Sind Dieselfahrzeuge unverzichtbar für den Klimaschutz?
Erschienen am 15.09.2017 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)
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Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG
Inhalt: Die deutsche Bundesregierung behauptet, Dieselfahrzeuge seien unverzichtbar für den Klimaschutz, und die steuerliche Bevorzugung von Dieselkraftstoff sei deswegen sinnvoll. Eine genauere Analyse zeigt klar, dass diese Position vollkommen unrealistisch ist. Es ist eher von einem Nachteil der Dieselstrategie für den Klimaschutz auszugehen.
Fahrzeuge mit Dieselmotor sind vor allem seit dem in 2015 aufgeflogenen VW-Abgasskandal – der in der Folge eine ganze Reihe weiterer Hersteller erfasste – sehr in Verruf geraten. Dies vor allem wegen ihrer Stickoxidemissionen, die für die meisten Dieselfahrzeuge im Praxisbetrieb weit höher sind als in den offiziellen Messverfahren.
Die offizielle Position der deutschen Bundesregierung ist aber, dass man den Dieselmotor bis auf weiteres trotzdem unbedingt bräuchte, und zwar als unverzichtbares Instrument für den Klimaschutz. Hier soll nun analysiert werden, inwieweit dies schlüssig ist.
Die Argumentation
Die genannte Position wird von ihren Anhängern wie folgt begründet:
- Dieselmotoren haben einen höheren Wirkungsgrad und verbrauchen deswegen deutlich weniger Kraftstoff als Benzinmotoren.
- Deswegen ergeben sich geringere klimaschädliche CO2-Emissionen.
- Ein möglichst hoher Anteil von Dieselautos in der deutschen Fahrzeugflotte kann somit einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Daraus wird teils noch abgeleitet, dass eine steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoff zum Klimaschutz beitragen könne, indem sie den Dieselanteil der neu zugelassenen Autos tendenziell erhöht.
Das klingt zunächst einmal durchaus schlüssig. Jedoch muss untersucht werden, wie stark der genannte Effekt ist – vor allem unter realistischen Bedingungen. Es sei vorweggenommen, dass die Resultate ernüchternd sind, aber nicht wirklich überraschend.
Die CO2-Einsparung im Idealfall
Eine oberflächliche Analyse orientiert sich an im Idealfall, der sich implizit auf die folgenden Annahmen stützt:
- Ob ein Käufer sich für einen Diesel- oder einen Benzinmotor entscheidet, hat keinen Einfluss auf die gewählte Motorleistung.
- Auch das Fahrzeuggewicht bleibt in etwa gleich – beim Dieselmotor höchstens maßvoll erhöht durch dessen höheres Gewicht.
- Auch die pro Jahr gefahrenen Kilometer bleiben gleich.
In diesem Fall kann man die folgende Rechnung machen:
- Der Wirkungsgrad eines (gleich starken) Dieselmotors im typischen Fahrbetrieb liegt um einige Prozentpunkte höher als die eines Benzinmotors. Daraus ergibt sich eine Reduktion des Primärenergieverbrauchs um z. B. rund 10 bis 20 %. (Je nachdem, welche Motoren verglichen werden und welche Fahrbedingungen vorliegen, kann dieser Unterschied auch größer oder kleiner sein.)
- Die CO2-Emissionen werden um denselben Betrag reduziert, da bei den beiden Kraftstoffen die spezifischen Emissionen in Gramm CO2 pro Kilowattstunde ziemlich genau gleich sind. (Man beachte, das ein Liter Diesel ca. 13 % mehr Energie enthält und CO2-Emissionen verursacht als Benzin, was aber bei der obigen Rechnung keine Rolle spielt, weil diese sich nicht auf Volumina von Kraftstoffen bezieht.)
- Energieaufwand und Emissionen in der Raffinerie sind bei Diesel im Vergleich zu Benzin bei europäischen Verhältnissen minimal höher. (Für die ursprüngliche Version dieses Artikels wurde noch angenommen, Dieselkraftstoff sei in der Herstellung deutlich günstiger – was gemäß neueren Zahlen allerdings nicht der Fall ist.)
Wenn man es genauer wissen möchte, muss man die jeweiligen Fahrzeugmodelle konkret vergleichen. Ich habe dies einmal für eines der besonders gängigen Fahrzeuge getan, den VW Golf. Der emissionsgünstigste Benziner emittiert mit 99 g/km genauso viel CO2 wie der Verbrauchs günstigste Diesel – womit höchstens noch ein ganz geringfügiger Vorteil für den Diesel wegen der geringeren Emissionen in der Raffinerie übrig bleibt. (Mit Erdgasantrieb ging es übrigens noch etwas günstiger.) Bei manchen anderen Fahrzeugherstellern ist der Unterschied deutlich größer, jedoch auch kaum dramatisch.
Und in der Praxis?
In der Praxis sind leider mehrere Bedingungen deutlich anders, als für die oben beschriebene Rechnung angenommen wurde:
Gleiche Motorleistung?
Die Annahme, die Wahl eines Dieselmotors würde die Motorleistung nicht beeinflussen, ist leider unrealistisch. Während vor Jahrzehnten Dieselmotoren typischerweise schwächer waren, weil bei den damals eingesetzten Saugdieseln die Literleistung geringer ist und man den Hubraum nicht beliebig vergrößern wollte, ist es heute umgekehrt: Die Turbodieselmotoren sind im Schnitt deutlich leistungsstärker als die angebotenen Benzinmotoren. Dies gilt insbesondere, wenn ein umweltbewusster Käufer zwischen den jeweils schwächsten Motorvarianten wählt.
Die Folge einer höheren Motorleistung ist in der Regel, dass der durchschnittliche Wirkungsgrad im Fahrbetrieb wieder abnimmt, da dieser bei einem Verbrennungsmotor bei schwächerer Auslastung allgemein leidet.
Gleiches Fahrzeuggewicht?
Auch das Fahrzeuggewicht ist bei Dieselfahrzeugen im Schnitt erheblich höher – deutlich mehr als nur entsprechend dem Mehrgewicht des Motors. Das mag zum Teil daran liegen, dass sich der Einsatz des teureren Dieselmotors bei schwereren Fahrzeugen eben mehr lohnt und deswegen dort häufiger erfolgt. Es ist aber auch so, das Käufer häufig den in Litern pro 100 km angegebenen Kraftstoffverbrauch vergleichen, was die Sicht verzerrt, weil man leicht übersieht, dass Dieselkraftstoff pro Liter ca. 13 % mehr Masse und Energieinhalt hat, und um etwa denselben Betrag erhöhte CO2-Emissionen. Wenn man nun aber das Gefühl hat, das schwere SUV brauche doch gar nicht so viel Kraftstoff – etwa auch im Vergleich mit einem zehn Jahre früher gekauften leichteren Fahrzeug –, nimmt man dessen Verbrauch vielleicht eher in Kauf.
Man kann nun lange darüber spekulieren, in wieweit vergrößerte Motorleistung und höheres Fahrzeuggewicht eine Folge des erhöhten Dieselanteils sind. Jedoch ist es nun einmal so, dass beispielsweise bei in Deutschland neu zugelassenen Fahrzeugen die durchschnittlichen CO2-Werte von Diesel- und Benzinfahrzeugen sehr ähnlich sind (genauso wie im obigen Beispiel des VW Golf). Offensichtlich existiert also der oft beschworene Klima-Vorteil des Dieselmotors für die in Deutschland verkauften Fahrzeuge nicht, weil seine Vorteile durch erhöhte Leistungen erhöhtes Fahrzeuggewicht in etwa wieder ausgeglichen werden. Man nennt dies übrigens Rebound-Effekte.
Emissionen bei der Kraftstoffbereitstellung
Oben wurde erwähnt, dass die Kraftstoffherstellung bei Diesel minimal höhere Emissionen verursacht. Außerdem sind auch die Emissionen beim Transport zu beachten. Hier mag man zunächst annehmen, diese seien doch für Diesel und Benzin dieselben – eben von der Raffinerie zur Tankstelle. Interessanterweise stimmt dies aber nicht, und zwar aus den folgenden Gründen:
In einer Erdölraffinerien wird aus Rohöl eine ganze Palette von Produkten erzeugt, darunter Diesel und Benzin. Das Verhältnis der erzeugten Mengen lässt sich nur recht begrenzt beeinflussen. In Europa ist nun der Dieselanteil der Fahrzeugflotten so hoch, dass die Raffinerien einen zu geringen Anteil von Diesel herstellen; würde man die Gesamtproduktion entsprechend erhöhen, entstünde ein großer Überschuss an Benzin. Das wird nun dadurch ausgeglichen, dass Benzin z. B. in die USA exportiert wird, während man gleichzeitig Diesel von dort importiert. Die genannte "Verdieselung" in Europa hat also für einen Teil des Kraftstoffs massiv erhöhte Transportwege zur Folge. Mir liegen keine Zahlen vor, wie viel dies insgesamt genau ausmacht, jedoch ist es definitiv ein Faktor, der die Ökobilanz des Dieselkraftstoffs weiter belastet.
Gleiche Fahrleistung?
Statistiken zeigen, dass die durchschnittlichen jährlichen Fahrleistungen von Dieselfahrzeugen erheblich höher liegen. Das könnte im Prinzip auch daran liegen, dass Vielfahrer eben bevorzugt besonders sparsame Motoren auswählen und mit anderen Motoren auch nicht weniger fahren würden. Jedoch dürfte sich ein Stück weit auch hier wieder ein Effekt der Täuschung ergeben, die sich aus der Betrachtung von in Liter gemessenen Kraftstoffmengen ergeben. Wenn man das Gefühl hat, das Fahrzeug sei doch sehr sparsam und umweltfreundlich, wird man es tendenziell auch mehr benutzen – etwa auf Kurzstrecken, wo man auch mit dem Fahrrad fahren könnte, oder auf Langstrecken statt einer Zugfahrt. Auch hier ist eine präzise Messung des Effekts wohl kaum möglich. Jedoch kann man deswegen den Effekt nicht einfach ignorieren!
Fazit
Das Fazit diese Analyse ist klar: Auch wenn es durchaus richtig ist, dass Dieselmotoren im Prinzip eine gewisse Reduktion der CO2-Emissionen ermöglichen könnten, ist dieser Effekt in der Praxis marginal oder hat sogar die gegenteilige Richtung. Beispielsweise liegen die durchschnittlichen CO2-Emissionen der in den Niederlanden zugelassenen Fahrzeuge deutlich niedriger als in Deutschland, obwohl der Dieselanteil dort viel geringer ist. Dies liegt zum Teil gerade daran, dass Dieselkraftstoff in den Niederlanden steuerlich nicht begünstigt wird. Zusätzlich werden Fahrzeuge mit hoher Motorisierung höher besteuert.
Somit wird klar, dass das Festhalten an Dieselmotor und die steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoff eben nicht dem Klimaschutz dienen, sondern diesbezüglich sogar kontraproduktiv sind – zusätzlich zur Problematik der Luftschadstoffe, insbesondere Stickoxide. Wer wirklich Klimaschutz möchte, ergreift definitiv andere Maßnahmen – etwa die folgenden:
- Man schafft die steuerliche Bevorzugung von Dieselkraftstoff ab.
- Man setzt sich engagiert für realistischere Messverfahren für Kraftstoffverbrauch und Abgaswerte ein. (Unsere Bundesregierung hat genau das Gegenteil getan.)
- Vor allem drängt man auf strengere CO2-Vorgaben für die Fahrzeuge. (Auch hier tut unsere Bundesregierung das Gegenteil, mit Auswirkungen auf alle EU-Länder und darüber hinaus.)
- Man führt ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ein, was gleichzeitig auch die Zahl der Toten und Verletzten reduzieren und Kosten sparen würde.
- Man betreibt ernsthaft die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene, anstatt den Straßen- und Luftverkehr zu fördern.
- Man versucht mit einer breiten Palette von Maßnahmen das Verkehrsaufkommen langfristig zu reduzieren, etwa durch Maßnahmen in der Siedlungspolitik und die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung des Pendelns.
Meine Analyse führt zu genau den gleichen Resultaten wie diejenige des Umweltbundesamts (UBA) ("Klimaschutz geht auch mit Benzinern – Diesel überschätzt"). Man darf getrost davon ausgehen, dass diese Sachverhalte allein schon durch das UBA auch in der Bundesregierung bekannt sind; jedoch vermögen die Fakten deren Position offenbar nicht zu ändern. Es ist klar erkennbar, dass das Klimaschutzargument für den Diesel völlig unrealistisch ist, aber aus anderen Gründen – vermutlich besonders wegen der erhöhten Chancen auf große Parteispenden von der Automobilbranche – weiterverwendet werden muss.
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