Blindleistungskompensation
Definition: die Reduktion oder gezielte Steuerung von Blindleistungen in einem Stromnetz
Englisch: reactive current compensation
Kategorie: elektrische Energie
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Ursprüngliche Erstellung: 05.01.2013; letzte Änderung: 27.08.2023
URL: https://www.energie-lexikon.info/blindleistungskompensation.html
In Wechselstrom- und Drehstromnetzen gibt es das Phänomen der Blindströme. (Für eine umfassende Erklärung des Phänomens siehe den Artikel über Blindstrom.) Diese versucht man in manchen Fällen zu vermeiden oder zu kompensieren. Von Blindleistungskompensation spricht man in der Regel nur dann, wenn diese Maßnahme nahe dem Ort geschieht, wo der Bedarf an Blindleistung entsteht. Auf diese Weise wird nur eine kurze Leitung mit Blindleistung belastet.
Man unterscheidet unterschiedliche Arten von Blindleistung, die auch unterschiedliche Arten der Blindstromkompensation erfordern; diese werden in den folgenden Abschnitten erläutert.
Kompensation von Verschiebungsblindleistung
Im einfacheren Fall von Verschiebungsblindleistung oszilliert die elektrische Stromstärke aufgrund induktiver oder kapazitiver Lasten mit einer gewissen Phasenverschiebung (zeitlichen Verschiebung) gegenüber der elektrischen Spannung. Dies hat eine Blindleistung zur Folge: eine schnell hin und her oszillierende Leistung, die im zeitlichen Mittel 0 ist, also die Leitungen belastet, ohne im Mittel Energie zu übertragen. Wie stark dieser Effekt ist, wird durch den Phasenwinkel <$\varphi$> oder häufiger durch seinen Kosinus, den Verschiebungsfaktor oder Wirkfaktor <$\cos \varphi$> angegeben; dieser wird dann auch als Leistungsfaktor bezeichnet. Die Wirkleistung ist <$P = U_\textrm{eff} \cdot I_\textrm{eff} \cdot \cos \varphi$>.
Da induktive und kapazitive Lasten Phasenverschiebungen in gegensätzlicher Richtung verursachen, können sich die induktiven und kapazitiven Beiträge zur Blindleistung ganz oder teilweise ausgleichen. Man kann also beispielsweise eine induktive Blindleistung kompensieren, indem man zusätzlich eine geeignet dimensionierte kapazitive Last (typischerweise einen Kondensator) an die Leitung anschließt. Umgekehrt kann eine kapazitive Last durch eine Querkompensationsdrossel ausgeglichen werden. Bei gleicher Stärke der induktiven und kapazitiven Blindströme ergibt sich eine perfekte Blindleistungskompensation (auch als Blindstromkompensation bezeichnet), d. h. es gibt in der gemeinsamen Zuleitung keine Blindleistung mehr, und man hat dort <$\varphi$> = 0 und <$\cos \varphi$> = 1. (Die Kombination von induktiver und kapazitiver Last kann dann auch als ein Parallelschwingkreis angesehen werden, der in Resonanz eine sehr hohe Impedanz hat, also von außen kaum Strom aufnimmt.) Das genannte Pendeln der momentan Leistung findet nur noch zwischen dem Verbraucher und der nahegelegenen Kompensationseinrichtung statt, belastet also nicht die gemeinsame Zuleitung.
In manchen Fällen ist es auch möglich, die Entstehung von Verschiebungsblindleistung von vornherein zu vermeiden, etwa durch eine geeignete Auswahl von Betriebsmitteln – beispielsweise von Synchronmotoren anstelle von Asynchronmotoren.
Kompensation von Verzerrungsblindleistung
Gedanklich komplizierter sind Fälle mit einer Verzerrungsblindleistung; hier kommt es zu einem nicht sinusförmigen Verlauf der Stromstärke. Hier erfolgt in der Praxis eine Kompensation in der Regel nicht dadurch, dass man eine vom Verbraucher völlig unabhängig arbeitende Kompensationseinrichtung einschließt, sondern dass man den Verbraucher geeignet abgeändert, um die Verzerrung des Stromverlaufs von vornherein zu vermeiden. Dies bedeutet natürlich, dass solche Einrichtungen individuell auf bestimmte Arten von Verbrauchern zugeschnitten sein müssen.
Insbesondere gibt es solche Technik für Geräte mit einem Gleichrichter, der aus der Wechselspannung des Stromnetzes eine Gleichspannung erzeugen muss. Ein simpel gebauter Gleichrichter in Verbindung mit einer Kondensator zur Glättung der erzeugten Gleichspannung erzeugt starke Verzerrungen des Stroms (also starke Oberwellen), weil der Strom innerhalb einer Schwingung immer nur dann fließen kann, wenn die Spannung nahe ihres Spitzenwerts (nämlich oberhalb der Kondensatorspannung) ist. Es gibt aber raffiniertere Schaltungen, die mithilfe einer zusätzlichen Schalteinrichtung und einer Drosselspule eine Gleichspannung auf deutlich höherem Niveau erzeugen und aus dem Netz einen Strom aufnehmen, dessen Momentanwert immer etwa proportional zu dem der Spannung ist. Zwar entstehen auch hier höherfrequente Stromanteile, die aber mit einem zusätzlichen Filter gut unterdrückt werden können. Für Gleichrichter höherer Leistung ist eine solche Technik in der Regel notwendig.
Bedeutung von Blindleistungskompensation
Besonders häufig ist der klassische Fall der Kompensation von Verschiebungsblindleistung. Vor allem kompensiert man häufig induktive Lasten durch Zuschalten von Kondensatoren. So können beispielsweise Unternehmen, die starke Elektromotoren betreiben, ihren Blindleistungsbezug reduzieren. Umgekehrt können aber auch kapazitive Lasten (z. B. schwach belastete Hochspannungsleitungen) durch Kompensationsdrosseln ausgeglichen werden. Häufig wird nur soweit kompensiert, dass z. B. ein Wirkfaktor <$\cos \varphi$> von mindestens 0,9 erreicht wird.
Die Blindleistungskompensation dient einerseits der Reduktion der Strombelastung von Stromleitungen, was einerseits die Energieverluste reduziert und andererseits die Leitungskapazität für den eigentlichen Zweck der Wirkleistungsübertragung frei hält. Zusätzlich kann die Blindleistungskompensation auch der Spannungshaltung dienen, da Blindströme auch die Spannungsabfälle beeinflussen. Allerdings setzt man manchmal Blindleistungen gezielt zur Beeinflussung der Spannung ein, d. h. in solchen Fällen wird die Gesamt-Blindleistung nicht unbedingt minimiert.
Bei nicht oder schwach belasteten unkompensierten Hochspannungsleitungen kann der Ferranti-Effekt auftreten: Die Spannung in der Leitung wird wesentlich höher als die angelegte Spannung. Dies kann zur Zerstörung von Betriebsmitteln führen. Durch geeignete Querkompensationsdrosseln kann dies vermieden werden.
Grundsätzlich muss abgewogen werden, ob sich eine Blindleistungskompensation lohnt oder ob es sinnvoller ist, einfach vermehrt Blindleistung in den Kraftwerken zu erzeugen (was aber die Leitungen und die Generatoren mehr belastet). Bei kleinen Verbrauchern verzichtet man in der Regel auf jegliche Kompensation, jedoch kann sich die Kompensation bei größeren Lasten lohnen. Betriebswirtschaftlich spielt die Blindleistung für Betriebe mit hohem Stromverbrauch eine Rolle, da sie zusätzlich erfasst und berechnet wird, womit ein finanzieller Anreiz zur Blindleistungskompensation entsteht. Eine geeignete Gestaltung von Stromtarifen kann zu gesamtwirtschaftlich optimierten Lösungen führen.
Regelbare Blindleistungskompensation
Auch eine regelbare (veränderbare) Blindleistungskompensation ist mit verschiedenen Verfahren möglich:
- Einzelne Kondensatoren oder Drosselspulen können beispielsweise über Thyristoren zugeschaltet werden.
- Mit Hilfe einer Phasenanschnittsteuerung, über die eine Drosselspule gespeist wird, kann ebenfalls eine variable Blindleistung erzeugt werden. Hierbei entstehen allerdings auch Oberwellen, die ggf. mit zusätzlichen Mitteln herausgefiltert werden müssten. Deswegen ist diese Methode nur eingeschränkt einsetzbar.
- Rotierende Blindleistungskompensatoren basieren auf einem leer laufenden Synchronmotor, dessen Erregung in geeigneter Weise gesteuert wird. Dieses Verfahren eignet sich auch für sehr hohe Blindleistungen, führt aber auch zu höheren Energieverlusten.
Synchrongeneratoren in Kraftwerken können variable Blindleistungen erzeugen. Dieses Verfahren ist sehr verbreitet, gilt aber meist nicht als Blindleistungskompensation im eigentlichen Sinne, da die benötigte Blindleistung nicht nahe dem Ort erzeugt wird, wo ihre Notwendigkeit entsteht.
Nebenwirkungen von Blindleistungskompensation
Eine unerwünschte Folge von Blindstromkompensation mit Kompensationskondensatoren kann eine starke Abschwächung von Signalen für die Rundsteuerung sein. Für diese haben solche Kondensatoren nämlich eine sehr geringe Impedanz. Dieses Problem lässt sich aber vermeiden, indem man zusätzliche kleine Drosseln einbaut, die die Impedanz bei den für die Rundsteuerung relevanten Frequenzen stark erhöhen, bei der Netzfrequenz jedoch kaum einen Einfluss haben.
Natürlich sollten Einrichtungen zur Blindleistungskompensation nur aktiv sein, solange die zu kompensierenden Lasten in Betrieb sind. Sonst können sie nämlich unerwünschte Blindleistungen erzeugen.
Siehe auch: Blindleistung, Verzerrungsblindleistung, Blindstrom, Blindarbeit, Spannungshaltung, Ferranti-Effekt
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