Halbwertszeit
Akronym: HWZ
Definition: die Zeit, innerhalb der eine exponentiell abnehmende Größe die Hälfte des ursprünglichen Werts erreicht
Englisch: half-life, half-value time
Kategorien: Grundbegriffe, Kernenergie, physikalische Grundlagen, Ökologie und Umwelttechnik
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Einheit: Sekunden, Stunden, Tage, Jahre
Formelsymbol: <$T_{1/2}$>
Ursprüngliche Erstellung: 14.12.2014; letzte Änderung: 20.08.2023
Die Halbwertszeit ist ein Begriff, der unter anderem im Zusammenhang mit Radioaktivität häufig verwendet wird. Die Halbwertszeit eines bestimmten radioaktiven Nuklids (Radionuklids) ist die Zeitspanne, nach der die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Menge des Materials durch den radioaktiven Zerfall abgebaut worden ist.
Bem.: Oft wird statt Nukliden von Isotopen gesprochen, was jedoch meist ungenau ist. Isotope sind Nuklide gleicher Ordnungszahl, und wo diese Gleichheit keine Rolle spielt, sollte man von Nukliden entsprechen.
Da für einen radioaktiven (instabilen) Atomkern die Wahrscheinlichkeit, im nächsten Moment zu zerfallen, immer gleich ist (unabhängig von der Zeit, für die der Atomkern bereits existierte), ergibt sich ein exponentielles Zerfallsgesetz der folgenden Form:
$$m(t) = m(0) \cdot e^{-\alpha t}$$ wobei <$m(t)$> die zur Zeit <$t$> vorhandene Masse des Materials ist und <$\alpha$> eine vom Material abhängige Konstante. Je größer der Wert von <$\alpha$>, desto schneller der Zerfall.
Der Exponentialfaktor erreicht den Wert 1/2, wenn <$\alpha t = \ln 2$>. Die Halbwertszeit ist also <$T_{1/2} = \ln 2 / \alpha$>. Nach zehn Halbwertszeiten hat die Menge des Materials um den Faktor 210 = 1024 abgenommen.
Da radioaktive Prozesse zufällig (stochastisch) sind, beziehen sich die angegebenen Gleichungen auf sogenannte Erwartungswerte (Mittelwerte). Da man jedoch meist mit einer sehr großen Anzahl von Atomkernen zu tun hat, folgen die tatsächlichen Werte mit sehr hoher Genauigkeit den Erwartungswerten; zufällige Abweichungen sind sehr gering.
Die Halbwertszeiten verschiedener radioaktiver Substanzen sind extrem unterschiedlich: Sie können bei winzigen Sekundenbruchteilen liegen, aber auch bei vielen Milliarden von Jahren oder irgendwo dazwischen. Selbst für ein und denselben Zerfallsmechanismus (z. B. Alpha-Zerfall) kann die Halbwertszeit enorm variieren. Dies kann man sich etwa so erklären, dass der Zerfall eines Atomkerns einen quantenmechanischen Tunnelprozess voraussetzt, wobei die dabei zu überwindende "Energiehürde" bei verschiedenen Kernen sehr unterschiedlich ist und sich exponentiell auf die resultierende Tunnelrate auswirkt.
Die folgende Tabelle nennt die Halbwertszeiten einiger technisch wichtiger Radionuklide.
Nuklid | Halbwertszeit | Bemerkungen |
---|---|---|
Cobalt 60 | 5,27 Jahre | Anwendung bei Krebsbestrahlungen |
Iod 131 | 8 Tage | Spaltprodukt aus Kernreaktoren |
Cäsium 137 | 30,17 Jahre | Spaltprodukt aus Kernreaktoren |
Radon 222 | 3,82 Tage | Teil der Zerfallsreihen von Uran und Thorium |
Uran 235 | 703,8 Millionen Jahre | zu 0,7 % im Natururan enthalten |
Uran 238 | 4,47 Milliarden Jahre | Hauptbestandteil des Natururans |
Plutonium 239 | 24 110 Jahre | entsteht durch "Brutprozesse" (mit Neutronenbestrahlung) in Kernreaktoren |
Kurzlebige Radionuklide (d. h. solche mit geringer Halbwertszeit) geben pro Gramm des Materials eine stärkere radioaktive Strahlung ab als langlebige Nuklide. Der Grad der Gefährlichkeit hängt allerdings noch von diversen anderen Faktoren ab.
Es wäre nicht sinnvoll, für ein Gemisch verschiedener radioaktiver Substanzen eine Halbwertszeit anzugeben, da die Gesamtmenge des radioaktiven Materials und der Strahlung nicht exponentiell abnimmt. (Die Gesamtmenge könnte beispielsweise zunächst schnell abnehmen, danach viel langsamer.) Die Halbwertszeit muss sich also immer auf ein bestimmtes Nuklid beziehen.
Abnahme der radioaktiven Strahlung
Beim radioaktiven Zerfall wird jeweils ein bestimmtes Nuklid in ein anderes umgewandelt, wobei in manchen Fällen aus einem ursprünglichen Nuklid auch mehrere unterschiedliche Nuklide entstehen können (wenn nämlich unterschiedliche Zerfallsmechanismen auftreten).
Wenn der Zerfall nur zu Nukliden führt, die selbst stabil sind, nimmt die Intensität der radioaktiven Strahlung proportional zur Menge des Radionuklids ab.
Wenn dagegen zumindest teilweise auch selbst instabile Nuklide entstehen, zerfallen anschließend diese mit ihrer eigenen Halbwertszeit. Im letzteren Fall nimmt also die Intensität der Radioaktivität nicht unbedingt exponentiell ab. Wenn beispielsweise aus einem kurzlebigen Nuklid (mit kurzer Halbwertszeit) ein viel langlebigeres entsteht, nimmt die gesamte Strahlung zunächst schnell auf ein gewisses Niveau ab, von da an aber viel langsamer. Wenn umgekehrt ein langlebigeres Nuklid ein viel kurzlebigeres erzeugt, kann die Strahlung insgesamt doch exponentiell abnehmen – siehe das folgende Beispiel.
Beispiel: der Zerfall des radioaktiven Cäsium 137
Als Beispiel zeigt das folgende Diagramm den Zerfall des radioaktiven Cäsium 137, welches als Spaltprodukt bei der Kernspaltung in Kernreaktoren auftritt. Es hat eine Halbwertszeit von 30,17 Jahren und gibt beim Zerfall Betastrahlung (schnelle Elektronen) ab. Das Zerfallsprodukt ist Barium 137, wobei dieses größtenteils in einem sogenannten metastabilen (angeregten) Zustand anfällt, der unter Emission von Gammastrahlung mit einer Halbwertszeit von 2,55 Minuten in den stabilen Grundzustand übergeht. Da die Halbwertszeit des metastabilen Barium 137 so viel kürzer ist als die des Cäsium 137, ist der zeitliche Verlauf der Intensität der gesamten radioaktiven Strahlung ebenfalls mit hoher Genauigkeit exponentiell, wobei die Halbwertszeit der des Cäsium 137 entspricht (also 30,17 Jahre).
Biologische und effektive Halbwertszeit
Wenn eine radioaktive Substanz in den menschlichen Körper gelangt, kann deren Menge nicht nur durch den radioaktiven Zerfall, sondern auch durch Ausscheidung z. B. über den Urin oder Stuhl reduziert werden. Die sogenannte biologische Halbwertszeit beschreibt die Abnahme der Stoffmenge allein aufgrund biologischer Prozesse. Ferner spricht man von der effektiven Halbwertszeit, die die insgesamt resultierende Abnahme der Substanzmenge beschreibt. Sie liegt unterhalb der biologischen und der physikalischen Halbwertszeit. Dies gilt vor allem für langlebige radioaktive Substanzen, soweit sie nicht beispielsweise dauerhaft in die Knochen eingebaut werden.
Natürlich vorkommende radioaktive Nuklide
Die meisten natürlich vorkommenden Radionuklide weisen eine sehr lange Halbwertszeit auf – einfach deswegen, weil sie sonst seit Entstehung der Erde schon längst praktisch vollständig zerfallen wären. Allerdings kann es vorkommen, dass ein langlebiges radioaktives Nuklid in ein kurzlebiges zerfällt, sodass auch dieses natürlicherweise auf der Erde vorkommen kann.
Ein Beispiel hierfür ist das Radon 232, welches in den Zerfallsreihen von Uran und Thorium steht und unmittelbar aus Radium 226 gebildet wird. Manche Böden enthalten natürlicherweise Uran oder Thorium, und in diesen entsteht ständig neues Radon 222, das eine Halbwertszeit von nur 3,8 Tagen hat. Radon ist gasförmig und kann in Häuser, die auf solchen Böden errichtet wurden, eindringen. Es führt zu einer radioaktiven Exposition von dort lebenden Menschen, vor allem wenn sich als Folge mangelnder Belüftung viel höhere Radonkonzentrationen als im Freien aufbauen können. Soweit Lungenkrebs nicht als Folge des Rauchens (auch Passivrauchens) oder durch Stoffe wie Asbest entsteht, wird er meist durch das Radon ausgelöst. Genau genommen erfolgt die größte radioaktive Exposition hierbei nicht durch das Radon selbst, da dieses zwar leicht eingeatmet, aber vom Körper nicht aufgenommen und auch schnell wieder ausgeatmet wird. In der Luft bildet das Radon allerdings radioaktive Zerfallsprodukte (bestimmte Isotope von Polonium, Blei und Wismut), die sich in der Lunge ablagern und sie deswegen stärker belasten als das ursprüngliche Radon.
Interessanterweise wäre die Gefährlichkeit des Radons geringer, wenn seine Halbwertszeit wesentlich länger wäre. Seine Konzentration in der Luft eines Gebäudes wäre dann nämlich kaum höher, da die Entfernung des Radons ohnehin hauptsächlich durch die Belüftung und nicht durch den radioaktiven Zerfall erfolgt. Die Menge der gebildeten radioaktiven Zerfallsprodukte wäre dann wesentlich niedriger.
Halbwertszeit in anderen Zusammenhängen
Der Begriff Halbwertszeit lässt sich auch außerhalb des Bereichs der Radioaktivität verwenden, soweit eine Größe exponentiell abnimmt. Beispielsweise gilt dies zumindest näherungsweise für die Temperaturdifferenz zwischen dem Inneren eines Warmwasserspeichers und seiner Umgebung, wenn weder Warmwasser entnommen noch Wärme zugeführt wird. Je nach Güte der Wärmedämmung und Größe des Speichers kann die Halbwertszeit zwischen einigen Stunden und vielen Wochen oder sogar bei etlichen Monaten liegen. Für einen saisonalen Speicher ist natürlich eine Halbwertszeit von mindestens ein paar Monaten nötig.
Ein exponentieller Abfall einer Stoffmenge tritt auch beim Abbau von Substanzen in der Erdatmosphäre auf. Beispielsweise wird Methan dort mit einer Halbwertszeit von ca. 15 Jahren zu Kohlendioxid und Wasserdampf abgebaut. Zwar sinkt die Methankonzentration keineswegs exponentiell, da ja ständig neues Methan in die Atmosphäre gelangt. Jedoch würde sie exponentiell abfallen, wenn es plötzlich keine Zufuhr mehr gäbe.
Literatur
[1] | Extra-Artikel: "Exponentielles Wachstum – für Laien verständlich erklärt" (erklärt auch exponentiellen Zerfall) |
Siehe auch: Radioaktivität, radioaktiver Abfall
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