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Wie prüfe ich Informationen auf Verlässlichkeit? Nützliche Testkriterien für die Aufdeckung von manipulierenden Fake News und grassierenden Irrtümern.

Erschienen 2020-03-21 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

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Autor: , RP-Energie-Lexikon, RP Photonics Consulting GmbH

Inhalt: In der heutigen Informationsflut aus einer unübersehbaren Vielfalt von Quellen gehört es zu den wichtigsten Kompetenzen überhaupt, z. B. im Internet gefundene Informationen auf Verlässlichkeit prüfen zu können, also Manipulation und Irrtümer aufzudecken. Hier werden hilfreiche Einsichten vermittelt, um diese Kompetenz und damit das geistige Immunsystem zu stärken.

Rüdiger Paschotta

Wir werden heute von massenhaft verfügbaren Informationen aus einer unübersehbaren Vielfalt von Quellen überflutet, von denen leider viele nicht verlässlich sind, oft sogar gezielt zur Manipulation eingesetzt werden. Das gilt unter anderem auch für den Themenbereich Energie und Umwelt, insbesondere in den Themenfeldern Kernenergie, erneuerbare Energie und Klimaschutz.

Aktuell haben wir es mit enorm schädlichen Falschmeldungen zur Corona-Krise zu tun, die sogar viele Todesfälle zur Folge haben – beispielsweise mit einem Arzt, der völlig absurdes Zeug quer zu den zentralen Tatsachen verbreitet und dafür Millionen von Aufrufen seines Youtube-Videos erntet. In diesem Falle werden die Täuschungen denkbar schnell für alle offenkundig werden, aber in anderen Fällen richten sie dauerhaft Schaden an. Das gilt insbesondere für die offenbar sehr gezielt und hartnäckig von interessierten Kreisen orchestrierten Angriffe auf die “Mainstream-Wissenschaft” durch Klimawandel-Leugner.

Es gehört deswegen zu den wichtigsten Kompetenzen überhaupt, z. B. im Internet gefundene Informationen auf Verlässlichkeit prüfen zu können. Hiermit tun sich viele schwer; oft fallen auch Menschen, denen man ein gutes Urteilsvermögen nicht abgesprochen hätte, zeitweise auf totalen Unsinn herein – besonders dann, wenn die verbreiteten Behauptungen emotional gut mit gewissen (oft gar nicht so unvernünftigen) Grundüberzeugungen harmonieren. Es ist eben nicht immer leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Man kann es aber lernen – wozu dieser Artikel Ihnen helfen soll.

Zum aktuellen Corona-Thema gibt es einen ausgezeichneten Artikel von Stefan Rahmstorf (“Wissenschaftsleugnung in Zeiten von Corona”). Dort werden einige wichtige Alarmzeichen sehr schön erklärt, und das dürfte viele Menschen schon mal ganz gut immunisieren gegen eine Reihe von Falschmeldungen. In meinem ausführlicheren Artikel versuche ich aber, die Herausforderungen allgemeiner und umfassender anzugehen, um hoffentlich sehr hilfreiche Einsichten zu vermitteln.

Der beste Start: gute Fragen finden

Richtige Antworten auf gegebene Fragen zu finden, ist schon mal eine Aufgabe für sich. Von entscheidender Bedeutung ist oft aber schon, gute Fragen zu stellen. Das gilt im täglichen Leben, übrigens auch sehr für die wissenschaftliche Forschung. Aber was sind überhaupt gute Fragen? Einige Hinweise dazu:

  • Gute Fragen betreffen tatsächlich relevante Sachverhalte.
  • Sie sind hinreichend konkret, andererseits aber auch nicht zu sehr auf spezielle Details konzentriert.
  • Es gibt eine realistische Chance auf Beantwortung.

Interessant ist oft die Überlegung, welche Rolle hierbei Fakten spielen:

  • Es gibt reine Fakten-Fragen, auf die es objektiv richtige und falsche Antworten gibt.
  • Andere Fragen zielen auf Bewertungen. Beispiele: Ist eine Vollversorgung von Deutschland mit erneuerbarer Energie realistisch, bzw. bis wann? Ist es sinnvoll, auf Kernenergie als Instrument für den Klimaschutz zu setzen? Sollten wir ein erhebliches Fortschreiten der Coronavirus-Infektionen zulassen, um bald eine “Herdenimmunität” zu erreichen?

Fragen nach Bewertungen sind häufig die wichtigeren. Reine Fakten reichen häufig gar nicht aus für Entscheidungen. Fakten spielen hier aber häufig auch eine wichtige Rolle. Es geht darum, alle relevanten Fakten zu sammeln und damit eine vernünftige Bewertung zu erarbeiten.

Dabei sind oft weitere, meist detailliertere Fragen (a) zu finden und (b) zu klären. Im letzten Beispiel (Herdenimmunität gegen Corona-Viren) etwa wären einige meiner Fragen:

  • Ein wie großer Teil der Bevölkerung müsste dafür infiziert werden?
  • Wie viele Tote würden daraus resultieren?
  • Wie viele Infizierte könnten wir zu einer Zeit z. B. in Deutschland haben, ohne dass das Gesundheitssystem zusammenbricht und damit die Zustände katastrophal werden?
  • Wie lange würde es dauern, mit dieser begrenzten Zahl von Infizierten eine Herdenimmunität aufzubauen?
  • Ist es realistisch, die Zahl der Infizierten über diesen Zeitraum genau genug zu steuern?
  • Welche Risiken gäbe es sonst noch – z. B. unerwartete Langzeit-Komplikationen der Infizierten, nur kurz dauernde Immunität, etc.?
  • Wie viel weniger drastisch wären die nötigen Infektionsschutzmaßnahmen verglichen mit einer Strategie zur Unterdrückung der Pandemie?

Dieses Beispiel zeigt, dass gute Fragen oft schon die halbe Miete sind. Wer die oben genannten Fragen sinnvoll bearbeitet, wird sehr schnell zum Schluss kommen, dass eine auf schnell erreichte Herdenimmunität gerichtete Strategie komplett unrealistisch und hochgefährlich ist. Wer dagegen nur die Grundlogik dieser Strategie-Idee analysiert, aber nicht auf die genannten Fragen kommt, gerät womöglich völlig in die Irre. Und das passiert leider ab und zu auch Fachleuten. Sie scheitern oft nicht etwa daran, falsche Antworten auf gewisse Detailfragen zu finden, sondern eher daran, einige der wichtigsten Fragen zu übersehen.

Fazit: Stürzen Sie sich nicht auf die Suche nach Antworten, bevor Ihnen klar ist, was die entscheidenden Fragen sind!

Eine wichtige Einsicht ist auch: Ein Faktencheck allein genügt oft nicht. Man kann auch durch das Präsentieren einer einseitigen Auswahl von zutreffenden Fakten lügen; damit können unerwünschte andere Fakten in den Hintergrund geschoben und falsche Eindrücke erzeugt werden (auch ohne Böswilligkeit). Man braucht also quasi eine erweiterte Form von Faktencheck, die allerdings auch leicht vom Ideal der perfekten Objektivität wegführen kann – was aber nicht heißen soll, dass das des Teufels ist.

Am besten alles selbst prüfen?

Ein mögliches Mittel gegen Manipulations-Versuche und Fehler anderer ist natürlich, alles eigenhändig zu prüfen. Das wird manchmal gut funktionieren, ist leider aber generell eine Methode mit recht begrenzten Möglichkeiten:

  • Wir werden rasch überfordert. Oft verfügen wir gar nicht über die Mittel, z. B. bestimmte Fakten zu ermitteln. Oder wir haben nicht die unabdingbare Fachkompetenz und können diese auch nicht mit vernünftigem Aufwand erreichen.
  • Wir können uns auch selbst täuschen, etwa durch Fehler mangels ausreichender Fachkompetenz; leicht überschätzt man auch seine eigene Kompetenz und ist sich diverser Fehlerquellen gar nicht bewusst.

Hand auf's Herz: Die ungeheure Vermehrung von Wissen und Fähigkeiten der Menschheit basiert zum größten Teil auf einer intensiven Kooperation, bei der ein gewisses Vertrauen in die Prüfung von Sachverhalten durch andere Menschen absolut unverzichtbar ist. Das gilt übrigens gerade auch für die Wissenschaft: Schon bei einem einzigen veröffentlichten Paper ist es oft unrealistisch anzunehmen, dass jeder der genannten Autoren jedes Detail eigenhändig überprüft hat. Erst recht wäre es komplett unmöglich, dass jeder Wissenschaftler alle wesentlichen Resultate seines Fachgebiets selbst umfassend überprüft. Es wäre deswegen eine extrem naive Illusion zu denken, jegliches Vertrauen sei bei der Findung von Wahrheiten verzichtbar oder unangebracht.

Wie kommen wir zu sicherem Wissen, ohne dass jeder alles selbst prüft?

Die obige Einsicht mag zunächst erschrecken: Können wir so denn überhaupt sicheres Wissen schaffen? Könnte es nicht passieren, dass z. B. die gesamte Klimawissenschaft total in die Irre geht, weil gewisse entscheidende Fehler nie aufgedeckt und korrigiert wurden? Das behaupten ja diverse Klimawandel-Leugner, wobei sie oft unterstützend eine böswillige Verschwörung von Tausenden von Wissenschaftlern unterstellen, was natürlich ganz offensichtlich Quatsch ist: Wie realistisch ist es denn, dass so etwas über Jahrzehnte nicht auffliegt? Und wieso gibt inzwischen sogar die ganze überwiegende Mehrheit der Vertreter der Kohle- und Ölindustrie zu, dass der Klimawandel ein massives Problem ist? Verschwören die sich gar gegen ihre eigenen vitalen Interessen?

Während die These von einer Verschwörung der Klimawissenschaft wirklich leicht als absurder Quatsch erkennbar ist – ausreichend nur für die Überzeugung von Dummköpfen –, ist die grundlegende Sorge, dass sich auch die Mainstream-Wissenschaft täuschen kann, nicht grundlegend abwegig. Was meinen Sie wohl, wen diese Sorge am meisten umtreibt? Natürlich die Wissenschaftler selbst.

Wohlgemerkt ist es für diese nicht nur eine Sorge, sondern für viele auch eine spannende Suche nach Fehlern: Wer aufdeckt, dass wesentliche Fehler die Korrektur bisheriger Meinungen erfordern, kann sich berechtigte Hoffnungen auf einen Vorteil für die eigene Karriere machen. Es ist ja klar: Bekanntes zu bestätigen ist eher langweilig, Verborgenes aufzudecken dagegen aufregend.

Obwohl die Wissenschaftler, deren Fehler da aufgedeckt werden, nicht unbedingt immer hoch erfreut sind darüber, belohnt das Wissenschafts-System von seiner Struktur her solche Aufdeckungen. Querdenker in der Wissenschaft stoßen manchmal anfänglich auf Widerstände der Kollegen, aber auch auf Interesse, und ohnehin weiß jeder Wissenschaftler, dass sich die Wahrheit nicht lange unterdrücken ließe. Natürlich braucht man als Querdenker überzeugende Gründe für seine Thesen – ideal sind natürlich Beweise, aber gute Argumente reichen auch, um bisherige Gewissheiten zumindest wieder in Frage zu stellen und weitere Forschung zur Aufklärung aufgeworfener Fragen anzuregen. In der Tat werden wesentliche Fehler in diesem System meist recht schnell aufgedeckt und korrigiert. Nur sehr selten kommt es vor, dass sich die wissenschaftliche Community großmehrheitlich über längere Zeit täuscht.

Das sollte auch jeder Laie über Peer Review wissen

Um die generelle Verlässlichkeit von wissenschaftlichen Resultaten beurteilen zu können, muss man verstanden haben, wie in etwa die Forschung und die Meinungsbildung in der Wissenschaft funktioniert:

  • Der Großteil der Arbeitszeit wird in Forschungsgruppen verbracht, innerhalb derer mehr oder weniger intensiv kommuniziert wird. Oft täuscht sich jemand hier oder da, aber schnell merkt das ein anderes Mitglied des Teams, und der Fehler wird sogleich ausgemerzt.
  • Wenn genügend wesentliche Resultate erarbeitet sind und die Gruppe von deren Richtigkeit überzeugt ist, wird eine Veröffentlichung produziert – meist in Form eines “Papers”, also eines Fachartikels, der an eine geeignete Fachzeitschrift geschickt wird mit der Bitte um Veröffentlichung.
  • Dort empfängt das ein Editor, der für das jeweilige Fachgebiet zuständig ist. Er sucht nun meist zwei oder drei unterschiedliche Wissenschaftler aus, denen das Manuskript vertraulich zugeschickt wird mit der Bitte um Prüfung und Kommentierung. Meist kritisieren diese zumindest gewisse Details – etwa unpräzise Formulierungen – oder auch grundlegendere Mängel wie nicht überzeugende Schlussfolgerungen oder nicht zitierte wesentliche bereits früher publizierte Resultate von Kollegen. Sie geben dann eine Empfehlung ab: Soll man das so veröffentlichen, oder nur mit gewissen Verbesserungen, oder ganz ablehnen. Schließlich entscheidet der Editor darüber; in manchen Fällen holt er zuerst noch weitere Meinungen ein.

Bei Konferenzvorträgen läuft es ähnlich, wobei die Vorprüfung hier tendenziell weniger gründlich ist. Dafür kann es für die Vortragenden recht peinlich werden, wenn Zuhörer in einem großen Konferenzsaal mit ihren Nachfragen und Kommentaren Fehler und andere Mängel aufdecken.

Aufgrund meiner eigenen umfangreichen Erfahrungen in der wissenschaftlichen Forschung (inkl. Begutachtung von hunderten von Papers) leite ich die folgenden Bewertungen ab:

  • Das System des Peer Review funktioniert beileibe nicht perfekt, z. B. weil die als Gutachter beauftragten Kollegen ihre Aufgabe gelegentlich nur schlampig verrichten: Man hat ja schon mit der eigenen Forschung viel zu tun und gibt sich oft zu wenig Mühe. Allerdings sind es ja meist zwei oder drei, und der Editor selbst ist meist ein erfahrener Forscher; er dürfte oft schnell merken, ob etwas vernünftig geprüft wurde oder nicht, und kann ggf. nachfragen.
  • Die Mängel, die gelegentlich trotz Peer Review nicht vermieden werden, können danach von einer großen Zahl von Wissenschaftlern überprüft werden – außer wenn die Veröffentlichung als so unbedeutend empfunden wird, dass sie ohnehin auf wenig Interesse stößt; dann dürften übersehene Fehler aber auch nicht so folgenreich sein. Was relevant und doch falsch ist, wird meist bald in späteren Veröffentlichungen korrigiert – wenn nicht mit einem Erratum von den Autoren selbst, dann von Kollegen, die damit auch ihre überlegende Kompetenz demonstrieren können.

Daraus ergibt sich, dass der spezielle Prozess der Meinungsbildung in der Wissenschaft im allgemeinen Wissen mit sehr hoher Verlässlichkeit produziert – oder zumindest mit einer annähernd so hohen Verlässlichkeit, wie es derzeit überhaupt möglich ist.

Zum Umgang mit Fehlerquellen und Unsicherheiten

Die spannenden Fragen sind oft eben schwierige Fragen, worauf auch klügste Köpfe nicht schnell und zuverlässig die richtigen Antworten finden können. Wissenschaftler sind aber besonders trainiert darauf, mögliche Fehlerquellen zu erkennen und möglichst klug damit umzugehen. Beispielsweise werden Experimente meist gezielt so entwickelt, dass man Einflüsse absehbarer Fehlerquellen möglichst weitgehend minimiert und Einflüsse anfangs übersehener Fehlerquellen durch diverse Tests möglichst rasch aufdeckt.

Trotz allem verbleiben oft Wissenslücken, und die bereits gewonnenen Erkenntnisse sind oft nicht völlig sicher. Zu guter wissenschaftlicher Arbeit gehört, mit vorläufig verbleibenden Wissenslücken und Unsicherheiten angemessen umzugehen:

  • Zunächst muss man beurteilen, wie schwerwiegend diese sind, und entsprechende Beurteilungen dann auch möglichst zusammen mit den Resultaten gut verständlich beschreiben.
  • Ständig ist man auf der Suche nach Möglichkeiten, die Unsicherheiten weiter zu reduzieren – etwa durch verbesserte Experimente, durch den Vergleich mit Resultaten anderer oder durch raffinierte Plausibilitätsprüfungen.

All dies involviert meist die Interaktion vieler mehr oder weniger gescheiter Menschen; was zehn übersehen, bemerkt eben dann der elfte.

Einer kann sich leicht irren, alle zusammen selten

Natürlich sind beileibe nicht alle Wissenschaftler optimal kompetent. Wenn Ärzte, Ingenieure, Handwerker, Politiker und Juristen gelegentlich pfuschen, warum dann nicht auch Wissenschaftler? Das passiert wirklich nicht selten. Ganz wichtig ist aber die folgende Einsicht:

Ein einzelner Wissenschaftler oder vielleicht auch seine ganze Forschungsgruppe kann sich durchaus hier und da täuschen. Die ganze wissenschaftliche Community aber kaum, denn diese involviert dermaßen viele Köpfe, darunter viele sehr kluge, dass Fehler meist recht schnell erkannt und korrigiert werden.

Fazit: Man vertraue in wichtigen Fragen niemals nur einem Forscher, selbst wenn er noch so redlich und kompetent erscheinen mag. Man prüfe auch, ob er seine Fachkollegen überzeugen kann.

Kampf gegen die “Mainstream-Wissenschaft” ohne Peer Review – da läuten die Alarmglocken!

Wie beschrieben ist es aus guten Gründen die übliche Praxis, dass Wissenschaftler ihre Resultate zunächst einmal der Fachwelt vorstellen – in aller Regel mit Peer Review. Anders kommen sie auch mit ihrer Karriere gar nicht weiter: Wer nach Jahren der Forschung nicht eine Reihe von Fachartikeln vorweisen kann, die den Peer Review überstanden haben, gilt als gescheitert. Auch auf Konferenzen muss man sich regelmäßig den Fachkollegen stellen und ist ständig der kritischen Überprüfung von vielen Seiten ausgesetzt.

Nun gibt es aber vereinzelt Typen (meist keine Wissenschafts-Profis), die diesen Ansatz nicht verfolgen und stattdessen Angriffe auf die “Mainstream-Wissenschaft” unter Umgehung des Peer Review lancieren – oft indem sie sich direkt an ein Laienpublikum wenden. Meist dürfte ihnen klar sein, dass sie die Fachwelt mit ihren Ausführungen nicht überzeugen können; vielleicht haben sie es ursprünglich auch versucht, aber eben ohne Erfolg. Aus welchen Gründen auch immer – vielleicht nur Geltungssucht, manchmal auch ein Wille zur Manipulation der Öffentlichkeit – greifen sie dann die Fachwelt an, mitunder gar mit fiesen und verlogenen Methoden. Gerade um zu “erklären”, warum sie ihre Fachkollegen nicht überzeugen können, werfen sie denen alles Mögliche vor, etwa Verblendung oder gar eine sinistre Verschwörung. Beispielsweise verursacht der oben genannte Arzt, der die Corona-Pandemie zu einem bedeutungslosen Hype erklärt, die WHO zu diskreditieren, indem er darauf hinweist, sie sei von der Bill & Melinda Gates Foundation abhängig. (Selbst wenn das stimmte, was wohl alles andere als plausibel ist, warum soll ein Link zu Bill Gates Beweis für Unglaubwürdigkeit sein?)

Wer einigermaßen verstanden hat, wie Wissenschaft funktioniert – dafür sollte schon die Lektüre dieses Artikels ausreichen –, bei dem werden alle Alarmglocken läuten, wenn sie mit solchen Angriffen gegen die “Mainstream-Wissenschaft” konfrontiert werden. Ich kann nur die folgende Reaktion empfehlen: Überzeugen Sie doch erst mal die Fachwelt und lassen Sie uns in Ruhe, solange Ihnen das nicht gelingt!

Wie finde ich heraus, wessen Einschätzungen ich trauen kann?

Wie gesagt sind wir realistischerweise oft auf die Arbeit anderer angewiesen, weil wir Sachverhalte und Einschätzungen aus verschiedenen Gründen nicht selbst überprüfen können. Also müssen wir wenigstens herausfinden, wessen Resultaten wir trauen können. Hierzu gebe ich im Folgenden einige Empfehlungen ab:

Alarmglocken

Wenn eine oder mehrere der folgenden Alarmglocken läuten, sollten Sie äußerst skeptisch werden:

  • Es erfolgen massive Angriffe auf die “Mainstream-Wissenschaft”, der man entweder seine Resultate gar nie vorgelegt hat oder die man eben mangels Substanz nicht überzeugen konnte.
  • Es wird kräftig mit Methoden der Diffamierung gearbeitet. Es stehen also nicht sachliche Argumente im Vordergrund, sondern böse aber unbelegte Unterstellungen, und der Ton ist aggressiv. Wer in die Überzeugungskraft seiner Argumente vertraut, argumentiert klar und sachlich – eventuell auch deutlich engagiert, aber eben nicht brüllend und fies.
  • Es wird auffallend intensiv um Aufmerksamkeit geworben – z. B. mit riesiger Fettschrift in rot, eindringlichen Aufforderungen (unbedingt dieses Video anschauen!) und krassen Aussagen.
  • Die entsprechende Person ist aus ganz anderen Themenbereichen als unglaubwürdig bekannt. Verdächtig ist zum Beispiel, wenn einer, der jahrelang die Gefährlichkeit des Rauchens bestritten hat, nun den Klimawandel in Frage stellt.
  • Wichtige Tatsachen oder Umstände werden verschwiegen. (Beispiel: Wer eine Corona-Pandemie bestreitet, auf täglich steigende Zahlen von Toten aber nicht einmal eingeht, hat mit störenden Tatsachen offenbar ein Problem.)

Oft sollte man dann überlegen, ob sich die weitere Beschäftigung mit gewissen Meinungen überhaupt lohnt.

Was nicht überzeugt

Die folgenden Merkmale dürfen nicht genügen, um die Glaubwürdigkeit anzunehmen:

  • Titel und Ämter, womöglich abseits vom relevanten Fachgebiet: Das sagt kaum etwas über die Kompetenz aus. Wenn jemand tatsächlich im relevanten Fachgebiet arbeitet, d. h. dort auch publiziert (mit Peer Review!), ist es natürlich ein gutes Zeichen. Wenn er das nicht tut, sagt es einfach nichts aus: nicht unbedingt Negatives, aber eben auch nichts Positives.
  • Die Person ist sehr bekannt. Nun, das gilt auch für einige längst identifizierte Lügner und Quacksalber.
  • Es klingt sehr wissenschaftlich, aber ich kann es nicht überprüfen. Leider ist es für Laien oft sehr schwer, selbst krass pseudowissenschaftliche Darstellungen als solche zu erkennen bzw. von echter Wissenschaft zu unterscheiden. Die ggf. richtige Reaktion: Das kann ich nicht beurteilen, muss also weitersuchen.
  • Es wird nur behauptet, aber nicht nachvollziehbar begründet. Es kann ja trotzdem richtig sein, aber reicht eben nicht, um zu überzeugen.
  • Einzelne Behauptungen erkenne ich als definitiv zutreffend. Das sagt gar nichts aus: Die meisten Lügen verstecken sich bekanntlich zwischen Wahrheiten. Wenn beispielsweise ein Donald Trump konsequent immer lügen würde, glaubte ihm kein Depp mehr.
  • Alle gemachten Tatsachen-Behauptungen sind zutreffend. Selbst dann kann es z. B. sein, dass wesentliche weitere Tatsachen unterschlagen wurden oder dass falsche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden.
  • Es fühlt sich irgendwie gut an. Das kann einfach daran liegen, dass geschickt irgendwelche Grundeinstellungen oder Bedürfnisse angesprochen werden – wenn mich etwa ein Problem psychisch belastet, entlastet mich dessen Leugnung. Umso besser, wenn es gar mein schlechtes Gewissen vertreibt, etwa durch meine Mitverantwortung an der sich verschärfenden Klimakrise. Über Wahrheit sagt dies aber nichts! Nun ja, auch nicht jeder scheint genau das zu suchen.

Was aber kein Ausschlusskriterium ist

Umgekehrt gibt es Signale, die nicht wirklich gute Gründe sind, etwas zu verwerfen:

  • Die Person ist nicht vom Fach. Das allein bezeugt natürlich nicht die Unglaubwürdigkeit – vor allem, wenn sich die Person an breit anerkannten Resultaten der Wissenschaft orientiert. Es gibt sogar Laien, die da erstaunlich viel verstehen und es anderen Laien gut erklären können – alles bestens!
  • Es erscheint nicht in einer Fachpublikation, vielleicht gar nur im Internet. Auch kein Problem: Es gibt z. B. populärwissenschaftliche Magazine, deren Artikel (Online oder Print) zwar nie in Fachzeitschriften erscheinen könnten (z. B. weil sie gar kein neues Wissen schaffen), die aber vorhandene wissenschaftliche Resultate interessierten Laien gut verständlich und hilfreich erklären.
  • Es wird ein (womöglich prominenter) Wissenschaftler kritisiert. Kein Problem, wenn es überzeugend begründet wird: Auch Wissenschaftler irren gelegentlich.
  • Es ist nicht durch Fakten bewiesen, und Wissenschaftler wissen es auch nicht definitiv. Natürlich sind nicht alle vernünftigen Meinungen durch Fakten bewiesen. Beispielsweise müssen wir auf der Basis des besten verfügbaren Wissens, notfalls auch ohne Beweis, möglichst vernünftige Einschätzungen dazu entwickeln, wie die Corona-Krise zu bewältigen ist.

Weitere Tipps

Durch die Beschäftigung mit den oben erklärten Gedanken sind Sie sicherlich schon ein gutes Stück besser ausgerüstet, um auch in schwierigeren Situationen mit tragbarem Aufwand prüfen zu können, was man vernünftigerweise glauben oder annehmen sollte und was nicht. Diese Fertigkeiten – quasi Ihr geistiges Immunsystem – bilden Sie durch regelmäßige Übung immer besser aus. Hier noch einige weitere Tipps:

  • Wir sollten immer mehrere, voneinander unabhängige Quellen studieren und miteinander vergleichen, bevor wir uns einigermaßen sicher informiert fühlen – auch wenn einen das “Bauchgefühl” nach einiger Übung schon oft richtig leitet. Ein Hauptgrund dafür ist, dass das Problem weniger oft explizite Lügen sind, sondern vielmehr das Verschweigen wichtiger Umstände. So etwas merkt man nicht unbedingt sofort, wenn man sich dieser Umstände noch nicht bewusst war. Wenn diese Umstände aber von einer anderen Quelle diskutiert werden, wird das Übersehen dieser Lücke vermieden.
  • Prüfen Sie, ob Aussagen nicht nur sachlich korrekt, sondern auch für den Sachverhalt überhaupt relevant sind und die Behauptung stützen. Beispiel: “Coronaviren hat es schon immer gegeben.” Na klar, aber sind deswegen alle – auch neu aufgetretene – zwangsläufig harmlos? Natürlich nicht. Zweites Beispiel: “Klimawandel gab es schon immer.” Auch richtig, aber das geschah in der Geschichte der Menschheit noch nie annähernd so schnell wie heute, und selbst in langsamerer Form oft zum großen Schaden von Menschen. Wenn jemand Sie mit solchen Scheinargumenten zu ködern versucht, sollten Sie sehr skeptisch werden.
  • Wenn eine Information emotional sehr aufwühlend ist – gleich ob positiv oder negativ –, sollte man sich erst mal beruhigen, bevor man handelt. Also beispielsweise nicht fragwürdige Dinge wild weiterverbreiten in der Hoffnung, sie so geklärt zu bekommen. Manipulierende Fake News sind ja oft gerade dafür gemacht, um uns aufzuregen und zur weiteren Verbreitung beizutragen.

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