indem sie die Wahrscheinlichkeit von Engpässen bei Ausfall anderer Kraftwerke etwas reduziert. Von diesem Modell gehen Windkraftgegner oft aus. Sie übersehen dabei nicht nur, dass die benutzten Voraussetzungen keineswegs der europäischen Wirklichkeit entsprechen, sondern auch dass ein reduzierter Erdgasverbrauch die Importabhängigkeit vermindert und insofern doch zur Versorgungssicherheit beiträgt. In der Zeit nach Peak Oil wird dieser Aspekt selbstredend noch erheblich wichtiger.

Modell 2: Wasser und Wind

Eine zweite Modellregion versorgt sich ebenfalls elektrisch autark, jedoch mit Wasserkraftwerken, die über Stauseen als Energiespeicher verfügen. Die Turbinen lassen sich optimal der momentan benötigten Leistung anpassen, jedoch wird die verfügbare Wassermenge knapp, wenn im Winter die Zuflüsse abnehmen, während Elektroheizungen den Verbrauch ansteigen lassen.

Nun werden auch hier Windkraftanlagen zugebaut. Da sie einen Teil des Verbrauchs decken, muss weniger Wasser den Stauseen entnommen werden (reduzierte Fläche des blauen Streifens in Abb. 2). In dieser Situation tragen Windkraftwerke unzweifelhaft zur Versorgungssicherheit bei –- wobei ziemlich unerheblich ist, wann genau sie produzieren. Nur eine permanente Windflaute von Herbst bis Winter wäre ein Problem, aber so etwas ist praktisch unmöglich.

Wind- und Wasserkraft kombiniert
Abbildung 2: Im Modell 2 müssen Wasserkraftwerke den vollen Leistungsbedarf decken können, jedoch müssen die Wasserzuflüsse nicht für die gesamte Energiemenge ausreichen. So werden Engpässe vermieden, obwohl das Windstromangebot schwankt.

Modell 3: Erdgas und Atomkraft

Eine dritte Region kombiniert ein Atomkraftwerk mit Erdgas-Kraftwerken. Verglichen mit Windkraftwerken kann das Atomkraftwerk seine volle Leistung mit viel höherer Verlässlichkeit liefern. Jedoch kann auch das AKW ausfallen –- unter Umständen sogar plötzlich, ohne jede Vorwarnung und für mehrere Monate (wie geschehen z. B. beim schweizerischen Kraftwerk Leibstadt in 2005). Deshalb würde auch hier gelten, dass diese Region Gaskraftwerke mindestens im vollen Umfang der nachgefragten Leistung braucht. Die höhere Verfügbarkeit des AKW ändert daran wenig.

Die europäische Realität

In einem Punkt entspricht keines der diskutierten Modelle unserer Realität: Wir haben einen ganz Europa umfassenden Elektrizitätsverbund, in den eine Vielzahl unterschiedlichster Kraftwerke und Verbraucher eingebunden sind. Dies erleichtert die Gewährleistung einer hohen Versorgungssicherheit gewaltig und senkt die Kosten entsprechend. Der plötzliche Ausfall selbst eines großen Kraftwerks fällt hier so wenig ins Gewicht wie eine regionale Windflaute für mehrere Wochen. Zudem ist die Gesamtleistung der Windkraftwerke über einige Tage gut prognostizierbar, was die Planung erleichtert.

Voraussetzung für den Ausgleich vorhandener Kapazitäten und Nachfrageschübe ist im Wesentlichen, dass ausreichende Übertragungskapazitäten zur Verfügung stehen. Hierfür werden immer wieder Investitionen getätigt, die sich finanziell auf Millionen von Verbrauchern verteilen und daher gut tragbar sind.

Schlussfolgerungen

Die Versorgungssicherheit in einem großen Verbundnetz stützt sich weniger auf die momentane Verfügbarkeit einzelner Kraftwerke als auf eine ausgewogene Palette verschiedener Quellen, die nicht alle gleichzeitig ausfallen können. Von jedem einzelnen Kraftwerk eine hohe momentane Verfügbarkeit zu fordern, ist deswegen Unsinn, auch wenn sich gelegentlich sogar Professoren für entsprechende Propaganda hergeben. Bedrohungen der Versorgungssicherheit entstehen in Zukunft eher aus Importabhängigkeiten bei fossilen Energieträgern und übrigens auch eher für Verkehr und Heizungen als im Stromsektor.

Der Beitrag von Windkraftanlagen zur Versorgungssicherheit hängt nicht nur von deren Eigenschaften ab, sondern auch von ihrer Anzahl und geografischen Verteilung, sowie entscheidend von dem Versorgungsnetz, in das sie eingebunden werden. Beispielsweise zeigt das oben diskutierte Modell 2 ganz andere Einflüsse als Modell 1. In der tatsächlichen Situation des europäischen Verbundnetzes sind die Schwankungen des Windangebots ein durchaus beherrschbares Problem, das freilich von interessierten Kreisen regelmäßig grotesk überzeichnet wird. Erst wenn der Windstromanteil in ganz Europa erheblich höher wird, entstehen echte Herausforderungen, und mehr Kapazitäten für die Energiespeicherung und ein ausgefeilteres Lastmanagement wird notwendig, falls nicht ein europäisches Supergrid (als kostengünstigere Lösung) aufgebaut wird.

Zusätzlich ist erwähnenswert, dass diverse erneuerbare Energien (z. B. mit Biogas oder Holz befeuerte Kleinkraftwerke) sogar besonders große Beiträge zur Stabilisierung des Netzes bringen können, wenn sie entsprechend eingebunden werden. Die Entwicklung neuer Speichertechnologien ist, auch wenn dies gelegentlich behauptet wird, keineswegs eine Voraussetzung für den breiten Einsatz regenerativer Energien; erst wenn ein großer Teil der gesamten Energie von solchen Quellen gedeckt werden soll und kein Supergrid zur Verfügung steht, wird dies wichtig.

Siehe auch: elektrische Energie, Stromnetz, Versorgungssicherheit

Fragen und Kommentare von Lesern

24.03.2020

Neue Pumpspeicherwerke sind doch selbst umweltplanungstechnisch kaum noch zu realisieren. Mit welcher Wirtschaftlichkeit kann z. B. ein Windkraftschwankungen pufferndes Gaskraftwerk laufen? Wer soll dort investieren?

Ist Windkraft mit den notwendigen Puffer- bzw. Speicherkapazitäten zur Netzstabilisierung ohne künstliche Verteuerung der fossilen (CO2-Steuer) oder Subventionen bisher überhaupt einmal realisiert worden?

Antwort vom Autor:

Richtig ist, dass eine massive Ausweitung der Kapazitäten von Pumpspeicherkraftwerken in Deutschland schwierig wäre – außer eventuell wenn sich diverse neue Ideen, z. B. mit Nutzung von Steinkohleförderschächten oder Strukturen aus dem Braunkohle-Tagebau, tatsächlich bewähren. Vor allem aber möchte ich anmerken,

  • dass zunehmend auch z. B. norwegische Speicherkapazitäten durch Ausbau der internationalen Netzverbindungen nutzen kann, und dass diese Kapazitäten um Größenordnung über denen deutscher Speicherpotenziale liegen,
  • dass man natürlich nicht jede Windenergieanlage extra mit einem Gaskraftwerk kombinieren muss, sondern bei Betrachtung des Gesamtsystems viel weniger Pufferbedarf hat,
  • dass eine CO2-Steuer keine "künstliche Verteuerung" ist, sondern eher eine endlich wenigstens teilweise erfolgende Internalisierung externer Kosten,
  • dass Kohle- und Kernenergie jahrzehntelang milliardenschwere Subventionen genossen haben – wo gab es Widerstand von denen, die jetzt Subventionen für zukunftsfähige Energien bemängeln?

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte entsteht m. E. ein völlig anderes Bild der Lage.

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