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graue Energie

Definition: Energie, die für die Herstellung und Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen benötigt wird

Englisch: embodied energy

Kategorie: Grundbegriffe

Autor:

Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen

Ursprüngliche Erstellung: 26.04.2010; letzte Änderung: 20.08.2023

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Der Begriff graue Energie bezeichnet Energie, die vom Verbraucher nicht direkt eingekauft wird, die jedoch für die Herstellung von Gütern sowie für Transport, Lagerung und Entsorgung benötigt wird. Ähnliches gilt für Dienstleistungen, z. B. wenn für deren Erbringung weite Reisen notwendig sind. Auf diese Weise entsteht häufig ein erheblicher Energieverbrauch, ohne dass dies für die Verbraucher direkt erkennbar ist.

Offenkundig ist die graue Energie relevant im Zusammenhang mit sich erschöpfenden Ressourcen und auch der Klimaproblematik (soweit nicht erneuerbare Energie genutzt wird, siehe unten). Unmittelbar mit grauer Energie verbunden sind nämlich graue Emissionen von Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen. Allerdings hängen die klimaschädlichen Emissionen pro Kilowattstunde Primärenergie sehr stark davon ab, um welche Art von Energie es sich handelt.

Der Klimaschutz-Aspekt steht zunehmend im Zentrum des Interesses, da das Hauptproblem der Menschheit nicht Energieknappheit ist, sondern das Problem der Klimagefahren. In dieser Situation ist es naheliegend, vorwiegend graue Emissionen anstelle grauer Energie zu betrachten. Alternativ kann man aber Energiemengen je nach der Klimaschädlichkeit ihrer Bereitstellen gewichten mithilfe sogenannter Primärenergiefaktoren. Mit diesen schätzt man die Treibhausgasintensität verschiedener Energieträger grob ab.

Graue Energie und Klimaschutz

Wenn graue Energie bzw. graue Emissionen nicht berücksichtigt werden, entsteht häufig ein falsches Bild der Wirklichkeit. Beispielsweise gilt die Schweiz im Vergleich mit anderen Industrieländern weithin als relativ klimafreundlich, da die äquivalenten Pro-Kopf-Emissionen von Kohlendioxid (CO2) deutlich unter den von Ländern wie Deutschland liegen. Jedoch ergab eine detaillierte Studie des Bundesamts für Umwelt (BAFU) der Schweiz [2] ein völlig anderes Resultat. (Die Zahlen sind veraltet; neuere wurden leider noch nicht gefunden.) Zwar lagen die inländischen Emissionen mit 7,2 Tonnen jährlich (Stand 2004) eher tief. Allein schon den Importen von Gütern aus Deutschland in die Schweiz sind CO2-Emissionen von über 10 Millionen Tonnen jährlich anzulasten, zu vergleichen mit den jährlichen inländischen Emissionen der Schweiz von 53 Mio. Tonnen CO2. (Wenn z. B. ein Auto in Deutschland hergestellt und in die Schweiz exportiert wird, müssen die Emissionen bei der Herstellung der Schweiz und nicht Deutschland angelastet werden.) Bei Berücksichtigung aller Importe und Exporte, d. h. aller "grauen Emissionen", kommt die Schweiz auf ca. 12,5 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Kopf und Jahr und liegt somit in etwa beim Durchschnitt der Werte der OECD-Länder. Umgekehrt stellt man fest, dass die um den Import und Export bereinigten CO2-Emissionen von China wesentlich tiefer liegen als die Rohdaten.

Es ist somit klar, dass Vergleiche von Pro-Kopf-Emissionen sehr fragwürdig sind, solange die graue Energie nicht berücksichtigt wird. Leider sind aber entsprechende Daten relativ schwer verfügbar.

Beispiele für graue Energie

  • Die Herstellung eines Autos (einschließlich der Herstellung von Rohstoffen wie Stahl, Aluminium und Kunststoffen) benötigt typischerweise einige zehntausend Kilowattstunden – offensichtlich besonders viel für schwere Fahrzeuge wie Geländewagen. Auch die Lackierung von Autos ist sehr energieintensiv. Trotzdem ist die für den Betrieb benötigte Energie (meist in Form von Kraftstoff) noch deutlich höher als die graue Energie.
  • Der Bau von Gebäuden braucht große Mengen von Energie – insbesondere für die Herstellung von Zement. Bei energetisch optimierten Gebäuden wie Passivhäusern kann die graue Energie bereits einen wesentlichen Teil des Gesamtenergieaufwands (inkl. Betrieb) über die Lebensdauer ausmachen, während bei energetisch ungünstigen Bauten der Betriebsaufwand sehr stark überwiegt. Für die weitere Entwicklung des Passivhaus-Konzepts sollte die graue Energie unbedingt beachtet werden. Es ist auch ohne Weiteres möglich, Passivhäuser zu bauen, ohne einen erhöhten Einsatz grauer Energie in Kauf nehmen zu müssen. Ein Mehraufwand z. B. bei der Wärmedämmung kann nämlich leicht an anderen Stellen ausgeglichen werden.
  • Die Herstellung von Lebensmitteln ist teilweise sehr energieaufwendig wegen des Einsatzes schwerer Maschinen und von synthetischen Düngemitteln (z. B. Stickstoffdünger). Besonders groß wird der Aufwand, wenn Fleisch produziert wird, weil dann ein Vielfaches an Pflanzenmaterial als Futtermittel benötigt wird. Hinzu kommen noch klimaschädliche Methan-Emissionen vor allem bei der Haltung von Rindern.
  • Produkte wie Lebensmittel, die mit dem Flugzeug über weite Strecken befördert wurden, sind z. T. stark mit grauer Energie belastet, während der Energieaufwand für lokal erzeugte Nahrungsmittel sehr gering sein kann. Allerdings kann der Transport der gekauften Lebensmitteln durch den Verbraucher mit dem Auto über wenige Kilometer umweltbelastender sein als die Herstellung und ein Schiffstransport über tausende von Kilometern zusammen genommen.
  • Einwegflaschen sind sehr energieintensiv, selbst wenn sie vollständig recycelt werden. Das Recycling erfordert nämlich das Einschmelzen des Glases, d. h. das Aufheizen auf sehr hohe Temperaturen. Bei anderen Materialien wie z. B. PET oder Aluminium sind zwar die Rohstoffe energieintensiv, aber das Recycling viel weniger (weil geringere Stoffmengen auf weniger hohe Temperaturen aufgeheizt werden müssen). In diesem Fall hängt also die Energiebilanz sehr stark davon ab, ob Recycling konsequent praktiziert wird: Im Hausmüll landendes Aluminium ist weitaus energieintensiver und damit umweltbelastender als solches, welches nach der Verwendung ins Recycling gelangt.
  • Die Herstellung oder Gewinnung und Veredelung diverser wertvoller Materialien wie Gold, Platin und Diamanten ist extrem energieaufwendig, abgesehen von massiven zusätzlichen Umweltbelastungen beim Bergbau.
  • Insbesondere auch die Herstellung von Anlagen zur Erzeugung von erneuerbarer Energie kann erhebliche Mengen von Energie erfordern, da aufgrund der geringen Energiedichte oder Leistungsdichte solcher Energiequellen häufig ein höherer Materialaufwand bezogen auf die erzeugten Energiemengen nötig ist. Deswegen müssen solche Anlagen teils mehrere Jahre lang Energie liefern, bis die graue Energie ausgeglichen ist. Es ist wichtig, diese energetische Amortisationszeit zu minimieren und die graue Energie nicht ausgerechnet mit fossilen Energieträgern zu decken.

Erneuerbare Energie

Die negativen Folgen der grauen Energie hängen natürlich davon ab, wie groß die spezifischen Umweltschäden der genutzten Energieform sind. Häufig lassen sich die Umweltschäden minimieren, wenn für die Produktion erneuerbare Energie eingesetzt wird, auch wenn dies nicht die graue Energie an sich minimiert. Freilich kommt es darauf an, dass die erneuerbare Energie auch zusätzlich produziert und nicht etwa nur auf dem Papier einer Herstellung zugerechnet wird. Leider ist auch dies oft schwer überprüfbar.

Ermittlung und Minimierung der grauen Energie

Die Ermittlung der grauen Energie in Produkten geschieht gelegentlich im Rahmen der Erhebung von Ökobilanzen, ist jedoch im Allgemeinen sehr aufwendig. Die Resultate können je nach den Details z. B. der Herstellung und des Transports von Produkten stark variieren, und die benötigten Daten sind häufig schwer erfassbar.

Aus diesen Gründen ist es auch für energiebewusste Menschen sehr schwierig, ihren Bedarf an grauer Energie einzuschätzen und zu minimieren. Als grobe Faustregel kann jedoch gelten, dass besonders viel graue Energie in Produkten steckt, die nicht aufgrund menschlicher Arbeitsleistung teuer sind.

Literatur

[1]Faktor-Themenheft "Graue Energie", http://www.faktor.ch/archiv.html, Herausgeber: Bundesamt für Energie (Schweiz)
[2]Studie "Graue Treibhausgas-Emissionen der Schweiz 1990–2004", http://www.bafu.admin.ch/publikationen/publikation/00048/index.html?lang=de, Bundesamt für Umwelt (BAFU) der Schweiz (2007)

Siehe auch: Energie, energetische Amortisationszeit, Energiesparen

Fragen und Kommentare von Lesern

22.04.2019

Unter dem Titel "Beispiele für graue Energie" wäre es sinnvoll, eine Tabelle mit Werten einzufügen:

Größenordnung der grauen Energie für durchschnittliche Gebäude und Produkte:

  • Einfamilienhaus: 1'000'000 kWh (???)
  • 4-Zimmerwohnung: 500'000 kWh (???)
  • Auto: 50'000 kWh (???)
  • Fahrrad: 2'000 kWh (???)

usw.

Antwort vom Autor:

Ich verstehe Ihr Anliegen, aber leider sehe ich nicht, wo man einigermaßen verlässliche Zahlen hierfür gewinnen könnte. Übrigens ist auch die Quantifizierung allein über die Kilowattstunden nicht besonders aussagekräftig, da die Umweltauswirkungen je nach Primärenergie recht unterschiedlich sein können.

18.06.2019

Organisationen wie die DGNB stellen schon jetzt umfangreiche Kataloge zu Verfügung, mit denen relativ einfach Aussagen über den Primärenergiebedarf des Herstellungsprozesses eines Baustoffes getroffen werden kann. Diese sollte man in der Tat nicht nur allein nach dem Energieeinsatz bewerten. Daten wie die Freisetzung von CO2-Äquivalenten oder das gesamte GWP (Global warming patential) eines Lebenszykluses werden hier zusätzlich zur Verfügung gestellt.

Antwort vom Autor:

Ein nützlicher Hinweis.

06.07.2020

Während sich z. B. der Energieeinsatz für Rohstoffgewinnung und Transport zwischen zwei Baumwollshirts nur unwesentlich unterscheiden wird können, wird jenes Shirt, das um 5 EUR an den Konsumenten geht, mindestens eine Größenordnung weniger graue Energie beinhalten als eines für 120 EUR. Nach dem Herausfiltern der größten, direkt konsumierten CO2-Quellen (Energieträger, Zement und andere besonders energieintensive Massenrohstoffe) wäre das Festmachen am Preis/Leistungsverhältnis eines Gutes oder einer Dienstleistung nach meiner Ansicht die sinnvollere Herangehensweise, um Güter und Dienstleistungen bezüglich grauer Energie und ökologischem Fußabdruck zu bewerten.

Antwort vom Autor:

Grundsätzlich ist es plausibel, dass eine billige Ware tendenziell weniger graue Energie bedeutet, weil der Hersteller dann wenig Spielraum hat, überhaupt viel Energie für die Herstellung einzukaufen. Andererseits besteht dann auch eher ein wirtschaftlicher Druck, billige "dreckige" Energie beispielsweise Kohlestrom in Indien anstelle von Ökostrom zu verwenden. Von daher ist es im Einzelfall ohne eine sorgfältig erstellte Ökobilanz oft schwer zu sagen, wie viel graue Energie in einem Produkt steckt. Dass das Billig-Shirt wirklich eine Größenordnung weniger graue Energie beinhaltet als das teure, halte ich für nicht so klar.

Bei Flügen sehe ich einen deutlichen Zusammenhang zwischen Preis und Umweltbelastung. Wer beispielsweise in der Business Class fliegt, belegt nicht nur mehr Platz im Flugzeug, sondern trägt auch dazu bei, dass auch Flüge mit schlechter Auslastung noch wirtschaftlich sind.

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