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Autonom fahrende Autos: Was ändert das an unserer Mobilität?

Erschienen am 14.11.2017 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2017_11_14.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Oberflächlich betrachtet, könnte man autonom fahrende Autos als eine ziemlich unnütze Erfindung abtun. Jedoch dürften sie die Zukunft der Mobilität stark beeinflussen - je nach der gewählten Verkehrspolitik in sehr günstiger oder auch bedenklicher Weise.

Rüdiger Paschotta

Seit einiger Zeit hört man mehr und mehr über die Entwicklung autonom fahrender Autos. Das beginnt zunächst mit Fahrzeugen, die z. B. nur automatisch in eine Parklücke fahren können, aber es ist auch schon möglich, Fahrzeuge auf einer Autobahn automatisch in der Spur halten zu lassen oder gar Überholvorgänge durchzuführen. Die Zielvorstellung ist natürlich, am Ende vollkommen autonom fahrende Autos zu haben, die dies sogar wesentlich sicherer tun als menschliche Fahrer. Das ist zwar technisch vermutlich um einiges anspruchsvoller, als viele denken. Jedoch dürften diese Herausforderung mit großem Einsatz angegangen und deswegen letztendlich gut gelöst werden. Die Frage ist wohl nur, wie lange es dauern wird, bis die Technik zuverlässig funktioniert und die rechtlichen Probleme gelöst sind (Straßenzulassung, Haftungsfragen usw.). Jedenfalls dürften entsprechende Lösung wahrscheinlicher sein als etwa die Entwicklung eines Wunder-Antriebs, der die Energieeffizienz und Abgasfreiheit von Elektroautos mit der Reichweite und schnellen Ladefähigkeit von Benzinautos verbindet, und dies möglichst noch ohne die elektrische Infrastruktur an ihre Grenzen zu bringen.

Was ändert es, wenn mein Auto selbst fahren kann?

Hier soll es nun um die sehr interessante Frage gehen, was dies für die Zukunft des Verkehrs bedeutet. Die meisten gehen hierbei ganz selbstverständlich von der Vorstellung aus, dass sie in Zukunft genau wie bisher alle paar Jahre ein neues Auto kaufen werden und dieses dann eben irgendwann auch einmal automatisch fahren kann. So entsteht leicht der Eindruck, es handle sich um nicht viel mehr als eine nette Spielerei, die man normalerweise eigentlich nicht braucht – allenfalls, wenn man beispielsweise aus Altersgründen fahruntauglich wird und ein solches Auto einen dann immer noch zu den gewünschten Zielen bringt. Mit der Zeit kommen vielleicht noch ein paar nette Ideen dazu: Man muss die Kinder nicht mehr eigenhändig hierhin und dorthin transportieren, sondern kann zu Hause etwas anderes tun, während das Auto dies allein erledigt. Ein anderes Mal könnte man sich zum Bahnhof bringen lassen ohne Sorge, dort einen Parkplatz zu finden, weil das Auto einfach selbst wieder nach Hause fährt. Aber eine revolutionäre Umwälzung würden solche Dinge immer noch nicht bedeuten.

Carsharing profitiert enorm

Revolutionär wird die Sache erst, wenn man das bisherige Modell der Fahrzeugnutzung nicht für alle Zukunft voraussetzt.

Bereits heute nutzen mehr und mehr Leute das Carsharing: Sie besitzen selbst kein Auto mehr und mieten sich auf die Schnelle eines, wenn sie es mal brauchen – aber dies ohne viel administrativen Aufwand, weil über eine Carsharing-Mitgliedschaft dies in kurzer Zeit für das ganze Jahr erledigt werden kann, und auch kostengünstiger. Jedoch ist manches daran immer noch recht unpraktisch. Beispielsweise muss man erst mal zu dem Standort gelangen, wo einem das Auto zur Verfügung steht – ggf. mit allen Sachen, die auch noch mit müssen. Oder man fährt von dort erst wieder zurück nach Hause, um die Sachen einzuladen. Weitaus praktischer wäre es natürlich, wenn das Auto einfach selbst zu einem käme. Dann wäre es ähnlich wie mit einem Taxi, nur dass eben kein Taxifahrer benötigt wird, was die Sache viel billiger macht; man spricht hier von Robotertaxis. Wenn das Auto selbst fährt, entfällt auch die für manche unangenehme Gewöhnung an immer wieder andere Fahrzeuge.

Weitere wichtige Vorteile entstehen im Zusammenhang mit Elektroautos. Für viele kommt das ja bislang nicht infrage, wenn man am Haus etwa als Mieter keine Ladestation dafür bekommt. Wenn das Auto aber selbst zu einer zentralen Ladestation im Ortsteil fahren kann, entfällt dieses oft große Problem. Auch das Reichweitenproblem verflüchtigt sich, wenn man für eine längere Strecke notfalls eben zwei Autos nacheinander verwenden kann – bei Carsharing ja kein Problem, ganz anders als beim Privatauto.

Es ist also klar, dass das Carsharing viel attraktiver werden wird, sobald die Fahrzeuge autonom fahren können, und dass die Elektromobilität dann viel bessere Möglichkeiten erhält. Das dürfte diesen Trend massiv verstärken, und entsprechend weniger Leute werden sich ein eigenes Auto (oder gar noch einen Zweitwagen) halten.

Für die Wirtschaftlichkeit ist wichtig, dass Fahrzeuge im Carsharing viel häufiger genutzt werden, während viele privat gehaltene Fahrzeuge nur wenige Male pro Woche für kurze Zeit bewegt werden. Das bedeutet, dass so ein Fahrzeug viel mehr Kilometer zurücklegen kann, bevor es ersetzt werden muss. (Bei heutigen Autos wird die potenzielle Lebensdauer des Antriebs ja oft längst nicht ausgenutzt, weil sie vorher verrosten oder sonst alles mögliche aus dem Leim geht.) Daraus ergibt sich, dass die Anschaffungskosten, umgelegt auf die gefahrenen Kilometer, weniger wichtig werden. Beispielsweise werden die Kosten für ein teures Batteriesystem damit viel eher tragbar als etwa bei einem Zweitwagen, den man einmal pro Woche kurz benutzt. Eine weitere Folge ist natürlich, dass bei gleicher Fahrleistung pro Person und Jahr wesentlich weniger Autos hergestellt werden müssen, weil die vorhandenen besser genutzt werden. Dies spart in erheblichem Maß Herstellungskosten, auch Energieaufwand für die Produktion, und andererseits ist es natürlich ein riesiges Problem für die Autohersteller. Dafür entstehen wieder viele neue Arbeitsplätze für den Service: Reinigung und Wartung der Fahrzeuge, Administration, Integration der Angebote in IT-Systeme, etc.

Wie nutzen wir zukünftig Autos?

Die obigen Überlegungen zeigen, dass sich die Art der Nutzung von Autos absehbar sehr stark ändern wird, sobald völlig autonom fahrende Autos technisch möglich sind. Dies kann in verschiedener Weise auch wesentliche Auswirkungen auf unseren Energieverbrauch haben. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Szenarien:

  • Wenn wir in etwa gleich viel fahren würden wie früher, nur eben weitgehend mit Carsharing anstatt mit privat angeschafften Autos, könnte der Energieaufwand deutlich sinken, weil solche Autos aufgrund der stärkeren Ausnutzung bessere Technik haben können und weil deutlich weniger Autos hergestellt werden müssen.
  • Es ist aber möglich, dass wir deutlich mehr fahren werden als früher, wenn dies so praktisch wird. Beispielsweise könnten etliche Benutzer vom öffentlichen Verkehr auf solche Autos umsteigen. Und Berufspendler würden auch lange Zeiten im Stau leichter akzeptieren, wenn sie diese Zeit im Auto besser nutzen könnten – etwa um sich auf die Arbeit vorzubereiten, gar mit der Arbeit zu beginnen (etwa schon mal die E-Mails abarbeiten) oder auch die Zeitung zu lesen. Die Staus würden mit einer solchen Entwicklung natürlich weiter zunehmen, und der Energieverbrauch ebenfalls. Elektroautos sind zwar vom Antrieb her ziemlich sparsam im Stau oder stockenden Verkehr, aber mit Klimatisierung an kalten oder heißen Tagen entsteht dann doch ein ziemlicher Energieverbrauch
  • Andererseits ist es aber auch möglich, dass zumindest längere Strecken vermehrt mit öffentlichem Verkehr zurückgelegt werden, weil es wesentlich praktischer wird, beispielsweise zum Bahnhof zu gelangen und vom Endbahnhof zum Endziel. (Das könnte zukünftig so funktionieren, dass man beim Buchen der Fahrkarte nicht nur das Zugticket bekommt, sondern gleich auch die Buchung für die benötigten beiden Autos.) Es wäre auch denkbar, dass ein selbstfahrendes Auto regelmäßig gleich mehrere Berufspendler nacheinander zu Hause abholt und zum nächsten Bahnhof bringt. Natürlich müssen dies nicht unbedingt Fahrzeuge in Pkw-Größe sein; schließlich könnten beispielsweise Kleinbusse genauso autonom fahren. Die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Verkehr würde ein Stück weit verwischt, wenn beispielsweise der Bus "persönlicher" wird, indem er gezielt bestimmte Kunden abholt, die ihn gebucht haben. Auf solchen Wegen könnte schließlich der Klimaschutz auch im Verkehr realisiert werden, und dies zu sehr vertretbaren Kosten.

Die Informationstechnologie wird bei solchen Entwicklungen eine sehr wesentliche Rolle spielen – keineswegs nur für die Realisierung des autonomen Fahrens, sondern eben auch für eine möglichst wirtschaftliche Koordination des Einsatzes. Beispielsweise könnten EDV-Systeme die Nutzer danach befragen, wohin sie wann gelangen möchten, und die Betriebsmittel dann flexibel entsprechend einsetzen. Es wäre etwa vorstellbar, dass man nach Eingabe der gewünschten Fahrt gefragt wird, ob es auch ein klein wenig früher ginge, damit das gleiche Fahrzeug noch jemand anderen mitnehmen kann (mit einem Rabatt für den Kunden als Belohnung für die Kooperation). Man könnte auch gefragt werden, ob es in Ordnung ist, für den größten Teil der Strecke den Zug zu verwenden, oder ob man deutlich mehr zahlen würde dafür, dass einen das Auto direkt und ohne weitere Mitfahrer zum Ziel bringt. Für den wirtschaftlichen Einsatz der Betriebsmittel wie auch für die Akzeptanz des gesamten Systems sind solche Optimierungen essenziell.

Was bringt die Zukunft?

Derzeit ist völlig offen, wie genau sich unsere Mobilität entwickeln wird und ob dies wesentlich zur Lösung unserer Mobilitätsprobleme beitragen wird oder diese gar noch verschlimmert. Wie oben angedeutet, sind Lösungsbeiträge gut vorstellbar etwa durch verbesserte Möglichkeiten für Elektromobilität und öffentlichen Verkehr, damit verminderten Energieverbrauch und weniger Abgase, verringerte Auslastung der Straßen und somit weniger Staus etc. Genauso gut denkbar ist aber, dass der Individualverkehr so noch weiter zunimmt und die Staus noch schlimmer werden, obwohl diese mit Elektrofahrzeugen wenigstens nicht zu vermehrter Abgasbelastung führen müssten.

Wie sich das entwickelt, wird natürlich entscheidend von der Verkehrspolitik abhängen, nicht etwa hauptsächlich von technischen Fortschritten. Die Politik kann nämlich durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen die kommenden Entwicklungen sehr maßgeblich beeinflussen. Wenn sie wie bisher praktisch nur als Diener der Industrie agieren wird, werden trotz aller technischer Fortschritte wohl viele Probleme ungelöst bleiben. Dann bekämen wir zwar zunehmend Elektrofahrzeuge, aber weiterhin keinen nennenswerten Klimaschutz-Beitrag im Verkehrssektor, noch weiter zunehmende Staus, hohe Kosten für die Infrastruktur (Straßenbau, Ladestationen usw.). Aber vielleicht lernen die Wähler ja mit der Zeit doch noch, dass es ihnen nichts bringt, Politiker zu unterstützen, die immer nur die Profiteure des status quo beschützen und damit Zukunftslösungen blockieren (etwa erneuerbare Energien ausbremsen, den Kohleausstieg verzögern, durch steuerliche Abschreibungen Energie verschwendende Firmenwagen subventionieren etc.). Es ist so offensichtlich, wie armselig und wie wenig zukunftsträchtig solche Politik ist.

Man muss freilich nicht nur auf die Politik warten; die Nachfrage gestaltet auch schon vieles. Wir sehen jetzt schon den starken Trend zum Carsharing, der durch die jetzt allmählich anlaufende Elektromobilität verstärkt und in einigen Jahren auch durch selbstfahrende Autos noch mehr beschleunigt werden wird. Einige wichtige Autohersteller haben den Trend bereits erkannt und scheinen sich auf eine Zukunft als Mobilitätsanbieter einzustellen, um sich von den Fahrzeugverkäufen weniger abhängig zu machen. Damit unterstützen sie zwar im Prinzip genau die Entwicklung, die den Absatz von Autos bremsen wird, aber sonst würden sie eben von der Entwicklung überrollt. Vielleicht bekommen wir also selbst ohne eine vernünftige Verkehrspolitik mehr und mehr ein System, welches praktische und kostengünstige Mobilität im Einklang mit dem Klimaschutz ermöglicht. Aber natürlich ginge mit mehr Vernunft alles schneller, besser und kostengünstiger.

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