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Kernenergie

Definition: Energie, die mit Hilfe nuklearer Reaktionen gewonnen wird

Alternative Begriffe: Atomenergie, Atomkraft, Nuklearenergie, nukleare Energie

Spezifischere Begriffe: Kernspaltungsenergie, Kernfusionsenergie

Englisch: nuclear energy, nuclear power

Kategorien: Grundbegriffe, Kernenergie

Autor:

Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen

Ursprüngliche Erstellung: 01.05.2011; letzte Änderung: 23.10.2023

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Als Kernenergie (auch Atomenergie oder nukleare Energie) bezeichnet man Energie, die bei nuklearen Reaktionen freigesetzt wird. In der Regel ist hiermit die zivile Nutzung gemeint. Allerdings eignet sich Kernenergie auch zur militärischen Nutzung in Kernwaffen (Atomwaffen).

Die bei weitem wichtigste Art der Kernenergienutzung ist die Erzeugung elektrischer Energie in Kernkraftwerken. Diese enthalten einen Kernreaktor, in dem die Kernspaltung eines geeigneten Kernbrennstoffs durchgeführt wird. Dabei entsteht eine große Menge von Wärme, die mit Hilfe einer Dampfturbine teilweise in mechanische Energie und in einem Generator schließlich in elektrische Energie umgewandelt wird.

Kleinere Kernreaktoren sind geeignet zum Antrieb von Schiffen und U-Booten, ebenso zur Erzeugung von Prozesswärme für die Industrie sowie im Prinzip auch für die großtechnische Herstellung von Wasserstoff, auch wenn dies bislang nirgends praktiziert wird. Der Rest dieses Artikels konzentriert sich im Wesentlichen auf die großtechnische Kernenergienutzung zur Stromerzeugung.

Es ist denkbar, dass zukünftige Generationen eine andere Form der Kernenergie nutzen werden, nämlich die Kernfusion. Entsprechende Forschungsarbeiten werden seit Jahrzehnten mit großem Aufwand betrieben, jedoch scheitert die Nutzung dieser Art von Kernenergie seit Jahrzehnten an der fehlenden technischen Machbarkeit. (Die Behauptung, dies würde sich bald ändern, ist umstritten.) Deswegen bezieht sich dieser Artikel im Weiteren allein auf die Kernenergie aus Kernspaltung.

In sehr kleinem Rahmen, etwa für die Energieversorgung von Satelliten, lässt sich Kernenergie auch ohne Kernspaltung und Kernfusion nutzen, indem man lediglich die Wärme nutzt, die bei spontanen radioaktiven Zerfällen entsteht. Dies geschieht insbesondere in Radionuklidbatterien, die einen thermoelektrischen Generator enthalten. Die dafür nötigen kurzlebigen Strahler müssen meist sehr aufwendig in Kernreaktoren hergestellt werden und sind deswegen extrem teuer. Diese Technik wird vor allem für Spionagesatelliten genutzt sowie für solche Satelliten, die weit von der Sonne entfernte Planeten erkunden (wo die Nutzung von Photovoltaik schwierig ist).

Charakteristika der Kernenergie

Im Vergleich zu anderen Energiequellen, etwa basierend auf fossilen Energieträgern, bietet die Kernenergie einige gewichtige Vorteile:

  • Die Energiedichte von Kernbrennstoffen ist extrem groß, so dass ein Kernreaktor sehr große Energiemengen mit Hilfe von recht geringen Mengen von Brennstoff liefern kann. Dies bedeutet, dass relativ geringe Mengen von Brennstoffen gewonnen, verarbeitet und transportiert werden müssen. Dies wird ein Stück weit dadurch relativiert, dass Uranerze meist nur sehr geringe Konzentrationen von Uran enthalten, wodurch die zu fördernden Erzmengen wie auch die Mengen von problematischem (radioaktivem) Abraum weitaus höher sind als die gewonnene Menge von Kernbrennstoff. Außerdem wird bislang fast ausschließlich der geringe Anteil von Uran 235 genutzt (nur ca. 0,7 % des Natururans). Trotzdem haben die Bergbauaktivitäten, die für z. B. für den einjährigen Betrieb eines Kernkraftwerks notwendig sind, einen sehr kleinen Umfang im Vergleich zu denen für ein Kohlekraftwerk.
  • Deswegen sind Kernbrennstoffe bezogen auf die enthaltene Energiemenge auch sehr preisgünstig im Vergleich zu fossilen Brennstoffen; in der Tat spielen die Brennstoffkosten bei den Gesamtkosten nur eine untergeordnete Rolle.
  • Eine weitere positive Folge der hohen Energiedichte ist, dass große Energiemengen auf kleinem Raum gespeichert und leicht transportiert werden können. Dies erlaubt es, die Abhängigkeit von Brennstofflieferungen zu vermindern.
  • Kernkraftwerke können relativ zuverlässig Grundlast bereitstellen. Ausfallzeiten durch Wartung können in der Regel geplant werden.
  • Die Energiegewinnung aus Kernspaltung setzt keine klimaschädlichen Abgase frei – jedenfalls nicht direkt, und auf indirekte Weise (→ graue Energie) nur in relativ geringen Mengen. Auch sonst dürfte die Umweltbelastung durch den Betrieb eines Kernkraftwerks ziemlich gering sein, solange kein schwerer Störfall eintritt.

Auf der anderen Seiten hat die Kernenergienutzung auch schwere Nachteile:

  • Der Betrieb von Kernreaktoren bringt große Gefahren mit sich. Schwere Reaktorunfälle können große Gebiete derart radioaktiv kontaminieren, dass sie auf lange Zeit unbewohnbar werden. Anders als bei vielen anderen Risiken geht es hier um die Gefahr gewaltiger Schäden, die aber nur mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten. Der Artikel über Reaktorsicherheit behandelt diese Thematik.
  • Bei der Gewinnung von Kernbrennstoffen, insbesondere beim Uranbergbau, treten häufig erhebliche Schäden in der Umgebung auf. Radioaktiver Abraum wird oft unter freiem Himmel gelagert, wird vom Wind verbreitet und führt zu erhöhter Strahlenbelastung in einem weiten Umkreis. Allerdings dürften diese Schäden immerhin gering sein beispielsweise im Vergleich zu denen durch die Förderung von Erdöl, und sie könnten mit entsprechendem Mehraufwand deutlich reduziert werden.
  • Abgebrannter Kernbrennstoff ist hochradioaktiv und extrem gefährlich. Da ein Teil dieses radioaktiven Abfalls extrem langlebig ist, bleibt diese Gefährlichkeit für hunderttausende von Jahren bestehen. Deswegen ist es notwendig, den Atommüll für sehr viele Generationen sicher am Eindringen in die Biosphäre zu hindern. Die extrem langen Zeiträume machen diese Langzeitlagerung sehr problematisch und umstritten; es handelt sich um eine Art von Ewigkeitskosten.
  • Wenn abgebrannter Kernbrennstoff wiederaufgearbeitet wird, entstehen dabei zusätzliche radioaktive Emissionen und Gefahren der Handhabung. Andererseits wird dann weniger Natururan benötigt, so dass die mit dem Uranbergbau und der Urananreicherung verbundenen Gefahren und Umweltbelastungen reduziert werden.
  • Die zivile Atomenergienutzung lässt sich schwer zuverlässig von der militärischen Nutzung trennen. Ein ziviles Atomprogramm eines Staates ist die praktisch unabdingbare Voraussetzung für den heimlichen Beginn eines Atomwaffenprogramms, da sie ein Alibi für die Beschaffung diverser Materialien und Apparate bietet und Anlagen verschafft, mit denen beispielsweise Uran hoch angereichert oder Plutonium erbrütet werden kann. Nur der weltweite Ausstieg aus der Kernenergienutzung könnte also eine hohe Sicherheit geben, dass keine Atomwaffenprogramme mehr unentdeckt vorangetrieben werden können. Dagegen würde eine langfristige weltweite Nutzung der Kernenergie voraussichtlich den Einstieg in eine Plutoniumwirtschaft mit vielen Brutreaktoren bedingen, was das Proliferationsrisiko noch wesentlich steigern dürfte. Eine breite langfristige Nutzung der Kernenergie ohne massive Fortschritte hin zu einer friedlichen Welt würde also massiv erhöhte Gefahren von Atomkriegen bedeuten.
  • Kernkraftwerke und andere Einrichtungen zur Kernenergienutzung sind zusätzlich gefährlich durch die Möglichkeit terroristischer Anschläge. Denkbar ist nicht nur das Auslösen eines schweren Atomunfalls in einem Kraftwerk (durch Einwirkungen von außen oder mit Sabotage durch eingeschleustes Personal), sondern auch die Entwendung von hochradioaktivem Material zwecks Bau einer "schmutzigen Bombe".
  • Die Gefahren der Atomenergienutzung bzw. die dagegen notwendigen Maßnahmen haben zum Teil demokratiepolitisch bedenkliche Wirkungen.

Betreffend die Kosten der Kernenergienutzung ergibt sich ein gemischtes Bild. Dies wird im nächsten Abschnitt behandelt.

Kosten der Kernenergienutzung

Der Einstieg in die Kernenergienutzung vor einigen Jahrzehnten erfolgte mit der Erwartung, man würde extrem billige Energie im Überfluss erhalten ("too cheap to meter" – Stromzähler werden überflüssig). Diese Erwartung ist längst widerlegt. Es hat sich gezeigt, dass die Investitionskosten vor allem für Kernkraftwerke über viele Jahre nicht etwa mit zunehmender Erfahrung gesunken, sondern sogar ständig weiter gestiegen sind – zum guten Teil durch erhöhte Sicherheitsanforderungen, die sich aus den gemachten bitteren Erfahrungen ergaben. Die Gesamtkosten werden durch diese Investitionskosten und die damit verbundenen Kapitalkosten dominiert, während Brennstoffkosten und andere Betriebskosten keine große Rolle spielen.

Neue Kernkraftwerke können heute in den wenigsten Ländern finanziert werden, da einerseits die Kosten enorm gestiegen sind und andererseits sehr langfristige Investitionen in einem zunehmend durch Privatisierung und Wettbewerb geprägten Umfeld schwieriger geworden sind. Hinzu kommt zunehmend die Konkurrenz der zum Teil rapide billiger werdenden erneuerbaren Energien. Aus diesen Gründen haben neue Bauprojekte weltweit nur dort eine Chance, wo die Politik den Großteil der finanziellen Risiken den Betreibern abnimmt und der Allgemeinheit aufbürdet. Die Verteuerung, die der Emissionshandel bei fossilen Energieträgern mancherorts verursacht, reicht bei Weitem nicht aus, um Kernkraftwerke konkurrenzfähig zu machen.

Von den gebauten Kernkraftwerken wurde bisher erst ein kleiner Teil außer Betrieb genommen und rückgebaut. Von daher gibt es für die Kosten des Rückbaus der Kraftwerke erst relativ wenig Erfahrung. Die hierfür in der Betriebszeit gemachten Rücklagen sind in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich, und es besteht die Sorge, dass sie in vielen Fällen (beileibe nicht nur in niedrig entwickelten Ländern) nicht ausreichen werden und die Allgemeinheit dann für die Kosten aufkommen muss.

Die Kosten der Langzeitlagerung der radioaktiven Abfälle sind nicht bekannt und stark umstritten. Naturgemäß können diese Kosten nicht bestimmt werden, bevor ein definitives Endlagerungskonzept vorliegt, und ein solches existiert noch fast nirgends. Ein gewichtiger Aspekt für die Kosten dürfte sein, ob die Rückholbarkeit der Abfälle gewährleistet werden soll.

Ebenfalls sind diverse externe Kosten schwer quantifizierbar, beispielsweise die Kosten durch schwere Nuklearunfälle und die weltweit übliche indirekte Subventionierung durch die kostenlose Übernahme eines großen Teils des Unfallrisikos durch die Allgemeinheit. (Der Artikel über Reaktorsicherheit diskutiert diesen Aspekt.) Andererseits sind die externen Kosten fossiler Energie ebenfalls sehr schwer ermittelbar und wegen der Klimagefahren womöglich sehr hoch, und die Nutzung erneuerbarer Energien ist ebenfalls oft kostspielig.

Ist Kernenergie nachhaltig?

Eine in vieler Hinsicht wichtige Frage ist, ob die Kernnutzung den Kriterien der Nachhaltigkeit entspricht oder ob sie es zumindest in einer neuen Form sein könnte. Darüber ist z. B. Anfang 2022 ein intensiver Streit entbrannt, nachdem die EU-Kommission bekanntgegeben hat, dass sie Kernenergieprojekte im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig einstufen möchte.

Im Vergleich mit der Nutzung fossiler Energieträger hat die Kernenergie praktisch in jeder Form den großen Vorteil, dass sie mit geringen CO2-Emissionen verbunden ist – in dieser Disziplin ähnlich gut wie erneuerbare Energien. Jedoch gehört zur Nachhaltigkeit natürlich weit mehr als nur die Vermeidung starker Klimaschädlichkeit.

Die bislang praktisch überall praktizierten Methoden der Kernenergienutzung können in verschiedener Hinsicht nicht ernsthaft als nachhaltig eingestuft werden, und zwar aus mehreren Gründen, wie in den folgenden Abschnitten erklärt wird. Immerhin könnten einige der Probleme im Prinzip gelöst werden – aber nicht unbedingt erfolgreich in der Praxis.

Ineffiziente Brennstoffnutzung

In den frühen Jahrzehnten der Kernenergienutzung ging man davon aus, dass die Kernenergie mit den auf der Erde verfügbaren Ressourcen die Menschheit über sehr lange Zeiten (womöglich mehr als 1000 Jahre) mit großen Mengen von Energie versorgen könnte. Hierbei war allerdings vorgesehen, dass man im großen Stil Brutreaktoren einsetzen würde, die die verfügbaren Uranreserven und evtl. auch Thorium einigermaßen effizient nutzen würden. Dies wurde auch immer wieder versucht, hat sich jedoch als technisch schwierig und in aller Regel auch als ökonomisch untragbar erwiesen. Beispielsweise waren die französischen Erfahrungen mit Schnellen Brütern (Superphénix-Programm) so schlecht, dass diese Entwicklungslinie schließlich aufgegeben wurde – trotz einer verheerenden Signalwirkung. Der Superphénix in Creys-Malville war das letzte große Kernkraftwerk mit einem Brutreaktor in Westeuropa.

Durchgesetzt haben sich letztendlich Leichtwasserreaktoren (Druckwasser- und teils auch Siedewasserreaktoren), die also Wasser als Moderator verwenden und hauptsächlich nur das Uran 235 nutzen (und selbst dies nicht vollständig). Mit diesem Ansatz bleibt also der größte Teil des Urans ungenutzt. Die Folge davon ist, dass die globalen Uranvorräte bei einer weltweit intensivierten Nutzung der Kernenergie keine allzu große Reichweite mehr hätten. Dies allein spricht natürlich sehr klar gegen die Einstufung als nachhaltige Technologie.

Im Prinzip könnte man zu dem Konzept des Schnellen Brüters (oder zu anderen Konzepten für Brutreaktoren) zurückkehren in der Hoffnung, die in vergangenen Jahrzehnten angetroffenen Probleme mit besserer Technologie schließlich zu lösen, und zwar auf wirtschaftlich tragbare Weise. Dies erscheint allerdings als sehr schwierig, da bereits die konventionelle (und viel konsequenter optimierte) Technologie der Druckwasserreaktoren ökonomisch nicht konkurrenzfähig ist; praktisch kein Kraftwerksprojekt ist möglich ohne massive staatliche Subventionen. Wie sogar die technisch sehr viel anspruchsvollere Technologie von Brutreaktoren sicher und gleichzeitig ökonomisch tragfähig realisiert werden sollte, ist nicht ersichtlich.

Problematik radioaktiver Abfälle

Ein weiteres Problem ist das der radioaktiven Abfälle. Praktisch unvermeidlich ist bei der Nutzung des Prinzips der Kernspaltung, dass hochradioaktive Spaltprodukte mit teils kürzerer, teils auch längerer Halbwertszeit entstehen. Das Problem wird noch wesentlich verschärft dadurch Abfälle auch langlebige Aktiniden enthalten, die eine sichere Endlagerung über extrem lange Zeiträume nötig machen. Nach etlichen Jahrzehnten der Kernenergienutzung sind die Fortschritte in Richtung zur Realisierung solcher Langzeit-Endlager immer noch sehr bescheiden. Offensichtlich müsste auch dieses Problem gelöst werden, bevor die Kernenergie als nachhaltig bezeichnet werden könnte.

Theoretisch sind wiederum erhebliche Verbesserungen möglich, die aber andere Reaktorkonzepte und zusätzliche Technologien voraussetzen würden. Das Ziel müsste sein, die Aktiniden (Uran, Plutonium etc.) möglichst vollständig der Kernspaltung zuzuführen (dmait auch energetisch zu nutzen) und die entstehenden Spaltprodukte dann immer noch über lange, aber nicht mehr extrem lange Zeiträume sicher einzuschließen. In diesem Zusammenhang wird häufig die Hoffnung auf die Möglichkeit einer effektiven Transmutation vorgebracht. Eine Grundlage hierfür gibt es bislang allerdings kaum; es scheint nicht einmal konkrete Pläne für ein System zu geben, welches mit diesem Ansatz die Kernenergienutzung mit einem wenigstens massiv reduzierten Abfallproblem (und natürlich auch mit tragbaren Kosten) zu realisieren.

Gefahr schwerer Unfälle

Bei sehr schweren Unfällen in Kraftwerken besteht die Gefahr, dass große Landflächen massiv verseucht werden. Wenn dies dicht besiedelte Gebiete betrifft, gar noch die Region der Hauptstadt eines Landes, kann sogar die Existenz des ganzen Landes zerstört werden. Man beachte, dass beispielsweise die Fukushima-Katastrophe in Japan noch sehr viel extremer hätte treffen können, wenn die Windrichtung in den Tagen des Unfalls die Verseuchung nach Tokio getragen hätte. Der damalige Premierminister Naoto Kan hat dies anschließend erkannt und kam zum Schluss, dass diese Technologie nicht länger tragbar sei. Wiederum müssten solche Risiken nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden können, bevor eine solche Technologie als nachhaltig eingestuft werden könnte.

Natürlich wird seit Jahrzehnten versucht, Reaktorkonzepte zu entwickeln, die inhärent sicher sind. Dies würde bedeuten, dass schwere Unfälle praktisch prinzipiell unmöglich sind. Schritte in dieser Richtung gab es auch durchaus, beispielsweise das Konzept der passiven Kühlung im Störfall, welches unter Umständen eine Kernschmelze praktisch ausschließen könnte, allerdings wohl nur für relativ kleine Reaktoren realisierbar ist. Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass es nicht nur gilt, für bisherige Reaktortypen erkannte Schadensverläufe sicher zu unterbinden, sondern generell alle potenziell verheerenden Schadensverläufe. In der Vergangenheit sind aber ihre Unfälle gerade auf Wegen verlaufen, die man eben nicht klar genug erkannt und entsprechend konsequent genug behandelt hatte. Aus solchen Gründen hat sich auch erwiesen, dass ursprünglich berechnete extrem geringe Wahrscheinlichkeiten schwerer Störfälle wirklichkeitsfremd waren.

Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen

Eine weitere wichtige Problematik ist die der Verbreitung von Atomwaffen. Bislang stützte sich ausnahmslos jedes Atomwaffenprojekt auf eine vorherige zivile Atomenergienutzung. Wenn die Kernenergie zukünftig in vielen Ländern umfangreich genutzt werden sollte, dies aber die Gefahr von Atomkrieg nennenswert vergrößern würde, wäre allein aus diesem Grund die Nachhaltigkeit offenbar nicht gegeben. Leider ist die Proliferationsgefahr zum Teil gerade bei solchen technischen Ansätzen erhöht, versprechen würden, andere Probleme der Kernenergie ein Stück weit zu lösen. Dies gilt insbesondere für Brutreaktoren und die für den Betrieb derselben benötigte Wiederaufarbeitung.

Eine Chance auf zukünftige Nachhaltigkeit?

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass nach Jahrzehnten der umfangreichen Kernenergienutzung nicht ersichtlich ist, wie die Kernenergienutzung so realisiert werden könnte, dass sie zurecht als nachhaltig eingestuft werden könnte. Hierfür müssten nämlich mehrere schwierige Probleme gleichzeitig gelöst werden, auch gleichzeitig mit der ökonomischen Problematik hoher Investitionskosten. Immerhin ist nicht ausgeschlossen, dass eine nachhaltige Kernenergienutzung zukünftig mit neuen Ideen und Technologien doch noch realisiert werden könnte.

Für die bislang verfügbare Reaktortechnologie muss aber klar gesagt werden, dass die Nachhaltigkeit in verschiedener Hinsicht nicht gegeben ist.

Weltweite Nutzung der Kernenergie; Zukunftsaussichten

Rund 30 Länder weltweit nutzen die Kernenergie zur Stromerzeugung. In einigen Ländern wird ein relativ großer Teil der elektrischen Energie so gewonnen; mit Abstand führt hier Frankreich, das rund 80 % seiner elektrischen Energie so erzeugt. Im weltweiten Durchschnitt dagegen liegt dieser Anteil bei 16 %.

Verglichen mit dem gesamten Energieumsatz (nicht nur für elektrische Energie, sondern auch Wärme etc.) ist der globale Anteil der Kernenergie recht gering: Weltweit deckt die Kernenergie zur Zeit 2,5 % des Endenergiebedarfs ab, oder rund 6 % der Primärenergie. Von daher würde beispielsweise ein relevanter Beitrag der Kernenergie zum Klimaschutz voraussetzen, dass die entsprechenden Kapazitäten auf ein Mehrfaches ausgeweitet werden. Hiermit ist aber bis auf weiteres nicht zu rechnen. Zwar werden zur Zeit in einigen Ländern neue Kernkraftwerke gebaut, jedoch wird diese Zahl nicht annähernd ausreichen, um auch nur die Außerbetriebnahme alter Kraftwerke zu kompensieren. Die weltweite Stromerzeugung durch Kernenergie dürfte also vorerst abnehmen (selbst wenn nur wenige Länder einen konsequenten Atomausstieg praktizieren), während der gesamte Energieumsatz immer noch deutlich zunimmt. Eine Umkehr dieser Tendenz erscheint unwahrscheinlich, da nicht nur die Akzeptanz der Kernenergienutzung vor allem durch die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima gelitten hat, sondern auch die massiv gestiegenen Kosten für den Neubau von Kraftwerken die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen. Praktisch kein Neubauprojekt kommt ohne massive staatliche Subventionen aus.

Eine Prognos-Studie [6] kam bereits in 2009 zu dem Resultat, dass eine Renaissance der Kernenergie zumindest bis 2030 nicht zu erwarten ist. Vielmehr wurde erwartet, dass die Zahl der weltweit betriebenen Kernkraftwerke bis 2030 um ca. 29 % zurückgehen wird und dass ein Großteil der bis 2030 angekündigten Neubauprojekte nicht realisiert werden wird. Das Fukushima-Unglück (das Prognos offensichtlich noch nicht berücksichtigen konnte) hat diese Entwicklung noch erheblich beschleunigt; in mehreren Ländern wurden Neubauprojekte auf Eis gelegt oder definitiv aufgegeben. Der World Nuclear Industry Status Report 2020 [7] berichtet detailliert über die Aufgabe von Kernenergie-Projekten in vielen Ländern, massive Probleme mit vielen aktuellen Bauprojekten weltweit und über dramatische Kursverluste der Aktien von Firmen, die Kernkraftwerke bauen oder betreiben. Die wenigen in Europa zur Zeit vorangetriebenen Projekte leiden allesamt unter enormen Problemen [4].

Literatur

[1]Blog-Artikel: Zurück zur Kernenergie, um das Klima zu retten?
[2]Blog-Artikel: Rettet TerraPower oder NuScale die Renaissance der Kernenergie?
[3]Extra-Artikel: Was lernen wir aus dem Atom-Desaster von Fukushima?
[4]Blog-Artikel: Atomprojekt Hinkley Point C: der Grundstein für zwei milliardenschwere Debakel ist gelegt
[5]Irrtümer und Propaganda zum Thema Kernenergie
[6]Studie "Renaissance der Kernenergie?", Prognos, 09/2009
[7]M. Schneider and A. Froggatt, "World Nuclear Industry Status Report"

Siehe auch: Kernkraftwerk, Kernreaktor, Kernspaltung, Kernbrennstoff, Kernbrennstoffsteuer, Wiederaufarbeitung, Radioaktivität, Radionuklidbatterie, Kernfusion, Atomenergie oder Kernenergie, Atomausstieg

Fragen und Kommentare von Lesern

06.11.2021

Lässt sich annähernd errechnen oder abschätzen, um welchen Betrag die Weltmeere und das Klima durch Atommüll (versenkt oder als verbrauchtes Kühlwasser) erwärmt werden?

Antwort vom Autor:

Dieser Beitrag zur Erwärmung ist vernachlässigbar klein. Die Probleme der Kernenergie liegen in ganz anderen Bereichen.

03.01.2022

Kann man Atomstrom ernsthaft als ökologisch/erneuerbar bezeichnen? Mir kommt vor, als würde diese Rechnung sehr kurzsichtig und ohne Berücksichtigung der sekundär benötigten Energie gemacht.

Antwort vom Autor:

Ökologisch: theoretisch ja, jedenfalls im Vergleich zur Kohle, zumindest solange kein schwerer Unfall passiert, wenn irgendwann mal eine verlässliche Methode für die Langzeit-Endlagerung gefunden wird, und wenn der Missbrauch spaltbaren Materials für militärische Zwecke sicher unterbunden werden kann. Man muss zugestehen, dass der ökologische Schaden, den die Kernenergienutzung bislang angerichtet hat, jedenfalls weitaus kleiner ist als der der Kohlenutzung (auch unter Berücksichtigung der kleineren Energiemenge).

Erneuerbar ist die Kernenergie sicher nicht. Nachhaltig auch nicht, aus verschiedenen Gründen.

Die benötigte zusätzliche Energie z. B. für Urananreicherung halte ich nicht für ein so wesentliches Problem.

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