Hochspannungs-Gleichstromübertragung
Akronyme: HGÜ, HVDC
Definition: die Übertragung hoher elektrischer Leistungen mit Hilfe von Gleichstrom bei hoher elektrischer Spannung
Englisch: high-voltage direct current transmission (HVDC)
Kategorien: elektrische Energie, Grundbegriffe
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Ursprüngliche Erstellung: 26.09.2011; letzte Änderung: 20.10.2024
URL: https://www.energie-lexikon.info/hochspannungs_gleichstromuebertragung.html
Die Übertragung hoher elektrischer Leistungen (z. B. aus einem großen Kraftwerk) mit Kabeln erfordert die Verwendung sehr hoher elektrischer Spannungen (außer wenn die Übertragungsstrecke sehr kurz ist). Sonst würde die hohe Leistung nämlich eine sehr hohe Stromstärke verlangen, und diese würde ein enorm dickes Kabel nötig machen, um die Verluste durch den elektrischen Widerstand des Kabels (die ohmschen Verluste) gering zu halten.
Eine Hochspannungsleitung kann nun auf zwei verschiedene Weisen betrieben werden:
- mit Wechselstrom (oder Drehstrom, meist Dreiphasenwechselstrom), bei dem die Spannung und Stromstärke periodisch oszillieren,
- mit Gleichstrom, wobei die Spannung ständig etwa gleich bleibt oder auch pulsiert (also in der Stärke schwankt), aber ohne dass die Richtung von Spannung und Strom wechselt.
Im letzteren Fall spricht man von Hochspannungs-Gleichstromübertragung.
Gleichrichter und Umrichter
In der Regel wird die zu übertragende elektrische Energie zunächst als Wechsel- bzw. Drehstrom gewonnen – meist im Generator eines großen Kraftwerks, der praktisch nie direkt Gleichstrom liefert. Deshalb muss zunächst mit Hilfe eines Gleichrichters Gleichstrom hergestellt werden, um die Hochspannungs-Gleichstromleitung speisen zu können.
Am Ende der Leitung muss die Energie häufig wieder in ein Wechselspannungsnetz eingespeist werden. Hierfür ist ein Wechselrichter (eine Art von Stromrichter) nötig. Dieser ist technisch aufwendiger als ein Gleichrichter. Jedoch ist dies für moderne Leistungselektronik heute kein Problem mehr; selbst Leistungen im Gigawatt-Bereich können zu vertretbaren Kosten und mit recht geringen Energieverlusten (deutlich unter 2 % für Gleichrichter und Wechselrichter zusammen) umgeformt werden. Die höchsten Leistungen werden bislang mit Thyristoren erreicht; mehr Flexibilität z. B. für eigengeführte Wechselrichter mit Schwarzstartfähigkeit erhält man aber mit Bipolartransistoren mit isolierter Gate-Elektrode (IGBT), die aber in der Leistung etwas begrenzter sind.
Die Gleichrichter und Wechselrichter befinden sich in sogenannten Stromrichterstationen oder Konverterstationen am Anfang und Ende der HGÜ-Leitung. Diese Stationen enthalten auch Einrichtungen zur Steuerung und zur Beherrschung von Störfällen.
Symmetrische und unsymmetrische Übertragung
Es ist üblich, HGÜ mit symmetrischen (bipolaren) Systemen durchzuführen. Das bedeutet, dass man zwei Leiter verwendet, von denen jeder die halbe Nennspannung gegen Erde führt, aber mit gegensätzlichen Vorzeichen. Wenn beide Kabel getrennt in der Erde liegen, muss jedes nur für die halbe Nennspannung isoliert werden.
Gelegentlich verwendet man auch ein unsymmetrisches (monopolares) System, bei dem einer der beiden Leiter auf Erdpotenzial liegt.
Instruktiv ist der Vergleich eines monopolaren Systems mit einem bipolaren, bei dem beide Leiter die betragsmäßig gleiche, aber gegensätzliche Spannung gegen Erde haben, die der des monopolaren Systems entspricht. Da das bipolare System effektiv mit der doppelten Spannung zwischen den Leitern arbeitet, kann es bei gleicher Stromstärke die doppelte Leistung übertragen – wohlgemerkt bei gleichem Materialaufwand für die beiden Leiter, abgesehen von der hier für beide Leiter nötigen Hochspannungs-Isolation. Somit wird klar, dass bipolare Systeme das Leitermaterial doppelt so ökonomisch ausnutzen. Ein ähnlicher Effekt tritt bei Dreiphasen-Drehstrom im Vergleich zu Einphasen-Wechselstrom auf.
Trotzdem werden bei Seekabeln (z. B. beim Baltic Cable) gelegentlich auch unsymmetrische Systeme mit nur einem Leiter installiert, der die volle Spannung gegen Erde hat. Als Rückleiter dient das Seewasser, angeschlossen über zwei großflächige Elektroden. An diesen Elektroden finden dann Elektrolyseprozesse statt, die zur Bildung von giftigem Chlorgas an der Anode und von ätzendem Natriumhydroxid an der Kathode führen. Die Umweltbelastung dürfte aber moderat sein, da das Chlorgas und das Natriumhydroxid bei großflächigen Elektroden stark verdünnt anfallen. Bei späterem Ausbau zu einem symmetrischen bipolaren Kabel (durch Zufügen eines Rückleiters) lässt sich die übertragene Leistung verdoppeln und gleichzeitig die genannte Elektrolyse vermeiden.
Vor- und Nachteile der Hochspannungs-Gleichstromübertragung
Die Vorteile der HGÜ sind vielfältig:
- Als Resultat der oben genannten Aspekte kann eine HGÜ-Leitung bei gleichem Materialaufwand für die Leiter deutlich mehr Leistung bei gleichen Energieverlusten übertragen, oder deutlich mehr Leistung bei gleichzeitig reduzierten Verlusten. Die Energieverluste in der Leitung können recht niedrig sein – in günstigen Fällen nur z. B. 3 % pro 1000 km Leitungslänge. (Für das Desertec-Projekt wurde von 14 % Verlust auf 5000 km Leitungslänge ausgegangen.) Es entfallen Energieverluste durch den Skin-Effekt, ebenfalls die Wirbelstromverluste. Verluste durch Koronaentladungen sind bei gleicher Spannung geringer als bei Wechselspannung, bzw. es ist eine höhere Spannung bei gleichen Koronaverlusten möglich, somit eine geringere Stromstärke und deshalb geringere ohmsche Verluste und/oder ein geringerer Leiterquerschnitt.
- Es werden weniger Leiter benötigt als bei der Drehstromübertragung. Deswegen ist der Flächenbedarf für die Übertragungsstrecke erheblich reduziert. Die HGÜ-Leitungen sind deswegen in der Landschaft auch weniger störend.
- Es entfällt die ganze Problematik der Blindströme mitsamt der sonst dagegen nötigen Maßnahmen, die wiederum zu den Energieverlusten beitragen. Die Blindstrom-Problematik ist besonders ernst bei Seekabeln und Erdkabeln, so dass dort dieser Vorteil der HGÜ besonders wichtig ist. Geeignete Stromrichter können darüber hinaus sehr flexibel Blindleistung für das versorgte Stromnetz bereitstellen.
- Wo Leitungen elektrisch isoliert werden müssen, ist dies etwas weniger aufwendig.
- Wenn zwei Wechselspannungsnetze mit Hilfe von HGÜ aneinander gekoppelt werden, ist keine Synchronisation der beiden Netze notwendig; die beiden Netze müssen nicht einmal die gleiche Netzfrequenz aufweisen.
- Es kann eine direkte und flexible Leistungsflussregelung realisiert werden – nicht nur indirekt wie bei Wechselstromsystemen über die Beeinflussung von Blindströmen.
Anderseits weist die HGÜ folgende Nachteile auf:
- Es entsteht ein gewisser technischer Zusatzaufwand für die Wechselrichter, der bei kürzeren Strecken stärker zu Buche schlägt. Auch die Energieverluste der Wechselrichter (etwas höher als sonst in Transformatoren) fallen bei kurzen Strecken mehr ins Gewicht.
- Das Spannungsniveau kann bei Gleichstrom nicht einfach mit Transformatoren herauf- oder heruntergesetzt werden; dafür braucht man aufwendigere Technik, die heute allerdings durchaus machbar und effizient ist. Für Punkt-zu-Punkt-Verbindungen spielt die genannte Einschränkung keine Rolle, aber für Anzapfungen auf der Strecke.
- Die Wechselrichter weisen meist geringere Überlastkapazitäten auf als Transformatoren; HGÜ-Systeme können deswegen auch kurzzeitig weniger stark über ihre Nennleistung hinaus betrieben werden.
- Schalter für hohe Leistungen sind bei Gleichstrom schwerer zu realisieren, da keine automatische Lichtbogenlöschung im Nulldurchgang der Spannung möglich ist.
- Die Steuerung der Leistungsflüsse in vermaschten Netzen ist mit Gleichstrom schwieriger. Bisher wurden hauptsächlich Punkt-zu-Punkt-Verbindungen realisiert, also nicht vermaschte Gleichstromnetze. Für stark vermaschte Gleichstromnetze, wie sie für ein Supergrid benötigt würden, müssten noch einige technische Probleme gelöst werden, was aber voraussichtlich gut möglich ist.
Derzeit ist die HGÜ-Technik bei neuen Seekabeln ab Entfernungen von ca. 80 km der Wechselstromtechnik überlegen, an Land erst für Entfernungen ab ca. 400 km; in Einzelfall können sich jedoch auch deutliche Abweichungen von diesen typischen Werten ergeben. Durch weitere technische Verbesserungen könnten die genannten Minimallängen mit der Zeit noch etwas sinken.
Beispiele für Anwendungen der Hochspannungs-Gleichstromübertragung
Die Hochspannungs-Gleichstromübertragung ist besonders vorteilhaft, wenn sehr lange Leitungen realisiert werden müssen. Beispielsweise werden in China rund 5 GW Leistung aus mehreren Wasserkraftwerken in der Provinz Yunnan mittels HGÜ in die fast 1500 km entfernte bevölkerungsreiche und stark industrialisierte Provinz Guangdong transportiert.
In Europa wurden bisher vor allem Seekabel mit HGÜ realisiert, beispielsweise das Kabel NorNed zwischen Norwegen und den Niederlanden. Durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie, entsteht ein zusätzlicher Bedarf für Leitungskapazitäten über größere Entfernungen, um die so gewonnene Energie konsequent nutzen zu können. Es ist vorgesehen, dass für diesen Zweck auch vermehrt Freileitungen (sowie zusätzliche Seekabel) mit HGÜ-Technik realisiert werden. Ebenfalls interessant wäre die stärkere Anbindung norwegischer Pumpspeicherkraftwerke an Mitteleuropa. Weiter gehende Pläne für ein europäisches Supergrid würden sogar massive Leitungskapazitäten vorsehen, um zukünftige große Windparks und solarthermische Kraftwerke in Nordafrika sowie Speicherkraftwerke in Island in einen großen Verbund zu integrieren. Die erheblichen Kosten könnten sich leicht bezahlt machen durch stark verminderten Bedarf für elektrische Energiespeicher und durch die dann mögliche vermehrte Platzierung von Kraftwerken für erneuerbare Energie an optimalen Standorten.
Obwohl die HGÜ-Technik besonders für die Übertragung sehr hoher Leistungen (hunderte von Megawatt oder mehr) entwickelt wurde, ist sie in manchen Fällen auch für kleinere Leistungen von unter 100 MW interessant – insbesondere wenn die Nachteile der Wechselstromübertragung wesentlich wären, etwa bei Untersee-Leitungen für Offshore-Windparks oder bei der Verbindung zweier nicht synchronisierter Wechselstromnetze.
Gleichstromkurzkupplungen
In manchen Fällen geht es nicht um nennenswerte Übertragungsdistanzen, sondern nur um die Vorteile der entfallenden Notwendigkeit der Netzsynchronisation. Hier kommen sogenannte Gleichstromkurzkupplungen zum Einsatz, mit denen beispielsweise der Energieaustausch zwischen verschiedenen, nicht synchron laufenden Übertragungsnetzen möglich ist.
Umrüstung von Stromtrassen auf HGÜ
Es ist möglich, Stromtrassen ganz oder teilweise von der konventionellen Drehstrom-Übertragung auf Hochspannung-Gleichstromübertragung umzustellen. Dazu werden einfach einzelne Leiterseile mit Gleichstrom betrieben, ohne an den Strommasten etwas ändern zu müssen. Die Übertragungskapazität einer Trasse kann auf diese Weise erheblich gesteigert werden, beispielsweise um 30 oder gar 50 %, in manchen Fällen sogar noch mehr.
Siehe auch: Hochspannungsleitung, Gleichstrom, Wechselstrom, Stromnetz, Gleichrichter, Wechselrichter
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