Niederspannungsnetz
Definition: ein Stromnetzwerk, welches mit höchstens 1 kV Spannung arbeitet
Allgemeiner Begriff: Stromnetz
Spezifischerer Begriff: Ortsnetz
Gegenbegriff: Hochspannungsnetz
Englisch: low voltage system
Kategorie: elektrische Energie
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Ursprüngliche Erstellung: 17.08.2020; letzte Änderung: 17.09.2023
URL: https://www.energie-lexikon.info/niederspannungsnetz.html
Niederspannungsnetze sind Stromnetze, die mit Niederspannung arbeiten – also mit einem Effektivwert der elektrischen Spannung von höchstens 1 kV. In den meisten Fällen handelt es sich um Verteilungsnetze, teils aber auch um Netze innerhalb größerer Anlagen. In seltenen Fällen entstehen "Einsammelnetze", die Einspeisungen vieler dezentraler Stromerzeuger sammeln.
Die meisten Kleinverbraucher – beispielsweise Häuser in Wohngebieten – werden mit Niederspannung versorgt, und zwar in Deutschland in der Regel mit Drehstrom mit 230 V Sternspannung und 400 V Außenleiterspannung. (Dies sind die Nennspannungen; die Bemessungsspannungen der verwendeten Betriebsmittel können auch deutlich höher liegen.) Man verwendet praktisch immer ein Vierleiternetz, verteilt also die drei Phasen und auch den Neutralleiter, da so auch der Betrieb mit der geringeren Sternspannung problemlos möglich ist – dies wird für die meisten Kleinverbraucher auch praktiziert. In anderen Ländern kommen andere Spannungswerte vor, und zum Teil auch eine einphasige Versorgung.
Die Versorgung mit Niederspannung ist grundsätzlich die Regel, wenn die geforderte Anschlussleistung dafür nicht zu hoch ist. Das ist für Haushalte und auch die meisten Mehrfamilienhäuser der Fall, ebenso für kleinere und viele mittlere Gewerbebetriebe. Der Vorteil ist der geringere Aufwand für elektrische Isolation und zusätzliche Schutzmaßnahmen (im Vergleich zur Verwendung beispielsweise von Mittelspannung). Für hohe Anschlussleistungen wird aber die benötigte elektrische Stromstärke in den Leitungen zu hoch, bzw. man bräuchte dann sehr große Leiterquerschnitte. Dann ist die Verwendung einer höheren Spannung angezeigt, also die direkte Versorgung über Mittelspannung oder gar Hochspannung.
Industriebetriebe werden manchmal auch mit höheren Niederspannungen von z. B. 690 V oder 960 V versorgt, wenn manche ihrer Verbraucher (z. B. Hochleistungs-Elektromotoren) dies benötigen oder die gesamte Anschlussleistung für 230/400 V zu hoch wäre.
Früher wurden Niederspannungsnetze auch als Lichtnetze bezeichnet. Dies betont die große Rolle der Beleuchtung in der frühen Zeit der Elektrifizierung. Leuchtmittel waren damals die typischen leistungsschwachen Verbraucher.
Speisung von Niederspannungsnetzen
Die meisten Niederspannungsnetze sind sogenannte Verteilungsnetze; sie dienen der Verteilung von elektrischer Energie, die meist von Großkraftwerken stammt, an viele Kleinverbraucher. Jedoch werden höchstens sehr kleine dezentrale Kraftwerke direkt angeschlossen. Sonst erfolgt die Verteilung über größere Strecken durch Hochspannungsleitungen, dann beispielsweise innerhalb des städtischen Gebiets über Mittelspannungsnetzwerke, und die Niederspannungsnetz werden schließlich aus den Letzteren gespeist unter Verwendung von der zentralen Transformatorenstationen (Ortsnetzstationen).
Vereinzelt verwendet man eine Zwischenspannung von z. B. 960 V, um abgelegene Verbraucher anzubinden, wobei dann erst in ihrer unmittelbaren Nähe ein weiterer Transformator die letztendlich benötigte Spannung von 230/400 V erzeugt. Dies bietet sich an, wenn die benötigte Leistung über die große Distanz mit der endgültigen Niederspannung zu groß wäre, gleichzeitig aber eine Mittelspannungsleitung wegen des Aufwands für Isolation und Mindestabstände zu aufwendig wäre.
Häufig versorgt eine einzige Transformatorenstation mit einer Scheinleistung von typischerweise zwischen 250 kVA und 1000 kVA ein bestimmtes kleines Netz alleine. Es kommt aber auch vor, dass ein vermaschtes Netz von mehreren Transformatorenstationen gemeinsam gespeist wird.
Zunehmend kommt auch die Einspeisung elektrischer Energie in Niederspannungsnetze vor, insbesondere durch Photovoltaikanlagen. Meist decken diese Anlagen nur einen gewissen Teil der benötigen Leistung in einem Netz, sodass der Bezug aus dem Mittelspannungsnetz entsprechend reduziert wird. Manchmal überwiegt die lokale Erzeugung jedoch den lokalen Verbrauch, sodass sogar eine Einspeisung in das Mittelspannungsnetz erfolgt. Grundsätzlich ist dies über die Transformatorenstationen jederzeit möglich; lediglich wird die Aufgabe der Spannungshaltung im Niederspannungsnetz tendenziell anspruchsvoller. Insbesondere braucht man dafür häufig regelbare Ortsnetztransformatoren.
Topologie von Niederspannungsnetzen
Niederspannungsnetzen werden je nach den konkreten Umständen mit ganz unterschiedlichen Topologien (geometrischen Formen) errichtet:
- In dünn besiedelten Wohngebieten findet man häufig Strahlennetze; hier werden Leitungen ausgehend von einer Transformatorenstation in Richtung von Häusern oder kleinen Gruppen von Häusern geführt.
- In dichteren Wohngebieten verwendet man häufig Ringnetze, die z. B. so beschaffen sind, dass auf beiden Seiten einer Straße Erdkabel liegen, an die die einzelnen Häuser angeschlossen werden (z. B. über Hausanschlusssäulen). Am Ende der Straße können die Leitungen miteinander verbunden werden, um einen Ring zu bilden; allerdings bleibt diese Verbindung im Normalbetrieb meist unterbrochen, und genutzt wird sie nur, wenn beispielsweise wegen einer Störung der Strom zu bestimmten Häusern auf anderem Wege geschickt werden muss. Ringnetze kommen auch in verzweigter Form vor.
- Es gibt auch dichte Maschennetze mit einer komplizierteren Struktur von Verbindungen, die an sich ein besseres Betriebsverhalten aufweisen: Der Strom kann verschiedene Wege nehmen, und die Spannungsabfälle und damit auch die Energieverluste werden tendenziell geringer. Dies hat auch den Vorteil größerer Redundanz, sodass der (seltene) Ausfall einer Transformatorenstation meist noch zu keinem Stromausfall führt. Andererseits kann es schwierig sein, nach einer Störung ein stark vermaschtes Netz mit hoher Gesamtleistung (deutlich höher als die einer Netzstation) wieder in Betrieb zu nehmen, da die Transformatorenstationen in der Regel von Hand geschaltet werden müssen, also nicht genau gleichzeitig aktiviert werden können.
- Wo wenige leistungsstarke Verbraucher dicht beisammen liegen, verwendet man auch kurze strahlenförmige Stummelnetze.
Häufig verwendet man Schaltmöglichkeiten (Trennstellen), um gewisse Teile eines Netzes bei Störungen gezielt an- oder abschalten zu können, sodass bei Defekten möglichst wenige Verbraucher von einem längeren Stromausfall betroffen werden.
Erdung von Niederspannungsnetzen
Grundsätzlich wird praktisch überall in Europa der Sternpunkt des Drehstromsystems in einer Transformatorenstation geerdet (TN-System), d. h. über eine Erdungsanlage mit dem Erdreich elektrisch verbunden. Damit wird ein symmetrischer Drehstrombetrieb sichergestellt, d. h. ein Sternpunktpotential ziemlich nahe am Erdpotenzial und etwa gleiche Spannungen der Außenleiter (Phasen) gegenüber dem Neutralleiter oder der Erde.
In Nordamerika ist es üblich, anders geerdete Systeme zu verwenden, bei denen beispielsweise einer der Außenleiter geerdet wird, oder aber die Mitte einer Transformatorwicklung, sodass wesentlich unterschiedliche Spannungen der Phasen gegenüber der Erde auftreten. Die Verfügbarkeit unterschiedlicher Spannungen mag technische Vorteile bieten, macht das System aber auch in mancher Hinsicht komplizierter und damit schwerer zu planen und betreiben.
Über das Vierleitersystem werden die Verbraucher auch mit Erdpotenzial "versorgt" – aber nicht über einen separaten Schutzleiter. Erst in den Häusern verzweigt man typischerweise den hereinkommenden PEN-Leiter (der noch als Neutralleiter und Schutzleiter gleichzeitig dient) in einen separaten Neutralleiter (N) und Schutzleiter (PE). Dieses Konzept bezeichnet man als TN-C-S. Es wird beispielsweise in Deutschland heute fast immer verwendet, aber in anderen Regionen kommen auch andere Erdungskonzepte zum Einsatz, und auch in Deutschland gibt es vereinzelt noch alte TN-C-Systeme, wo sogar im Haus PEN-Leiter verwendet werden. Dies hat sicherheitstechnisch allerdings entscheidende Nachteile und ist auch im Hinblick auf die elektromagnetische Verträglichkeit ungünstig.
Für weitere Details siehe den Artikel über das sehr verbreitete TN-System.
Management von Schieflasten
Da die meisten Verbraucher in einem Niederspannungsnetz einphasig betrieben werden, also Strom nur aus einer der drei Phasen beziehen, sind die aus den drei Phasen jeweils insgesamt bezogenen Leistungen im allgemeinen nicht identisch – es kommt zu einer sogenannten Schieflast. Dies ist aus verschiedenen Gründen ungünstig, weswegen man zunächst einmal die Schieflast möglichst klein hält. Dies geschieht dadurch, dass man jeden Haushalt mit allen drei Phasen versorgt und die einzelnen installierten Verbraucher und Steckdosen ungefähr gleich auf diese verteilt. Auch wenn für einen einzelnen Haushalt so immer noch eine wesentliche Schieflast bleiben kann, ist die gesamte Schieflast in einer Niederspannungsnetz durch die Mittelung über etliche Häuser relativ gesehen sehr viel geringer. Somit wird ein Ortsnetztransformator in der Transformatorenstation normalerweise nur in begrenztem Maße mit einer Schieflast konfrontiert – außer wenn er nur eine kleine Zahl starker einphasiger Verbraucher versorgt. Gerade für solche Sonderfälle werden manche Transformatoren mit speziell daraufhin optimiertem Design verwendet, um Schieflasten gut vertragen zu können und das Mittelspannungsnetz damit kaum zu belasten.
In manchen Ländern werden viele Haushalte und kleine Gewerbebetriebe nur einphasig angeschlossen, wodurch der genannte Mittelungseffekt entsprechend schwächer wird und die Netzstationen dann größere Schieflasten vertragen müssen. Ein weiterer Nachteil ist, dass dann in den Häusern kein Drehstrom zur Verfügung steht, was insbesondere für den Einsatz größerer Elektromotoren nachteilig ist.
Ausfälle, Nichtverfügbarkeit
Wegen der enormen Wichtigkeit einer hohen Versorgungssicherheit für Privathaushalte wie auch für praktisch jedes Gewerbe ist eine sehr hohe Zuverlässigkeit auch der Niederspannungsnetze gefordert. Trotzdem kommt es auch in Industrieländern mit relativ guter Infrastruktur in seltenen Fällen zu einer Nichtverfügbarkeit, also zu Stromausfällen.
Technische Ausfälle der in Niederspannungsnetzen verbauten Komponenten kommen selten vor, da hierfür nur gut getestete Betriebsmittel mit hoher Zuverlässigkeit verwendet werden und eine unzulässige Überlastung meist durch großzügige Dimensionierung bzw. sorgfältige Planung vermieden wird. Am ehesten kommen Ausfälle durch äußere Einflüsse vor, beispielsweise dadurch, dass bei Bauarbeiten mit Baggern ein Erdkabel zerstört wird. Bei überirdischer Verteilung sind Ausfälle wesentlich häufiger, beispielsweise verursacht durch Unwetter oder wiederum durch Bauarbeiten.
In Ländern mit mangelhafter Infrastruktur bedeutet die häufige Nichtverfügbarkeit der Stromnetze einen schweren Wettbewerbsnachteil für das Gewerbe und nicht nur Unannehmlichkeiten für die Privatverbraucher. Oft werden auch relativ kostspielige Gegenmaßnahmen ergriffen, beispielsweise die Bereithaltung von Notstromaggregaten. Dadurch werden die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten womöglich höher als die für Installation und guten Unterhalt einer stabilen Niederspannungs-Infrastruktur.
Betriebsverantwortung und Kosten
Die Errichtung und der Betrieb von Niederspannungsnetzen erfolgt durch die örtlichen Verteilungsnetzbetreiber. Dies können beispielsweise öffentliche Stadtwerke oder auch private Firmen sein. Sie erzeugen die benötigte Energie meist nicht selbst, sondern beschaffen sie auf dem Strommarkt.
Die entstehenden Betriebskosten werden den Verbrauchern über die Netznutzungsentgelte belastet. Hierbei sind die durch die Niederspannungsnetz der verursachten Kosten deutlich höher als die der höheren Spannungsebenen, da die einzelnen Betriebsmittel nur relativ wenigen Verbrauchern dienen.
Da die Niederspannungsnetze insgesamt sehr viel größere Leitungslängen aufweisen als die Mittelspannungs- und Hochspannungsnetze, sind auch die für sie entstehenden Investitionskosten viel höher. Immerhin handelt es sich um sehr langlebige Installationen; meist können die verlegten Kabel, Transformatorenstationen, Schaltkästen, Überwachung- und Regeleinrichtungen etc. über viele Jahrzehnte genutzt werden, ohne dass häufig erhebliche Erweiterungs- oder Wartungskosten anfielen.
Kosten durch nachträgliche Erweiterungen
Problematisch ist es allerdings, wenn die insgesamt notwendige Anschlussleistung unvorhergesehen stark ansteigt, sodass die Kapazitäten erweitert werden müssen (Netzverstärkungsmaßnahmen). Insbesondere wäre es sehr teuer, die im Boden verlegten Erdkabel nachträglich gegen stärkere auszutauschen. Um solche Kosten zu vermeiden, erfolgt in der Regel gleich anfangs eine großzügige Dimensionierung. Jedoch könnten Engpässe entstehen, wenn beispielsweise in einem Wohn- oder Gewerbegebiet viele Ladestationen für Elektroautos eingerichtet werden; mit einer großen Verbreitung solcher Fahrzeuge wurde früher nicht gerechnet. Dann wird die Einrichtung eines Lastmanagements zu prüfen sein, was meist mit wesentlich geringeren Kosten möglich ist als eine Erweiterung der Netzkapazitäten. Denkbar ist auch eine beschleunigte Abschaffung von Nachtspeicherheizungen, die ebenfalls hohe Anschlusswerte haben.
Siehe auch: Niederspannung, Erdkabel, TN-System, Stromnetz, Verteilungsnetz, Verteilungsnetzbetreiber
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