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Energieeffizienz: Grundlage für Nachhaltigkeit und Klimaschutz oder nur ein Fetisch?

Erschienen am 26.09.2016 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2016_09_26.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Ein Artikel von Marcel Hänggi über Energieeffizienz und Rebound-Effekte enthält viel Wahres, welches er sehr anschaulich erklärt - darüber hinaus aber leider auch falsche Schlussfolgerungen für die mögliche Rolle der Energieeffizienz für den Klimaschutz. Er übersieht, dass Emissionshandel allein das Problem nicht lösen kann, weil er in der benötigten Schärfe nicht politisch umsetzbar ist, bevor Energieeffizienz und erneuerbare Energien die Grundlage dafür bieten.

Ref.: M. Hänggi, "Fetisch Effizienz", http://www.mhaenggi.ch/texte/fetisch-effizienz; Lexikon-Artikel über den Rebound-Effekt

Rüdiger Paschotta

Kürzlich stieß ich auf den oben genannten Artikel "Fetisch Effizienz" von Marcel Hänggi, und hier möchte ich einige Gedanken zu diesem interessanten Text äußern.

Der Autor erklärt auf sehr anschauliche Weise die Problematik von sogenannten Rebound-Effekten. In verschiedensten Sektoren ist unsere Technik sehr viel energieeffizienter geworden; beispielsweise haben heutige Ottomotoren und Dieselmotoren, wie sie z. B. in Autos massenhaft eingesetzt werden, weitaus höhere Wirkungsgrade als früher. Trotzdem nimmt aber der Energieverbrauch immer weiter zu, da solche Technik immer extensiver genutzt wird; beispielsweise wird ein Auto heutzutage pro Jahr weitaus mehr gefahren als früher. Dadurch werden die Einsparungen, die die gesteigerte Energieeffizienz bei gleich gebliebener Benutzung gebracht hätte, nicht nur völlig zunichte gemacht; insgesamt ist der Energieverbrauch durch Autos und andere Technik sogar massiv gestiegen. Zum Teil wurde diese Entwicklung sogar gerade durch eine erhöhte Energieeffizienz vorangetrieben, weil erst dadurch der massenhafte Einsatz einer bestimmten Technik überhaupt möglich wurde; dies bezeichnet man als einen Bumerang-Effekt oder Jevons Paradoxon. In anderen Fällen werden zumindest die erhofften Einsparungen durch Rebound-Effekte deutlich vermindert.

Sehr richtig ist auch der Hinweis, dass effiziente Technik alleine noch lange nicht tatsächliche Energieeffizienz bedeutet; beispielsweise ist es immer extrem ineffizient, mit einem zwei Tonnen schweren Fahrzeug Brötchen zu holen, wie effizienter Motor auch sein mag.

Was folgt daraus?

Soweit bin ich also vollkommen mit Marcel Hänggis Ausführungen einverstanden. Schwieriger wird es bei seinen im Artikel weitaus weniger ausführlich behandelten Schlussfolgerungen daraus. Er schreibt, aus ökologischer Sicht könne man das Thema Energieeffizienz aus den Energiedebatten streichen; schließlich zähle es auch für den Klimaschutz überhaupt nicht, wie effizient z. B. Brennstoffe genutzt werden, sondern es komme nur auf deren Menge an. Man solle einfach den Einsatz fossiler Energieträger wirksam begrenzen und die Frage der Effizienz dann dem Markt überlassen.

Auf den ersten Blick erscheint diese Argumentation durchaus schlüssig, aber ich halte sie trotzdem für fehlerhaft und irreführend. Das Kernproblem ist, dass Aspekte von zentraler Bedeutung für das Gelingen des Klimaschutzes völlig außer acht gelassen werden – insbesondere die Notwendigkeit, viele Menschen (Bürger, Politiker, Industrielle etc.) davon zu überzeugen, dass praktizierter Klimaschutz für sie keinen inakzeptablen Schaden verursachen wird. Ohne dies hätte der Klimaschutz nämlich keinerlei Chance. Und hier spielt die Energieeffizienz tatsächlich eine sehr wichtige Rolle – ganz ähnlich übrigens wie das Angebot an erneuerbaren Energien (gegen die anderswo Ähnliches vorgebracht wurde). Beide vergrößern maßgeblich den Spielraum für politisch durchsetzbare Maßnahmen, indem sie Wege aufzeigen, die tatsächlich nötigen drastischen Einschnitte beim Verbrauch fossiler Energieträger auf eine Weise vorzunehmen, die unseren Lebensstandard nicht ruiniert. Wir sehen das deutlich beispielsweise beim Emissionshandel: Die dort vereinbarten Obergrenzen (Caps) orientieren sich bislang und bis auf weiteres keineswegs an dem, was für einen ausreichenden Klimaschutz notwendig wäre, sondern vielmehr am politisch Durchsetzbaren. Mit Sicherheit wäre noch wesentlich weniger durchsetzbar, wenn Deutschland mit seiner Energiewende nicht demonstriert hätte, dass es durchaus realistisch ist, vorerst immerhin wesentliche Anteile der elektrischen Energie sehr klimaschonend herzustellen. Und wenn beispielsweise die Wirkungsgrade von Kraftwerken deutlich schlechter wären, als sie heute sind, hätten wir ebenso entsprechend höhere Obergrenzen beim Emissionshandel, denn stattdessen einfach die Stromerzeugung entsprechend zurückzufahren, ist keine Option.

Erfolg nur durch eine geeignete Kombination von Maßnahmen

Damit sage ich natürlich nicht, man solle nur die Energieeffizienz oder die erneuerbaren Energien kräftig vorantreiben, und damit ergäbe sich ein ausreichender Klimaschutz ganz automatisch. Im Gegenteil brauchen wir sehr wohl die Etablierung eines wirksamen weltweiten Emissionshandelssystems – und zwar mit Caps, die sich an den Notwendigkeiten des Klimaschutzes orientieren. Dies kann aber sicherlich nur gelingen, wenn wir bei Energieeffizienz und erneuerbaren Energien weiterhin schnelle und überzeugende Fortschritte machen. Diese in Verbindung mit dem Emissionshandel (oder einem ähnlich wirkenden Instrument, welches beispielsweise bei den in Verkehr gebrachten kohlenstoffhaltigen Energieträgern ansetzen würde) scheint mir die einzige Chance auf Erfolg zu sein. Und bei dieser Kombination von Maßnahmen verhindert der Emissionshandel effektiv, dass wieder alle Fortschritte der anderen Instrumente durch Rebound-Effekte zunichte gemacht werden.

Mir scheint bei Marcel Hänggi also der gleiche frappierende und folgenreiche Denkfehler vorzuliegen, wie man ihn auch bei Wirtschaftsliberalen wie z. B. Hans-Werner Sinn findet (mit dem sich Hänggi ja auch befasst hat). Man lese dazu auch mein Dokument "Zur Klimaschutzwirkung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)", das stark verwandte Aspekte ausführlich diskutiert.

Manche glauben übrigens, Fortschritte bei Energieeffizienz oder erneuerbaren Energien kämen automatisch, wenn man beispielsweise durch Emissionshandel indirekte Anreize dafür setzt. Das ist jedoch völlig unrealistisch, weil man die Voraussetzungen für dieses "wenn" nicht bedacht hat. Beispielsweise wurde das Potenzial der Photovoltaik in Deutschland bis vor einigen Jahren noch total unterschätzt. Deswegen war es entscheidend wichtig, die Photovoltaik durch ein System von Einspeisevergütungen etliche Jahre lang anzuschieben. Es hätte nie funktioniert, dieses Potenzial nur theoretisch darzulegen und damit überzeugend zu begründen, dass entsprechende Emissionsreduktionen überhaupt möglich sind. Weitere Beispiel sind die keineswegs überflüssigen CO2-Vorschriften für Autos, die zu gesteigerter Energieeffizienz der Motoren führen, oder die Effizienzvorschriften für (vor allem) neue Gebäude; entsprechende Fortschritte wären wohl kaum ohne konkrete Maßnahmen passiert – schon wegen der zuvor mangelnden Einsicht vieler Akteure, dass solche Energiestandards für Gebäude überhaupt praktikabel seien. (Manchen fehlt diese Einsicht sogar bis heute; sie halten z. B. immer noch an längst wiederholten Einwänden gegen Wärmedämmung fest, ohne natürlich eine wirksame Alternative dazu anbieten zu können.)

Lieber knapp scheitern als total!

Es kann übrigens durchaus sein, dass wir auch auf dem vorgeschlagenen Wege den Klimaschutz nicht schnell genug umsetzen können, um ziemlich katastrophale Entwicklungen zu verhindern. Da hilft es aber nicht, fern der Wirklichkeit darüber zu räsonieren, dass man fossile Energieträger eigentlich gar nicht in Verkehr bringen dürfte. Und natürlich werden die Folgen umso weniger katastrophal, je weniger stark wir das Klimaziel verfehlen. Ein Aufgeben nach dem Motto "Wir schaffen es ohnehin nicht" (was wohlgemerkt auch Marcel Hänggi nicht propagiert) wäre falsch, weil es eben nicht nur zwei mögliche Ausgänge der Angelegenheit gibt.

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