Energieautarkie
Definition: Energieversorgung ohne Abhängigkeit von entfernten Quellen oder Lieferanten
Gegenbegriff: Energieabhängigkeit
Englisch: energy autarky
Kategorien: Energiepolitik, erneuerbare Energie, Grundbegriffe
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Ursprüngliche Erstellung: 20.04.2013; letzte Änderung: 20.08.2023
Bei der Energieversorgung tritt häufig eine Abhängigkeit von Lieferungen auf, über die der Verbraucher keine echte Kontrolle hat. Beispielsweise trifft dies in Europa für die Versorgung mit Erdöl und Erdgas zu, bei denen eine starke und noch wachsende Abhängigkeit von Importen aus politisch instabilen Regionen vorliegt. Wenn solche Abhängigkeiten im Interesse einer hohen Versorgungssicherheit durch eine entsprechende Energiepolitik vermieden werden, spricht man von Energieautarkie.
Energieautarkie auf unterschiedlichen Ebenen und Sektoren
Energieautarkie kann auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Verbrauchssektoren angestrebt werden:
- Einzelne Endverbraucher können in gewissen Sektoren eine Autarkie erreichen, indem sie z. B. für die Stromversorgung ihres Hauses ein Inselnetz aufbauen, welches durch Photovoltaik in Verbindung mit Energiespeichern gespeist wird.
- Gemeinden oder größere Betriebe können eine autarke Wärmeversorgung erreichen, indem sie ein Nahwärmenetz errichten, welches beispielsweise mit Hilfe von lokal gewonnenem Holz betrieben wird.
- Staaten können ihre Versorgung mit elektrischer Energie so gestalten, dass sie weitgehend auf heimischen Energiequellen basiert, beispielsweise auf Wasserkraft, Windenergie und Geothermie.
Im Zusammenhang mit Solarstromspeichern wird häufig der Begriff Autarkiegrad verwendet. Damit ist der Anteil des eigenen Stromverbrauchs gemeint, der mithilfe einer Photovoltaikanlage gedeckt werden kann. Dieser Anteil kann durch Einsatz eines zusätzlichen Energiespeichers (in der Regel mit Batterien) deutlich erhöht werden. Eine echte Autarkie liegt hier allerdings nicht nur wegen des begrenzten Autarkiegrads nicht vor, da beispielsweise solche Anlagen oft nicht inselnetzfähig sind, also im Falle eines Stromausfalls nicht funktionieren, und selbst in diesem Falle je nach momentanem Ladezustand der Batterie den Bedarf unter Umständen nur sehr kurzfristig decken könnten.
Kriterien für Autarkie
Es ist nicht immer offensichtlich, welche Situationen als Autarkie angesehen werden können:
- Die Nutzung von Kernenergie wird manchmal als ein Weg zur Autarkie betrachtet, selbst wenn Uran importiert werden muss, da dessen Verfügbarkeit zumindest mittelfristig als unproblematisch angenommen wird. Es wird dann Autarkie in dem Sinne erreicht, dass zumindest vorläufig keine ernsten Probleme durch Abhängigkeiten entstehen, oder jedenfalls wesentlich geringere als z. B. bei der Abhängigkeit von importiertem Erdgas, da relativ einfach große Mengen gelagert werden können.
- Auch in anderen Zusammenhängen wird manchmal nur die Kontrolle über die Anlagen betrachtet, nicht aber die Versorgung mit Brennstoffen. Beispielsweise kann ein Erdöl-basiertes Notstromaggregat – unter Umständen als Ergänzung zu Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien – für begrenzte Zeit (entsprechend dem Tankvolumen) eine Autarkie ermöglichen. Die dezentrale Energieerzeugung auf der Basis von Erdgas führt zu erhöhter Autarkie kleiner Einheiten im Sinne der Kontrolle über die Anlagen, aber nicht zu einer Autarkie im Sinne einer selbst gesicherten Brennstoffversorgung.
- Die Einrichtung großer Erdgasspeicher wird ebenfalls als eine Maßnahme für größere Autarkie angesehen, selbst wenn das Erdgas letztendlich importiert werden muss. Der Grund ist, dass Krisen zumindest bisher nur eine recht begrenzte Dauer hatten, so dass die Überbrückung gewisser kritischer Zeiträume für die Abwendung der drohenden Schäden ausreichend war.
- Wenn der Bau von Anlagen zur Energieversorgung auf externe Leistungen angewiesen ist, die sich nicht auf Brennstoffe beziehen, sondern z. B. auf seltene Materialien (etwa Neodym für elektrische Generatoren), kann darin auch eine Einschränkung von Autarkie gesehen werden. Die Größe dieses Problems hängt freilich davon ab, wie viel von solchen Materialien benötigt wird und ob man notfalls auch ohne diese auskommen könnte.
- Wenn durch den Einsatz eines Solarstromspeichers der Anteil des Eigenverbrauchs des Betreibers erhöht wird, wird manchmal von einem erhöhten Autarkiegrad gesprochen, obwohl eine Unabhängigkeit vom Stromnetz nicht gegeben ist.
- Ein Nullenergiehaus kann im Jahresmittel etwa so viel Energie abgeben (z. B. in das öffentliche Stromnetz), wie es selbst aufnimmt. Ein energieautarkes Gebäude ist das nicht, da ein wesentlicher Energieaustausch mit der Außenwelt zum Konzept gehört. Jedoch kommt man damit einer Autarkie näher als mit einem Haus, welches Tag für Tag Heizöl und elektrische Energie aus dem Netz verbraucht.
Offenkundig geht es oft nicht um eine Vollautarkie, sondern nur um Autarkie in einem begrenzten Maß oder Sinn – wobei sich ein Autarkiegrad schwer quantitativ definieren lässt und quantitative Definitionen oft wenig aussagekräftig sind.
Motivationen für das Streben nach Autarkie
Verminderte Abhängigkeiten
Staaten versuchen häufig zumindest ein begrenztes Maß an Autarkie zu bewahren bzw. zu erreichen, um sich nicht in zu starke politische Abhängigkeiten von anderen Staaten zu begeben. Sie behalten damit in Krisen ihre Handlungsfähigkeit, indem sie z. B. eine Erpressbarkeit vermeiden. Die Gefahr starker Preisanstiege in Krisen kann u. U. auch vermindert sein.
Versorgungssicherheit
Eine starke Motivation ist oft das Streben nach erhöhter Versorgungssicherheit. Hierbei wird aber oft übersehen, dass vergrößerte Energieautarkie die Versorgungssicherheit keineswegs zwangsläufig verbessert, sondern im Gegenteil sogar wesentlich vermindern kann. Insbesondere gilt dies im kleinen Maßstab, etwa auf der Ebene einzelner Gebäude, wo die Gefahr von Stromausfällen durch technische Defekte viel höher ist als die von Problemen im öffentlichen Netz. Auch im großen Maßstab, etwa für Staaten, können durch autarke Ansätze wesentliche Bedrohungen der Versorgungssicherheit entstehen, die dann nicht mehr oder zumindest in geringerem Maße durch Lieferungen von außen ausgeglichen werden können.
Verlangen nach Energiewende
Privatleute sind oft unzufrieden mit dem Fehlen einer Energiewende in ihrem Land, oder mit dem zu schleppenden Verlauf. Eine mögliche Reaktion darauf ist, sich z. B. von der öffentlichen Stromversorgung unabhängig zu machen, indem man sich durch eine Kombination von Photovoltaik und Solarstromspeicher versorgt (wobei eine echte Autarkie auf diesem Wege nur mit sehr hohen Kosten möglich ist).
Ein anderer (nicht autarker) Ansatz wäre, durch Bezug von Ökostrom (mit geeigneten Zertifikaten zur Qualitätssicherung) die Ökologisierung der Stromversorgung zu beschleunigen.
Image
Bei Unternehmen kann Energieautarkie auch eine Frage des Images sein. Beispielsweise können Hersteller von Photovoltaikanlagen ihren Eigenverbrauch mit Photovoltaik decken und beugen damit dem Verdacht vor, dass ihre Produktion durch versteckte graue Energie gar nicht so umweltfreundlich ist. Auch manche nicht im Energiesektor arbeitende Firmen werben gerne mit einer Vollversorgung durch erneuerbare Energien, vor allem wenn diese in eigenen Anlagen gewonnen werden.
Sollte Autarkie ein eigenes Ziel für die Energiewende sein?
Zu den zentralen Zielen der Energiewende – Vermeidung von Umweltbelastungen (insbesondere Klimaschutz) und eine geringere Abhängigkeit von knapper werdenden fossilen Energieträgern – gehört die Energieautarkie a priori nicht. Jedoch gibt es Verbindungen:
- Manche im Zuge der Energiewende verfolgten Maßnahmen – beispielsweise die verstärkte Nutzung von Sonnenenergie und Windenergie – haben ein höheres Maß an Autarkie des Landes zur Folge, weil sie die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern vermindern.
- Allerdings gibt es auch Ansätze, die die Autarkie eher vermindern würden – beispielsweise die vermehrte Erzeugung erneuerbarer Energien an optimalen Standorten außerhalb des Landes und der Import der Energie z. B. über ein europäisches Supergrid oder in Form von Wasserstoff. Hier baut man auf stabile Beziehungen gerade durch eine gegenseitige Abhängigkeit, wobei allerdings die Abhängigkeit von einzelnen Ländern durch die Möglichkeit des Handels mit verschiedenen Partner begrenzt bleiben kann.
- Das Bestreben nach Energieautarkie kann gleichzeitig zentralen Zielen der Energiewende dienen, nämlich wenn dafür erneuerbare Energien genutzt werden. Dies ist jedoch nicht zwangsläufig der Fall, z. B. wenn auf Kernenergie gesetzt wird.
Es gibt nun die Sichtweise, dass die Energieautarkie explizit ein weiteres Ziel der Energiewende sein sollte – und zwar so verallgemeinert, dass es nicht nur darum geht, das Problem der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern anzugehen. Beispielsweise kann gefordert werden, dass auch andere Abhängigkeiten von anderen Ländern – etwa im Zusammenhang mit dem Austausch elektrischer Energie durch Stromnetze – minimiert werden sollten, und zwar auch wo dies nicht ökologisch motiviert werden kann. Dies bedeutet dann, dass Autarkie nicht nur ein willkommener Nebeneffekt der Energiewende, sondern eine zusätzliche Forderung an die Gestaltung derselben ist.
Naturgemäß führen zusätzliche Forderungen oft zu Zielkonflikten, und dies ist auch im Falle der Energieautarkie so:
- Die Forderung nach Autarkie z. B. der deutschen Stromversorgung schließt die Realisierung eines europäischen Supergrids aus. Dies hat sehr umfassende Konsequenzen. Relativ gut bekannt ist der Aspekt, dass die dann benötigten Kraftwerkskapazitäten wesentlich teurer sind, da Deutschland über deutlich weniger gut geeignete Standorte dafür verfügt als z. B. Südeuropa oder Nordafrika. Weniger beachtet wird bisher der folgende wohl noch wichtigere Aspekt: Wenn die Stromversorgung zu einem großen Teil auf Windenergie und Sonnenenergie basieren soll, ein starker internationaler Stromaustausch aber nicht erfolgen darf, führt dies zu einem sehr großen Bedarf an Speichern für elektrische Energie. Da hierfür bislang keine sehr überzeugenden Optionen bekannt sind – mit erträglichen Kosten und Energieverlusten –, entstehen für die Realisierung einer annähernden Vollversorgung mit erneuerbaren Energien enorme Probleme. Dies dürfte dazu führen, dass die Energiewende in einer autarken Variante nicht nur viel teurer wird, sondern auch ihre Umsetzung wesentlich mehr Zeit benötigt, so dass der erreichte Klimaschutzeffekt wesentlich später kommt.
- Wenn Autarkie auf der Ebene von Kleinverbrauchern angestrebt wird – etwa mit Inselnetzen durch Photovoltaik und Solarstromspeicher – entstehen sehr hohe Kosten, die ebenfalls wieder die tatsächliche Realisierung in großem Umfang in Frage stellen. Dezentrale Energiespeicher weisen nämlich weit höhere spezifische Kosten auf als zentrale Speicher wie z. B. Pumpspeicherkraftwerke.
- Nahwärmenetze verringern die Autarkie der Endverbraucher, soweit sie nicht z. B. als Genossenschafter direkten Einfluss ausüben können. Wenn aber deswegen eine autarke Solarheizung anstelle der Solarheizung eines Stadtteils angestrebt wird, wird das Energiespeicherproblem auch hier viel größer: Dezentrale Wärmespeicher sind in Bezug auf Kosten und Energieverluste wesentlich ungünstiger als größere.
Wegen solcher Zielkonflikte ist eine bewusste Entscheidung darüber nötig, ob die bisherigen zentralen Ziele der Energiewende – Umweltschutz und Ausstieg aus der Nutzung der fossilen Energieträger – prioritär sein sollen, oder ob man zugunsten der zusätzlichen Forderung nach Autarkie auch eine wesentlich teurere und damit wohl zwangsläufig langsamere Umsetzung der Energiewende akzeptieren würde.
Siehe auch: Energie, Versorgungssicherheit, Energiewende, Supergrid, dezentrale Energieerzeugung, Energiespeicher, Notstromversorgung, Solarstromspeicher, Eigenerzeugung
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