RP-Energie-Lexikon
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Redispatch

Definition: eine Abänderung des vorgesehenen Kraftwerkseinsatzes zur Vermeidung der Überlastung von Stromnetzen

Englisch: redispatch

Kategorie: elektrische Energie

Autor:

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Ursprüngliche Erstellung: 14.03.2015; letzte Änderung: 20.08.2023

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Der Einsatz von Kraftwerken zur Versorgung der Allgemeinheit mit elektrische Energie wird zunächst im Rahmen des Stromhandels (beispielsweise an Strombörsen) festgelegt. Dies orientiert sich allein an den Preisen der angebotenen Strommengen; es werden stets die kostengünstigsten Angebote berücksichtigt. Dies kann allerdings dazu führen, dass die Stromerzeugung räumlich nicht gut zum Stromverbrauch passt, sodass Stromtransporte über große Entfernungen notwendig werden.

Die Übertragungsnetzbetreiber müssen deswegen stets prüfen, ob die am Strommarkt vereinbarten Lieferungen zu einer Überlastung der Übertragungsnetze führen würden. Hierzu müssen sie auf der Basis der ihnen von den Kraftwerksbetreibern gelieferten vorgesehenen Kraftwerks-Fahrpläne Lastflussberechnungen vornehmen und die Resultate mit den vorhandenen Netzkapazitäten vergleichen. (Begrenzend können die vorhandenen Hochspannungsleitungen wirken, aber auch andere Betriebsmittel wie Transformatoren.) Hierbei wird berücksichtigt, dass die Versorgung auch im Falle eines unvorhergesehenen Ausfalls erhalten bleiben muss ((n-1)-Ausfallsicherheit). Falls Engpässe zu erwarten sind, müssen zur Vermeidung solcher Überlastungen sogenannte Redispatch-Maßnahmen ergriffen werden. Diese Engpassbewirtschaftung bedeutet typischerweise, dass zusätzliche Kraftwerke in den verbrauchsstarken Regionen aktiviert werden oder ihre Leistung erhöhen sollen, während andere ursprünglich vorgesehene Kraftwerke an den "falschen" Orten zu den jeweiligen Zeiten nicht oder weniger produzieren sollen. Zusätzlich muss auch auf die ausreichende Erzeugung von Blindleistung zur Spannungshaltung geachtet werden.

Die betroffenen Kraftwerke können sich in unterschiedlichen Regelzonen befinden; manchmal geschehen solche Maßnahmen sogar grenzüberschreitend. Die insgesamt erzeugte Strommenge bleibt in etwa gleich oder geht geringfügig zurück wegen der reduzierten Energieverluste in den Stromnetzen. Solche kurzfristigen Veränderungen der Kraftwerkseinsatzplanung reduzieren die zu übertragenden Leistungen auf ein Maß, welches den vorhandenen Leitungskapazitäten entspricht.

Während die ursprüngliche Kraftwerkseinsatzplanung durch die Kraftwerksbetreiber als Dispatch bezeichnet wird, gelten die vom Übertragungsnetzbetreiber vorgenommenen Korrekturen als Redispatch.

Die bei einer Maßnahme nötige zusätzliche Kraftwerksleistung wird bevorzugt von solchen Kraftwerken bezogen, die regulär am Strommarkt teilnehmen. In Deutschland hat die Bundesnetzagentur aber festgestellt, dass diese Kraftwerke zur Zeit nicht mit Sicherheit für eventuell nötige Redispatch-Maßnahmen ausreichen, falls es insbesondere in Süddeutschland zu mehreren unerwarteten Kraftwerksausfällen kommt. Deswegen haben die Übertragungsnetzbetreiber den Zugriff auf gewisse Reservekraftwerke (im Umfang von einigen Gigawatt für ganz Deutschland) gesichert, die nur in solchen seltenen Fällen gestartet werden. Im Winter 2013/2014 wurden diese Kraftwerke allerdings dann nie benötigt.

Entstehende Zusatzkosten

Normalerweise ist davon auszugehen, dass Redispatch-Maßnahmen die Kosten der Stromerzeugung erhöhen. Es werden ja solche Kapazitäten zusätzlich in Anspruch genommen, die wegen höherer Preise eigentlich nicht vorgesehen waren, und dafür kostengünstigere Kapazitäten weniger eingesetzt. Die Übertragungsnetzbetreiber versuchen natürlich, solche Zusatzkosten durch geeignete Gestaltung der Redispatch-Maßnahmen zu minimieren; sie aktivieren vorzugsweise möglichst kostengünstige zusätzliche Kapazitäten und deaktivieren solche Kraftwerke, bei denen möglichst hohe Brennstoffeinsparungen möglich sind. Weitere Kosten entstehen für die Bereithaltung von Reservekraftwerken für seltene Einsatzfälle.

Die entstehenden Zusatzkosten werden über die Netznutzungsentgelte den Verbrauchern belastet. Schließlich sind dies Kosten, die durch die begrenzten Kapazitäten der Stromnetze entstehen. Bislang machen diese zusätzlichen Kosten in Deutschland nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtkosten der Stromversorgung aus. Beispielsweise sind die Kosten für Energieverluste in den Stromnetzen wesentlich höher.

Einfluss auf die Versorgungssicherheit

Solange Redispatch-Maßnahmen nur in begrenztem Umfang nötig sind, haben sie praktisch keinen Einfluss auf die Versorgungssicherheit, sondern lediglich einen die Kosten geringfügig erhöhenden Einfluss. Deswegen wird man die Stromnetze nie so stark auslegen, dass überhaupt kein Redispatch mehr nötig wird.

Wenn dagegen aufgrund stark unzureichender Netzkapazitäten und einer ungünstigen geographischen Verteilung der Kraftwerke in kurzer Zeit sehr viele Redispatch-Maßnahmen nötig werden, steigt die Gefahr von Störungen bis hin zu möglichen Stromausfällen. Zwar sollte die korrigierte Einsatzplanung im Prinzip jede Überlastung vermeiden, jedoch werden die vorhandenen Kapazitäten stärker ausgelastet, sodass im Falle unvorhergesehener Ausfälle z. B. von Hochspannungsleitungen Störungen eher auftreten können. Es besteht nämlich stets eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur ein wichtiges Betriebsmittel ausfällt, sondern zwei oder mehrere gleichzeitig, wofür dann keine Reserven mehr verfügbar sind.

Häufiger werdende Redispatch-Fälle in Deutschland

In Deutschland ist die Anzahl der notwendigen Redispatch-Maßnahmen bis 2015 stark angestiegen. Wichtige Ursachen für die Steigerung sind die starke Zunahme der Erzeugung von Windenergie vor allem in Norddeutschland und die Reduktion von Kraftwerkskapazitäten (v. a. durch Abschaltung von Kernkraftwerken) in Süddeutschland. Nach 2015 gab es seither gewisse Schwankungen, aber keine massive Zunahme mehr. In 2020 waren insgesamt Erhöhungen und Reduzierungen von jeweils ca. 8 bis 9 TWh in Deutschland davon betroffen [1]. Zu vergleichen sind diese Zahlen mit der Bruttostromerzeugung von ca. 568 TWh. Es entstanden dadurch Entschädigungsansprüche in Höhe von rund 761 Millionen Euro.

Ein Großteil der nötigen Maßnahmen entsteht durch fehlende Kapazitäten auf einer kleinen Anzahl von Leitungsstrecken. Über die Hälfte der Maßnahmen ist grenzüberschreitend.

An sich ist es sinnvoll, die zunehmend bedeutsamere Windkraft bevorzugt an windstarken Standorten in Norddeutschland auszubauen, da die Stärke der Winde einen sehr starken Einfluss auf die Erträge pro Anlage und damit auf die Erzeugungskosten hat. Die Kosten und Energieverluste durch den Stromtransport über viele hundert Kilometer sind nicht so hoch, dass sie die Kostenvorteile durch Produktion von Windstrom hauptsächlich in Norddeutschland zunichte machen könnten. Allerdings hat dies zur Folge, dass deutlich verstärkte Leitungskapazitäten zwischen Nord und Süd notwendig werden, wenn der Süden zunehmend auf diese Weise mitversorgt werden soll. Zu beachten ist übrigens, dass die zu erstellenden zusätzlichen Transportkapazitäten keineswegs nur für Windenergie nutzbar sind, sondern beispielsweise auch für den Transport von Solarstrom an sonnigen, aber windarmen Tagen von Süden nach Norden sowie mittelfristig auch zur verstärkten Nutzung großer Speicherkapazitäten in Form von Wasser-Speicherkraftwerken in Norwegen.

Solange der Ausbau der Kraftwerkskapazitäten schneller verläuft als der Ausbau der Stromnetze, werden Engpässe allerdings immer häufiger. Dies hat dann zeitweise zur Folge, dass fossil befeuerte Kraftwerke im Süden betrieben werden müssen, obwohl an sich genügend klimafreundlich erzeugte elektrische Energie im Norden verfügbar wäre. Außerdem könnte die Versorgungssicherheit leiden, wenn dieses Problem weiter stark zunimmt und nichts dagegen unternommen wird; bisher scheint freilich noch kein Anlass zur Sorge zu bestehen. Die für die Überwachung dieser Verhältnisse zuständige Bundesnetzagentur hat einerseits klar zum Ausdruck gebracht, dass eine deutliche Verstärkung der Stromnetzkapazitäten (insbesondere für den Transport von Nord nach Süd) in den nächsten Jahren unbedingt notwendig ist, andererseits aber keine grundsätzliche Schwierigkeit für die Erhaltung einer hohen Versorgungssicherheit gemeldet.

Mögliche Maßnahmen zur Vermeidung von Redispatch-Fällen

Die bei Weitem effektivste und kostengünstigste Methode zur Lösung des Problems ist der Ausbau der Stromnetze, wie von der Bundesnetzagentur gefordert und von weiten Teilen der Politik akzeptiert wird. Stromnetze erzeugen nämlich einen hohen Nutzen, der weit über die Lösung der heute aktuellen Probleme hinausgeht. Langfristig können solche Netze Teil eines europäischen Supergrids werden und damit eine wesentliche Grundlage für die weitgehende Vollversorgung ganz Europas mit Strom aus erneuerbaren Energien.

Im Prinzip wäre auch der Ausbau von Kraftwerkskapazitäten in Süddeutschland hilfreich, wobei allerdings nur begrenzt gute Optionen zur Verfügung stehen. Kernkraftwerke kommen durch den inzwischen sehr weitreichenden Konsens für einen konsequenten Atomausstieg zukünftig nicht mehr infrage. Gaskraftwerke sind im Prinzip sehr gut geeignet, flexibel kurzzeitig fehlende Strommengen zu ergänzen, und dies mit moderaten CO2-Emissionen (zumindest im Vergleich zu Kohlekraftwerken). Allerdings liegen hier die Brennstoffkosten relativ hoch, und vor allem ist die zukünftige Preisentwicklung und Versorgungssicherheit bei Erdgas nicht ganz klar. Photovoltaikanlagen können zunehmend zur Stromversorgung in Süddeutschland beitragen, aber naturgemäß nur über einige Stunden pro Tag bei relativ sonnigem Wetter; sie tragen also kaum zu der gesicherten Kraftwerksleistung bei. Auf der anderen Seite kann auch der langfristige Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken aufgrund der Notwendigkeiten des Klimaschutzes nicht infrage kommen.

Auch der Ausbau von Speichern für elektrische Energie wäre im Prinzip sowohl im Norden als auch im Süden hilfreich. Beispielsweise ließe sich damit im Süden der Anteil der Photovoltaik vergrößern; Solarstrom würde durch Einspeichern zu beliebigen Zeiten nutzbar. Allerdings gibt es nur sehr begrenzt geeignete und gleichzeitig gesellschaftlich akzeptierte Standorte für Pumpspeicherkraftwerke und Druckluftspeicherkraftwerke, die zur Zeit am ehesten infrage kommenden Arten von Speichern. Die bei solchen Speichern entstehenden Energieverluste und zusätzlichen Kosten sind erheblich. Bei neueren Ansätzen für große Speicher, beispielsweise basierend auf Batterien oder Power to Gas, liegen die Kosten meist noch viel höher, und teilweise wären auch die Energieverluste enorm hoch (v. a. bei Power to Gas).

Eine weitere Möglichkeit wäre es, das deutsche Versorgungsgebiet beispielsweise in zwei Zonen zu unterteilen, die separate Strommärkte hätten. Dadurch würde der Stromhandel von vornherein verbrauchernähere Kraftwerke für die Versorgung auswählen, und ein Redispatch wäre entsprechend seltener nötig. Dadurch dürften die Strompreise in Süddeutschland ansteigen, was Anreize für die Schaffung zusätzlicher Kraftwerkskapazitäten erzeugen würde. Die Gesamtkosten der Stromerzeugung würden voraussichtlich steigen, und insbesondere würde auch die Vollversorgung mit erneuerbarer Energie schwieriger. Deswegen wurde einer solcher Schritt bislang nicht durchgeführt.

Jedoch wurde zum 1. Oktober 2022 Österreich aus der gemeinsamen Gebotszone mit Deutschland und Luxemburg genommen. Dies, weil es zu häufig dazu kam, dass Windenergie aus Norddeutschland in Österreich eingekauft, aber mangels Netzkapazitäten nicht dorthin geliefert werden konnte. Nun ist der Stromhandel zwischen den Zonen zwar nach wie vor möglich, aber im Umfang begrenzt durch die vorhandenen Kuppelkapazitäten. Wenn diese also zu knapp werden, steigt der Strompreis in Österreich über das Niveau in Deutschland, weil teurere lokale Kraftwerke aktiviert werden müssen; dafür sind weniger Redispatch-Maßnahmen nötig.

Insgesamt wird klar, dass die zunehmende Häufigkeit von notwendigen Redispatch-Maßnahmen ein deutliches Zeichen dafür ist, dass ein deutlicher Ausbau der inländischen und grenzüberschreitenden Netzkapazitäten in den nächsten Jahren unbedingt notwendig ist, nachdem überzeugende alternative Lösungen (etwa neue Kraftwerke) kaum verfügbar sind und die Nicht-Behebung des Problems aus Klimaschutzgründen nicht in Frage kommt.

Literatur

[1]Bericht der Bundesnetzagentur zum Redispatch 2020, https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/Versorgungssicherheit/Engpassmanagement/RedispatchBericht2021.pdf?__blob=publicationFile&v=8
[2]Erklärungen der Netzbetreiber zu Redispatch-Maßnahmen, https://www.netztransparenz.de/de/Redispatch.htm

Siehe auch: Stromnetz, Übertragungsnetz, Übertragungsnetzbetreiber, Strommarkt, Netznutzungsentgelt, Versorgungssicherheit

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