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Deutsches Klimapaket: Kapitulation der Klimapolitik

Erschienen am 22.09.2019 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2019_09_22.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Das gerade vorgelegte Klimapaket der Bundesregierung wird zu Recht als eine Mogelpackung ohne rechte Substanz kritisiert und wird von der Bevölkerung wohl kaum als die lang ersehnte Klimawende akzeptiert werden. Erklärbar ist dies also kaum durch die Angst vor dem Wähler, sondern eher durch die Abhängigkeit der Parteien von mächtigen Interessengruppen.

Rüdiger Paschotta

Es ist leider keine Übertreibung festzustellen, dass die deutsche Bundesregierung mit ihrem am 20.09.2019 vorgestellten Klimapaket nun wohl endgültig ihre Kapitulation bekannt gegeben hat. Sicherlich wird kein Politiker überrascht sein, dass dieses Paket bereits allseits als eine völlig unzureichende Nummer erkannt und entsprechend verärgert kommentiert wird.

Nachtrag vom 26.05.2021: Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der deutschen Klimapolitik festgestellt; siehe dazu den Blog-Artikel vom 05.05.2021.

Die Ausgangslage

Bevor ich das aktuelle Klimapaket diskutiere, beschreibe ich in diesem Abschnitt die Ausgangslage.

Seit mindestens 20 Jahren müsste jedem halbwegs verständigen Bürger und natürlich auch jedem Politiker bekannt sein, dass uns enorme Klimagefahren drohen, wenn wir nicht sehr bald das irre Großexperiment mit unserer Atmosphäre beenden. Wir wissen,

  • dass wir enorme Mengen von CO2 (Kohlendioxid) in die Atmosphäre pumpen, und dass die sogar mit zunehmender Geschwindigkeit steigende CO2-Konzentration den Treibhauseffekt verstärkt,
  • dass dies zu einer rapiden globalen Erwärmung führt, die die klimatischen Verhältnisse in den meisten Gegenden dieser Erde maßgeblich ändert – dies auch noch weitaus schneller als bei früheren natürlich verursachten Klimaveränderungen,
  • und dass die Folgen davon unabsehbar sind – nicht zuletzt deswegen, weil wir wahrscheinlich nicht mehr weit davon entfernt sind, einen Kipppunkt zu erreichen, d. h. einen Teufelskreis zu starten, in dem die globale Erwärmung eine weitere Freisetzung von CO2 aus natürlichen Quellen verursacht, die die Erwärmung dann unaufhaltsam weiter steigert. Wenn dadurch dann alle möglichen Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten und die Lebensgrundlagen vieler Menschen zerstört werden, wird es auf dieser Erde voraussichtlich nicht einfach ungemütlich, sondern katastrophal.

(Dies sind nicht einfach Meinungen, sondern immer weiter bestätigte Resultate der Wissenschaft; eine bessere Quelle für sicheres Wissen haben wir nicht, wie kürzlich erklärt. Es ist auch nicht etwa Panikmache, die genannten Gefahren sind sehr real.)

Wir wissen ferner betreffend Deutschland,

  • dass unsere klimaschädlichen Pro-Kopf-Emissionen nach wie vor weit über dem internationalen Durchschnitt liegen,
  • dass wir zusätzlich durch Importe von energieintensiv produzierten Waren für viele zusätzliche Emissionen in anderen Ländern (etwa China) verantwortlich sind,
  • und dass das zwar kleine, aber international sehr stark beobachtete Deutschland eine entscheidende Vorbildwirkung hat – im Guten wie im Schlechten.

Trotz allem beobachten wir seit vielen Jahren,

  • dass die deutsche Bundesregierung die Energiewende im Bereich der Stromversorgung kaum je beschleunigt, sondern immer wieder effektiv gebremst hat – etwa durch die massive Reduktion von Einspeisevergütungen und durch die Einrichtung eines Ausschreibungssystems, welches genau wie vorhergesagt den Ausbau der Windenergie nicht etwa kostengünstiger macht, sondern abwürgt,
  • dass der dringend notwendige Kohleausstieg nach Kräften auf die lange Bank geschoben wird,
  • dass für eine Energiewende in anderen wichtigen Bereichen wie Verkehr und Haushalte (z. B. Heizungsanlagen) so gut wie gar nichts getan wird, ja noch nicht einmal ein anständiges Konzept vorliegt,
  • dass wir nach wie vor ein ganz unausgewogenes System von Energiesteuern haben, welches keine vernünftigen Anreize für CO2-Minderungen erzeugt,
  • dass eine Menge sehr klimaschädlicher Subventionen und anderer Begünstigungen mit Zähnen und Klauen verteidigt wird – etwa die Pendlerpauschale, die Befreiung des größten Teils des Luftverkehrs von der Mineralölsteuer auf Kerosin und andere Steuerbegünstigungen für energieintensives Gewerbe und schädliche Energieträger wie Kohle,
  • und dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene den Klimaschutz oft genug ausbremst (etwa mit ihrem Widerstand gegen strengere CO2-Vorschriften für Kraftfahrzeuge).

Übrigens: Falls jemand immer noch nicht begriffen hat, dass es beim Klimaschutz sehr auf das kleine Deutschland ankommt, verweise ich auf meinen Artikel vom 18.10.2017.

Das Klimapaket: eine Nullnummer

Nachdem die Regierungsparteien in jüngster Zeit durch zunehmende Proteste junger Menschen (Stichworte "Fridays for Future" und "Rezo-Video") ziemlich aufgeschreckt wurden, entstand die Hoffnung, dass man sich nun endlich zum wirksamen Klimaschutz durchringen könnte – wenn schon nicht aus Einsicht in dringende Notwendigkeiten, dann eben aus Angst vor massivem Verlust an Wählerstimmen. Nun aber ist klar, dass auch das nicht funktioniert; das nun vorgestellte Klimapaket ist in der Tat "erschreckend kraft- und mutlos" (Zitat Dr. Patrick Graichen, Agora Energiewende):

  • Der wohl wichtigste Punkt wäre ein Einstieg in eine wirksame CO2-Bepreisung. Vorgestellt wird ein Zwitter aus Emissionshandelssystem und CO2-Steuer. Damit etabliert man zwar immerhin eine Art von CO2-Bepreisung für diverse wichtige Sektoren, arbeitet aber mit so lächerlich geringen Sätzen, dass die Wirkungslosigkeit auf Jahre hinaus offensichtlich ist: Wer wird wohl wegen einem Zuschlag von ein paar Cent pro Liter Benzin weniger fahren oder ein sparsameres Auto kaufen? Gleichzeitig unterminiert man die annähernd vernachlässigbare Wirkung auch noch mit einer Erhöhung der Pendlerpauschale, die die Verkehrslast ja erhöht.
  • Weiterhin hofft man auf eine massive Ausweitung der Elektromobilität durch Nachjustieren von Förderinstrumenten, die in der Vergangenheit allerdings total versagt haben; die bis 2020 herbeigewünschte Million von Elektroautos haben wir noch nicht einmal zu einem Fünftel. Vor allem aber hält man nach wie vor an der völlig unrealistischen Vorstellung fest, man könne unser heutiges Mobilitätssystem im Kern beibehalten, wenn man nur etwas an der Antriebstechnik tut. Ein Einstieg in etwas, was die Bezeichnung "Verkehrswende" verdienen könnte, wird offenbar nicht einmal erwogen.
  • Dasselbe gilt für den Agrarsektor: Deutschland soll wohl unverändert ein Großexporteur von Fleisch basierend auf klimaschädlicher und auch sonst sehr unweltbelastender Massentierhaltung bleiben.
  • Man will nicht einmal das, was einige Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zu Kosten von weniger als Null einsparen könnte: die Eindämmung des SUV-Wahnsinns und die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen, womit wir eines der allerletzten Länder dieser Welt wären. Schaffen wir es vielleicht noch vor Afghanistan, Nordkorea und Somalia, oder müssen wir wirklich die allerletzten sein?

Soll uns bei diesen Prioritäten nun etwa irgendjemand auf der Welt abnehmen, dass wir ernsthaft Klimaschutz betreiben wollen? Dieses fürchterliches Signal, das weltweit dem Klimaschutz enorm schaden kann, ist vermutlich das Übelste an der ganzen Geschichte. Das erkennbare Motto: Sollen doch die Chinesen den Gürtel enger schnallen – wir ändern uns nicht.

Das reicht nicht aus

Bezeichnend war, dass die Bundeskanzlerin Verständnis ausdrückte für diejenigen, die nicht glauben, dass die Maßnahmen ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Sicherlich glaubt sie auch selbst nicht daran. Es ist ja jedes Mal dasselbe: Man formuliert ein paar Ziele, beschließt dazu offenkundig unzureichende Maßnahmen und bedauert am Ende – nach vielen verlorenen Jahren –, dass es leider mal wieder nicht geklappt hat.

Erschreckend finde ich übrigens gerade auch den Aspekt, dass der Eindruck entsteht, ein demokratisches System sei unfähig, wenigstens die drängendsten Probleme zu lösen. Ein anderes System möchte ich aber nicht ausprobieren, zumal damit noch weniger Hoffnung auf Problemlösung berechtigt wäre. Das Grundproblem ist ja immer, dass sich Partikularinteressen zum Schaden der Allgemeinheit durchsetzen: in der Demokratie immer wieder, in der Diktatur erst recht. Es bleibt nur die Hoffnung, dass wir die Demokratie gegen zunehmend beängstigende Angriffe durch Fake-News-Populisten verteidigen und uns bald nicht weiter verkohlen lassen. Bislang scheinen ja immer noch viele das Gefühl zu haben, man könne unseren Wohlstand bewahren, ohne erfolgreichen Klimaschutz zu betreiben. Aber mehr und mehr Leute begreifen, dass dieser Wahnsinn gegen unsere elementaren Interessen gerichtet ist und deswegen aufhören muss, und zwar schnell.

Angst vor dem Wähler: keine plausible Erklärung

Immer wieder wird die Sorge geäußert, ein zu beherzter Klimaschutz wäre nicht genügend sozialverträglich. Dies wird beispielsweise immer wieder gegen eine wirksame CO2-Steuer vorgebracht – obwohl es offenkundig ist, dass diese bei geeigneter Ausgestaltung (etwa mit einer Rückerstattung als Kopfpauschale) vollkommen sozialverträglich wäre. Sicherlich ist dies in der Bundesregierung bekannt und deswegen keineswegs eine Erklärung für das beharrliche Nicht-Handeln.

Manche vermuten die Angst vor dem Wähler. Es mag sein, dass manche Wähler empfindlich auf notwendige Einschränkungen reagieren und dann womöglich eine rücksichtslose Klimalügner-Partei wie die AfD wählen könnten. Ein gewisser Teil der Bevölkerung will im Zweifel eben eher Probleme leugnen als lösen; vielleicht auch um besser von den ernstesten Sorgen abzulenken, bauscht man dafür dann kleinere Probleme ohne Maß auf, um seine Angst und Wut auf gewisse externe Sündenböcke (Islam, Asylanten etc.) konzentrieren zu können. Trotzdem zeigen Umfragen seit vielen Jahren, dass die Bundesregierung für den Großteil der Bevölkerung zu wenig Klimaschutz betrieben hat und nicht etwa zu viel; das wird sich auch mit dem aktuellen Klimapaket sicherlich nicht ändern. Die Parteien der großen Koalition riskieren also weiter eine große Abwanderung von Wählern, weil sie sich als unfähig zur Lösung des wohl drängendsten Problems erweisen. Sie können allenfalls hoffen, mit Mogelpackungen einen Teil ihrer Anhänger noch für eine Weile zu einzulullen.

Ich glaube deswegen nicht an die Angst vor dem Wähler als Erklärung für das Versagen der Klimapolitik; sonst würde man ja das von immer breiteren Kreisen der Bevölkerung immer lauter geäußerte Anliegen endlich ernsthaft aufnehmen. Wohl eher ist es die Angst vor dem Spender. Man beachte, dass diverse Parteien finanziell wesentlich abhängig sind von Großspendern z. B. aus der Autoindustrie. Ihnen könnte eine ernste Finanzklemme drohen, wenn sie solchen Spendern nicht mehr dienen. Und diese Kräfte haben eben offenbar immer noch kein tragfähiges Zukunftskonzept; mehr fällt ihnen nicht ein, als ihre Besitzstände durch die Blockade des Klimaschutzes wenigstens noch für ein paar Jahre zu verteidigen. Vermutlich steckt dies hinter der entschuldigenden Anmerkung der Kanzlerin, das Klimapaket sei eben "das, was möglich ist": möglich für Parteien, die von gewissen Parteispenden abhängig sind. Ich sehe hier als Grundproblem dieselbe Korruption wie beim Abgasskandal.

Es ist klar, dass uns beim Klimaschutz die Zeit davonrennt – mit einer sehr realen Gefahr katastrophaler Entwicklungen – und dass unsere Regierung unfähig ist, darauf angemessen zu reagieren. Vielleicht kriegen sie nach weiteren massiven Wahlschlappen noch die Kurve, aber man kann sich inzwischen fragen, ob sie überhaupt noch reformierbar sind. Der Druck aus der Bevölkerung ist offensichtlich immer noch nicht groß genug. Immerhin kommt er endlich besonders spürbar von der schließlich am meisten betroffenen jungen Generation, und hoffentlich wird diese mehr und mehr Unterstützung bei den Älteren finden. (Ein Gruß an alle engagierten jungen Menschen, die sich hier informieren und orientieren – viel Erfolg!)

Verantwortung wahrnehmen

Bei aller Kritik an unserer Regierung – und natürlich denen anderer Länder – dürfen wir aber nicht glauben, es sei genug getan, wenn man als Wähler diejenigen Politiker abstraft, die hier versagen. Auch wenn die entscheidende Blockade momentan in der Politik liegt, müssen wir bereits an die kommende Zeit nach deren Auflösung denken. Wir werden vermutlich bald an einen Punkt kommen, wo die gesellschaftlichen Grenzen spürbar werden. Gerade weil der Klimaschutz so lange aufgeschoben wurde, braucht es nun eine schnellere und mit entsprechend größeren Opfern verbundene Anpassung. Mit einem klugem, vorausschauendem und konsequenten Ansatz wäre es sicherlich einfacher und billiger gegangen.

Es erscheint mir besonders wichtig, dass all diejenigen, die die Brisanz der Lage begriffen haben, ihren Teil dazu beitragen, dass sich diese Einsicht in der Bevölkerung weiter verbreitet. Es wird nämlich von großer Bedeutung sein, dass eine zukünftige Regierung überhaupt die Möglichkeit erhält, effektive Problemlösungen umzusetzen.

Abgesehen davon ist natürlich jeder Einzelne gefordert, wo immer möglich seine Beiträge zur Lösung zu bringen, auch wo man von bislang weniger einsichtigen Zeitgenossen überholt wird – beispielsweise bei der Einhaltung eines freiwilligen Tempolimits. Ein paar weitere Vorschläge für die Reduktion Ihres persönlichen CO2-Fußabdrucks:

  • Streichen Sie umweltschädliche Flugreisen und Kreuzfahrten von Ihren Plänen und investieren Sie das gesparte Geld z. B. in die energetische Sanierung Ihres Hauses. Es sollte ja klar sein, dass unsanierte Häuser keine Zukunft mehr haben, weil das Wohnen darin viel zu viel CO2 verursacht (nicht etwa verbraucht).
  • Begreifen Sie die gewählte Raumtemperatur im Winter als einen Kompromiss zwischen Komfort und Umweltverträglichkeit. Ein Tipp: mit angemessener Kleidung und ab und zu ein wenig Bewegung braucht es weniger hohe Temperaturen.
  • Reduzieren Sie Ihren Fleischkonsum, was gleichzeitig Ihrer Gesundheit und dem Tierwohl zugute kommt.
  • Bemühen Sie sich grundsätzlich um einen Konsum mit Augenmaß und Verantwortung. Der Gedanke der Suffizienz kann ein wichtiger Aspekt in einem guten Leben sein.

So klar es ist, dass die Hoffnung auf freiwilligen Verzicht niemals für die Problemlösung ausreichen wird, sind solche Schritte eine wichtige Vorbereitung auf die hoffentlich bald kommende Zeit, wo wir gemeinsam an einem Strick ziehen, um das brisante Problem zu entschärfen.

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