Zur Verfassungswidrigkeit des deutschen Klimaschutzgesetzes
Erschienen am 05.05.2021 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)
Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2021_05_05.html
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG
Inhalt: Die vom Bundesverfassungsgericht kürzlich festgestellte Verfassungswidrigkeit der deutschen Klimapolitik ist ein Paukenschlag. Die verfolgte Argumentation und die zu erwartenden Auswirkungen werden hier analysiert.
Es war ein Paukenschlag (und für die Bundesregierung eine schallende Ohrfeige), dass das Bundesverfassungsgericht am 24.03.2021 die teilweise Verfassungswidrigkeit des deutschen Klimaschutzgesetzes vom Dezember 2019 festgestellt hat – damit an sich sogar die Verfassungswidrigkeit der ganzen Klimaschutzpolitik dieser Regierung. Die Berichterstattung darüber ist leider oft sehr oberflächlich, wenn etwa einfach festgestellt wird, das Verfassungsgericht habe unzureichende Bemühungen der Bundesregierung zum Klimaschutz bemängelt. Das ist zwar nicht falsch, erfasst aber die für die Beurteilung des Beschlusses und seiner Konsequenzen wesentlichen Aspekte nicht. Hier sollen deswegen einige Aspekte eingehender diskutiert werden – bis hin zur Frage, inwieweit dieser Beschluss jetzt Fortschritte beim Klimaschutz durchsetzen hilft.
Zur Notwendigkeit des Klimaschutzes
Es ist ermutigend, dass die Notwendigkeit eines wirksamen Klimaschutzes in unserer Gesellschaft nur noch von Außenseitern infrage gestellt wird, denen die Felle erkennbar davonschwimmen – auch wenn dies leider mehrere Jahrzehnte gebraucht hat. Die uns global und natürlich auch in Deutschland drohenden gewaltigen Klimagefahren sind nicht mehr ernsthaft zu bestreiten, nachdem die Klimawissenschaft eine riesige Fülle von überzeugenden Beweisen produziert hat. Für das Bundesverfassungsgericht ist dieser Sachverhalt jedenfalls so klar, dass er gar nicht mehr ausführlich begründet werden muss; schließlich ist er ja insbesondere auch unter den Beteiligten des Verfahrens gar nicht strittig.
Als allgemeine rechtliche Grundlage dient zunächst Art. 20a des Grundgesetzes: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." In vielen Fällen ist es natürlich schwierig bis unmöglich, von dieser prinzipiell justiziablen Rechtsnorm konkrete Forderungen abzuleiten.
Gerade dadurch, dass Deutschland zusammen mit sehr vielen anderen Ländern das Pariser Klimaabkommen von 2015 unterzeichnet und ratifiziert hat, ist aber die Notwendigkeit des Klimaschutzes auch von ihrem Umfang her einigermaßen klar definiert: Zentral ist die Erreichung des Ziels, dass die globale Erwärmung auf maximal 2 Grad oder besser 1,5 Grad begrenzt wird. Daraus kann die Klimawissenschaft ein globales Emissionsbudget (CO2-Budget) berechnen, welches nicht überschritten werden darf – wobei dieser Wert zwar durchaus Unsicherheiten aufweist, aber eben als beste Schätzung einem vernünftigen Handeln zugrunde gelegt werden muss.
Wichtig ist hierbei die auch beim Bundesverfassungsgericht voll angekommene Einsicht, dass es nicht ausreicht, irgendwann mal eine gewisse jährliche Menge der klimaschädlichen Emissionen nicht mehr zu überschreiten, sondern dass der kumulative Effekt der Emissionen berücksichtigt werden muss. Entscheidend sind nicht die Emissionen eines Jahres, sondern welche Emissionen insgesamt bis zum Erreichen der Klimaneutralität erfolgen können, ohne in katastrophale Entwicklungen zu schlittern.
Der deutsche Beitrag
Der nächste gedankliche Schritt basiert auf der Verteilung des globalen Emissionsbudgets auf die einzelnen Länder, also der Festlegung eines fairen Anteils für Deutschland. Damit hat sich u. a. der Sachverständigenrat für Umweltfragen längst eingehend beschäftigt; mehr Details zu dieser Thematik findet man auch in meinem Artikel über den Begriff CO2-Budget. Hier sei nur kurz erwähnt, dass die historischen Emissionen Deutschlands hier zu unseren Gunsten kaum berücksichtigt werden; würden diese voll zählen, dürften wir ab sofort gar nichts mehr emittieren. Auch wenn das natürlich unrealistisch wäre, unterstreicht dies in aller Deutlichkeit unsere Verantwortung.
Es gibt leider immer noch nicht wenige Stimmen, die uns selbst eine Art Naturrecht auf viel höhere Emissionen zusprechen – etwa nach dem Motto, dass wir zwar die Notwendigkeit des Klimaschutzes durchaus sehen, wir andererseits aber leider keine wesentlichen Abstriche an dem gewohnten Wohlstand hinnehmen möchten und deswegen die anderen Länder herzlich bitten, sie mögen doch einfach den Gürtel uns zuliebe noch etwas enger schnallen. Schließlich mache unser Beitrag zu den globalen Emissionen doch ohnehin nur einige Prozent aus.
Auf solche Überlegungen lässt sich das Bundesverfassungsgericht freilich in keiner Weise ein. Zunächst einmal betont es das "Grundrecht auf das ökologische Existenzminimum", welches naturgemäß einen sehr hohen Stellenwert haben muss; auch für die Bewahrung unseres Wohlstands ist das Gelingen des Klimaschutzes eine unverzichtbare Voraussetzung. Ferner erkennt das Gericht uneingeschränkt die Weltfremdheit der Idee, ausgerechnet ein Land wie Deutschland, welches mit seinen früheren Emissionen sehr stark zum Klimawandel beigetragen hat (pro Kopf ein Vielfaches mehr als der weltweite Durchschnitt) könne sich seinen Verpflichtungen entziehen, ohne damit das Scheitern des globalen Klimaschutzes zu riskieren. Auch wenn viele andere Länder ihren Verpflichtungen bislang nicht ausreichend nachkommen, lässt das Gericht dies nicht als Ausrede zu: "Aus der spezifischen Angewiesenheit auf die internationale Staatengemeinschaft folgt vielmehr umgekehrt die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, eigene Maßnahmen zum Klimaschutz tatsächlich zu ergreifen und für andere Staaten keine Anreize zu setzen, das erforderliche Zusammenwirken zu unterlaufen."
Niemand ist hier so blauäugig anzunehmen, der Erfolg des Klimaschutzes sei garantiert, wenn nur Deutschland seinen Verpflichtungen nachkommt. Umgekehrt darf man das globale Scheitern jedoch als mehr oder weniger garantiert annehmen, wenn Länder wie Deutschland nicht mitmachen. Es geht also darum, die einzig bestehende Chance zur Problemlösung zu ergreifen und zu erhalten, weil sonst alles (natürlich auch unser Wohlstand) verloren wäre.
Klimaschutz ja, aber wann?
Prinzipiell spielt es für die Zielerreichung (Verhinderung einer globalen Erwärmung im katastrophalen Ausmaß) keine Rolle, ob man die Emissionen möglichst frühzeitig und über einen längeren Zeitraum reduziert oder aber sie zunächst auf hohem Niveau belässt und dann zu einem späteren Zeitpunkt eine brutale Notbremse hinlegt. Für die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft macht dies allerdings einen riesigen Unterschied. Die genannte Art von Notbremse könnte nicht nur unsere Wirtschaft, sondern die gesamte Gesellschaft auseinanderfallen lassen. Genau dies zu verhindern, ist extrem wichtig und muss deswegen unbedingt auch von unserer Bundesregierung mit geeigneten Mitteln angestrebt werden.
Genau hier hat unsere Politik (wie auch die in den meisten anderen Ländern) unzweifelhaft völlig versagt. Auch im Klimaschutzgesetz von 2019 gesteht man sich bis 2030 so hohe Emissionsmengen zu, dass für die Zeit danach vom Emissionsbudget nicht mehr viel übrig wäre, also dann die brutale Notbremse wohl unverzichtbar würde. Genau an dieser Stelle erkennt das Gericht nun die Verfassungswidrigkeit der Gesetzgebung: Man unterstellt nicht etwa, die Bundesregierung ließe einfach ein Scheitern des Klimaschutzes zu (obwohl es natürlich gut darauf hinauslaufen könnte). Vielmehr bemängelt es, dass man die Lasten völlig einseitig auf die jüngere Generation verlagert: Sie muss einerseits die Folgen des Klimawandels bewältigen (die natürlich selbst im Erfolgsfall viel schwerwiegender sein werden, als was wir bereits jetzt sehen) und dazu noch die gesamte Gesellschaft auf Klimaneutralität umstellen. Damit drohen auch die grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte der jüngeren Generation absehbar massiv eingeschränkt zu werden. Das Gericht sieht nun also eine Verletzung der Verfassung darin, dass gravierende Freiheitseinbußen für spätere Generationen riskiert werden, während man sich momentan nur eine vergleichsweise milde Reduktionslast auferlegt. Der Übergang zur Klimaneutralität muss also im Interesse der "intertemporalen Freiheitssicherung" rechtzeitig eingeleitet werden, um mit der Verfassung konform zu bleiben.
Nicht überraschend betont das Bundesverfassungsgericht den erheblichen Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers und der Regierung für alle Details, nicht aber ohne einen verantwortungsvollen Umgang damit anzumahnen: Dieser Spielraum ist nicht etwa ein Freibrief für ein willkürliches politisches Aushandeln. Schließlich muss (nicht: sollte) alles Notwendige getan werden, um das extrem wichtige Ziel, katastrophale Klimaveränderungen noch abzuwenden, erreichbar zu halten.
Warum nicht früher?
Nachdem die Klimagefahren bereits seit Jahrzehnten bekannt sind – wenn auch nicht mit dem heutigen Detailgrad – gilt der Vorwurf der gravierenden Verletzung der Rechte zukünftiger Generationen an sich schon seit langer Zeit, nicht erst seit dem Klimaschutzgesetz von 2019 (das ich damals auch in einem Blog-Artikel heftig kritisierte). Von daher mag man sich fragen, warum es nicht bereits viel früher gelungen ist, die Bundesregierung auf ein verantwortungsvolles Handeln zu verpflichten. Jahr für Jahr mussten wir zusehen, wie zwar hier und da zaghafte Schritte nach vorne unternommen wurden, gleichzeitig aber auch vieles blockiert wurde – man denke nur an den Aufbau gewaltiger Genehmigungshürden für den Ausbau der Windenergie, das elende Gezerre um den 52-GW-Deckel für die Photovoltaik, weitere unnötige Behinderungen der Sonnenenergie (mit der Folge eines enormen Schadens für die deutsche Solartechnikbranche) und die hartnäckige Ausbremsung der ganzen europäischen Klimapolitik im Bereich des Verkehrs zugunsten der deutschen Automobilindustrie. Es ist augenfällig, dass es der Bundesregierung seit langem in erster Linie um das Bremsen des Klimaschutzes geht, auch wenn es immer wieder mal schöne Lippenbekenntnisse gibt.
Allerdings ist es eben prinzipiell schwierig, konkrete Forderungen aus allgemeinen Grundrechtsnormen verbindlich abzuleiten. Die Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens war sicherlich ein wichtiger Schritt, der auch in anderen Ländern noch große Wirkungen entfalten dürfte. Es ist übrigens auch gut vorstellbar, dass das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts durch seine internationale Wirkung noch wesentlich mehr erreichen wird als mit seinem Einfluss auf die deutsche Klimapolitik – genauso wie die indirekten positiven Effekte der deutschen Energiewende im Ausland (vor allem durch die erzielten massiven Kostensenkungen bei erneuerbaren Energien) wohl größer sind als die (fast ausschließlich betrachteten) Resultate im Inland.
Ein großes Verdienst sehe ich auch beim Sachverständigenrat für Umweltfragen, insbesondere durch dessen klare Argumentation im Zusammenhang mit dem CO2-Budget. Erst in den letzten Jahren wurde so einer breiteren Öffentlichkeit klar, dass es mitnichten ausreicht, ein festes jährliches Emissionsziel eben irgendwann mal zu erreichen.
Die Konsequenzen
Natürlich versuchen die professionellen Bremser des Klimaschutzes bereits, die Auswirkungen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts soweit irgend möglich einzudämmen. Sie interpretieren den Beschluss wahrscheinlich gerne so, als habe man lediglich versäumt, die ab 2030 notwendigen Maßnahmen genauer ausformuliert zu beschreiben. Wenn aber nur das nachgeholt würde, wäre damit die Verfassungsmäßigkeit offensichtlich nicht wiederhergestellt: Schließlich würde sich dadurch ja nichts daran ändern, dass der Großteil der Reduktionslasten in späteren Jahren erbracht werden müssten.
Zu befürchten ist freilich, dass die altbekannte Strategie trotzdem vorerst kaum geändert weiterverfolgt wird, falls die Bundespolitik nach der Wahl im Herbst weiter konservativ dominiert wird: Man setzt sich wieder etwas strengere Ziele, ergreift aber nicht die zur Zielerreichung nötigen Maßnahmen. Schließlich kann es dann wieder einige Jahre dauern, bis die fortgesetzte Verletzung verfassungsmäßiger Grundsätze erneut gerichtlich festgestellt wird und bis dies dann endlich tatsächliche Auswirkungen hat. Man darf davon ausgehen, dass die von den einschlägigen Lobbys kontrollierten Politiker diesen Weg weiter beschreiten werden – jedenfalls im Rahmen der Grenzen, die die Wähler ihnen setzen.
Was immerhin nicht mehr funktionieren wird, ist die Argumentation, entschiedener Klimaschutz sei zu einschneidend für unsere Wirtschaft und Gesellschaft – also nicht genügend wirtschafts- und sozialverträglich. Man kann nämlich nun schon aus rechtlichen Gründen weder ein Scheitern des Klimaschutzes einfach in Kauf nehmen noch argumentieren, dass diese Reduktionslasten für uns jetzt gerade leider zu viel seien, in späteren Jahren (2030-2050) aber auch in viel größerem Umfang schon irgendwie machbar wären. Gerade wegen der Sozialverträglichkeit verlangt das Bundesverfassungsgericht ja ein schnelleres Vorgehen.
Natürlich werden weiterhin etliche Politiker technologische Wunschträume pflegen, etwa von einer Renaissance der Kernenergie, vielleicht auch in Form von Kernfusion oder einfach mit der Erwartung, unsere tollen Wissenschaftler würden schon plötzlich noch eine tolle Idee entwickeln und für uns umsetzen. Es bleibt also die Notwendigkeit, bei aller Offenheit für den technologischen Fortschritt dessen Möglichkeiten und Grenzen immer wieder sachlich fundiert zu bewerten und erläutern. Es muss auch immer wieder deutlich gemacht werden, dass es nicht etwa modern und fortschrittlich ist, die notwendige Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu blockieren mit Verweis auf einen hoffentlich irgendwie über uns kommenden technischen Fortschritt.
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