Erdgasstudie der Energy Watch Group: Erdgas ist deutlich klimaschädlicher als gedacht
Erschienen am 22.11.2019 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)
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Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG
Inhalt: Eine neue Studie legt dar, dass die Klimaschädlichkeit des Erdgases bisher stark unterschätzt wird. Die Substitution anderer Energieträger durch Erdgas könnte vielfach die Klimabelastung sogar erhöhen statt reduzieren. Dies sollte wichtige Konsequenzen für die Energie- und Klimapolitik haben.
Ref.: Thure Traber und Hans-Josef Fell (Energy Watch Group), Erdgasstudie 2019, "Erdgas leistet keinen Beitrag zum Klimaschutz", http://energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_Erdgasstudie2019.pdf
Erdgas wird häufig als derjenige fossile Energieträger betrachtet, der immerhin am wenigsten klimaschädlich ist. Deswegen wird beispielsweise weithin der Ersatz von Kohlekraftwerken durch Gaskraftwerke, die Substitution von Ölheizungen durch Gasheizungen oder der Einsatz von Erdgasfahrzeugen statt Benzin- und Dieselautos als ein Fortschritt für den Klimaschutz begrüßt. Dies auf der Basis, dass die entstehenden CO2-Emissionen mit Erdgas deutlich niedriger ausfallen. Übersehen wird jedoch meist das Problem, dass Methan (CH4), der Hauptbestandteil des Erdgases, sehr viel klimaschädlicher ist als das Kohlendioxid (CO2), und dass leider häufig ein gewisser Teil des Methans unverbrannt in die Atmosphäre gelangt. Erst über viele Jahre wird dieses Methan in der Atmosphäre zu CO2 und Wasser oxidiert, sodass die Klimaschädlichkeit langfristig der des Kohlendioxids entspricht.
Methanemissionen können an vielen Stellen erfolgen:
- Bei der Erdgasförderung besteht diese Gefahr vor allem, wenn eine Vielzahl kleinerer Anlagen mit Fracking arbeitet. Diverse Studien haben gezeigt, dass beispielsweise in den USA die in den letzten Jahren stark gesteigerte Gasförderung mit Fracking zu weitaus überdurchschnittlichen Methanemissionen führt. Auch bei konventioneller Förderung kommt es durch Unfälle gelegentlich zu fatalen Gasausbrüchen (Beispiel: Blowout der Elgin-Plattform von Total in der Nordsee 2012). Russland ist bekannt für sehr hohe Methanemissionen seiner Gas-Infrastruktur.
- Beim Transport beispielsweise bei Pipelines und bei der Feinverteilung in Städten kann es Lecks geben.
- Manche Anlagen zur Verwertung von Methan, beispielsweise Zündstrahlmotoren und technisch mangelhafte Gaskraftwerke, können einen wesentlichen Methanschlupf aufweisen, d. h. einen Teil des Methans unverbrannt über das Abgas ausstoßen. Wenn das mehr als ein ein paar wenige Prozent sind, ist das ausgestoßene Methan insgesamt klimaschädlicher als das Kohlendioxid, wird trotzdem aber oft ignoriert.
Im Prinzip ist dieser Umstand schon lange bekannt, jedoch ist dies quantitativ nicht so leicht einzuschätzen, weil die Größe vieler Methanlecks schwer zu ermitteln ist und der Vergleich der Klimaschädlichkeit von CH4 und CO2 stark davon abhängt, welchen Zeithorizont man zugrunde legt. Zudem sind entsprechende Erkenntnisse politisch oft überhaupt nicht gewünscht. Die neue Erdgasstudie der Energy Watch Group (EWG) vertritt die Meinung, dass das Klimaproblem des Erdgases bislang beispielsweise von der Internationalen Energieagentur (IEA) massiv unterschätzt wurde, und dies wird meines Erachtens auch ziemlich plausibel belegt.
Korrektur bisheriger Bewertungen
Ich fasse kurz die wichtigsten Korrekturen an der bisherigen Bewertung des Erdgases zusammen, was in der genannten Studie detaillierter nachzulesen ist:
Methanemissionen bei der Förderung
Man darf nicht einfach alte Daten verwenden, die nur für konventionelle Förderanlagen gelten. Es ist zu berücksichtigen, dass insbesondere Frackinggas auf sehr viel schmutzigere Art gewonnen wird, insbesondere auch mit wesentlich höheren Methanemissionen.
Wichtig ist zudem, dass der Anteil der "schmutzigen" Gasförderung weiter zunehmen wird, und zwar besonders stark, wenn wir die Verwendung von Erdgas als "Brückentechnologie" noch extra fördern. Es ist falsch, für auf diese Weise zusätzlich entstehenden Erdgasverbrauch einfach Durchschnittsemissionen einzusetzen oder gar Werte für konventionelle Förderung, die ja mehr und mehr zurückgeht und dann durch "unkonentionelle" Förderung ersetzt wird.
Leider ist es ziemlich schwierig, zu diesen Dingen genaue Zahlen zu erhalten. Das liegt beispielsweise daran, dass sich die US-Umweltbehörde EPA derzeit im Griff einer Administration befindet, die nicht nur den menschengemachten Klimawandel leugnet, sondern auch alle möglichen fossilen Energieträger inklusive Fracking-Gas nach Kräften und ohne Rücksichten fördert. Auch eine detaillierte Aufklärung von Methanlecks z. B. bei der sibirischen Erdgasförderung, die für uns immer wichtiger wird, dürfte schwierig sein.
Emissionen beim Transport
Tendenziell liegen die Gefahren für Verluste durch Lecks umso höher, je weiter die Transportentfernungen sind. Beispielsweise sind Lecks an Pipelines dann wahrscheinlicher.
Wenn Flüssigerdgas in großen Tankern über den Atlantik transportiert wird, gibt es zunächst einmal einen hohen Energieaufwand für die Verflüssigung des Gases, dann weitere CO2-Emissionen für den Antrieb der Tanker und dazu womöglich noch Emissionen durch Lecks. Dies verbunden mit der besonders dreckigen Förderung von Fracking-Gas zeigt, dass die von der Bundesregierung auch finanziell geförderten Importe dieses Gases (mit Subventionen für die Errichtung von LNG-Terminals) eine sehr klimaschädliche Sache sind. Damit erzeugter Strom ist unter dem Strich klimaschädlicher als Kohlestrom und damit schlimmer als jede Alternative.
Effizienz der Erdgasnutzung
Häufig wird bei Vergleichen von Kohle- und Gaskraftwerken die Verwendung der neuesten und besten Technologie angenommen, nämlich von Gas-und Dampf-Kombikraftwerken. In diesem Fall entstehen besonders starke CO2-Reduktionen dadurch, dass auch der Wirkungsgrad solcher Kraftwerke ziemlich hoch ist – mittlerweile in der Gegend von 60 %. Allerdings könnten billigere Gaskraftwerke anderer Art, die nur mit Gasturbinen arbeiten, für die Ergänzung fluktuierender erneuerbarer Energie attraktiver werden, obwohl deren Wirkungsgrad wesentlich geringer ist. Man muss also darauf achten, was tatsächlich eingesetzt werden wird.
Klimaschädlichkeit des Methans
Streiten kann man sich über die Frage, wie genau die Klimaschädlichkeit des Methans zu bewerten ist. Üblicherweise wird ein Zeithorizont von 100 Jahren gewählt, und damit kommt man zu einer ca. 21 mal höheren Klimaschädlichkeit als der von Kohlendioxid. Die genannte Studie plädiert jedoch für einen Zeithorizont von 20 Jahren, womit dieser Faktor auf ein Mehrfaches erhöht wird, nämlich in der Gegend von 84. Damit kommt man natürlich zu einer weitaus kritischeren Einschätzung der Problematik.
Eine einzige objektiv richtige Antwort auf diese Streitfrage gibt es nicht. Die Autoren der Studie argumentieren, dass ein kürzerer Zeithorizont von 20 Jahren relevant ist, um beispielsweise die Gefahr mit zu bewerten, dass wir in den nächsten Jahrzehnten einen gefährlichen Kipppunkt des Klimasystems erreichen; in diesem Fall hätten wir das Spiel verloren und würden unweigerlich in eine Klimakatastrophe schlittern. Wenn wir dagegen optimistischer sind und davon ausgehen, dass die Menschheit in den nächsten Jahren den Weg zur Vernunft finden wird und Klimaschutz energisch betreibt, dann wird beispielsweise die Frage des trotzdem erfolgenden langfristigen Anstiegs des Meeresspiegels relevant, und hierfür ginge es dann um das längerfristige Treibhauspotenzial von Methan.
Was folgt daraus?
Die Studie liegt meines Erachtens sehr überzeugend dar, dass die Geschichte vom Erdgas als relativ klimafreundlicher Brückentechnologie für die Energiewende leider ein Märchen ist. Im Gegenteil ist zu erwarten, dass eine Förderung des Energieträgers Erdgas vielfach sogar zu erhöhter Klimaschädigung führt.
Leider ist genau diese Förderung aber eines der bevorzugten Instrumente der derzeitigen Klimapolitik beispielsweise unserer Bundesregierung und auch auf EU-Ebene. Es mag politisch verständlich sein, dass man etwa den Handelsstreit mit den USA durch Gasimporte etwas zu dämpfen versucht, aber klimapolitisch lügt man sich damit massiv in die Tasche.
Wichtig finde ich den Hinweis in der Studie, dass weltweit fossile Energieträger mit enormen Summen subventioniert werden – während aber viel niedrigere Subventionen für erneuerbare Energien vielfach kritisiert werden. Ein wesentlicher Teil dieser Subventionen betrifft in der Tat das Erdgas, und zwar auf verschiedenen Ebenen, von der Förderung über den Transport bis zur Verwendung.
Die Erdgasstudie der Energy Watch Group fordert aus diesen Gründen die Beseitigung dieser klimaschädlichen Subventionen und den raschen Übergang zu einer vollständigen Versorgung mit erneuerbaren Energien, um die enormen Klimagefahren auf diese Weise noch unter Kontrolle zu bekommen. Dies scheint mir prinzipiell vernünftig, wobei mich allerdings ein Punkt der Studie nicht überzeugt. Als ein Teil der Lösung wird die Erzeugung "grünen" Methans etwa als Biogas oder durch Power to Gas favorisiert, und hier sind dann die Gefahren durch Lecks bei Erzeugung, Transport und Verwendung plötzlich kein Thema mehr. Es mag sein, dass wir diese Problematik bei einer rein inländischen Produktion und Verwendung eher in den Griff bekommen, aber die dezentrale Natur dieses Ansatzes macht die Kontrolle doch nicht wirklich einfach. Ich bin nicht sicher, ob es realistisch ist, z. B. Methanemission bei einer Vielzahl kleiner Biogasanlagen auf ein vertretbares Minimum zu drücken.
Eine weitere Konsequenz muss natürlich sein, dass wir allen Arten von Methan-Lecks entschiedener als bisher nachgehen und versuchen, diese weit möglichst zu vermeiden.
Würde eine CO2-Steuer helfen?
Interessant ist übrigens die (in der Studien nicht behandelte) Frage, ob eine CO2-Steuer helfen würde, die genannten Probleme auch von Methanemissionen in den Griff zu bekommen. Im Prinzip ist dies sehr wohl möglich; man müsste eben alle relevanten Methanemissionen einigermaßen zuverlässig erfassen, dies dann mit einem geeigneten Umrechnungsfaktor, auf den man sich noch einigen müsste (Stichwort Zeithorizont, siehe oben) in CO2-Äquivalente umrechnen, und die Steuer darauf genauso wie auf CO2 anwenden. Wo die Gasanbieter keine überzeugenden Daten vorlegen können oder wollen, würden stattdessen Schätzwerte verwendet, die Anreize für eine sorgfältigere Behandlung setzen. Damit würde beispielsweise das US-Fracking-Gas erheblich verteuert und auf dem europäischen Markt noch weniger konkurrenzfähig. Auch sonstige Illusionen über angeblich segensreiche Wirkungen einer vermehrten Erdgasnutzung würden sich dann auf der monetären Ebene ganz schnell verflüchtigen.
Leider sieht es aber nicht so aus, als hätte beispielsweise die deutsche Bundesregierung dies im Zusammenhang mit ihrem Klimapaket im Sinn. Es ist ja bislang immer so, dass Elemente der Realität, die mit aus irgendwelchen Gründen gefassten politischen Entschlüssen kollidieren, so lange ausgeblendet werden, bis es auch mit aller Gewalt nicht mehr geht. Danach kommt dann noch eine lange Phase, bis man die angeblich geeigneten (aber völlig unzureichenden) Maßnahmen gefunden hat, und eine weitere lange Übergangsphase, bis getroffene Maßnahmen allmählich greifen – womit der Klimaschutz auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird (und die großen Parteispender zufrieden sind). Immerhin muss man auch nicht davon ausgehen, dass die Bevölkerung eine dermaßen zukunftsblinde und verantwortungslose Regierung bis an das Ende der Zeiten tolerieren wird.
Nachtrag vom Oktober 2022
Die aktuelle Gasversorgungskrise als Folge des Konflikts mit Russland macht die Lage für den Klimaschutz noch wesentlich schlimmer:
- In Russland werden anscheinend erhebliche Mengen von Gas abgefackelt, die nicht mehr in den Westen geliefert werden.
- Aus den zerstörten Gaspipelines (Nordstream 1 und 2) entweichen derzeit große Mengen von Erdgas unverbrannt in die Atmosphäre.
- Um die Versorgungskrise zu überstehen, wird der Import des besonders klimaschädlichen Flüssigerdgases nach Europa massiv ausgebaut – mit Folgen, die im Vergleich zu den vorher genannten Aspekten noch viel größer sind: – Es entsteht auch z. B. in den USA einer weiter vergrößerter Anreiz, das Erdgas-Fracking verstärkt einzusetzen, wobei oft große Mengen von Methan unkontrolliert in die Atmosphäre gelangen. – Die Verflüssigung des Erdgases braucht sehr viel Energie, was zu zusätzlichen Emissionen führt.
- Es entsteht ein großer politischer Druck, den europäischen Emissionshandel weiter zu schwächen.
Es ist also nochmals wichtiger geworden, den Erdgas-Verbrauch so stark wie möglich zu drosseln – auch wo es weh tut. Wenigstens dürfte die Strategie mit Erdgas als "Brückentechnologie" nun endlich von den meisten als völlig verfehlt erkannt werden.
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