Kernfusion
Definition: ein nuklearer Prozess, bei dem zwei Atomkerne miteinander verschmolzen werden
Englisch: nuclear fusion
Kategorien: Grundbegriffe, Kernenergie, physikalische Grundlagen
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Ursprüngliche Erstellung: 10.07.2011; letzte Änderung: 07.11.2023
Die Kernfusion ist gewissermaßen das Gegenteil von Kernspaltung: Hier werden zwei leichte Atomkerne zu einem schwereren verschmolzen. Beispielsweise führt die Fusion eines Deuterium- und eines Tritiumkerns zur Bildung eines Helium-Kerns und zur Abstrahlung eines energiereichen Neutrons: 2H + 3H → 4He + n. (Deuterium = 2H und Tritium = 3H sind schwere Isotope des Wasserstoffs.) Der hohe Energieumsatz lässt sich dadurch erklären, dass die Bindungsenergie pro Nukleon beim Helium betragsmäßig wesentlich höher ist als beim Deuterium und Tritium. Die elektrische Abstoßung der beiden involvierten Protonen wirkt der Bindung entgegen, die aber trotzdem durch die starke Kraft erzwungen wird.
Bei der Fusion wird sehr viel Energie freigesetzt – im genannten Beispiel ca. 17,6 MeV (Megaelektronenvolt) pro entstehendem Heliumkern. Der Heliumkern und vor allem das Neutron erhält im oben genannten Prozess eine hohe Bewegungsenergie, die bei der Abbremsung in der Umgebung als Wärme verfügbar wird. Im Vergleich zur Kernspaltung ist die freigesetzte Energie pro Prozess zwar geringer, pro Gewichtseinheit des eingesetzten Kernbrennstoffs jedoch sogar noch wesentlich höher. Deswegen und weil Deuterium und Tritium in großen Mengen gewonnen bzw. hergestellt werden könnten, wäre die technische Nutzung der Kernfusion im Prinzip geeignet, der Menschheit riesige Energiemengen zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist es bisher nur gelungen, die Kernfusionsenergie in Kernwaffen, sogenannten Wasserstoffbomben, in großem Umfang freizusetzen; solche Bomben sind diejenigen mit bei Weitem höchstem Zerstörungspotenzial – noch weit höher als das der Hiroshima-Atombombe. Die technische Nutzung zur Energiegewinnung in einem Kernfusionsreaktor ist extrem schwierig und könnte, wenn überhaupt, höchstens in einigen Jahrzehnten beginnen (siehe unten). Dagegen nutzen wir heute schon die in der Sonne stattfindende Kernfusion als Sonnenenergie; die Strahlungsenergie der Sonne entstammt der Kernfusion, die im Sonneninneren stattfindet.
Wichtige physikalische Umstände
Da Atomkerne elektrisch geladen sind und sich deswegen mit abnehmendem Abstand immer mehr gegenseitig abstoßen, kann eine Kernfusion grundsätzlich nur erfolgen, wenn die Atomkerne mit extrem hoher Energie aufeinander prallen. Im Sonneninneren läuft dieser Prozess trotz der enorm hohen Temperatur von mehreren Millionen Grad Celsius und des sehr hohen Drucks recht langsam ab, also mit geringer Leistungsdichte, führt jedoch wegen des riesigen Volumens insgesamt trotzdem zu einer sehr hohen erzeugten Leistung. Wenn die Kernfusion in einem Fusionsreaktor auf nützliche Weise ablaufen soll, also mit sehr hoher Leistungsdichte in einem recht kleinen Volumen, so werden dort sehr viel höhere Temperaturen benötigt, zumal die realisierbare Dichte des Plasmas dort viel niedriger ist; voraussichtlich sind über 100 Millionen Grad Celsius nötig. Mit verschiedenen Methoden ist es zwar bereits möglich, solche Bedingungen zu schaffen, jedoch nur für kurze Zeit. Für eine großtechnische Nutzung wäre es nötig, für längere Zeit einen Kernfusionsprozess zu unterhalten, bei dem das Plasma nach anfänglichem Aufheizen mit Energie von außen durch die Kernfusion selbst seine Temperatur halten kann, und zwar ohne wesentlich an Dichte zu verlieren. Hierfür muss das Plasma geeignet eingeschlossen bleiben – selbstredend nicht mit festen Materialien, die solch extreme Temperaturen niemals aushalten könnten, sondern mit starken Magnetfeldern, was aber sehr kompliziert ist. Eine andere Möglichkeit wäre der Trägheitseinschluss für kurze Zeit, wenn die Reaktionsrate so hoch gemacht werden kann, dass in kürzester Zeit ein wesentlicher Teil eines Brennstoffteilchens umgesetzt wird.
Die Fusion von Deuterium und Tritium gilt als am ehesten technisch realisierbar. (Wie in der Sonne normalen Wasserstoff zu verwenden, dürfte unmöglich sein, da die erzielbaren Reaktionsraten viel zu gering wären.) Die daraus freigesetzte Energie ist zum größten Teil in den abgestrahlten Neutronen enthalten, also in einer extrem "harten" (energiereichen) Neutronenstrahlung. Diese Neutronenstrahlung müsste also in einer Vorrichtung absorbiert werden, welche einerseits der Strahlung für nützliche Zeit standhalten kann und andererseits die entstandene Wärmeenergie in nutzbarer Form liefert. Zusätzlich wäre dort wohl noch das Erbrüten von Tritium aus Lithium (siehe unten) nötig.
Anders als bei der Kernspaltung ist das durch die Kernfusion entstandene Helium nicht radioaktiv. Trotzdem entsteht nicht nur während des Fusionsprozess eine sehr intensive Strahlung, sondern auch eine länger bestehende Radioaktivität durch die intensive Neutronenbestrahlung von Materialien des Reaktors. Durch geeignete Wahl von Materialien hofft man diese Radioaktivität jedoch stark begrenzen zu können, so dass das durch die Nutzung von Kernfusionsenergie entstehende Atommüllproblem immerhin sehr klein wäre im Vergleich zu dem aus der bisher genutzten Kernspaltung.
Kernbrennstoffe für die Kernfusion mit Deuterium und Tritium
Wie oben erwähnt, gilt die Fusion von Deuterium und Tritium als noch am ehesten technisch realisierbar. Deuterium kann in unbegrenzten Mengen und mit gut tragbarem Aufwand aus Meerwasser gewonnen werden. Tritium kommt in der Natur praktisch nicht vor, da es radioaktiv ist, und zwar mit einer relativ kurzen Halbwertszeit. Tritium müsste deswegen aus dem Metall Lithium durch Neutronenbestrahlung "erbrütet" werden. Die Vorräte an Lithium sind nicht unbegrenzt, wären jedoch für die Kernfusionsnutzung auch in großem Umfang durchaus ausreichend. Dies liegt an der extrem hohen Ergiebigkeit: Bereits 1 kg Deuterium-Tritium-Gemisch sollte ausreichen für grob geschätzt mehr als 20 Millionen Kilowattstunden (= 72 TJ) elektrischer Energie. Es enthält nämlich ca. 2,4 · 1026 Atome, deren Fusion ca. 2,4 · 1026 · 17,6 MeV / 2 = 340 TJ freisetzt.
Tritium ist ein ziemlich heikel zu handhabender Stoff; wenn er in den Körper aufgenommen wird, ersetzt er dort den im Körper sehr verbreiteten gewöhnlichen Wasserstoff und kann somit lange im Körper verbleiben. Er kann auch in die Erbsubstanz eingelagert werden. Die gasförmige Natur und die starke Tendenz zur Diffusion machen die Handhabung heikler als die von festen Stoffen.
Im Prinzip ist auch eine Deuterium-Deuterium-Reaktion möglich, für die also kein Tritium benötigt würde. Hier ist es aber noch schwieriger, die Fusion zu starten und über längere Zeit zu erhalten, da die benötigten Temperaturen nochmals massiv höher sind.
Beim Brüten von Tritium aus Lithium besteht übrigens auch das Problem der Neutronenökonomie. Im Idealfall könnte man zwar theoretisch jedes bei einer Fusion freiwerdende Neutron zum Erbrüten eines weiteren Tritiumkerns verwenden, jedoch gehen in der Praxis viele Neutronen verloren, z. B. durch Absorption in Wandmaterialien. Deswegen braucht man eine Art von Neutronenmultiplikator, also einen Stoff wie Beryllium oder Blei, der bei Bestrahlung mehr Neutronen freisetzt, als er absorbiert.
Fusionsprozess mit Deuterium und Helium-3 – eine mögliche Alternative?
Erwogen wird auch der Fusionsprozess mit Deuterium und Helium-3. Interessant ist hier unter anderem, dass die Ausgangsstoffe hier nicht radioaktiv sind, die Fusionsprodukte ebenfalls nicht, und dass der Großteil der Energie in Form schneller Protonen frei wird. Im Gegensatz zu Neutronen sind diese elektrisch geladen, und dies würde eine elegante Möglichkeit eröffnen, direkt elektrische Energie ohne den Umweg über eine Wärmekraftmaschine zu erzeugen. Die schnellen Protonen würden dabei gegen ein starkes elektrisches Feld laufen, welches sie abbremst.
Im Vergleich zur Deuterium-Tritium-Reaktion lässt sich die Fusion mit Deuterium und Helium-3 noch schwerer starten, da die Abstoßung mit dem doppelt geladenen Helium-Kern doppelt so stark ist. Wenn es gelingt, würden übrigens parallel auch Fusionsprozesse von Deuterium mit sich selbst ablaufen, wobei Tritium entstehen würde. Dieses würde dann weitere Fusionsreaktionen verursachen, bei denen auch Neutronen freigesetzt würden – außer wenn das Tritium ständig aus dem Plasma entfernt würde.
Von daher wäre es noch "sauberer", die Fusion von Helium-3 mit sich selbst zu betreiben, da hierbei nur Helium-4 und schnelle Protonen entstehen. Dieser Prozess ist aber noch schwerer zu starten.
Das Hauptproblem bei diesen Ansätzen ist aber, dass das benötigte Helium-3 auf der Erde nur in extrem geringen Konzentrationen auftritt, deswegen nur in sehr kleinen Mengen verfügbar ist (z. Zt. rund 8 kg pro Jahr weltweit!) und zu einem enorm hohen Preis. Es gibt Ideen, Helium-3 aus Mondstaub zu gewinnen, der durch die Einwirkung des Sonnenwinds wesentlich höhere Konzentrationen davon aufweist. Allerdings dürften die Kosten für eine solche Rohstoffgewinnung ebenfalls extrem hoch liegen. Trotzdem verfolgt insbesondere die indische Weltraumorganisation (ISRO) Pläne, Helium-3 mit Raumfahrzeugen auf dem Mond zu gewinnen und zur Erde zurückzubringen.
Reaktordesigns
Es gibt mehrere völlig unterschiedliche technische Ansätze, um die Kernfusion in einem Reaktor technisch zu realisieren und nutzen. Diese werden in den folgenden Abschnitten beschrieben:
Tokamak
Der bislang am meisten favorisierte und am weitesten entwickelte Ansatz ist der des Tokamaks. Dieser hat die Form eines Torus, bei dem ein sehr starkes Magnetfeld um die zentrale Säule herumläuft. Dieses hat die Aufgabe, das Plasma mit den fusionsfähigen Ausgangsstoffen für eine gewisse Zeit fest einzuschließen. Im Plasma selbst muss ein Strom induziert werden, um eine spiralförmige Verdrillung der Magnetfeldlinien zu erzielen, weil diese eine Voraussetzung für einen stabilen Plamaeinschluss ist. Diese Strominduktion erfolgt nach dem Prinzip des Transformators mit dem Plasma als Sekundärspule. Leider ergibt sich daraus, dass die elektrische Stromstärke in der Primärspule ständig steigen muss, was nicht beliebig durchhaltbar ist; man muss also regelmäßig (z. B. alle 15 Minuten) das Plasma aufgeben und neu aufbauen.
Eine große Herausforderung ist die Aufheizung des Plasmas auf die benötigte enorm hohe Temperatur, zusammen mit einer genügend hohen Dichte. Verschiedene Heizungsverfahren (ohmsche Heizung, Injektion neutraler Teilchen, magnetische Kompression, Mikrowellen) wurden hierbei entwickelt und werden zum Teil in einer Kombination angewandt.
Kurzfristiger Fusionsbetrieb wurde in einigen Anlagen erreicht, aber bislang eben nie für längere Zeit. Wenn dies einmal gelingt, müsste die entstehende starke Strahlung in einer zusätzlichen Einrichtung in Hochtemperaturwärme umgewandelt werden, die dann zum Antrieb einer Dampfturbine (oder evtl. auch Gasturbine) dient. Die gesamte Anlage müsste sehr viel Strahlung verkraften können, was sehr hohe Anforderungen an alle verwendete Materialien stellt.
Seit 2007 ist beim südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache ein Kernfusions-Versuchsreaktor im Bau, der als ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) bezeichnet wird. Damit soll festgestellt werden, ob mit dem Tokamak-Design eine lange Brenndauer des Plasmas von bis zu einer Stunde erreichbar sind, wobei das Plasma mehr Strahlungsenergie freisetzen sollte, als für die Einbringung der Heizleistung aufgewandt werden muss. Die Umwandlung dieser Strahlungsenergie in nutzbare elektrische Energie ist hierbei nicht vorgesehen; dies wäre erst eine Aufgabe für ein späteres Projekt.
Die Baukosten wurden ursprünglich auf knapp 5 Milliarden Euro geschätzt; für den Betrieb wurde eine nochmals ähnliche Summe vorgesehen. Der Bau hätte nach ursprünglichem Plan bis 2016 beendet werden sollen, jedoch kam es zu massiven Verzögerungen, sodass die Inbetriebnahme wohl nicht vor 2035 stattfinden kann. Gleichzeitig sind die Kosten enorm angewachsen; sie werden ein Vielfaches des ursprünglich vorgesehenen Betrags sein. Anscheinend sind massive Probleme im Bereich des Managements zumindest zum Teil für diese Entwicklung verantwortlich. Hier wurde inzwischen viel geändert, aber dies könnte höchstens noch weitere Verzögerungen und Kostensteigerungen verhindern oder vermindern.
Für einen Erfolg des Projekts müsste die Betriebsphase (für die etwa 20 Jahre vorgesehen sind) erfolgreich verlaufen, also den Weg für den nächsten Versuchsreaktor ebnen. Dieser müsste dann wiederum entworfen, geplant, gebaut und in Betrieb genommen werden, bis schließlich der erste Fusionsreaktor entsteht, der tatsächlich elektrische Energie erzeugt. Danach müssten schließlich die Kosten soweit gedrückt werden, dass ein wirtschaftlicher Betrieb – wohl die Voraussetzung für eine breite Anwendung – möglich würde. Sollte dies jemals gelingen – was derzeit in der Tat sehr unwahrscheinlich ist –, wäre dies frühestens gegen Ende des 21. Jahrhunderts, als auch weitaus zu spät, um das Klimaproblem damit zu bekämpfen.
Denkbar wäre im Prinzip, dass neue andere Projekte (siehe unten) viel erfolgreicher sein werden und ITER schnell überholen. Darauf deutet bislang allerdings nicht konkret hin.
Stellarator
Ein grundlegend ähnlicher, aber etwas modifizierter Ansatz ist der des Stellators. Hier wird die für die Stabilität des Plasmas benötigte schraubenförmige Verdrillung der Magnetfeldlinien anders erzielt, nämlich durch eine sehr komplizierte Anordnung von stromdurchflossenen Spulen. Damit würde ein unterbrechungsfreier Dauerbetrieb möglich.
In Deutschland wird dieses Prinzip seit etlichen Jahrzehnten erforscht, aktuell mit der Anlage Wendelstein 7-X in Greifswald (seit 2000). Ziel ist es, die Einschlusseigenschaften eines mehrfach optimierten Stellarators sowie hoffentlich dessen Dauerbetriebsfähigkeit zu untersuchen. Die Anlage arbeitet jedoch mit nicht fusionsfähigen Plasmen, um die beim Betrieb mit Fusion erfolgende sehr starke Strahlung (die auch zur Neutronenaktivierung von Baumaterialien führen würde) zu vermeiden. Einschlussdauern von einigen Minuten wurden bislang erreicht.
Ein konkreter Weg zur Realisierung eines funktionierenden Fusionsreaktors ist bislang nicht absehbar.
Trägheitsfusion mit Lasern
Ein technisch völlig anderer Ansatz ist die Trägheitsfusion. Hier wird jeweils ein kleines aufwändig hergestelltes Pellet, das den Fusionsbrennstoff enthält, von vielen Seiten gleichzeitig mit extrem kurzen und intensiven Laserpulsen beschossen, die zu einer enormen Aufheizung in kürzester Zeit führen. Das entstehende Plasma bleibt zwar nicht lange eingeschlossen, aber wegen der Massenträgheit immerhin für eine kurze Zeit, in der im Idealfall ein großer Teil des Brennstoffs durch Fusion umgesetzt würde. In einem nutzbaren Reaktor müsste ein solcher Vorgang dann mehrmals pro Sekunde erfolgen. Wiederum muss die entstehende extreme Strahlung geeignet absorbiert und nutzbar gemacht werden.
Dieser Ansatz wird vor allem mit der National Ignition Facility am Lawrence Livermore National Laboratory in den USA verfolgt. Eine Fusion mit nennenswerter Erzeugung von Fusionsenergie (wenn auch immer noch mit sehr unvollständigem Umsatz des Brennstoffs) wurde in einigen Test-Schüssen erzielt. Die Laseranlage kann nur alle paar Stunden einen Schuss abgeben.
Die Hauptmotivation für dieses teure Projekt dürfte sein, Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von Kernwaffen (Wasserstoffbomben) zu gewinnen. Der Weg zu einem praktikablen Reaktor ist immer noch sehr weit: mehrere Jahrzehnte werden mindestens noch benötigt.
Auch ein französisches Projekt (LMJ in der Nähe von Bordeaux) ist ebenfalls militärisch motiviert; sehr wenig Informationen darüber sind verfügbar.
Ansonsten scheint es derzeit keine Projekte zu geben, die immerhin den Stand der amerikanischen National Ignition Facility in absehbarer Zeit erreichen könnten.
Vor- und Nachteile der Nutzung von Kernfusion für die Energiegewinnung
Falls die großtechnische Nutzung der Kernfusion für die Energiegewinnung realisierbar würde, ergäben sich daraus folgende wichtige Vorteile:
- Diese Technik würde der Menschheit riesige Energiemengen erschließen – ausreichend für die Nutzung in großem Umfang für Jahrtausende.
- Nennenswerte Abhängigkeiten von Brennstofflieferungen würden dabei nicht auftreten, wenn wie meist vorgesehen Deuterium und Tritium (aus Lithium) verwendet würden. (Mit Helium-3 vom Mond sähe dies u. U. anders aus, da nicht jeder zum Mond fliegen kann, um sich dort Helium-3 zu holen.)
- Kernfusion bietet die höchste Energiedichte aller Technologien, so dass ihre Nutzung relativ geringe Bewegungen von Material und sehr wenig Fläche benötigen würde.
- Es würden zwar radioaktive Abfälle entstehen, aber voraussichtlich in sehr kleinem Umfang im Vergleich zu denen der Kernspaltung. Anders als bei der herkömmlichen Kernenergienutzung würde hier also wohl kein ernstes Atommüllproblem entstehen. Ebenso würden klimaschädliche Emissionen vermieden.
- Die Gefahr schwerer Unfälle von Kernfusionsreaktoren wäre voraussichtlich recht begrenzt – jedenfalls viel geringer als bei herkömmlichen Kernspaltungsreaktoren. Insbesondere ist kaum zu befürchten, dass ein Kernfusions-Reaktor "durchgeht", also unkontrollierbar wird; im Gegenteil ist es technisch extrem schwierig, seinen Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Gewisse Gefahren würden durch die Handhabung von Tritium entstehen. Insgesamt lassen sich diese Betriebsgefahren schwer abschätzen, solange nicht klar ist, wie in zukünftiger Kernfusionsreaktor genau aussehen würde, jedoch scheint es nach bisherigen Wissen auf dieser Seite kein besonders großes Problem zu geben.
Den großen Vorteilen der Kernfusion steht aber vor allem ein enormes Problem entgegen: Die technische Realisierung hat sich als extrem schwierig erwiesen. Zwar konnten mit riesigem finanziellem Aufwand einige Versuchsanlagen gebaut werden, in denen eine Deuterium-Tritium-Fusion für kurze Zeiten erzielt werden konnte. Jedoch ist immer noch ein sehr weiter Weg zu gehen bis zum kontinuierlichen Betrieb mit Nutzung der erzeugten Strahlungsenergie.
In diesem Zusammenhang stellt sich nicht nur die Frage der rein technischen Machbarkeit, die selbst nach Jahrzehnten intensiver Forschung mit riesigem Aufwand nicht abschließend beantwortet ist. Wohl noch schwieriger wäre es, Kernfusionsreaktoren auch auf wirtschaftlich tragbare Weise zu betreiben. Auch wenn lange noch nicht klar ist, wie genau ein Kernfusionsreaktor aussehen könnte, ist längst sicher, dass er weitaus komplexer und damit teurer als ein herkömmlicher Kernspaltungsreaktor wäre. (Ein einfacher kleiner Kernspaltungsreaktor lässt sich schon auf einem Labortisch kontinuierlich betreiben, ohne milliardenteuren Aufwand.) Da nun aber die Kosten der Kernenergie aus Kernspaltung bereits erheblich sind und diese Kosten zum größten Teil durch den Bau der Anlagen entstehen, erscheint es unausweichlich, dass Energie aus Kernfusion weitaus teurer wäre. Befürworter der Kernfusion behaupten zwar das Gegenteil und geben teils sogar recht moderate angeblich mögliche Kosten für Strom aus Kernfusion an, können aber das oben genannte einfache Argument nicht entkräften.
Somit hätte die Kernfusion keine Chance zur Konkurrenzfähigkeit beispielsweise mit erneuerbaren Energien. Dies könnte sich nur dann ändern, wenn die Kernfusion mit völlig neuen und weitaus einfacheren Methoden realisiert werden könnte – etwa als "kalte Fusion", wie sich 1989 von Pons und Fleischmann vorgeschlagen und angeblich realisiert wurde. Jedoch ist die überwiegende Zahl der Fachleute der Überzeugung, dass dieser Ansatz nicht funktionieren kann, die damaligen Berichte als nicht korrekt waren.
Das Fazit muss somit sein, dass die Kernfusion im Prinzip eine Energiequelle mit einigen sehr attraktiven Vorteilen sein könnte, aber auf absehbare Zeit nicht realisierbar ist – zumindest nicht auf wirtschaftlich tragbare Weise. Daraus ergibt sich die Frage, wie es zu rechtfertigen ist, weltweit Milliarden in die Entwicklung der Kernfusionsenergie zu investieren, die dann für erneuerbare Energien und Energieeffizienz fehlen. (Die jährlichen Ausgaben etwa der EU für Fusionsforschung sind vergleichbar mit der Summe der jährlichen Ausgaben für alle nicht-nukleare Energieforschung – selbst ohne das aktuelle ITER-Projekt.) Der Klimaschutz ist hierfür ein untaugliches Argument, da ein nennenswerter Beitrag der Kernfusion zum Klimaschutz mit Sicherheit mehr als 50 Jahre bräuchte und somit viel zu spät käme.
Bessere technische Ansätze?
Manche Forscher und Ingenieure behaupten, es gebe vielversprechendere technische Ansätze als ITER, um schneller und mit niedrigeren Kosten zu einem funktionierenden Demonstrationsreaktor zu gelangen. Relativ viel Aufmerksamkeit genießt das Projekt SPARC am Plasma Science and Fusion Center des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dieses setzt auf neuartige supraleitende Magnete, die wesentlich höhere magnetische Feldstärken erlauben. In der Folge kann der Reaktor deutlich kleiner und entsprechend kostengünstiger gebaut werden. Auch mehrere nicht allzu große Firmen interessieren sich für solche Entwicklungen.
Es bleibt abzuwarten, ob sich solche Hoffnungen erfüllen. Falls ja, würde sich das ITER-Projekt als ein falscher Weg erweisen, der riesige finanzielle Mittel bindet, ohne den schnellstmöglichen Erfolg zu bieten. Jedoch scheint eine Aufgabe von ITER bislang noch nicht sehr konkret erwogen zu werden – vielleicht weil die Versprechungen für andere mögliche Wege den Teilnehmern des Projekts nicht genügend glaubwürdig erscheinen.
Literatur
[1] | Website des ITER-Projekts, https://www.iter.org/ |
[2] | "Was ist Kernfusion" vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, http://www.ipp.mpg.de/ippcms/de/pr/fusion21/kernfusion/index |
[3] | Plasma Science and Fusion Center des Massachusetts Institute of Technology, https://www.psfc.mit.edu/ |
Siehe auch: Kernspaltung, Kernenergie
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