Energiespeicherung – ein zentrales Problem für erneuerbare Energien?
(Dieser Artikel ist in ähnlicher Form erschienen in Energie & Umwelt 1/2006, dem Magazin der Schweizerischen Energiestiftung.)
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Verschiedentlich hört man, die breite Nutzung erneuerbarer Energien setze neue Technologien für die Speicherung von Energie voraus. Zumindest für Mitteleuropa lässt sich dies jedoch kaum begründen.
Neben vielen Vorteilen hat Elektrizität als Energieträger einen wesentlichen Nachteil: Sie lässt sich kaum in nennenswerten Mengen speichern. Neue Superkondensatoren sind teuer und recht begrenzt in ihrer Kapazität. Auch aufladbare Batterien (Akkumulatoren) für die Speicherung in Form chemischer Energie sind teuer, haben deutliche Energieverluste, eine begrenzte Lebensdauer und für mobile Anwendungen ein unangenehm hohes Gewicht. Ähnliches gilt für Schwungradspeicher. Die einzigen großtechnisch gut nutzbaren Speichertechnologien beruhen entweder auf Wasserkraftwerken (ggf. mit Pumpspeicherung, d. h. zusätzlicher "Aufladung" mit Strom in Zeiten schwacher Netzbelastung) oder auf unterirdischen Druckluftspeichern. Im Wesentlichen gilt deshalb, dass die Stromerzeugung in einem Elektrizitätsnetz dem aktuellen Verbrauch folgen muss. Für die kurzfristige Anpassung stehen einerseits schnell regelbare Gasturbinen u. ä. zur Verfügung, andererseits insbesondere Pumpspeicher. Zum Ausgleich längerfristiger (etwa saisonaler) Schwankungen werden zusätzlich z. B. große Gas- oder Kohlekraftwerke eingesetzt.
Manche erneuerbaren Energien, insbesondere Wind- und Sonnenenergie, tragen abhängig von Tageszeit und Wetter zur Erzeugung bei -– zwar kurzfristig einigermaßen vorhersehbar, aber nicht nach Belieben steuerbar. Offensichtlich wäre dies ein großes Problem, wenn etwa eine bestimmte Stadt zu 100 % durch solche Kraftwerke versorgt werden sollte: Nachts und bei Windstille gäbe es Engpässe, deren Überbrückung durch Speicher sehr teuer wäre. Dessen ungeachtet kann daraus nicht gefolgert werden, dass die Entwicklung besserer Speichertechnologien die zentrale Voraussetzung für einen breiten Einsatz von Sonnenenergie und Windenergie wäre. Insbesondere ist Mittel-, Süd- und Osteuropa mit einem leistungsstarken Verbundnetz überzogen, mit welchem fast alle Erzeuger und Verbraucher arbeiten. Dieses Verbundnetz ist von unschätzbarem Wert für eine sichere und effiziente Versorgung sowohl basierend auf fossilen Energieträgern und Atomenergie wie bisher, als auch in Zukunft für den Einsatz erneuerbarer Energien. Es reduziert drastisch den Bedarf an Kapazitäten für Speicherung und kurzfristig abrufbare zusätzliche Erzeugung, indem es erlaubt, z. B. im Falle eines plötzlichen unerwarteten Ausfalls die verlorene Erzeugung auf weiträumig verteilte andere Kraftwerke zu verteilen, oder durch kurzfristige Außerbetriebnahme von nicht unbedingt benötigten Großverbrauchern an anderen Orten zu kompensieren. Ein weiterer Ausbau der europäischen Netze wird notwendig sein, und dies wird erhebliche Investitionen erfordern. Die dadurch entstehenden Herausforderungen dürften allerdings gering sein im Vergleich mit anderen, etwa mit der breiten Umstellung des Kraftwerksparks für eine klimaverträgliche Stromerzeugung.
Propaganda und Unwissen
Leider werden diese Umstände verschiedentlich ausgeblendet, sei es im Dienst einer Propaganda gegen erneuerbare Energien oder einfach aus Unwissen. Ein Beispiel ist die Behauptung, eine Windenergieanlage erlaube zwar die Erzeugung gewisser Energiemengen, trage aber zur sicheren Bereitstellung von Leistung nichts bei. In verschärfter Form: Jedes Windkraftwerk verlange die Vorhaltung eines fossil befeuerten Kraftwerks gleicher Leistung, welches bei Wind im Leerlauf betrieben wird und jederzeit einspringen kann, dabei aber enorme Zusatzkosten (und Energieverluste) verursacht.
Man möge diese Denkweise einmal auf ein Kernkraftwerk übertragen: Auch dieses kann jederzeit plötzlich ausfallen, wodurch die volle Leistung sofort anderswo übernommen werden muss. Genau dies ist z. B. beim Atomkraftwerk Leibstadt (Schweiz) am Ostermontag 2005 geschehen; ohne jede Vorwarnung fehlten plötzlich mehr als 1000 MW. Wo aber stand das fossil befeuerte Kraftwerk, welches im Leerlauf bereit stand und die Leistung des KKL übernahm? Natürlich nirgends -– selbst dieser große Ausfall konnte vom europäischen Verbundsystem abgefangen werden, indem die fehlende Leistung auf viele "Schultern" verteilt wurde. Seltsam nur, dass wir das Reserve-Argument in der Diskussion nie auf Atomkraftwerke angewandt hören, sondern nur auf Windkraftwerke. Deren Leistung schwankt zwar deutlich häufiger, dafür aber meist über Tage im Voraus ziemlich gut prognostizierbar, und niemals so, dass die Erzeugung über viele Monate (wie beim KKL Leibstadt) komplett ausfällt. Deswegen werden selbst dann, wenn etwa Europa einst seinen Strombedarf zu beispielsweise 20 bis 30 % durch Windenergie decken wird, keine größeren technischen oder wirtschaftlichen Probleme aus der benötigten Reservekapazität entstehen.
Man bedenke hierbei, dass Windstrom aus verschiedenen Regionen (z. B. Nordsee und Nordafrika) kombiniert werden wird, wodurch sich Schwankungen der Erzeugung weit mehr ausmitteln, als es für eine isoliert betrachtete kleine Region der Fall wäre. Und die schweizerischen Wasser-Speicherkraftwerke (mit oder ohne Pumpspeicherung) werden -– wohlgemerkt mit entsprechendem finanziellen Nutzen für alle Beteiligten –- einen noch größeren Teil zu einer sicheren Stromversorgung in Europa beitragen.
Anzumerken ist außerdem, dass auch andere erneuerbare Energien wertvolle Beiträge zur Sicherung der Versorgung bringen können. Windstrom fällt vermehrt im Winter an, wenn der Bedarf höher ist. Dass Sonnenstrom tagsüber anstatt gleichmäßig verteilt anfällt, ist ebenfalls ein Vorteil. Beides reduziert den Bedarf an saisonal bzw. tageszeitlich schwankender anderer Erzeugung. Und Biogasanlagen eignen sich bestens, um Strom bevorzugt einzuspeisen, wenn der Bedarf am höchsten ist, da sich das Gas gut speichern lässt.
Sinnvolle Prioritäten
Es ist davon auszugehen, dass das europäische Verbundnetz in Zukunft wesentlich stärker als bisher genutzt werden wird. Hierfür werden gewisse Ausbauten notwendig, deren Kosten aber über Jahrzehnte und auf viele Millionen von Verbrauchern verteilt und deswegen kaum spürbar werden. Moderate Investitionen in der Region von Norddeutschland und Dänemark werden es ermöglichen, nicht nur neuen Windstrom aus großen Offshore-Windparks, sondern auch sehr günstigen Strom aus norwegischen Wasserkraftwerken zunehmend nach Mitteleuropa zu bringen. Es dürfte kostengünstiger sein, gewisse Ausbauten von Stromtrassen und skandinavischen Kraftwerkskapazitäten vorzunehmen und auch die Verschwendung von billigem Strom in Norwegen einzudämmen, als zusätzliche Kapazitäten in Mitteleuropa selbst zu schaffen. Ebenfalls wird es rentabel sein, in Nordafrika auf günstigem Grund bei guten Windverhältnissen Strom zu erzeugen und ihn über Spanien und Italien nach Mitteleuropa zu leiten. Wenn dann noch thermische Sonnenkraftwerke mit Tagesspeichern entwickelt werden, die über Tag und Nacht verteilt produzieren können, mag dies vereinzelt nützlich sein, aber niemals die Voraussetzung für einen breiten Einsatz erneuerbarer Energien.
Somit wird klar: Was für eine Inselversorgung eines kleinen Gebiets ein großes Problem wäre (mit hohen Kosten für die benötigten Energiespeicher), wird für europäische Verhältnisse zu einem durchaus handhabbaren Problem.
Diese Überlegungen erschüttern übrigens auch das in manchen Kreisen gepflegte Dogma, eine regionale Eigenversorgung sei grundsätzlich besser als ein weiträumiger Austausch. Was für viele Landwirtschaftsprodukte sinnvoll sein mag, erscheint für Strom fragwürdig: Wie eine finanzierbare Versorgung insbesondere mit erneuerbaren Energien unter Verzicht auf die Vorzüge der Verbundnetze möglich sein soll, ist schwer vorstellbar. Und eine nicht finanzierbare Versorgung ist sicher nicht unsere Zukunft. Richtig ist zwar, dass eine kleinräumig verstreute Erzeugung die zu transportierenden Energiemengen reduzieren und damit die Anforderungen an den Netzausbau vermindern kann. Jedoch braucht eine Region, die sich meist zu einem guten Teil mit Wind- und Solarstrom versorgt, zeitweise doch wieder Strom von anderen Regionen – und der kommt eben nur durch entsprechend ausgebaute Netze.
Siehe auch den neueren Artikel "Energiespeicher und Stromnetze – was braucht die Energiewende?".
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