Energiespeicher oder Stromnetze: Was ist die richtige Lösung?
Erschienen am 09.12.2013 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)
Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2013_12_09.html
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG
Inhalt: Neuartige Energiespeicher und stark ausgebaute Stromnetze sind grundsätzlich konkurrierende Ansätze zur Realisierung der Energiewende. Eine ernsthafte Beschäftigung mit dieser Frage fehlt leider oft - mit der Folge völlig falscher Einschätzungen, die die Zukunft der Energiewende gefährden.
Immer wieder wird in der öffentlichen Diskussion behauptet, dass Energiespeicher, insbesondere Speicher für elektrische Energie, für die Energiewende von entscheidender Bedeutung sind bzw. sein werden. Leider wird dabei häufig übersehen, dass der Bedarf an Speichern und deren Wichtigkeit sehr stark davon abhängen, wie die Energiewende insgesamt durchgeführt wird:
- Wenn der deutsche Strombedarf im Wesentlichen durch erneuerbare Energie gedeckt werden soll, die vorwiegend im Inland erzeugt wird, entsteht tatsächlich ein massiver Bedarf an Speichern – um Größenordnungen mehr, als beispielsweise die deutschen Pumpspeicherkraftwerke bieten. Dieses Problem durch einen Ausbau der Pumpspeicher und die Ergänzung mit Druckluftspeicherkraftwerken zu lösen, erscheint aussichtslos – so viel ist einfach nicht zu schaffen. Daraus kann man folgern, dass wir unbedingt neue Arten von Energiespeichern brauchen, die eine sehr hohe Speicherkapazität bieten, sich in unser Energieversorgungssystem eingliedern lassen, und kostengünstig und energieeffizient sind. Da eine solche Technologie bislang nicht bekannt ist – nicht einmal in den Ansätzen –, setzen manche auf die Technologie "Power to Gas", die immerhin einen Teil der Forderungen erfüllt, leider aber unter einer miserablen Energieeffizienz leidet und uns sehr teuer kommen würde. Man hofft auf wesentliche Verbesserungen als Folge zukünftiger Forschung – was wenig realistisch ist.
- Eine andere Schlussfolgerung daraus wäre, dass man eben nicht vorwiegend auf Energiespeicher setzen darf. Man muss also irgendwie eine bedarfsgerechte Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen realisieren. Zunächst mag man hierbei an Geothermie und Biomasse denken. Leider ist das Potenzial der Biomasse sehr begrenzt – übrigens als Folge der sehr niedrigen Energieeffizienz, mit der Pflanzen Sonnenenergie in Biomasse umsetzen – und das der Geothermie zwar potenziell recht groß, aber bislang sehr unsicher. In großen Mengen und halbwegs kostengünstig verfügbar sind nur Windenergie und Photovoltaik, und die richten sich eben nach dem Wetter. Dass es dann nur mit großen Speichern gehen kann, stimmt aber nicht:
- Wie sehr eine Art der Stromerzeugung von der zeitlichen Variation her bedarfsgerecht ist, hängt sehr stark von der Größe des damit erreichbaren Gebiets ab, also von den durch Stromnetze überbrückbaren Entfernungen. Im Extremfall kleiner Inselnetze z. B. für Stadtteile oder gar einzelne Gebäude, die mit lokalen Windkraft- oder Photovoltaikanlagen versorgt werden sollen, passen Erzeugung und Bedarf meist sehr schlecht zusammen, und entsprechend groß wird der Bedarf an Speichern. Für Deutschland als Ganzes sieht es schon wesentlich besser aus, aber noch nicht gut: Eine Wetterlage trifft oft große Teile des Landes etwa gleichzeitig. Für ganz Europa, idealerweise ergänzt durch Nordafrika und verbunden durch ein europäisches Supergrid (ein System leistungsfähiger "Strom-Autobahnen"), wäre das Speicherproblem weitaus kleiner, weil sich die Schwankungen der Erzeugung aus verschiedensten Quellen stark ausmitteln würden. Hinzu kommt, dass Windstrom z. B. aus Nordafrika sehr billig wäre, und dass bereits vorhandene sehr große Speicher, nämlich Wasser-Speicherkraftwerke in Skandinavien, mit eingebunden werden könnten. Dieser Ansatz würde eine Vollversorgung ganz Europas mit erneuerbaren Energien – jedenfalls im Strombereich – ohne neuartige Energiespeicher und zu sehr vernünftigen Kosten ermöglichen.
Aus meiner Sicht ist der zuletzt genannte Ansatz, nämlich der gesamteuropäische mit einem Supergrid, der einzige, der auf realistische Weise die Vollversorgung Europas mit EE-Strom versprechen kann. Dieser Weg mag auch Probleme mit sich bringen, z. B. die Realisierung zusätzlicher Leitungstrassen – freilich in einem Umfang weit unterhalb dessen, was wir bereits haben – und die Notwendigkeit der Koordination mit vielen Partnern. Es erscheint aber geradezu als lächerlich, deswegen einen so vielversprechenden Ansatz unbeachtet zu lassen und stattdessen zu hoffen, weitere Forschung an Technologien wie Power to Gas oder gar die subventionierte Einführung von Solarstromspeichern auf Batteriebasis würden das Problem schon noch irgendwie lösen.
Weil die Frage "Speicher oder Netze" von so enormer Bedeutung ist, habe ich bereits mehrere Artikel dazu publiziert:
- Energiespeicher und Stromnetze – was braucht die Energiewende?
- Energiespeicher: essenziell für die Energiewende? (wesentlich kürzer)
- Staatlich geförderte Solarstromspeicher – eine sinnvolle Ergänzung zur Photovoltaik?
- Blog-Artikel von 2018: Solarstromspeicher – inzwischen wirtschaftlich?
Leider hat sich die oben beschriebene Einsicht bisher noch wenig verbreitet, obwohl z. B. der Physiker Gregor Czisch in seiner Dissertation bereits in 2005 das Potenzial des Supergrid-Ansatzes detailliert aufgezeigt hat und die Probleme der Energiespeicher hinlänglich bekannt sind. Ich sehe hierfür diverse mögliche Gründe:
- In "grünen" Kreisen trifft das Supergrid häufig auf Skepsis oder gar Ablehnung, weil es dem verbreiteten Dogma, dass allein der dezentrale Ansatz das Heil bringen kann, zumindest teilweise widerspricht: Das Netz ist eine zentrale Einrichtung, auch wenn sie letztendlich die dezentrale Energiegewinnung in großem Umfang erst möglich macht.
- Mangels Kenntnis oder Interesse wird oft ausgeblendet, dass zwar z. B. ein kleiner Solarstromspeicher zur Not (mit sehr hohen Kosten) einigermaßen die Strom-Speicherproblematik für ein einzelnes Häuschen lösen kann, dass solche Ansätze aber keine Chance haben, zukünftig eine wesentliche energiewirtschaftliche Rolle zu spielen. Ähnlich fehlt vielerorts ein Bewusstsein dafür, welche weitreichenden negativen Konsequenzen die miserable Energieeffizienz von Power to Gas bei großflächiger Anwendung hätte (z. B. sehr hohe Kosten, Bedarf für viel mehr Windenergie- und Photovoltaikanlagen, etc.) und dass nicht ersichtlich ist, wie Forschung diese Probleme grundlegend lösen könnte.
- Forscher, die gerne Forschungsmittel für neue Technologien einwerben möchten, sind naturgemäß mehr an neuen, erst noch zu entwickelnden Technologien interessiert als an bereits existierenden, die man nur noch einsetzen müsste. Ohnehin wirken Stromnetze, selbst moderne auf HV-DC-Basis, deutlich weniger aufregend als neuartige Energiespeicher.
- Für einen Politiker mag es attraktiver sein, sich für das Fernsehen vor eine Power-to-Gas-Demonstrationsanlage zu stellen, als mühsam auf europäischer Ebene tragfähige Konzepte der Zusammenarbeit auszuhandeln oder Bürger von der Notwendigkeit starker Stromnetze zu überzeugen. Das wird sich wohl erst ändern, wenn die Bürger energisch echte Lösungen verlangen.
In dieser Lage sollte man die Akteure öfters daran erinnern, dass wir eine echte Problemlösung brauchen – und zwar bald. Wir haben vor allem wegen der Klimagefahren keine Zeit, viele Jahre auf Irrwegen zu verbringen und derweil weiter munter Kohle und anderes zu verbrennen. Es wäre bereits viel gewonnen, wenn die Frage "Speicher oder Netze" ernsthaft diskutiert würde, anstatt dass man den angeblichen dringenden Bedarf für neue Speicher unhinterfragt gelten lässt.
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