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Klimaschutz: Es kommt auf Deutschland an

Erschienen am 18.10.2017 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2017_10_18.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Die Verhandlungen für eine neue deutsche Bundesregierung haben eine große Bedeutung für die Zukunft des Klimaschutzes - keineswegs nicht nur für Deutschland, sondern weit darüber hinaus. Die Chancen und Gefahren für den Klimaschutz in der aktuellen Situation werden hier ausführlich diskutiert.

Rüdiger Paschotta

In den nächsten Wochen werden intensive Verhandlungen zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen stattfinden mit dem Versuch, eine sogenannte Jamaika-Koalition zu bilden. Gerade auch für den Klimaschutz ist es von entscheidender Bedeutung, ob bzw. wie das gelingt.

Kommt es überhaupt auf Deutschland an?

Nun bezweifeln ja einige Zeitgenossen immer noch, dass es für das Gelingen des Klimaschutzes überhaupt wichtig sei, wie sehr es in Deutschland vorangeht – meist auf der Basis, dass der deutsche Beitrag zu den internationalen CO2-Emissionen ja "nur" ca. 2,5 % der globalen Emissionen ausmacht. Dass diese Argumentation unsinnig ist, sieht man auf den ersten Blick schon daran, dass die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen nicht davon abhängig sein kann, wie die Menschen politisch organisiert sind: Warum sollen Menschen, die in kleinen Ländern leben, von solchen Verpflichtungen freigesprochen werden? Würden wir etwa die Notwendigkeit des Klimaschutzes der Chinesen plötzlich nicht mehr sehen, wenn sich China plötzlich in 100 kleinere Länder aufteilen würde?

Relevant sind offensichtlich die Emissionen pro Kopf der Bevölkerung. Und hier liegen wir Deutschen leider nicht besonders gut: Wir haben einen Anteil von nur gut einem Prozent der Weltbevölkerung, sodass ein Anteil von zweieinhalb Prozent an den klimaschädlichen Emissionen weitaus überdurchschnittlich hoch ist. Es steht uns keineswegs gut an, mit dem Finger etwa auf die Chinesen zu zeigen, die pro Kopf immer noch erheblich weniger emittieren.

Die Bedeutung der deutschen Emissionen hat aber auch eine ganz wichtige Komponente, die nicht so einfach quantitativ erfassbar ist. Bekanntlich hat Deutschland mit seiner Energiewende einen international stark beachteten Weg eingeschlagen. Offensichtlich wäre es für den internationalen Klimaschutz verheerend, wenn Deutschland trotz einer Energiewende seine Klimaziele nicht erreichen würde. Natürlich würde dies weltweit die Kräfte fördern, die ohnehin so gut wie alle Maßnahmen der Emissionsminderung ablehnen. Wir würden in einem solchen Falle also massiv zum Scheitern des internationalen Klimaschutzes beitragen, und bekanntlich hätte dies nicht nur unangenehme, sondern katastrophale Folgen.

Leider ist es aber nun gerade so, dass Deutschland sein Klimaziel, seine Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 % im Vergleich zu 1990 zu senken, klar verfehlen wird, wenn nicht schnellstens wirksame Maßnahmen (insbesondere der Anfang des Kohleausstiegs) ergriffen werden. Die Politik der bisherigen Bundesregierung war eben jahrelang die, dass man Klimaschutz verbal begrüßte, aber ansonsten konkrete Maßnahmen dafür (Kohleausstieg, Tempolimit auf Autobahnen, stärkere Förderung der energetischen Sanierung von Gebäuden, stärkere Emissionssenkungen für Autos etc.) in der Regel ablehnte oder zumindest so weit wie möglich verzögerte. Das war eben eine völlig von Industrieinteressen korrumpierte Politik.

Klimaschutz dank Jamaika-Koalition?

Nun könnte diese Politik ja schon sehr bald grundlegend geändert werden. Es ist jedenfalls nicht zu erwarten, dass die Grünen an einer Koalition teilnehmen würden, wenn diese das genannte Klimaziel aufgäbe oder jedenfalls weiterhin ausreichende Maßnahmen zu dessen Erreichen blockieren würde. Andererseits scheint es zu dieser Koalition keine Alternative zu geben; die aus einem Scheitern resultierenden Neuwahlen wären für alle Beteiligten (v. a. für die Union) äußerst ungünstig. Von daher darf man wohl vorsichtig hoffen, dass in Deutschland ab dem nächsten Jahr der Klimaschutz wieder engagiert angegangen wird. Freilich ist auch vorstellbar, dass nach einem Scheitern des Jamaika-Projekts die SPD doch wieder Hand böte zu einer großen Koalition der klimapolitischen Bremser.

Viele fürchten derzeit, dass Jamaika an den klimapolitischen Forderungen der FDP scheitern könnte, und das ist leider keineswegs abwegig. An sich war die FDP in vergangenen Zeiten (Freiburger Programm 1971) eine bezüglich Ökologie sehr wohl fortschrittliche Partei. Aktuell bietet sie leider ein völlig anderes Bild, wie man beispielsweise am Beschluss ihres Bundesvorstands vom 06.06.2016 sehen kann:

  • Die Notwendigkeit des Klimaschutzes wird zwar grundsätzlich nicht bestritten.
  • Es wird aber gefordert, "das undifferenzierte Reduktionsziel von 40 Prozent Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 aufzugeben".
  • Man fordert "weltweit bindenden Emissionshandel als geeignetstes marktwirtschaftliches und technologieneutrales Steuerungsinstrument zur Reduktion der CO2-Emissionen". Das ist nun wirklich ein frommer Wunsch. Was aber soll man tun, um dieses Ziel zu Zeiten z. B. eines Donald Trump zu erreichen? Dazu keine Aussage. Vor allem aber, was tun, solange dieser internationale Emissionshandel nicht realisiert werden kann? Auch dazu fast nichts.
  • Immer wieder wird betont, die Ziele sollten durch marktwirtschaftliche Anreize statt durch politische Bevormundung erreicht werden. Bei den konkreten Maßnahmen wird man dann aber extrem vage. Ganz offensichtlich führt der marktwirtschaftliche Wettbewerb nicht zu Klimaschutz, solange die Folgen der klimaschädlichen Emissionen für die Emittenten nur externe Kosten bedeuten. Das könnte der Emissionshandel im Prinzip ändern, jedoch haben wir auf europäischer Ebene einen bislang überhaupt nicht funktionierten Emissionshandel, weil Politiker aufgrund des Drucks von Lobbyisten viel zu umfangreiche Emissionszertifikate ausgeteilt haben, was zu einem bodenlosen Preiszerfall und somit zur Unwirksamkeit des Systems führte. Von einem international funktionierenden Emissionshandel sind wir ohnehin meilenweit entfernt. Man kann durchaus die Meinung vertreten, dass dieser das Ziel sein müsste. Wenn man aber für die Zeit bis dahin – womöglich sind das noch viele Jahre – annähernd gar nichts tun möchte, ist das Scheitern garantiert.
  • Zusätzlich setzt sich die FDP noch für die Fracking-Technologie ein, also für eine weitere Erschließung von Quellen fossiler Energieträger – obwohl wir bekanntlich schon mehr als genug davon haben, um das Klima dieser Erde ganz gründlich durcheinander zu bringen. Man kann nun zwar argumentieren, das Erdgas immerhin weniger klimaschädlich sei als Kohle, aber selbst das ist keineswegs sicher wegen der beim Fracking oft relativ großen Methanverluste.

Damit ist also klar, dass die von der derzeitigen FDP angestrebte Politik keineswegs einfach nur Klimaschutz mit anderen (womöglich effizienteren) Mitteln bedeuten würde, sondern vielmehr faktisch eine Aufgabe des Klimaschutzes. Viel schlimmer ginge es wohl nicht mehr – das toppt nur noch die AfD, die keine Bedenken hat, sogar bestens abgesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu verleugnen. Man kann also nur noch hoffen, dass die FDP dieses Politikfeld am Ende den Grünen überlässt und sich selbst in anderen Bereichen profiliert, wo sie kompetenter ist. Vielleicht ist es ja auch so, dass die FDP-Politiker wichtige Zusammenhänge einsehen werden, wenn man es ihnen verständlich erklärt (etwa in den Koalitionsverhandlungen), und dann nicht stur auf ihren Positionen beharren werden.

Die von der FDP immer wieder vorgebrachten marktwirtschaftlichen Überlegungen kann ich übrigens sehr wohl nachvollziehen. Sie haben durchaus einen vernünftigen Kern – nur sind sie nicht zu Ende gedacht, unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände:

  • Im Prinzip könnte es sehr vorteilhaft sein, die detaillierte Umsetzung des Umweltschutzes den Marktkräften zu überlassen, nachdem der Staat entsprechende Rahmenbedingungen (etwa über den Emissionshandel) gesetzt hat. Der Markt könnte dann nämlich die jeweils effizientesten Maßnahmen auswählen, sodass der nötige Klimaschutzeffekt mit den geringst möglichen Kosten erreicht wurde, bzw. so viel Klimaschutz wie möglich mit begrenzten Ressourcen. Jedoch gilt es eine Reihe anderer Aspekte mit zu berücksichtigen, damit eine sinnvolle Strategie daraus wird:
  • Zunächst einmal bringen die schönsten Maßnahmen offenkundig nichts, wenn man von ihnen weiß, dass sie in absehbarer Zeit gar nicht realisierbar sind (z. B. ein internationales Emissionshandelssystem). Wer diesen entscheidenden Aspekt einfach ignoriert, muss sich fragen lassen, ob er den Klimaschutz in Wirklichkeit nur sabotieren will.
  • Verschiedentlich wurde behauptet (beispielsweise vom bekannten Prof. Hans-Werner Sinn), dass es sinnlos sei, parallel zum Emissionshandel Instrumente wie das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) einzusetzen. Das kann zwar auf den ersten Blick so erscheinen, stellt sich bei näherer Betrachtung aber als grundfalsch heraus. Das erkennt man z. B. ziemlich leicht schon daran, dass wir zum guten Teil nur wegen des deutschen EEG überhaupt die Möglichkeit haben, zu vertretbaren Kosten Strom aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Die viel geschmähten Einspeisevergütungen für anfänglich klar ineffiziente Energieerzeugung haben nämlich einen Markt geschaffen, der im Laufe der Jahre enorme Kostensenkungen ermöglicht hat. (Wer hätte gedacht, dass die Briten für Strom aus neuen Kernkraftwerken einmal deutlich mehr Geld bezahlen müssen als für Windstrom? Oder dass in den USA Solarstrom zum Teil schon billiger gewonnen werden kann als Kohlestrom – selbst ohne Emissionshandel!?) Ganz offensichtlich ist dieser Effekt für den internationalen Klimaschutz von riesiger Bedeutung – was gewisse marktwirtschaftliche Denker jedoch nicht davon abhält, dies einfach zu übersehen. Selbstverständlich hätten wir diese Durchbrüche nicht erreicht, wenn wir der FDP gefolgt wären auf ihrem marktwirtschaftlichen Pfad der Tugend. Oder behauptet jemand, die FDP hätte es geschafft, den Emissionshandel anstelle des EEG zum Funktionieren zu bringen, mit ähnlichen Kostensenkungen als Folge? Sie verrät ja nicht einmal, wie sie dies tun wollte; man hört und liest nur vages Geplapper.
  • Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Kosteneffizienz der marktwirtschaftlichen Instrumente zum guten Teil darauf beruht, dass man damit bevorzugt die "am niedrigsten hängenden Früchte" erntet. Das ist so lange sinnvoll, wie man ohnehin nur wenige Früchte benötigt, sodass die niedrig hängenden genügen. Für eine weitgehende Dekarbonisierung der weltweiten Energiewirtschaft, eine der Grundvoraussetzungen für die Abwendung einer Klimakatastrophe, gilt dies aber offensichtlich nicht. Hier kommt man in Regionen, in denen die in der Praxis erreichbare Effizienz von Märkten alles andere als unübertreffbar ist. Die anfänglich erreichbaren CO2-Vermeidungskosten mögen zwar recht niedrig sein, sind aber ein ziemlich unzureichendes Maß für die Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit der Maßnahmen.

Wer sich für eine detailliertere Diskussion der marktwirtschaftlichen Instrumente interessiert, dem empfehle ich die Lektüre meines früheren Artikels "Klimaschutzeffekt des EEG".

Hoffen wir also, dass die Vernunft in der gegebenen Situation eine sogar besondere Chance hat, sich zu Gunsten des Klimaschutzes durchzusetzen. Es kann doch wohl kaum sein, dass die FDP die Koalition etwa daran scheitern lassen wird, dass das ganz sicher nicht in der nächsten Legislaturperiode erreichbare internationale Emissionshandelssystem nicht zur neuen Grundlage der deutschen Klimapolitik gemacht wird. Und für die Beschwichtigung der CSU könnte man vielleicht eine Obergrenze für den Strompreis als Richtwert einrichten, bei dessen Überschreitung sie meckern darf. Solange gleichzeitig eine Obergrenze für den Grad der Verantwortungslosigkeit der Politik eingehalten wird, kann man dies verschmerzen.

Fragen und Kommentare von Lesern

18.10.2017

Bravo für diesen Artikel.

Man könnte vielleicht ergänzen, dass andere Länder durchaus in der Lage sind, dem Prinzip "Emissionen müssen etwas kosten" auf die Beine zu helfen – so hat zum Beispiel das Vereinigte Königreich einen staatlichen Mindestpreis für CO2-Zertifikate eingeführt. Dies ist ohne Weiteres in Deutschland auch zu machen.

Antwort vom Autor:

Die deutschen Emissionen ließen sich damit erheblich senken und das Klimaziel 2020 einhalten. Leider ist zu befürchten, dass ein wesentlicher Teil der Emissionsminderung im Ausland zunichte gemacht würde – deutscher Kohlestrom würde durch Kohlestrom aus ausländischen Kraftwerken ersetzt, wenn wir weniger exportieren.

Von daher kann man schon argumentieren, dass unbedingt der europäische Emissionshandel zum Funktionieren gebracht werden müsste, um das Problem wirklich zu lösen. Die Frage ist nur, wie wir dorthin kommen sollen. Wenn unser "Vorbild" darin bestehen soll, dass wir die Nachbarländer mit billigem aber dreckigem Kohlestrom beliefern und unsere Regierung gleichzeitig Emissionsminderungen auf EU-Ebene z. B. bei Autos torpediert, wird das wohl nichts; wir sind so nicht glaubwürdig. Dagegen kann ein Vorpreschen wie das von Großbritannien mit einem CO2-Mindestpreis diejenigen Kräfte in der EU stärken, die dasselbe wollen, und damit eine EU-weite Lösung begünstigen.

Genauere Informationen finden Sie in einer WWF-Studie: "Den europäischen Stromhandel flankieren"

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