Weitere peinliche Fehler der Lungenärzte – nicht nur Rechenfehler
Erschienen am 15.02.2019 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)
Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2019_02_15.html
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG
Inhalt: Den Lungenärzten, die sich lautstark gegen geltende Immissionsgrenzwerte für Stickoxide und Feinstaub aufgeregt hatten, wurden Rechenfehler in entscheidenden Punkten vorgeworfen. Eine genauere Analyse zeigt, dass es sich sogar um äußerst peinliche Denkfehler handelt, die an sich noch schwerwiegender sind als reine Rechenfehler. Die eingenommene Position wird damit noch unhaltbarer.
Kürzlich habe ich berichtet über den Kampf einiger Lungenärzte gegen Immissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe. Nun sind noch neue interessante Fehler dieser Leute aufgedeckt worden, wobei andererseits auch diese Kritik teilweise nicht ganz stimmt. Da offenbar sowohl die Lungenärzte als auch Journalisten mit solchen Dingen leicht mal überfordert sind und außerdem die Sache derzeit viele interessiert, schreibe ich nun nochmals über diese Thematik.
Fehler zum Thema Stickoxide
Aufgedeckt wurden die Fehler in einem Artikel der taz vom 13.02.2019. Zunächst einmal ging es wieder um die Stickoxide, und zwar um den Vergleich der Belastungen durch Straßenverkehr und das Rauchen. Hierzu war der Lungenarzt Dieter Köhler im Deutschen Ärzteblatt so zitiert worden:
'Man kann die Studie relativ einfach dadurch widerlegen, dass man die NO2-Menge im Zigarettenrauch als Vergleich nimmt', sagt Köhler im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Die liege bei rund 500 μg (also 500 Millionstel) pro Zigarette. 'Nimmt man zur Konzentrationsberechnung ein Atemvolumen beim Rauchen einer Zigarette von 10 Litern an, so inhaliert man 50 000 μg pro Kubikmeter Luft. Bei einer Packung am Tag wäre das 1 Million Mikrogramm.'
In der taz wurde der letzte Satz nun dahingehend kritisiert, dass es in Wirklichkeit nur 10.000 Mikrogramm seien (nämlich 20 mal 500 μg), wenn man eine Schachtel mit 20 Zigaretten annehme. Mir scheint aber, dass Herr Köhler damit falsch verstanden wurde: Er meinte wohl eine Konzentration in der Atemluft von 1 Million Mikrogramm pro Kubikmeter. Zwar fehlte in seinem Satz dieser Kubikmeter, so dass man annehmen könnte, er meine damit wirklich eine absolute Menge und nicht eine Konzentration. Jedoch hätte er kaum im vorhergehenden Satz eine solche Konzentration berechnet, wenn es ihm nicht genau darum gegangen wäre. Sein tatsächlicher Gedankengang war also offenbar der folgende: Wenn man bei einer Zigarette 50 000 μg NO2 pro Kubikmeter Luft einatmet, müssen es bei 20 Zigaretten eine Million μg pro Kubikmeter sein. Das ist dann nicht etwa ein Rechenfehler, sondern vielmehr ein ganz peinlicher Denkfehler. Selbstverständlich hat man bei jeder zusätzlichen Zigarette wieder dieselbe Konzentration, weil man deren Dreck ja auch zusammen mit zusätzlicher Luft einatmet. (Man raucht die 20 Zigaretten schließlich nicht gleichzeitig!) Nebenbei bemerkt ist die von Köhler angenommene Atemluftmenge pro Zigarette ziemlich niedrig angesetzt, aber darauf kommt es am Ende nicht an.
Wenn man den ohnehin schon sehr schrägen Vergleich wenigstens logisch und quantitativ korrekt durchführen wollte, müsste man es folgendermaßen anstellen:
- In 24 Stunden atmet ein Erwachsener grob geschätzt 10 m3 Luft ein, falls er bewegungsfaul ist (sonst deutlich mehr, etwa als Radfahrer). Bei einer NO2-Konzentration von 40 μg/m3 (genau am Langzeit-Grenzwert, der in etlichen deutschen Städten erreicht oder überschritten wird) bekommt man also rund 400 μg NO2 pro Tag ab. Dies entspricht also etwas weniger als die genannten 500 μg von einer Zigarette.
- Wenn das schon die ganze Wahrheit wäre, wäre diese Stickoxid-Belastung in Städten einerseits gering im Vergleich zu der eines Rauchers mit einer Schachtel pro Tag, andererseits aber schon eine böse Zumutung: Ich will sicher nicht zwangsweise wie ein Raucher belastet werden, auch nicht mit "nur" einer Zigarette pro Tag. Noch weniger wird dies für jemanden gelten, der z. B. ohnehin bereits lungenkrank ist, etwa mit Asthma.
- In der taz wurde außerdem zu Recht geltend gemacht, dass die genannten 500 μg NO2 pro Zigarette falsch sind; dieser Wert gilt für die Belastung mit allen Stickoxiden zusammen, wovon nur ein Teil NO2 (Stickstoffdioxid) ist. Nur Letzteres wäre aber für einen Vergleich mit dem Grenzwert zu berücksichtigen, da dieser ja auch nur für NO2 gilt; dadurch entspricht die Luftbelastung doch mehr Zigaretten als oben berechnet.
Nun mag man beim letzten Punkt einwenden, dass ja auch die anderen Stickoxide im Zigarettenrauch mehr oder weniger gesundheitsschädlich sind – natürlich, sowohl die Stadtluft als auch der Zigarettenrauch enthält noch eine Menge anderer Gifte. Wegen der deutlich unterschiedlichen Zusammensetzung lässt sich die gesamte Gefährlichkeit nicht sinnvoll vergleichen. Wer einen solchen Vergleich trotzdem durchführt und daraus dann auch noch sehr weitreichende Konsequenzen ableitet, produziert eben Unsinn.
Weitere Fehler beim Feinstaub
Auch beim Feinstaub argumentierte Prof. Dieter Köhler wieder unsinnigerweise mit Konzentrationen, beispielsweise mit der im Hauptstrom des Zigarettenrauchs. Relevant ist dagegen, welche Gesamtmenge eines Schadstoffs entweder durch eine Zigarette oder durch die Exposition mit anderen Luftschadstoffen pro Tag entsteht. Auch das wieder nicht wirklich ein Rechenfehler, sondern schlimmer noch eine schräge Denkweise, die falsche Resultate produziert.
Zusätzlich hat die taz geltend gemacht, dass Herr Köhler von 10 bis 25 mg Feinstaub pro Zigarette ausging, obwohl seit mittlerweile 15 Jahren ein EU-Grenzwert von 10 mg für das Kondensat gilt. Wobei noch zu prüfen wäre, ob überhaupt das gesamte Kondensat als "Feinstaub" bezeichnet werden kann, nachdem es ja auch flüssige Anteile wie Alkohole, Ester, Carbonsäuren und Blausäure enthält.
Fazit und Anmerkungen
Die im Pamphlet der Lungenärzte gemachten Fehler zeugen von einer eklatanten Schludrigheit – teils sogar mehr, als von der taz angenommen. Man kann sich bei diesen Herren nicht einmal darauf verlassen, dass verwendete Zahlenwerte korrekt sind und korrekt verarbeitet werden. Wohlgemerkt kommt all dies nur noch hinzu zu dem, was ich im früheren Artikel bereits ausführlich aufgezeigt habe.
Das folgende Fazit scheint unausweichlich: Keinesfalls kann man aus solchen Lausbubenrechnungen ableiten, dass der geltende Grenzwert unsinnig tief läge. Eher verleiht eine korrigierte Rechnung zusätzliche Plausibilität für die Einschätzung führender Experten, dass bereits eine Luftbelastung in der Gegend unserer derzeitigen Grenzwerte keineswegs harmlos ist. Unsere Grenzwerte stellen eben einen Kompromiss zwischen dem gesundheitlich Wünschbaren und technisch einigermaßen leicht Erreichbaren dar.
Die folgenden Anmerkungen halte ich noch für angebracht:
- Herr Köhler entschuldigte seine Fehler damit, dass er ja praktisch alles alleine machen müsse (offenbar ohne die über 100 Unterzeichner!) und nicht einmal mehr eine Sekretärin habe. Nun hätte eine einigermaßen intelligente und aufmerksame Sekretärin sicherlich einige Fehler des Professors frühzeitig aufdecken können. Wenn man über solche Ressourcen nicht verfügt, soll man aber eben auch nicht meinen, man könne aus dem Handgelenk heraus die gesamte geltende wissenschaftliche Meinung eines Fachgebiets umwerfen.
- Dass über hundert unterzeichnende Lungenärzte die zum Teil frappierenden Fehler offensichtlich nicht bemerkt haben, zeigt ganz deutlich, dass diese mit ihrer Unterschrift keineswegs die Richtigkeit der Inhalte bestätigt haben, sondern lediglich, dass ihnen die Stoßrichtung gefiel – etwa im Sinne von "wir mögen aber keine Fahrverbote"! Gerne wüsste man, ob diese ihre Unterschrift nun bereuen.
- Dass zumindest Herr Köhler trotz allem weiterhin an seinen Meinungen festhält, kann aber nicht weiter verwundern – genauso wenig würde wohl ein AfD-Fan oder Trump-Anhänger seine Meinung ändern, wenn er mit Fakten konfrontiert wird. Das ist eben so im postfaktischen Zeitalter.
- Ein Verkehrsminister, der einen solchen "wissenschaftlichen Ansatz" so euphorisch begrüßt und auszuschlachten versucht, sollte eigentlich als unhaltbar gelten. Schließlich kann man längst nicht mehr davon ausgehen, dass er die Interessen der Bevölkerung vertritt.
Nachtrag vom 18.02.2019: Die Lungenärzte halten mit einer Stellungnahme vom 17.02.2019 an ihrer Position fest. Sie behaupten, eine neue Rechnung habe ihr Resultat mit nur geringfügiger Veränderung bestätigt – ohne aber diese neue Rechnung überhaupt noch offen zu legen. Auch eine ordentliche Autorenliste gibt es wieder nicht. Ohnehin gehen sie ein weiteres Mal nicht auf den Haupt-Kritikpunkt ein: dass man nicht mit so einer Lausbuben-Rechnung und ohne Peer Review den Stand der Wissenschaft vom Tisch hauen kann.
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