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Diesel-Nachrüstung gegen Stickoxide: wirksam

Erschienen am 09.05.2018 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2018_05_09.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Die Nachrüstung der Abgasreinigungsanlage vieler Diesel-Fahrzeuge wäre dringend notwendig, um massive gesundheitliche Gefährdungen durch giftige Abgase zu reduzieren. Ein kürzlich geleaktes Gutachten eines Experten zeigt, dass solche Nachrüstungen sehr effektiv, praktikabel und bezahlbar wären.

Rüdiger Paschotta

Seit dem September 2015 ist der Diesel-Abgasskandal in der Presse ausführlich behandelt worden – ebenfalls auf dieser Website. Ich konzentriere mich hier hauptsächlich auf die technischen Aspekte, wobei politische Aspekte gelegentlich aber auch zur Sprache kommen; siehe beispielsweise den Artikel vom 18.04.2017 über den Zusammenhang dieses Skandals mit der Problematik der Korruption.

Heute geht es um ein Thema mit technischen und politischen Aspekten – die Frage, ob es realistisch wäre, die Problematik der hohen Stickoxid-Belastung vor allem in den Ballungszentren durch die Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen anzugehen. Aktueller Anlass ist die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 27.04.2018.

Der Hintergrund

Zunächst möchte ich die Hintergründe kurz erklären. Bekanntlich wurde inzwischen mehreren Autoherstellern nachgewiesen, dass sie in der Motorsteuerung eine Software eingesetzt haben, die als "defeat device" gilt, d. h. die Abgasreinigung deaktiviert oder herunterregelt, wenn das Gerät "merkt", dass sich das Fahrzeug momentan nicht in einem offiziellen Abgastest befindet. Im Einzelnen wird zwar hier und da noch darüber gestritten, ob solche Einrichtungen als "defeat devices" zwecks Abgas-Betrug auch im rechtlichen Sinne zu werten sind, aber jedenfalls ist für den größten Teil der in den letzten Jahren verkauften Diesel-Fahrzeugen unstrittig, dass sie im Praxisbetrieb weitaus höhere Stickoxid-Emissionen erzeugen, als sie es nach den angegebenen offiziellen Testresultaten dürften. Teils versuchen Hersteller und ihre Gehilfen (Anwälte, Politiker etc.), diese leider sehr verbreitete Praxis mit dem nötigen Bauteilschutz zu rechtfertigen, worüber ich auch schon geschrieben habe. Hier sei nur noch einmal kurz daran erinnert, dass gemäß der einschlägigen EU-Richtlinie, die die Messverfahren für Kraftstoffverbrauch und Abgaswerte regelt, die Abgasreinigungsanlage auch unter normalen Nutzungsbedingungen funktionieren muss; das verbietet selbstverständlich z. B. Anlagen, die mindestens im Winter unwirksam sind.

Andererseits ist bekannt, dass die Stickoxid-Immissionen (d. h. die entstehenden Konzentrationen dieser Luftschadstoffe z. B. an viel befahrenen Straßen) vielfach viel zu hoch sind: Sie liegen nämlich in einem gesundheitlich sehr bedenklichen Bereich (der auch in Deutschland jedes Jahr zu unzähligen vorzeitigen Todesfällen führt) und auch regelmäßig oberhalb der EU-weit geltenden Grenzwerte. Deswegen wurde die Bundesregierung von der EU schon mehrfach aufgefordert, wirksame Maßnahmen zur Luftreinhaltung einzuleiten. Leider gibt es aber nur sehr begrenzte Möglichkeiten für solche Maßnahmen, die einerseits effektiv sind und andererseits keine inakzeptablen Nebenwirkungen haben. Sehr wünschenswert wäre natürlich, dass man das Problem mit technischen Mitteln wenigstens ein Stück weit entschärfen könnte – etwa durch eine technische Nachrüstung.

Software-Updates

Etliche Fahrzeuge haben bereits ein sogenanntes Software-Update erhalten. Dies bedeutet, dass lediglich ein in der Motorsteuerung eingesetztes Computerprogramm durch eine verbesserte Version ersetzt wird. Hierzu muss lediglich ein spezielles Gerät für kurze Zeit an die Motorsteuerung angeschlossen werden, um das aktualisierte Programm zu installieren; das ist natürlich sehr kostengünstig möglich – mit moderatem Aufwand für den Hersteller für die Entwicklung (die ja nur einmal für jeden Motortyp nötig ist) und ebenfalls moderatem Aufwand für die Werkstatt und die Kunden.

Leider sind solche Software-Updates nur sehr begrenzt wirksam. Beispielsweise kann das Zurückregeln der Abgasrückführung erst bei tieferen Umgebungstemperaturen als früher erfolgen, wenn der Hersteller sich vergewissert hat, dass diese Änderung keine schwerwiegenden technischen Probleme auslösen wird. Hier gibt es aber meistens wohl kein allzu großes Verbesserungspotenzial, da die Resistenz der verbauten Technik z. B. gegen Ablagerungen, die beim Einsatz der Abgasrückführung bei tieferen Temperaturen entstehen, so nicht verbessert werden kann. Eine andere Möglichkeit ist, eine bisher nicht ausreichende Dosierung von Harnstoff-Lösung (AdBlue) für einen SCR-Katalysator zu erhöhen – wodurch aber natürlich der Verbrauch dieser Lösung ansteigt und dazugehörige Tank entsprechend häufiger nachgefüllt werden muss.

Auch Praxismessungen haben ergeben, dass Software-Updates zwar die schädlichen Emissionen meist deutlich reduzieren können, aber häufig bei weitem nicht genug, um die beim Verkauf angegebene Abgasnorm tatsächlich zu erfüllen.

Hardware-Nachrüstungen

Eine viel effektivere Maßnahme ist es, auch die Hardware der Fahrzeuge (also die verbaute Technik v. a. für die Abgasreinigung) zu ergänzen. Hierfür gibt es unterschiedliche technische Optionen:

  • Das System für die Abgasrückführung (AGR) kann so modifiziert werden, dass diese Technik verstärkt eingesetzt wird, d. h. auch bei niedrigeren Betriebstemperaturen. Hier besteht aber das Problem, dass dann Ablagerungen auf bestimmten Bauteilen (z. B. dem AGR-Ventil) entstehen und u. U. zu ernsten Defekten führen können. Zwar kann man beispielsweise Abgasventile mit verstärktem Antrieb einbauen, die weniger empfindlich auf Ablagerungen reagieren, jedoch werden solche Maßnahmen in der Entwicklung recht aufwendig, da man ja sicherstellen muss, dass die Technik in einem weiten Bereich von Betriebsbedingungen auf Dauer zuverlässig funktioniert.
  • Man kann einen NOx-Speicherkatalysator nachrüsten, der einen guten Teil der Stickoxide aus dem Abgas entfernen kann. Dies erfordert allerdings ebenfalls eine Modifikation der Motorsteuerung, um die regelmäßig nötige Regeneration des Katalysators und gelegentlich auch eine aufwendigere Desulfatisierung (Entschwefelung) zu erzielen. Auch hier ist die Entwicklung ziemlich aufwendig und langwierig.
  • Alternativ kann man einen SCR-Katalysator nachrüsten. Diese Art von Katalysator kann die Stickoxide wesentlich effektiver entfernen, benötigt hierfür allerdings die stetige Zugabe von Ammoniak-Gas, welches aus einer wässrigen Harnstofflösung (AdBlue) gebildet wird. Ein Nachteil ist also, dass ein zusätzlicher Tank für die Harnstoff-Lösung eingebaut und regelmäßig nachgefüllt werden muss. Auf der anderen Seite ist der Entwicklungsaufwand wesentlich geringer, da man nicht so tief in die Motorsteuerung eingreifen muss; man braucht z. B. keine Regenerierungen des Katalysators durchführen. Die Nachrüstung betrifft also weniger Details der vorhandenen Technik, wodurch solche Maßnahmen schneller und kostengünstiger zu entwickeln sind. Das System sollte aber solide entwickelt sein, beispielsweise um Ammoniak-Schlupf (also Ammoniak-Emissionen durch Überdosierung) zu vermeiden.

Die Wachtmeister-Studie

Die Bundesregierung hat letztes Jahr eine technische Studie eines Experten der Abgasreinigung-Technik (Prof. Dr.-Ing. Georg Wachtmeister) bestellt und Anfang 2018 erhalten. Auch danach hat die Bundesregierung weiter die Ansicht der Autoindustrie vertreten, dass solche Hardware-Nachrüstungen keine praktikable Lösung darstellten und man deswegen nach anderen Lösungen suchen müsste – wobei man allerdings keine gefunden hat, die wirklich effektiv wären. (Umfangreiche Fahrverbote etwa wünscht man politisch nicht, was ja auch nachvollziehbar ist.) Nun ist die genannte Studie aber der Deutschen Umwelthilfe zugespielt worden und wurde von dieser veröffentlicht. So konnte ich das Gutachten nun auch studieren und kann im Folgenden zusammenfassend über die Resultate berichten.

Wachtmeisters Gutachten konzentriert sich zunächst einmal auf Fahrzeuge der Emissionsklassen EU 5 und EU 6, und zwar solche mit hohen Zulassungszahlen. Für diese wurden drei verschiedene Maßnahmen der Umrüstung diskutiert, die ich alle weiter oben erklärt habe. Betreffend Verbesserungen an der Abgasrückführung wie auch den Einbau von Speicherkatalysatoren ist der Gutachter skeptisch, weil in beiden Fällen erhebliche Eingriffe in die Motorsteuerung notwendig wären. Dagegen bezeichnet er den nachträglichen Einbau von SCR-Katalysatoren als eine sehr effiziente Maßnahme zur Emissionsreduzierung (mit Reduktionsraten bis zu 90 %) und schlägt diese für die Nachrüstungen konkret vor. Er hält die Maßnahme nämlich auch für praktikabel, da er keine wesentlichen Hindernisse findet – jedenfalls wenn wie von ihm empfohlen die Nachrüstung durch die Fahrzeughersteller nicht nur bezahlt, sondern auch technisch vorgenommen wird. Anders als eine die unabhängigen Anbieter auf dem Nachrüstmarkt verfügt ein Fahrzeughersteller nämlich über umfangreiche Daten und kann auch die Motorsteuerung ggf. etwas anpassen, z. B. für Verbesserungen in der Warmlaufphase. Eine andere Variante wäre, dass unabhängige Anbieter zumindest mit den Fahrzeugherstellern zusammenarbeiten. Auch diesen Weg betrachtet der Gutachter also als erfolgversprechend. Er hat hierfür eine Liste von Aspekten ausgearbeitet, die bei solchen Entwicklungen zu beachten sind, um maximale Effektivität und Zuverlässigkeit der Lösung zu erzielen.

Besonders günstig ist die Situation für Fahrzeugmodelle, für die es bereits Varianten für den US-Markt (mit seinen strengeren Abgasvorschriften) gibt; für diese wurde in der Regel bereits ein SCR-Katalysator eingesetzt. (Es ist unverständlich, dass die Hersteller nicht einmal in diesen Fällen schnelle Abhilfe versprechen.) Auch in anderen Fällen dürfte ein Großteil der benötigten Hardware-Komponenten bereits entwickelt, für den Hersteller also leicht verfügbar sein.

Auch die Gefahr eines erhöhten Kraftstoffverbrauchs wurde thematisiert, jedoch erwartet der Gutachter keine erheblichen negativen Wirkungen – insbesondere bei Entwicklung durch den Fahrzeughersteller.

Das verbleibende Problem sind die Kosten, zu der Gutachter grob auf ca. 3000 € schätzt; er geht hier etwas höher als Schätzungen von Firmen des Nachrüstmarktes. Diesen Aufwand schätzt er jedenfalls auch für Fahrzeuge der Abgasklasse EU 5 als verträglich ein.

Wertung der Resultate

Es ist ziemlich klar, dass die Schwierigkeiten einer Umrüstung von denjenigen, denen sie Kosten verursachen würden, häufig ziemlich übertrieben dargestellt werden. Schon gar nicht einzusehen ist, dass Autofirmen beispielsweise in die USA problemlos Fahrzeugmodelle mit SCR-Katalysatoren liefern können, bei uns aber hier zu unfähig sein sollen. Die benötigten Komponenten sind längst verfügbar und wurde nur aus Kostengründen in hier verkaufte Fahrzeuge nicht eingebaut.

Auch die Wachtmeister-Studie hat gezeigt, dass umfangreiche Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen sehr wohl technisch machbar sind und eine massive Verbesserung der Abgaswerte zur Folge hätten. Dies bestätigt Erkenntnisse aus anderen Quellen, etwa Angaben von Herstellern des Nachrüst-Marktes.

Natürlich ist es letztendlich eine politische Frage, welche Kosten akzeptabel sind und inwieweit diese von den Autoherstellern zu tragen sind. Jedoch lässt sich wohl schwer argumentieren, dass Herstellern, die massenhaft Fahrzeuge mit nicht ausreichend funktionsfähigen Abgasreinigungsanlagen in Verkehr bringen und in diesem Zusammenhang teils sogar massiven Betrug begangen haben, solche Kosten nicht zumutbar sind – während sie regelmäßig Gewinne in Milliardenhöhe einfahren.

Im Gutachten kaum angesprochen wurde leider der zeitliche Rahmen. Sicherlich wird die Entwicklung von Nachrüst-Maßnahmen eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, die Durchführung bei vielen Fahrzeugen dann nochmals. Natürlich macht eine Nachrüstung wenig Sinn für Fahrzeuge, die dann bereits recht alt sein werden. Jedoch gibt es sicherlich noch viele Fahrzeuge, für die eine Nachrüstung in z. B. zwei oder drei Jahren noch sehr sinnvoll wäre, weil sie danach noch viele Kilometer fahren werden. Leider ist aber zu befürchten, dass unsere Bundesregierung entsprechende Entscheidungen im Sinne der Fahrzeughersteller, von denen die Parteien (v. a. CDU, CSU und SPD) ja bekanntlich Spenden in großem Umfang beziehen, wieder nach Möglichkeit vermeiden oder zumindest hinauszögern wird. Da gleichzeitig nicht absehbar ist, wie das ernste Gesundheitsproblem durch die erhöhten Emissionen gelöst werden könnte, werden wohl noch viele Menschen leiden und sterben, bis diese Problematik einmal wirklich gelöst ist.

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