Power to Gas – ein Hype?
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
"Power to Gas" (PtG) wird heute von einigen Stimmen als eine Schlüsseltechnologie von entscheidender Bedeutung für die Energiewende dargestellt. Ist diese Vorstellung fundiert, oder handelt es sich um einen nutzlosen oder gar schädlichen Hype?
Dass die Technologie "Power to Gas" (PtG) von vielen stürmisch begrüßt wird, lässt sich folgendermaßen nachvollziehen:
- Der steigende Anteil erneuerbarer Energien bei der Erzeugung elektrischer Energie ist zum größeren Teil fluktuierender Natur: Windenergie und Sonnenenergie aus Photovoltaik. Da die Schwankungen der bereitgestellten Leistung nicht zu denen der Nachfrage passen, sind bereits verstärkte Schwankungen der Residuallast entstanden, die noch weiter zunehmen werden.
- Bei einem hohen Anteil erneuerbarer Energien von z. B. 50 % würde dies zu erheblichen Problemen führen, wenn keine entsprechenden Lösungen umgesetzt würden: ein weiterhin hoher Bedarf an Kapazitäten fossil befeuerter Kraftwerke und zu manchen Zeiten Stromüberschüsse, die sich schwer verwerten lassen.
- Eine nahe liegende Lösung könnten Speicher für elektrische Energie sein, die Überschüsse aufnehmen und zu Zeiten mit Engpässen die gespeicherte Energie wieder abgeben können – z. B. mit PtG und Gaskraftwerken.
- Wenn Deutschland weitgehend autark mit Strom versorgt werden soll, müssen die Speicherkapazitäten hierfür sehr groß sein – Dutzende von Terawattstunden. Das ist mit Pumpspeicherkraftwerken und Druckluftspeicherkraftwerken praktisch nicht zu schaffen. Power to Gas dagegen kann große Speicherkapazitäten für Erdgas nutzen und erscheint damit bisher als die einzige Technologie, die so hohe Kapazitäten für Strom anbieten kann.
Auf dieser Basis erscheint der Schluss, dass wir Power to Gas unbedingt brauchen – nicht sofort, aber z. B. in 20 Jahren – für viele unausweichlich. Leider gibt es für diesen Ansatz aber erhebliche Probleme, die im Folgenden diskutiert werden. Um es aber gleich zu sagen: Das wird nicht zeigen, dass der Ansatz grundsätzlich schlecht ist, sondern nur, dass er eben seine Grenzen hat und manche darin gesetzten Hoffnungen übertrieben sind.
Wie sind die Energieverluste zu bewerten?
Offenkundig müssen zusätzlich zu den oben präsentierten Überlegungen auch die Nachteile des vermeintlichen Lösungsansatzes analysiert werden. Das Kernproblem stellen hier die enormen Energieverluste dar, die bei der Wasserstoffherstellung durch Elektrolyse, bei der Methanisierung und bei der Rückverstromung in Gaskraftwerken auftreten. Wird elektrische Energie so zur Gaserzeugung genutzt und dieses dann wieder verstromt, hat man am Ende nur noch rund ein Drittel der ursprünglich eingesetzten Energie übrig. Das hat aber Folgen:
- Das Verfahren kann betriebswirtschaftlich nur tragbar sein, solange es am Strommarkt sehr starke Schwankungen des Börsenstrompreises gibt. Diese zu verhindern (was volkswirtschaftlich unbedingt wünschenswert wäre!) ist so also grundsätzlich nicht möglich. Es würde also dabei bleiben, dass teuer erzeugter Überschussstrom zu Spottpreisen abgegeben werden muss – nun eben an die Betreiber der Anlagen für Power to Gas –, und dass Strom zu Spitzenzeiten teuer ist.
- Die Menge an Überschussstrom, die zur Bedarfsdeckung zu anderen Zeiten nötig ist, wird durch die Energieverluste etwa verdreifacht. Das würde massiv höhere Kapazitäten an Windenergieanlagen und Photovoltaikanlagen bedeuten. Allein schon für die Akzeptanz der Energiewende ein ernstes Problem.
- Offenkundig führt dies auch zu sehr hohen Systemkosten, schon ohne dass man die Kosten für die Power-to-Gas-Anlagen überhaupt angesehen hat.
Somit ist schon mal klar, dass man mit Power to Gas von einer befriedigenden Lösung des Problems, das den Ansatz motivieren soll, weit entfernt ist. Man sollte also danach nur dann greifen, wenn es sicher keine bessere Lösung gäbe. Die Suche nach einer solchen (siehe unten) scheinen die meisten Proponenten allerdings zu versäumen.
Das Dilemma der Anlagenauslastung
In der Regel stellt man sich den Einsatz von Power to Gas so vor, dass man damit gezielt Überschüsse z. B. von Windstrom verwertet. Dies ist aber wirtschaftlich höchst problematisch, weil die Elektrolyseure und die Methanisierungsanlagen dann niedrig ausgelastet sind, wodurch die Anlagekosten pro umgesetzter Kilowattstunde sehr stark zu Buche schlagen.
Zweigt man aber, um dieses Problem zu vermeiden, ständig einen Teil der erneuerbaren Erzeugung für Power to Gas ab, nutzt man nicht mehr im Wesentlichen nur überschüssige Energie. Also muss noch mehr Energie erzeugt werden, als es schon aufgrund der hohen Energieverluste der Fall ist. Es bleibt ja dann wiederum überschüssige Energie ungenutzt, d. h. das ursprünglich angepeilte Ziel (Überschüsse einspeichern und später nutzen) wird gar nicht erreicht.
Was gibt es denn für Alternativen?
Lastmanagement
Ein verstärktes Lastmanagement könnte die Nachfrage nach elektrischer Energie elastischer machen, so dass sie sich den jeweiligen Erzeugungsmöglichkeiten besser anpassen könnte. Allerdings sind die kostengünstig realisierbaren Maßnahmen beschränkt – sowohl im Volumen als auch in den Zeiträumen. Damit längere Starkwind- oder Schwachwindphasen zu überstehen, wäre wohl zu aufwändig. Allerdings würde man, wenn Power to Gas die einzige Alternative wäre, das Lastmanagement wohl so weit wie irgend möglich ausreizen – mit entsprechenden Kosten.
Andere Speichertechnologien?
Wie oben bereits erwähnt, dürfte es kaum möglich sein, auf andere Art Speicherkapazitäten von Dutzenden von Terawattstunden in Deutschland zu erträglichen Kosten zu schaffen. Für Pumpspeicherkraftwerke gibt es dafür viel zu wenig gute Standorte, und für Druckluftspeicherkraftwerke gilt Ähnliches. Auch wenn die Energieverluste hier viel geringer sind.
Wasserstoff zu erzeugen, zu speichern und mit Brennstoffzellen bei Bedarf wieder zu verstromen, wäre im Prinzip auch eine Möglichkeit – eine Variante von Power to Gas, die die Methanisierung vermeidet, dafür aber die großen Kapazitäten für die Erdgasspeicherung nicht nutzbar macht. Man müsste separate Wasserstoffspeicher aufbauen – das ist immerhin denkbar. Die Energieverluste wären deutlich geringer als mit dem Weg über Methan, aber immer noch sehr groß.
Vielleicht werden noch neue Technologien gefunden, die große Speicher zur Verfügung stellen können, aber das ist derzeit recht unsicher.
Ein europäisches Supergrid!
Der große Bedarf an Energiespeichern ist nicht etwa naturgesetzlich gegeben, sondern wird von einer oben gesetzten Prämisse massiv vergrößert: von der Forderung nach weitgehender Autarkie der deutschen Stromversorgung. Zur Zeit wird diese schon dadurch erzwungen, dass es nur sehr begrenzte Kuppelkapazitäten zu den Stromnetzen anderer Länder gibt. Jedoch würde sich die Lage durch ein europäisches Supergrid auf der Basis von Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) stark ändern: Der Stromaustausch über tausende von Kilometern wäre mit ziemlich geringen Verluste möglich – und dies zu ohne Weiteres tragbaren Kosten. Wie im Lexikon-Artikel über das Supergrid genauer erklärt wird, könnten damit nun wichtige Vorteile erzielt werden:
- Die Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien könnte effizienter, billiger und landschaftlich weniger störend an den optimalen Standorten erfolgen – teils eben auch weiter weg, z. B. in Südeuropa oder Nordafrika, oder für Wind auch in Großbritannien.
- Da die Stromerzeugung regional sehr viel diversifizierter wäre, würden sich die Fluktuationen (auch die des Verbrauchs) viel stärker ausmitteln – der Bedarf für Speicher wäre also viel geringer.
- Bereits vorhandene große Wasser-Speicherkraftwerke in Norwegen, die auch für die Pumpspeicherung noch weiter ausgebaut werden könnten, würden eingebunden und damit viel nützlicher als bisher.
- Das Problem der Energieverluste wäre minimiert.
Eine weitgehend autarke Versorgung für Deutschland gäbe es so freilich nicht mehr. Man muss freilich fragen, warum eine Autarkie im Strombereich so dringend notwendig ist, nachdem wir sie in vielen anderen Bereichen längst aufgegeben haben, weil die Kosten dafür schlicht zu hoch wären.
Gas aus Windstrom für Autos und Heizungen?
Nun wird auch vorgebracht, Power to Gas wäre gleichzeitig eine Möglichkeit, die Energiewende auch in den Sektoren Wärme und Mobilität voranzubringen (Stichwort Sektorkopplung) – was ist hiervon zu halten?
Natürlich kann man EE-Gas sowohl in Gasheizungen als auch in Erdgasfahrzeugen einsetzen, um Erdgas zu verdrängen. Andererseits würde dies für die nächsten Jahrzehnte wenig helfen: Das Problem ist ja gar nicht, eine Anwendung für die Substitution von Erdgas zu finden, solange Erdgas dermaßen weit verbreitet eingesetzt wird. Der Anteil der Erdgasfahrzeuge am Fahrzeugpark wird sicher nicht dadurch limitiert, dass zu wenig Gas vorhanden wäre. Und bei Gasfeuerungen ließe sich Gas effizienter und billiger ersetzen, wenn die Stromüberschüsse direkt mit Elektroheizstäben in Wärme verwandelt würden – dort, wo die Wärme sonst mit Gas oder Heizöl erzeugt würde. Die zuletzt genannte Lösung – Power to Heat – hat nur die eine Einschränkung, dass die Wärme zwingend in dem Moment anfällt, wo es Stromüberschüsse gibt. Das ist aber gar kein Problem, solange noch vielerorts täglich Gas und Öl verbrannt werden. Zudem lässt sich Wärme ggf. leichter zwischenspeichern als Strom.
Langfristig kann man sich natürlich vorstellen, dass die Erdgasförderung stark zurückgeht – wegen Verknappungen oder wahrscheinlicher als dringend notwendige Klimaschutzmaßnahme – und man dann den verbleibenden Bedarf mehr und mehr mit EE-Gas (aus Power to Gas) deckt. Auch die Erzeugung flüssiger Kraftstoffe aus EE-Gas wäre eine Möglichkeit. Das ist aber alles noch weit weg. Also gewiss kein Anlass, in näherer Zukunft große Elektrolyseanlagen und Methanisierungsanlagen zu bauen. Warten wir mal ab, wie viel andere Lösungsbeiträge bis dann bringen können – etwa Wärmepumpen oder Elektroautos.
Was ist heute zu tun? Subventionen für Power to Gas einführen?
Nachdenken – auch über Power to Gas – wird kaum schaden. Eine ganz andere Frage ist aber, ob wir heute ein Subventionsprogramm aufsetzen sollten, um die baldige großflächige Einführung dieser Technologie zu erreichen? Wie gezeigt besteht ein akuter Bedarf für Power to Gas bislang überhaupt nicht. Falls wir versäumen, in den nächsten Jahrzehnten ein europäisches Supergrid aufzubauen, könnte es in 20 Jahren anders sein: Mehr und mehr Überschüsse von Windstrom könnten anfallen. Erst wenn diese auch mit Power to Heat nicht mehr genutzt werden könnten, wäre Power to Gas vielleicht wünschenswert. Man würde dann aber sicher nur wenige Jahre brauchen, um die Elektrolyse- und Methanisierungsanlagen zu bauen. Und die Technologie dafür ist bereits verfügbar; gewisse Optimierungen sind innerhalb von 20 Jahren ganz problemlos möglich, ohne jede Eile.
Man muss sich also fragen, warum einzelne Stimmen die Sache so forcieren möchten. Haben sie die Lage einfach noch nicht richtig erfasst, oder verfolgen Sie etwa irgendwelche Partikularinteressen? Denkbar sind solche schon:
- Die Gaswirtschaft dürfte große Sympathien für Power to Gas haben, weil das ihre Rolle bei der Energiewende stärkt und vor allem auch ihr Produkt als weitaus zukunftsträchtiger erscheinen lässt. Wenn viele Leute den Eindruck bekommen, eine Gasheizung würde zukünftig durch Power to Gas ohnehin klimaneutral, ist dies für den Absatz sicher günstig. Man wird dann vielleicht weniger stark versuchen, vom Gas wegzukommen oder seinen Wärmebedarf durch eine energetische Sanierung zu reduzieren – zumal es ja ohnehin bequemer ist so: Tun wir mal einfach gar nichts, die Lösung wird ja von selbst kommen! Diese mögliche Art von Fehlentwicklungen gilt es unbedingt zu vermeiden, und so etwas sollte natürlich nie durch Subventionen noch begünstigt werden.
- Es ist auch bereits der Verdacht aufgetaucht, Betreiber unflexibler Grundlastkraftwerke (z. B. mit Braunkohle oder Kernenergie) sähen hier eine Möglichkeit, das Problem ihrer unflexiblen Einspeisung zu vermindern. Dies ist freilich wenig plausibel, da die Betreiber von Power-to-Gas-Anlagen überschüssigen Strom ja zu Spottpreisen aufkaufen müssten, um selbst auf ihre Rechnung kommen zu können. Und beim Atomausstieg wird es in Deutschland wohl so oder so bleiben, während der Kohleausstieg aufgrund des Klimaschutzes unvermeidlich ist.
- Forscher müssen ständig auf der Suche nach zukünftigen Forschungsprojekten und dafür geeigneten Geldquellen sein. Da dies oft nicht einfach ist, verfolgen Sie oft auch Projekte, die eigentlich wenig sinnvoll oder zumindest wenig dringlich für die Gesellschaft sind, und stellen diese in ihren Forschungsanträgen natürlich beschönigend dar. Bei der Vergabe von Forschungsmitteln ist dies gründlich zu prüfen: Es sollte nicht nur ein oberflächlich betrachtet plausibler Vorschlag vorliegen, sondern ein Konzept, welches gut durchdacht und überzeugend ist.
Jedenfalls sollte aber der Einsatz mancher Experten z. B. aus der Forschung oder aus der Gaswirtschaft für Power to Gas nicht darüber hinweg täuschen, dass Subventionen für einen schnellen Aufbau von Power-to-Gas-Kapazitäten auf absehbare Zeit überhaupt nicht angebracht wären. Ein gewisses Maß an Forschung für weitere Verbesserungen ist sicherlich sinnvoll. Das Kernproblem des miserablen Zyklenwirkungsgrads, der eine große Energieverschwendung bewirken würde, wäre damit ohnehin kaum zu entschärfen.
Übrigens ist keineswegs so, dass alle Experten begeistert auf Power to Gas reagieren. Und selbst Forscher wie Prof. Michael Sterner (Regensburg), der sich maßgeblich mit der Technologie befasst hat, unterstützen Forderungen nach Aktionismus nicht, sondern empfehlen ein ruhiges, überlegtes Vorgehen.
Fazit: Ob Power to Gas jemals zu einer Schlüsseltechnologie wird, die als ein "Eckstein für die Energiewende" dringend benötigt ist, ist alles anderes als klar. Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine von mehreren Optionen, die man im Kopf behalten sollte. Begründeten Anlass für Aktionismus gibt es hier aber nicht. Dagegen wäre die Entwicklung konkreter Pläne für ein europäisches Supergrid, welches wirklich ganz entscheidende Lösungsbeiträge liefern könnte, sehr wichtig. Die Gefahr eines andauernden Hypes in Form von "Power to Gas" besteht wohl in erster Linie darin, dass dies von besseren Lösungen ablenkt und auch das Nichtstun in der falschen Hoffnung auf eine Wunderlösung begünstigt.
Siehe auch: Power to Gas, Energiespeicher, Energiewende, Lastmanagement, Supergrid
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