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Kernreaktor

Definition: eine Anlage, in der eine nukleare Reaktion durchgeführt wird und häufig Teil eines Kernkraftwerks ist

Alternativer Begriff: Atomreaktor

Allgemeiner Begriff: Wärmeerzeuger

Spezifischere Begriffe: Kernspaltungsreaktor, Kernfusionsreaktor, Druckwasserreaktor, Siedewasserreaktor, Brutreaktor, Laufwellenreaktor

Englisch: nuclear reactor

Kategorien: Grundbegriffe, Kernenergie

Autor:

Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen

Ursprüngliche Erstellung: 03.04.2011; letzte Änderung: 20.08.2023

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Ein Kernreaktor (oder Atomreaktor) ist eine Anlage, in der bestimmte nukleare Reaktionen (in aller Regel Kernspaltungsprozesse) mit einer hohen Intensität (d. h. mit hoher Leistungsdichte) durchgeführt werden. Hierfür kommen unterschiedliche Anwendungen in Frage:

  • In einem Kernkraftwerk wird durch die Kernreaktionen Wärme produziert, die zur Erzeugung von heißem Wasserdampf genutzt wird. (Ein Siedewasserreaktor erzeugt direkt Dampf, während ein Druckwasserreaktor mit flüssigem Wasser arbeitet und der Dampf dann in einem separaten Dampferzeuger hergestellt wird.) Mit dem Dampf wird eine Dampfturbine angetrieben und damit schließlich ein Generator zur Erzeugung elektrischer Energie. Der Reaktor ist normalerweise für eine recht hohe thermische Leistung (meist mehrere Gigawatt) ausgelegt; man spricht von einem Leistungsreaktor. Ein Kernkraftwerk kann mehrere Reaktorblöcke mit jeweils eigenen Reaktoren enthalten, die in der Regel unabhängig voneinander betrieben werden können.
  • In Forschungsreaktoren wird primär die erzeugte radioaktive Strahlung genutzt. Beispielsweise eignet sich die intensive Neutronenstrahlung für die Untersuchung der atomaren Struktur von Festkörpern. Die thermische Leistung ist hier nicht das eigentliche Ziel; sie liegt meist zwischen 1 MW und 50 MW, teils sogar wesentlich unter 1 MW.
  • Wieder andere Reaktoren dienen vorwiegend der Erzeugung radioaktiver von Radionukliden (radioaktiven Nukliden), die z. B. für die Medizin (Diagnostik und Strahlentherapie), diverse Zweige der wissenschaftlichen Forschung oder in der Industrie (beispielsweise zur Detektion von Materialfehlern) benötigt werden.
  • Etliche Reaktoren wurden und werden hauptsächlich zur Erbrütung von waffenfähigem Plutonium betrieben. Auch zur kommerziellen Stromerzeugung dienende Reaktoren können gleichzeitig zur Plutoniumgewinnung genutzt werden und dienten häufig der Tarnung von Atomwaffenprojekten. (Bisher hat noch kein Staat die Atomwaffenfähigkeit ohne vorherigen Aufbau eines zivilen Atomprogramms erreicht.)
  • Auch bei der Transmutation zwecks Verringerung des Gefahrenpotenzials radioaktiver Abfälle können gewisse Kernreaktoren dienen. Hier wird die intensive Neutronenstrahlung im Reaktor genutzt, um langlebige Strahler in kurzlebigere zu verwandeln.

Der Begriff Atomreaktor ist gleichbedeutend mit Kernreaktor, nur etwas weniger präzise: Es wird nicht deutlich, dass die entscheidenden Prozesse in Atomkernen stattfinden und nicht wie bei chemischen Prozessen in den Elektronenhüllen. In der Frühzeit der Kernreaktoren sprach man auch von Uranmaschinen.

In heutigen Kernreaktoren finden immer Kernspaltungsreaktionen statt. Die Kernspaltung setzt sehr viel Energie in Form von Wärme frei – um Größenordnungen mehr, als es mit der gleichen Menge eines chemischen Brennstoffs möglich wäre. Zusätzlich entsteht eine erhebliche Menge von Wärme auch durch den radioaktiven Zerfall der Spaltprodukte. Diese Nachzerfallswärme stellt eines der erheblichen Sicherheitsprobleme des Reaktorbetriebs dar.

Es ist denkbar, dass zukünftige Kernreaktoren auf Kernfusion (statt Kernspaltung) basieren werden. Ein Kernfusionsreaktor ist jedoch extrem schwer zu realisieren; trotz jahrzehntelanger Bemühungen mit hohem finanziellen Aufwand ist es bisher nicht gelungen, eine Kernfusions-Kettenreaktion für mehr als einige Sekunden aufrecht zu erhalten. Der Rest des Artikels behandelt deswegen ausschließlich Kernspaltungsreaktoren, und zwar unter Ausschluss exotischer Typen, die auf absehbare Zeit ohne technische Bedeutung bleiben werden.

Aspekte der Sicherheit werden in einem separaten Artikel über Reaktorsicherheit behandelt.

Grundprinzip des Kernspaltungsreaktors

Um Kernspaltungen mit einer hohen Rate durchführen zu können (also mit weitaus höherer Leistung als z. B. in einer Radionuklidbatterie), braucht man eine nukleare Kettenreaktion. Diese lässt sich bei der Kernspaltung von Materialien wie Uran oder Plutonium relativ einfach realisieren, da einerseits durch Beschuss von spaltfähigen Atomkernen deren Spaltung ausgelöst werden kann und andererseits der Spaltungsprozess selbst wieder mehrere Neutronen freisetzt, die dann also weitere Spaltungen auslösen können.

Voraussetzung für die Kettenreaktion ist, dass die sogenannte Kritikalität erreicht wird: Pro stattfindender Kernspaltung müssen die freigesetzten Neutronen im Mittel mindestens wieder eine weitere Kernspaltung auslösen. (Der Multiplikationsfaktor ist dann mindestens 1.) Dies erfordert, dass eine genügende Menge von spaltbarem Material auf genügend engem Raum konzentriert wird, also die sogenannte kritische Masse erreicht wird. Sonst entweichen zu viele Neutronen ungenutzt nach außen. Der Betrieb mit einem Multiplikationsfaktor etwas unterhalb von 1 ist im Prinzip möglich, wenn eine starke externe Neutronenquelle zur Verfügung steht; diese Möglichkeit wird bisher jedoch nicht genutzt.

Der Start der Kettenreaktion erfolgt problemlos mithilfe von spontan durch radioaktiven Zerfall freigesetzten Neutronen, sobald die Kritikalität erreicht ist. Deswegen wird für den Start eines Reaktors keine spezielle Neutronenquelle benötigt.

Unterstützend wirkt in den meisten Reaktoren (nur nicht bei sogenannten "schnellen" Reaktoren) ein Moderator, d. h. ein Material, welches die bei der Spaltung freigesetzten Neutronen abbremst (aber möglichst ohne Neutronen zu absorbieren). Langsame ("thermische") Neutronen können nämlich effektiver weitere Spaltungen auslösen. In Leichtwasserreaktoren und Schwerwasserreaktoren dient gewöhnliches Wasser (H2O) bzw. schweres Wasser (D2O) als Moderator (und ebenfalls zum Abtransport der erzeugten Wärme). Schweres Wasser begünstigt den Bau kleinerer Reaktoren, da man damit die kritische Masse kleiner halten kann, wird aber in großtechnischen Anwendungen allein schon wegen seiner hohen Herstellungskosten nicht verwendet. Ein weiterer Nachteil ist, dass in schwerem Wasser viel mehr Tritium gebildet wird – ein stark radiotoxisches Element (welches allerdings in gewissen Reaktoren gezielt erzeugt wird). In manchen Reaktoren besteht der Moderator aus anderen Substanzen wie z. B. Graphit.

Um den Betrieb über lange Zeit mit konstanter Leistung zu erzielen, muss ein delikates Gleichgewicht des Neutronenflusses durch eine schnelle automatische Regelung aufrechterhalten werden: Pro stattfindender Kernspaltung müssen die freigesetzten Neutronen im Mittel wieder genau eine weitere Kernspaltung auslösen. Wäre es auch nur geringfügig mehr, so würde die Leistung exponentiell ansteigen und in kurzer Zeit zur Zerstörung des Reaktors (mit womöglich dramatischen Folgen) führen. (Eine extrem intensive Explosion wie bei einer Atombombe ist allerdings nicht möglich, da die Kettenreaktion als Folge der Überhitzung gebremst würde, bevor ein wesentlicher Teil des spaltbaren Materials umgesetzt werden kann.) Umgekehrt könnte die Kernspaltung schnell zum Erliegen kommen, wenn etwas zu wenig Neutronen Spaltungen auslösen.

Die kurzfristige Regelung der Leistung erfolgt mit Hilfe von Steuerstäben, die Neutronen absorbieren und in den Reaktorkern hineingefahren werden können. Sie können z. B. Cadmium enthalten. Zur Abschaltung des Reaktors werden sie weit in den Reaktor hineingefahren. Für die langfristige Steuerung der Reaktivität verwendet man bei Leichtwasserreaktoren meist zusätzlich eine Zugabe zum Kühlwasser, etwa Borsäure. Je mehr der Kernbrennstoff verbraucht ("abgebrannt") wird, desto mehr muss der Gehalt an Borsäure reduziert werden.

Die Kritikalität des Reaktors wird ebenfalls beeinflusst durch die Ansammlung von Spaltprodukten und von deren Zerfallsprodukten. Beispielsweise kann sich bei längerem Teillastbetrieb oder nach einer Abschaltung das stark neutronenabsorbierende Xenon 135 so stark ansammeln, dass die Kritikalität nicht mehr erreicht werden kann; es tritt eine "Xenon-Vergiftung" auf, die nur durch den Zerfall dieses Nuklids im Laufe von Stunden wieder nachlässt. Aus solchen Gründen hängen die Kritikalitätseigenschaften eines Reaktors erheblich von den genauen Betriebsbedingungen ab – auch von der Temperatur und der momentanen Leistung. Außerdem hängen sie stark vom jeweiligen Reaktortyp ab.

In bestimmten Betriebszuständen eines Reaktors kann die Regelung der Kritikalität unbeherrschbar werden. Deswegen ist der Betrieb in bestimmten Zuständen streng verboten. Wenn dies von der Betriebsmannschaft aus irgendwelchen Gründen ignoriert wird, kann es wie beispielsweise in Tschernobyl in 1986 zu einer atomaren Katastrophe kommen.

Aufbau eines Leichtwasserreaktors

Druckwasserreaktor
Abbildung 1: Aufbau eines Druckwasserreaktors

In diesem Abschnitt wird erläutert, wie ein typischer Leichtwasserreaktor aufgebaut ist, d. h. ein mit gewöhnlichem (leichtem) Wasser gekühlter Reaktor. Dieser Typ ist weltweit bei Weitem am stärksten verbreitet. Andere Reaktortypen werden weiter unten diskutiert.

Spaltbares Material

Jeder Kernspaltungsreaktor muss genügend spaltbares Material enthalten, um die kritische Masse für die Kernspaltung zu erreichen. In den meisten Fällen wird Uran 235 (235U) verwendet, manchmal auch Plutonium 239 oder Uran 233, welches aus Thorium 232 erbrütet werden kann, oder ein Gemisch verschiedener spaltbarer Isotope bzw. Nuklide. Das spaltbare Material (der Kernbrennstoff) ist enthalten in Brennstäben, die wiederum zu Brennelementen gebündelt sind. Diese Brennelemente werden mit relativ kleinem Abstand in den Reaktorkern eingebaut und können einzeln ausgewechselt werden.

Die Brennelemente sollen das spaltbare Material und vor allem auch die hochradioaktiven Spaltprodukte sicher einschließen – nach Möglichkeit auch bei schweren Störfällen. Allerdings ist ihre Belastbarkeit z. B. für Fälle mit einem starken Anstieg der Temperatur begrenzt. Auch im Normalbetrieb kommt es gelegentlich vor, das Brennelementeschäden mit Undichtigkeiten auftreten, was zu einer starken Kontamination des gesamten Primärkühlkreislaufs führen kann.

Die Brennelemente werden unbrauchbar, lange bevor alles spaltbare Material der Kernspaltung zugeführt wurde. Dies liegt daran, dass die Reaktivität (die Fähigkeit der Aufrechterhaltung der nuklearen Kettenreaktion) im Betrieb immer weiter abnimmt – auch durch die Eigenschaft mancher Spaltprodukte, Neutronen zu absorbieren.

In aller Regel ist der Ersatz abgebrannter Brennelemente nicht im laufenden Betrieb möglich; dafür muss der Reaktor zumindest für einige Wochen abgeschaltet werden – normalerweise im Rahmen unfangreicherer Inspektionen und Instandhaltungsarbeiten in allen Bereichen des Kraftwerks. Normalerweise wird jeweils nur ein gewisser Teil der Brennelemente (z. B. ein Viertel) ausgewechselt – ausreichend, um die Reaktivität genügend hoch zu halten – und es werden auch weiter zu verwendende Brennelement umgruppiert.

Die nach dem Brennelementwechsel anfänglich überschüssige Reaktivität kann durch Zugabe von Borsäure zum Kühlwasser kompensiert werden. Wenn die Brennelemente zunehmend abgebrannt sind und die Reaktivität entsprechend nachlässt, wird der Gehalt an Borsäure reduziert. Wenn dieser Spielraum erschöpft ist, werden meist Brennelemente ausgewechselt, aber stattdessen kann für einige Zeit auch noch ein Streckbetrieb mit reduzierter Reaktorleistung realisiert werden.

Steuerung der Leistung

Zwischen den Brennelementen befinden sich etliche neutronenabsorbierende Steuerstäbe (auch Regelstäbe oder Kontrollstäbe), die zur Regelung der Leistung (siehe oben) und zur Abschaltung des Reaktors dienen. Sie dienen also für die kurzfristige Regelung der Reaktivität. Eine äußerst zuverlässige Regelung ist für einen sicheren Reaktorbetrieb von hoher Bedeutung.

Abtransport der Wärme

Die erzeugte Wärme wird im Leichtwasserreaktor von gewöhnlichem (leichtem) Wasser abgeführt. Dieses ist chemisch geeignet aufbereitet, und es können zusätzliche Substanzen (z. B. Borsäure für die Steuerung der Reaktivität, siehe oben) beigemischt werden.

Das Kühlwasser wird von starken Kühlmittelpumpen mit hohem Druck in einem geschlossenen Kühlkreislauf durch den Reaktor befördert und strömt dabei zwischen den Brennstäben hindurch. Je nach Reaktortyp wird das Wasser im Reaktor verdampft und gelangt dann in eine Dampfturbine, oder es bleibt durch den hohen Druck flüssig und gelangt einen Dampferzeuger als Wärmeübertrager (siehe unten).

Grundsätzlich hat der Wärmetransport durch das Kühlwasser zwei wichtige Funktionen: Einerseits wird so die Wärme der Nutzung zugeführt, und andererseits wird der Reaktor vor Überhitzung geschützt. Das Kühlwasser hat aber noch eine weitere Funktion: Es moderiert die Neutronen (d. h. es bremst diese ab) und ermöglicht dadurch das Erreichen der Kritikalität mit einer wesentlich geringeren Brennstoffmenge bzw. einem geringeren Anreicherungsgrad als ohne Moderator. Dies hat noch einen günstigen sicherheitstechnischen Nebeneffekt: Im Falle einer starken Temperaturerhöhung, die zum Verdampfen des Wassers führt, wird dessen moderierende Funktion stark vermindert, was die nukleare Kettenreaktion abschwächen oder sogar stoppen kann.

Selbst nach dem Abschalten des Reaktors (dh. nach dem Stoppen der Kettenreaktion) muss unbedingt die effektive Kühlung gewährleistet bleiben, da die sogenannte Nachzerfallswärme der radioaktiven Spaltprodukte abgeführt werden muss. Ein Versagen der Kühlung kann sonst zu schweren Reaktorunfällen führen, bis hin zu einer Kernschmelze.

Sicherheitsbehälter

Die meisten Reaktoren enthalten um den Reaktordruckbehälter herum einen zusätzlichen Reaktorsicherheitsbehälter, der auch als Containment bezeichnet wird. Er soll beim Versagen des Reaktordruckbehälters möglichst das Austreten radioaktiver Stoffe verhindern. In seinem unteren Teil kann auch Kühlwasser aufgefangen werden, welches bei Leckagen austreten kann.

Siedewasser- und Druckwasserreaktoren

Bei den Leichtwasserreaktoren gibt es eine weitere Unterscheidung:

  • Siedewasserreaktoren stehen unter mäßigem Druck von meist unter 100 bar, und das Kühlwasser wird im Reaktor zu Dampf, der direkt eine Turbine antreiben kann.
  • Bei Druckwasserreaktoren (siehe Abbildung 1) wird das Verdampfen trotz der hohen Temperatur von mehreren hundert Grad Celsius verhindert, indem der Reaktor unter sehr hohen Druck (weit über 100 bar) gesetzt wird. Die Dampferzeugung für eine Turbine geschieht dann in einem Wärmeübertrager, dem Dampferzeuger.

Anlagen mit Siedewasserreaktoren haben eine im Prinzip einfachere Bauart, da sie keinen separaten Dampferzeuger benötigen, und können einen etwas höheren Wirkungsgrad der Stromerzeugung erzielen. Zu den Nachteilen gehört jedoch, dass bei Defekten von Brennelementen radioaktive Substanzen die ganze Turbinenanlage kontaminieren (verseuchen), während bei einem Druckwasserreaktor nur der primäre Kreislauf (bis zum Dampferzeuger) kontaminiert wird.

Andere Reaktortypen

Im Folgenden werden verschiedene andere Reaktortypen kurz beschrieben, die alle weitaus weniger gebräuchlich sind als die oben beschriebenen Leichtwasserreaktoren. Da Kernreaktoren nach unterschiedlichen Aspekten kategorisiert werden (etwa Art des Kühlmittels, Temperaturniveau, Verwendung schneller oder langsamer Neutronen), gibt es hier wesentliche Überschneidungen.

Schwerwasserreaktoren

Manche Forschungsreaktoren arbeiten mit schwerem Wasser (D2O), da dieses weniger Neutronen absorbiert und deswegen die kritische Masse reduziert. Der Reaktor kann dann meist mit Natururan oder schwächer angereichertem betrieben werden und ggf. auch kompakter sein, d. h. weniger Kernbrennstoff enthalten. Da schweres Wasser sehr teuer ist, kommt dieses Konzept nur für relativ kleine Reaktoren in Frage.

Gasgekühlte Reaktoren

Es gibt gasgekühlte Reaktoren, in denen beispielsweise Heliumgas oder Kohlendioxid unter hohem Druck die Wärme abtransportiert. Dies ermöglicht sehr hohe Temperaturen, also den Bau von Hochtemperaturreaktoren (siehe unten). Eine wesentliche neutronenabbremsende (moderierende) Wirkung hat das Gas nicht, weswegen entweder ein zusätzlicher Moderator (z. B. Graphit) verwendet wird oder (bei "schnellen Reaktoren") auf einen Moderator verzichtet wird.

Kühlung mit flüssigen Metallen oder Salzen

Diverse Typen von Reaktoren werden mit geschmolzenen Metallen wie Natrium oder Blei gekühlt. Beispielsweise kommt Natrium bei gewissen schnellen Brutreaktoren zum Einsatz. Dies ermöglicht einen effektiven Abtransport der Wärme bei hohen Temperaturen, ohne dass Neutronen stark abgebremst oder absorbiert werden; Natrium eignet sich deswegen für Brutreaktoren (siehe unten).

Leider ist metallisches Natrium recht gefährlich; insbesondere brennt es bei Kontakt mit Luft unter starker Rauchbildung und Hitzeentwicklung, und der Kontakt mit Wasser kann zu Wasserstoffexplosionen führen. Außerdem darf der Reaktor dann nie ganz abgekühlt werden, weil das Natrium sonst fest würde. Dies gilt auch für die Kühlung mit anderen Metallen wie z. B. Blei.

Brutreaktoren

Brutreaktoren sind solche Reaktoren, die speziell daraufhin optimiert sind, dass sie möglichst viel spaltbares Material aus ursprünglich nicht spaltbarem Material "erbrüten", und zwar durch Beschuss mit Neutronen. Der wichtigste Typ des Brutreaktors ist der "schnelle Brüter", der aus Uran 238 Plutonium 239 erbrütet. Der Reaktoraufbau ist aus verschiedenen Gründen hier deutlich anders als bei Leichtwasserreaktoren. Wasser kann nicht als Kühlmittel verwendet werden, da es die Neutronen abbremsen würde, für den Brutprozess jedoch schnelle Neutronen benötigt werden. Deswegen wird ein anderes Kühlmittel benötigt, etwa Helium oder flüssiges Natrium (siehe oben). Das eigentliche Brüten erfolgt hauptsächlich in einer speziellen Brutzone, die um die Spaltzone herum angeordnet ist.

Die Vor- und Nachteile dieses Konzepts werden im Artikel über Brutreaktoren erläutert.

Hochtemperaturreaktoren

Hochtemperaturreaktoren (oder auch Höchsttemperaturreaktoren) sind Reaktoren, die Wärme bei besonders hohen Temperaturen (z. B. 750 °C oder sogar 1000 °C) liefern können. Wenn z. B. 750 °C erreicht werden, ermöglicht dies sehr hohe Temperaturen und damit einen höheren Wirkungsgrad der Stromerzeugung. Für die Nutzung von Hochtemperatur-Prozesswärme, beispielsweise zur Erzeugung von Wasserstoff, wird häufig ein Temperaturniveau von rund 1000 °C angestrebt.

Wasser kommt bei solchen Temperaturen als Kühlmittel nicht in Betracht. Stattdessen braucht man ein Gas wie z. B. Helium, welches unter hohem Druck stehen muss, um die nötige Leistungsdichte des Wärmetransports zu erreichen. Dies bringt wieder eigene Probleme mit sich.

Hochtemperaturreaktoren sind auf unterschiedliche Weisen realisiert worden. Ein Beispiel ist der Kugelhaufenreaktor (PBMR = pebble bed modular reactor), bei dem der Kernbrennstoff in Kugeln beispielsweise aus Graphit eingebettet ist. Die Wärme mit Helium zu einem Dampferzeuger für die Stromerzeugung abtransportiert. In Deutschland wurde ein solcher Reaktor mit ca. 300 MW elektrischer Leistung zwischen 1987 und 1989 getestet im Kernkraftwerk THTR-300 in Hamm-Uentrop. Die Betriebserfahrungen waren so verheerend (nach ähnlichen Erfahrungen mit dem Versuchsreaktor AVR in Jülich), dass diese Entwicklungslinie aufgegeben wurde. Auch sicherheitstechnisch ergab sich eine Reihe ernster Probleme. Auch die HTR-Forschung in Jülich wurde schließlich Ende 2014 eingestellt.

Kernreaktoren der Generation IV

Die Entwicklung von Kernreaktoren wird grob in Generationen eingeteilt. Die heute eingesetzten und auch die heute neu gebauten Kernreaktoren gehören praktisch alle den Generationen II und III an; viele Reaktoren der Generation I wurden bereits stillgelegt. Für die Generation IV existieren diverse recht unterschiedliche Pläne, mit denen vor allem die folgenden Ziele verfolgt werden:

  • Der Kernbrennstoff soll effizienter als mit den bisherigen Leichtwasserreaktoren genutzt werden, die den größten Teil des Urans nicht verwenden können (selbst mit Wiederaufarbeitung des benutzten Brennstoffs).
  • Allgemein soll die Wirtschaftlichkeit verbessert werden, da die bisherige Kostenentwicklung sehr negativ war, im starken Kontrast zu den ursprünglichen Erwartungen.
  • Es soll eine höhere Reaktorsicherheit erzielt werden – beispielsweise soll nach dem Abschalten eine passive Kühlung durch Konvektion genügen, so dass auch ohne den Betrieb von Kühlwasserpumpen eine Kernschmelze vermieden wird. Solche Eigenschaften gehören zur inhärenten Sicherheit. Diese ist bei kleineren Reaktoren am ehesten erreichbar.
  • Höhere Kühlmitteltemperaturen sollen den Wirkungsgrad der Stromerzeugung erhöhen und/oder die Nutzung als Prozesswärme z. B. für die chemische Industrie, die Wasserstoffherstellung oder die Kohleveredelung ermöglichen.
  • Die Gefahr der Proliferation (Weiterverbreitung von Atomwaffen) soll durch geeignete Gestaltung des Brennstoffkreislaufs vermindert werden.
  • Teilweise wird auch ein Einsatz zur Transmutation zwecks Verringerung der Gefahren radioaktiver Abfälle angestrebt.

Leider sind diese Ziele kaum gleichzeitig erreichbar, und es besteht unter Fachleuten keine Einigkeit darüber, welche Art neuer Reaktortypen zu bevorzugen wäre. Beispielsweise ist eine inhärente Sicherheit eher mit kleinen Reaktoren erreichbar, die aber in aller Regel höhere spezifische Kosten aufweisen. Eine wesentlich erhöhte Ausnutzung des Urans erfordert in der Regel zusätzliche teure und risikobehaftete Prozessschritte wie Wiederaufarbeitung oder die Handhabung von Plutonium, die unter Umständen auch die Proliferationsgefahren erhöhen. Die Kosten neuartiger Konzepte sind zumindest unsicherer und häufig wesentlich höher als bei konventionellen Reaktortypen.

Reaktoren der Generation IV werden frühestens in einigen Jahrzehnten zur Verfügung stehen, sind also allenfalls für die langfristige Nutzung der Kernenergie relevant.

Austausch des Kernbrennstoffs

Da Kernbrennstoffe einen enormen Energiegehalt (eine sehr hohe Energiedichte) haben, kann ein Kernreaktor für relativ lange Zeit (Monate oder gar Jahre) ohne Austausch des Brennstoffs mit hoher Leistung betrieben werden. Ein Austausch zumindest eines Teils der Brennelemente wird jedoch nötig, wenn der Abbrand zu hoch wird. Dann sinkt nämlich die Konzentration spaltbaren Materials, während die Konzentration von neutronenabsorbierenden Substanzen zunimmt. Irgendwann würde die Kritikalität nicht mehr erreicht.

Zum Austausch von Brennelementen muss normalerweise der Reaktordruckbehälter geöffnet werden. In der Regel wird nach Entlastung vom Überdruck ein Deckel entfernt, und die Brennelemente werden mit einem Kran herausgezogen und in ein Abklingbecken befördert. Dort müssen sie für einige Jahre in ständig gekühltem Wasser lagern, bis ihre Nachwärme ausreichend abgeklungen ist, um den Abtransport ohne ständige Wasserkühlung zu ermöglichen.

Beim Kugelhaufenreaktor lassen sich die Brennstoffkugeln auch während des Betriebs austauschen.

Es wurden bereits Konzepte für kleine Kernreaktoren entwickelt, bei denen der gesamte Reaktor komplett ausgewechselt würde, wenn die Brennelemente zu stark verbraucht sind. Es wäre dann Aufgabe des Herstellers und nicht des Betreibers, ggf. noch vorhandene Wertstoffe zu nutzen und das restliche Material sicher zu entsorgen.

Verbrauchter Kernbrennstoff enthält noch wesentliche Mengen von spaltbarem Material. Bei den üblichen Uran-Brennstäben handelt es sich um restliches Uran 235 sowie um erbrütetes Plutonium 239. Die manchmal praktizierte Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen beinhaltet die Abtrennung und Wiederverwendung dieser Stoffe in neuen Brennelementen. Die dazu nötigen Verfahren sind allerdings sehr teuer (definitiv nicht wirtschaftlich im Vergleich zur Verwendung von Natururan) und gefährlich, und außerdem erhöhen sie das Risiko des Missbrauchs für Atomwaffen, insbesondere durch die Gewinnung von Plutonium, auch wenn dieses Reaktorplutonium aufgrund seiner Isotopenzusammensetzung für Kernwaffen weniger gut geeignet ist als speziell aus Uran 238 erbrütetes Plutonium.

Mit oder ohne Wiederaufbereitung entstehen aus verbrauchten Kernbrennstoffen hochgefährliche radioaktive Abfälle, die über lange Zeit sicher gelagert werden müssen, also keinesfalls in die Biosphäre gelangen dürfen.

Siehe auch: Kernspaltung, Brutreaktor, Reaktorsicherheit, radioaktiver Abfall, Transmutation

Fragen und Kommentare von Lesern

01.01.2022

Nach meinen Verständnis wurden die Vorteil von Siedewasserreaktoren v.a. in erhöhter Leistungsdichte sowie größerem Carnot-Wirkungsgrad gesehen, indem durch direkte Verdampfung mit maximaler Heißdampftemperatur dicht unter dem Limit der Brennelemente gearbeitet werden kann.

In diesem Sinne bezweifle ich die o.g. Aussage, dass KKW mit Siedewasserreaktor eine einfachere Bauart haben sollen als Druckwasserreaktoren, und zwar weil…

1) was am Reaktor-Druckgefäß womöglich gespart wird, muss an zusätzlichem Aufwand für die Turbinenanlagen investiert werden, um dort den radioaktiv kontaminierten Dampf halbwegs sicher beherrschen zu können.

2) Die direkte Verdampfung, inkl. praktischer Beherrschung der Kernreaktion und Kritikalität in der Dampfphase, halte ich für eine weitaus komplizierte Herausforderung, als im relativ simplen und »gutmütig« stabilen Wasserbad eines Druckwasserreaktors.

3) Wohl nicht ohne Grund, wurden m. W. sowohl die ersten Reaktor-Generationen als auch kleinere Reaktoren für Schiffsantriebe etc. durchgängig als simple Druckwasserreaktoren ausgeführt.

Insofern sollte das Konzept der Siedewasserreaktoren wohl eher als ambitionierter Versuch einer technologischen Weiterentwicklung verstanden werden, der jedoch zum Scheitern verurteilt war: Nämlich weil dessen sicherheitstechnische Herausforderungen in der Praxis zuvor konzeptionell auf dem Papier vollkommen unterschätzt worden waren.

Eigentlich eine mahnende Lehre sollte man meinen, für künftige Visionen und Heilsversprechen der Ingenieurskunst, die als Papiertieger mit verheißungsvoll hochtrabenden Konzepten angeberisch brüllen wie die größten Helden, um nach entsprechend hoch verfehltem Sprungversuch als Bettvorleger im finanziellen Debakel gelandet, letztlich gnädig unter den Teppich des Vergessens gekehrt zu werden (HTR 300, Schnelle Brüter, …)

Doch wie vieles, haben wohl auch warnende Erinnerungen ihre Halbwertszeit? Und aus Fehlern zu lernen, scheint des Menschen Stärke nicht; zumindest nicht in Europa und schon gar nicht in der Politik. Wohl aus keinem anderen Grund, versucht man die hohen Verluste der EPR-Projekte in Flamanville und Olkiluoto wohl zu relativieren und günstiger abzuschreiben, indem mit (und trotz) der gewonnenen Erfahrung nun bei gleich noch 2 weiteren Neubauten in Hinkley Point die Scharte ausgewetzt werden soll?

Antwort vom Autor:

Die Abwägung der Vor- und Nachteile solcher Reaktortypen ist nicht einfach. Jedoch drückt wohl nicht der Eindruck, dass sich das Konzept des Siedewasserreaktors nicht recht durchsetzen konnte aus Gründen, die man nachvollziehen kann. Inwieweit das an sicherheitstechnischen Nachteilen liegt, ist m. E. schwer zu beurteilen.

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