Blindleistung
Definition: in einer Stromleitung hin und her pendelnde Leistung
Spezifischere Begriffe: Verschiebungsblindleistung, Verzerrungsblindleistung
Gegenbegriff: Wirkleistung
Englisch: reactive power
Kategorien: elektrische Energie, physikalische Grundlagen
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Einheit: var
Formelsymbol: <$Q$>
Ursprüngliche Erstellung: 05.01.2013; letzte Änderung: 20.10.2023
Eine Blindleistung (Formelsymbol <$Q$>) entsteht in einer Wechselstromleitung als Folge eines Blindstroms, der phasenverschoben zur elektrischen Spannung oszilliert, oder alternativ auch bei nicht sinusförmigem Stromverlauf (d. h. bei Auftreten von Oberwellen). Siehe den Artikel über Blindstrom für die Erklärung der grundlegenden Problematik.
Bei einem reinen Blindstrom (mit 90° Phasenverschiebung) wird nur eine Blindleistung übertragen, keinerlei Wirkleistung. Im zeitlichen Mittel wird also keinerlei Energie durch die Leitung übertragen, da die gesamte Leistung lediglich hin- und zurückläuft, also zwischen Stromquelle und Last (in diesem Fall kein eigentlicher "Verbraucher") hin- und her pendelt.
Grundsätzlich kann man den Strom in einen Wirkstrom und einen Blindstrom zerlegen, und für die zugehörigen Leistungen gilt das Folgende:
- Die Scheinleistung ist das Produkt der Effektivwerte von elektrischer Spannung auf der Leitung und der fließenden elektrischen Stromstärke. Diese sagt aber nichts über den Netto-Leistungsfluss aus, bestimmt jedoch die Belastung der Leitung.
- Es gibt eine übertragene Wirkleistung <$P$>, die den Netto-Leistungsfluss zum Verbraucher (gemittelt über eine Schwingungsperiode) angibt, und eine Gesamt-Blindleistung <$Q_{\rm tot}$>, die nicht zur Netto-Energieübertragung beiträgt. Hierbei gilt jedoch nicht etwa der einfache Zusammenhang <$S = P + Q_{\rm tot}$>, sondern vielmehr <$S^2 = P^2 + Q_{\rm tot}^2$>. Die Summe der Quadrate von Wirkleistung und Blindleistung ergibt also das Quadrat der Scheinleistung. Das bedeutet, dass bei einem rechtwinkligen Dreieck, bei dem die Längen der Katheten der Wirk- und Blindleistung entsprechen, die Länge der Hypotenuse der Scheinleistung entspricht (Satz von Pythagoras).
- Die Gesamt-Blindleistung <$Q_{\rm tot}$> kann wiederum aufgeteilt werden in Verschiebungsblindleistung <$Q$> (aufgrund der Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung) und Verzerrungsblindleistung <$D$> (aufgrund nicht sinusförmigen Stromverlaufs), wobei gilt: <$Q_{\rm tot}^2 = Q^2 + D^2$>.
- Das Vorzeichen der Verschiebungsblindleistung <$Q$> wird üblicherweise so festgelegt, dass es bei induktiven Verbrauchern positiv ist und bei Verbrauchern mit kapazitiver Charakteristik negativ wird.
Für Blindleistungen wird die Einheit var ("Volt-Ampère-réactif") verwendet. Es gilt 1 var = 1 V · 1 A. Daraus abgeleitet wird 1 kvar = 1000 var und 1 Mvar = 1000 kvar = 106 var. Man verwendet nicht das Watt, um Verwechslungen mit Wirkleistungen zu vermeiden. Früher war auch die Einheit bW (Blindwatt) üblich.
Ein Rechenbeispiel: Ein einphasig betriebener Elektromotor beziehe eine Scheinleistung von 1500 VA aus einer 230-V-Leitung bei einem Leistungsfaktor (Verschiebungsfaktor) <$\cos \varphi$> = 0,8, wobei wir einen sinusförmigen Stromverlauf annehmen. Die Wirkleistung ist dann <$P$> = 1500 VA · 0,8 = 1200 W. Die Blindleistung ist nicht etwa 300 W (die Differenz von Schein- und Wirkleistung), sondern 1500 VA · <$\sin \varphi$> = 1500 VA · 0,6 = 900 var.
Formeln, die den Phasenwinkel <$\varphi$> enthalten, gelten häufig nur für den Fall einer reinen Verschiebungsblindleistung, d. h. wenn es eine Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung gibt, Strom und Spannung aber sinusförmig verlaufen. Für Fälle mit Verzerrungsblindleistung (die z. B. beim Betrieb von Gleichrichtern häufig auftritt) braucht man dann etwas aufwändigere Rechenverfahren. Hier kommt häufig ebenfalls ein Phasenwinkel vor; der relevante Phasenwinkel ist dann der der Grundschwingung.
Blindleistungen sind oft unerwünscht und werden mit Hilfe von Maßnahmen zur Blindleistungskompensation minimiert. Jedoch gibt es auch erwünschte Wirkungen von Blindleistungen, so dass die Blindleistungskompensation unter Umständen nur teilweise durchgeführt wird. Beispielsweise können Blindleistungen verwendet werden, um Energieströme in vermaschten Netzen in der gewünschten Weise zu beeinflussen.
Durch Integration der Blindleistung über die Zeit erhält man die Blindarbeit.
Siehe auch: Blindstrom, Blindarbeit, Wirkleistung, Scheinleistung, Verschiebungsblindleistung, Verzerrungsblindleistung, Blindleistungskompensation
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