Klimaschutz und Energiewende: Was fehlt uns zur Zukunftsfähigkeit?
Erschienen am 23.12.2021 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)
Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2021_12_23.html
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG
Inhalt: In mehreren Jahrzehnten kam trotz ausreichendes Wissens um die Klimakrise der Klimaschutz wenig voran; es stellt sich die Frage, was genau uns fehlt, um Zukunftsfähigkeit zu erlangen.

Dieser Artikel erschien in der Berliner Zeitung vom 06.12.2021 (mit geringfügigen Abweichungen im Text).
Es gibt mittlerweile einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass eine umfassende Energiewende basierend auf CO2-freien Technologien dringend nötig ist, um den gefährlichen Klimawandel zu begrenzen und heikle Abhängigkeiten zu reduzieren. Letzteres verdeutlichen die aktuellen Engpässe beim Erdgas nochmals. Auch Sektoren wie Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft müssen dringend zukunftsfähig gemacht werden.
Trotz dieser Einsichten schaffen wir es seit Jahrzehnten nur in Ansätzen, die nötigen Schritte zu beschließen und umzusetzen. Wir verfügen über viel Wissen, Technologie und wirtschaftliche Resourcen, sind aber trotzdem dabei, uns die Zukunft zu verderben, da wir als Gesellschaft geistig nicht auf der Höhe sind. Welche Faktoren diesen Stillstand verursachen, der unsere Zukunft gefährdet und die Kosten für die verspätet angegangenen Problemlösungen massiv in die Höhe treibt, ist eine vertiefte Beschäftigung wert. Der große Einfluss von mächtigen Partikularinteressen (etwa der Autoindustrie und Kohlewirtschaft) auf unsere Regierungen ist sicherlich ein Kernproblem, aber eine den Problemlösungen stets ausweichende Politik wurde auch über Jahrzehnte von der Bevölkerung geduldet.
Leugnung und Verdrängung der Probleme
Für lange Zeit wurden die Klimagefahren einfach geleugnet. Es gab umfangreiche Kampagnen der Profiteure des Raubbaus; beispielsweise zog die Erdölwirtschaft die Tatsache, die Ursachen und die Gefahren des Klimawandels jahrelang in Zweifel, nachdem man intern längst über die katastrophalen Folgen Bescheid wusste. Allerdings wird der Öffentlichkeit durch wissenschaftliche Erkenntnisse und sogar durch eigene Erfahrungen (etwa Dürren und Flutkatastrophen) immer klarer, dass die Bedrohung sehr real ist. Die Leugnung des Klimaproblems ist zumindest in Europa nicht mehr salonfähig – nur noch eine Sache für ideologisch komplett Verbohrte. In den USA dauert dieser Prozess noch an.
Der Trend geht inzwischen mehr zur Verdrängung und Ablenkung. Andere Probleme wie Pandemie, Wirtschaftskrisen und Flüchtlingsströme eignen sich dafür – obwohl solche Gefährdungen ja absehbar wachsen werden, wenn wir in zunehmend katastrophale Klimaveränderungen laufen. Anstatt die elementaren Lebensgrundlagen (insbesondere halbwegs stabile klimatische Verhältnisse) vorrangig zu schützen, um anderen Herausforderungen besser gewachsen zu sein, wird der Klimaschutz gerade aus solchen Gründen immer wieder zurückgestellt. Im Übrigen drängt sich der Verdacht auf, dass auch kulturelle Konflikte (z. B. Rassismus- und Gender-Debatte) insbesondere in den USA gezielt geschürt werden, um von Grundproblemen wie Klimagefahren und extrem ungerechten sozialen Verhältnissen abzulenken und Fortschritte effektiv zu blockieren.
Die geschürte Angst vor den Herausforderungen wirkt zusätzlich lähmend. Der Verzicht auf diverse im Erdölzeitalter gewachsene Ansprüche (schnelle schwere Autos, Flugreisen etc.) wird umso nötiger, je mehr Zeit verloren geht. Die durch soziale Ungleichheit verschärfte Angst vor zu großen Härten lässt sich dann wiederum instrumentalisieren für die Blockade des Klimaschutzes – am Ende natürlich zum Schaden gerade der sozial Schwachen.
Zusätzliche Schwierigkeiten
Der Konflikt zwischen kurz- und langfristigen Interessen führt zu absurden Resultaten. Wenn etwa zukünftige Generationen mit gewaltigem Aufwand CO2 aus der Luft extrahieren und endlagern müssen, wird man jede heute leichtfertig emittierte Tonne schwer bedauern. Die Umstellung von Raubbau auf Nachhaltigkeit wäre mühsam – aber wenn sie nicht rechtzeitig erfolgt, wird es in wenigen Jahrzehnten weit mehr als nur mühsam. Eine ähnliche Kurzsichtigkeit ist auch in der Corona-Krise zu beobachten, trotz eines dort ganz kurzen Zeithorizonts: Was uns in wenigen Wochen absehbar größte Probleme machen wird, reicht vielen heute nicht als Grund zum Handeln.
Eine weitere Problematik liegt darin, dass der Nutzen z. B. des Kohle-Raubbaus vorwiegend bei den Industrieländern bleibt, während der Schaden auf die ganze Welt verteilt wird. Selbst wenn der Schaden insgesamt viel größer ist als der Nutzen, wird dies nicht aufgegeben. Die vermeintlich rationale Strategie des Trittbrettfahrens bleibt populär, obwohl sie absehbar in die Katastrophe führt. So zeigt man in Deutschland etwa gerne mit dem Finger auf die Chinesen, während die eigenen Pro-Kopf-Emissionen wesentlich höher sind. Dass ein Großteil der Welt unserem verheerenden Vorbild folgt, einen beispiellosen Wohlstand auf der Basis gefährlichen Raubbaus zu erarbeiten, ist kein populärer Gedanke. Lieber sieht man sich als den Musterknaben, der doch nicht so naiv und selbstlos vorangehen sollte, nachdem das angesichts der bösen Welt ohnehin scheitern muss. Eine absurde Sicht als Rechtfertigung der Kapitulation vor einer existenziellen Bedrohung.
Konkurrierende Lösungskonzepte
Dass erneuerbare Energien die zentrale Basis der Energiewende sein müssen und können, war für lange Zeit umstritten angesichts damals geringer Kapazitäten und hoher Kosten. Hier hat Deutschland insbesondere mit seinem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) viel geleistet, nämlich entscheidend zu massiven Kostensenkungen beigetragen, die solche Technologien nun weltweit breit anwendbar gemacht haben. Mancherorts ist Wind- und Solarstrom schon so billig geworden, dass Kohlekraftwerke damit kaum mehr konkurrieren können, selbst ohne CO2-Bepreisung. Allerdings wurde dann gerade in Deutschland selbst der Ausbau der Erneuerbaren von der Politik mit einem ganzen Strauß von Maßnahmen (Abkehr von Einspeisevergütungen, bürokratische Hürden für Windenergieanlagen etc.) weitgehend abgewürgt. Dadurch gingen nicht nur viele Arbeitsplätze verloren, sondern es wird der Kohleausstieg (gerade noch in Verbindung mit dem Atomausstieg) länger dauern, als er sollte, um einen angemessenen Klimaschutzbeitrag Deutschlands zu ermöglichen. Dies unterminiert nun auch unsere Glaubwürdigkeit und Verhandlungsposition in der globalen Klimapolitik.
Der Ausbau der Erneuerbaren muss nun enorm beschleunigt werden – zunächst für den Ersatz von Kohle und Kernenergie, dann auch für Elektroautos, Wärmepumpenheizungen und elektrifizierte Industrieprozesse z. B. für Stahl und Chemie. Verbesserte Energieeffizienz muss die absehbaren Engpässe entschärfen. Dazu kommt die Herausforderung, die zwar prognostizierbaren, aber nicht steuerbaren Schwankungen der Stromproduktion mit dem Strombedarf in Einklang zu bringen. Eine breite Palette von Ansätzen steht zur Verfügung: unter anderem neue Energiespeicher, Lastmanagement und verstärkte Stromnetze, dazu die kommende Sektorkopplung und neue Energieträger wie Wasserstoff. Wissenschaftler, Ingenieure und Ökonomen müssen nun solche Optionen ausarbeiten und eine volkswirtschaftlich optimierte Kombination davon finden.
Ein Nebenkriegsschauplatz ist der Streit um die Kernenergie. Obwohl diese in Deutschland weitaus weniger Schäden angerichtet hat als die Kohlenutzung, könnte sich dies mit einem einzigen schweren Unfall ändern; die Bevölkerung ist schlicht nicht mehr bereit, dieses Risiko zu tragen. Zudem wird die von manchen erhoffte Renaissance der Kernenergie absehbar an den ausufernden Kosten scheitern; in keinem Land der Welt geht da noch etwas ohne milliardenschwere staatliche Subventionen. Eine Vervielfachung der globalen Kernenergienutzung, wie sie für einen wesentlichen Lösungsbeitrag zum Klimaschutz notwendig wäre, ist daher annähernd unmöglich – schon ohne Diskussion der ungelösten Endlagerproblematik sowie der Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen. Zwar kann man sich fragen, ob eine gewisse Verzögerung des deutschen Atomausstiegs nicht akzeptabler wäre als eine zu langsame Absenkung der CO2-Emissionen. Jedoch würde dieser Gewinn für das Klima leicht wieder verloren durch ein Nachlassen bei der Arbeit an der zukünftigen Energieversorgung auf der Basis der Erneuerbaren.
Sträflich vernachlässigt wurden bislang die Probleme bei Gebäuden und Verkehr. Einfach nur Heizkessel und Motoren auf neue Energieträger umzustellen, ist offenkundig nicht ausreichend. Unabdingbar sind eine starke Senkung des Heizwärmebedarfs, auch als Grundlage für eine Wärmepumpenstrategie, sowie neue Mobilitätskonzepte, und all dies im Rahmen eines realistischen Gesamtkonzepts unter Berücksichtigung auch sozialer Aspekte. Substanzlose technologische Träumereien ("Wir setzen auf technische Innovationen, nicht Verzicht!") sind hierfür kein Ersatz. Die geistige Beschränktheit der bisherigen öffentlichen Diskussion muss dringend überwunden werden.
Zukunftsfähigkeit erarbeiten
In allen Sektoren werden also noch große Anstrengungen inklusive einer umfangreichen Denkarbeit notwendig sein. Bislang engagieren sich viele Akteure mehr in unproduktiven Grabenkämpfen gegen andere Ansätze als bei der Ausarbeitung wirklich tragfähiger Konzepte. Wer beispielsweise die Erneuerbaren nur wegen seiner Angst vor der Kernenergie anpreist, ohne aber ernsthaft an einer erneuerbaren Zukunft zu arbeiten, trägt so wenig zur Problemlösung bei wie einer, der nicht an die Erneuerbaren glauben kann und deswegen verbissen an der Kernenergie festhält, ohne eine darauf basierende realistische Strategie vorweisen zu können. Wir brauchen mehr als nur verbissene Kämpfe gegen Windmühlen, angeblich nutzlose weil fluktuierende erneuerbare Energien, gegen Stromtrassen, Speicherkraftwerke und eine ökologische Steuerreform mit Abschaffung klimaschädlicher Begünstigungen, weil dies alles nur blockiert und den unhaltbaren Status quo zementiert. Stattdessen braucht es fundierte, durchdachte und konstruktive Kritik, vor allem aber produktive Beiträge. Die Öffentlichkeit sollte signalisieren, dass sie keine Grabenkämpfe mehr will, sondern endlich Lösungen, um die Zukunft zu meistern. Damit wäre nebenbei auch einiges zur Bewahrung der Demokratie geleistet.
Die für eine lebenswerte Zukunft notwendige Große Transformation umfasst weite Teile der Wirtschaft, und sie erfordert gesellschaftliche Anpassungen: etwa eine größere Akzeptanz für Windenergieanlagen und einen gewissen Ausbau der Stromtrassen (etwa für die verbesserte Versorgung Süddeutschlands und die Nutzung norwegischer Energiespeicher), aber auch Offenheit für neue Verkehrskonzepte und vor allem einen ausreichenden Konsens für eine faire Verteilung der Lasten, die die Transformation verursacht. Das Bewusstsein, dass ein Scheitern weit größere Lasten verschiedenster Art mit sich brächte, sollte dabei helfen.
Bislang ist unsere Gesellschaft klar noch nicht zukunftsfähig – nicht nur wegen ihrer Abhängigkeit von zerstörerischem Raubbau, sondern nicht zuletzt auch wegen ihrer mangelnden Fähigkeit, die Konzepte ihrer klügsten Köpfe gesellschaftlich fruchtbar auszudiskutieren und innerhalb einer vernünftigen Zeit umzusetzen. Es gilt, die Herausforderungen beherzt anzunehmen, anstatt weiterhin Leugnung, Verdrängung, Blockaden und Verwirrungen durch Fake News zuzulassen. Not tut dabei ein fruchtbarer Dialog, in dem die Teilnehmer voneinander lernen und damit eigene Positionen kritisch hinterfragen und weiterentwickeln.
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