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Beschleunigter Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger: entscheidend für Klimaschutz

Erschienen am 05.04.2022 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2022_04_05.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Der Ausstieg aus der Nutzung der fossilen Energieträger wird durch den Ukraine-Krieg noch dringender. Zusätzlich zum Klimaschutz als langfristige unbedingte Notwendigkeit geht es auch um Sicherheit und Freiheit.

Rüdiger Paschotta

Durch den brutalen Krieg Russlands gegen die Ukraine wird für viele nun wesentlich klarer, dass die Abkehr von den fossilen Energieträgern nicht einfach ein frommer aber unrealistischer Wunschtraum von Öko-Freaks ist, sondern eine überlebenswichtige Sache für unsere Gesellschaft. Zwar war schon lange klar, dass ein halbwegs gelingender Klimaschutz zukünftig die entscheidende Grundvoraussetzung für alles sein wird, auch für unseren Wohlstand – aber das war meist nicht Grund genug zum Handeln, weil es weit genug weg zu sein schien, um es auf die lange Bank zu schieben und dort liegen zu lassen. Die üblen Abhängigkeiten von äußerst problematischen Lieferanten waren im Prinzip auch bekannt, aber zu wenig konkret. Durch diesen Krieg sind sie nun allerdings dermaßen grausam sichtbar und wirksam geworden, dass die akute Notwendigkeit des Handelns kaum mehr bestreitbar ist. Ob sich hieraus nun wohl endlich ein Konsens für ein entschiedenes Handeln ergibt?

Analyse der Lage

Analysieren wir aber erst mal die Lage in verschiedenen Bereichen.

Erdgas

Beim Erdgas haben wir das besondere Problem eines leitungsgebundenen Energieträgers: Die Lieferanten kann man nicht einfach so mal auswechseln – genauso wenig übrigens wie umgekehrt die Abnehmer. Gewisse Möglichkeiten eröffnen sich zwar durch Flüssigerdgas (nicht zu verwechseln mit Flüssiggas, mit welchem ein geringer Teil der Häuser beheizt wird); Flüssigerdgas ist mit großen Tankern über weite Strecken transportierbar. Das wichtigste Problem hiermit sind nicht etwa die fehlenden Terminals für die Anlandung in Deutschland, da man auch anderswo (beispielsweise in Rotterdam) angeliefertes Gas über Pipelines beziehen kann, wenigstens in begrenztem Umfang. Das Grundproblem ist vielmehr, dass nur begrenzt Gas auf dem Markt verfügbar ist, und dieses zum größten Teil unter sehr bedenklichen Umständen:

  • Die Preise sind deutlich höher als beim bisher bezogenen russischen Erdgas.
  • Die Klimaschädlichkeit ist wegen der zunehmenden Bedeutung des Frackings (bei dem oft viel von dem sehr klimaschädlichen Methan in die Atmosphäre entweicht) und wegen dem großen Energieaufwand für die Verflüssigung und den Transport noch wesentlich stärker als bisher – vermutlich sogar schlimmer als bei der Nutzung von Kohle.
  • Ein wesentlicher Teil der alternativen Lieferanten sind wieder diktatorische Regimes, von denen man auch nicht abhängig sein möchte – auch wenn sie momentan eine weniger akute Bedrohung für uns darstellen.

Zu beachten ist auch, dass eine global hohe Nachfrage bei gleichzeitig begrenztem Angebot die Preise in ungeahnte Höhen treibt, was den Aggressoren wiederum nützt: Sie verdienen an uns nun sogar mehr als zuvor. Nur eine echte Reduktion der Nachfrage (nicht nur eine Verlagerung zu anderen Lieferanten) kann hier helfen. Und Deutschland ist ein ausreichend großer Player, um solche Märkte zu beeinflussen – erst recht mit europäischer Kooperation in solchen Dingen, die natürlich immer sehr wichtig ist.

Lediglich auf andere Lieferanten umzustellen, ist also nur eine kurzfristige Notlösung, und zwar eine äußerst unvollkommene und unbefriedigende – alleine schon, weil das von uns auf anderen Märkten weggekaufte Gas dann womöglich von sonst jemandem durch russisches Gas ersetzt wird! Ähnlich hilft es auch kaum, nur Gas wieder durch Öl oder Kohle zu ersetzen. Wir müssen den Verbrauch schnell drastisch senken.

Erdöl und Kohle

Beim Erdöl ist es wenigstens einfacher, auf andere Lieferanten umzustellen, jedoch sind die Probleme letztlich ähnlich wie beim Gas. Die Produktion wird immer klimaschädlicher, da Fracking-Methoden mit üblen Auswirkungen auf Klima und Landschaft immer wichtiger werden, und der Einsatz solcher Techniken wird durch die Knappheit und die damit steigenden Preise natürlich verstärkt. Und wiederum stützt man damit diktatorische Regimes, mit denen gefährliche Konflikte vorprogrammiert sind.

Vielen ist nicht bekannt, dass Deutschland auch sehr viel Steinkohle aus Russland bezieht. Denkbar wäre, die Braunkohleförderung in Deutschland doch noch länger weiterzuführen (also quasi einen Ausstieg aus dem Kohleausstieg vorzunehmen), um die Importe aus Russland schneller beenden zu können – aber eben um den Preis höherer Kosten, weiterer Schäden an Umwelt und Landschaft und vermutlich noch etwas stärkerer Klimaschädigung.

Elektrische Energie

Wir beziehen zwar keinen Strom aus Russland, erzeugen aber viel Strom mit Kohle und Gas, weswegen auch dieser Sektor wesentlich betroffen ist. Zwar sind die durchschnittlichen Erzeugungskosten bislang nicht gewaltig gestiegen, die Preise am Strommarkt jedoch schon (außer für langfristige früher abgeschlossene Lieferverträge), weil beim verwendeten Mechanismus der Preis vom jeweils teuersten, gerade noch benötigten Lieferanten gesetzt wird – auch für alle anderen, die eigentlich billiger produzieren und damit entsprechend mehr Gewinn machen. Dieser Mechanismus erscheint manchen als ziemlich idiotisch, jedoch funktionieren Märkte eben meistens so, und anders ist es nicht einfach zu bewerkstelligen. Auf einem freien Markt (der ja generell große Vorzüge hat) kann man jemanden, der billiger produzieren kann, in Situation der Knappheit nicht zur Abgabe der Güter zu niedrigeren Preisen zwingen. Ich denke deswegen nicht, dass man dieses Problem mit einem anderen Strommarktdesign lösen wird.

Ohnehin geht es nicht nur um Stromkosten, sondern auch um die Versorgungssicherheit. Gaskraftwerke dienen in großem Umfang als Reserve, und die verfügbaren Gasspeicher im Land (soweit sie nicht sinnigerweise auch noch von Gazprom kontrolliert werden) haben auch nur eine begrenzte Kapazität. Wegen der großen unmittelbaren Schäden durch großflächige Stromausfälle wird man der Gasversorgung der Kraftwerke bei Engpässen der Stromversorgung eine hohe Priorität geben – wie übrigens auch den Gasheizungen, wo frierende Kunden schnell sehr unruhig würden. Manche Industriekunden könnte man wohl mit begrenztem Schaden für die Volkswirtschaft vorübergehend abstellen, aber wenn dies in größerem Umfang nötig würde, beträfe dies auch wieder die Gesamtwirtschaft, da viele Produkte v. a. der Chemie ja für weite Teile der Wirtschaft unverzichtbar sind.

Nochmals zu Erdgas

Wir sind also wieder beim Gas: Die starke Abhängigkeit vom Erdgas, die wir in den letzten Jahrzehnten eingegangen sind, rächt sich jetzt mehrfach: Sie führt nicht nur zu großen wirtschaftlichen Risiken, sondern gefährdet auch unsere Sicherheit, da sie unsere politische Handlungsfähigkeit stark einschränkt. Das jahrelange Gerede vom Erdgas als Brückentechnologie (zusammen mit der Behinderung der erneuerbaren Energien) hat uns also schwer geschadet, ebenso die unredliche Darstellung von Nordstream 2 als "rein privatwirtschaftliches Projekt" – als hätte man die politischen Implikationen beim besten Willen nicht erkennen können. Auch wenn für die meisten (mich eingeschlossen) ein so brutales Vorgehen Putins nicht erwartbar war (einfach weil es seinem eigenen Land mittelfristig enormen Schaden zufügt), war es offensichtlich, dass diese Abhängigkeit gefährlich ist. Schließlich wusste man schon lange, dass Russland Verträge nicht zuverlässig einhält, seine Bevölkerung zunehmend unterdrückt (z. B. Kritiker erschießen oder vergiften lässt) und auch nach außen immer aggressiver auftritt (etwa mit äußerster Brutalität in Syrien). Und zu Putins Fehlkalkulation hat natürlich stark der u. a. durch das Projekt Nordstream 2 erzeugte Eindruck beigetragen, der Westen würde notgedrungen alles schlucken, da ihm Gas, Öl und Geld letztendlich wichtiger sind als das Wohlergehen anderer Völker. Wir wirkten noch etwas blöder, als wir tatsächlich sind, und auch das hat massiv geschadet. Leider senden wir immer noch gewisse fatale Signale aus – etwa durch den Verzicht auf ein generelles Tempolimit auf Autobahnen; das legt nahe, dass uns selbst das schnelle Fahren doch wichtiger ist als alles andere.

Nachtrag vom 04.07.2022: Ich wollte noch erwähnen, dass wir auch nicht die völlig unrealistische Hoffnung haben sollten, wir könnten munter weiter mit Gas heizen, das dann eben als Biogas gewonnen würde. Das geht mengenmäßig überhaupt nicht auf, was letztendlich an der miserablen Flächeneffizienz der Energieerzeugung über Energiepflanzen liegt. Schon heute wird z. B. in Deutschland ein erheblicher Teil der landwirtschaftlichen Flächen belegt, und selbst das bringt keine starke Entlastung auf dem Gasmarkt.

Geld für Russlands Kriegsmaschinerie

Durch die massiv gestiegenen Energiepreise wird sogar in hohem Maße zusätzliches Geld in die Kassen geschwemmt, die letztendlich Russlands zerstörerische Kriegsmaschinerie finanzieren. Diesen Umstand finde ich extrem belastend: Er schmerzt mich persönlich viel mehr als die erhöhte finanzielle Belastung. Das bestärkt mich aber auch sehr in meinen Bemühungen, auch persönlich weiter von den fossilen Energien wegzukommen, etwa durch Errichtung einer Wärmepumpenheizung noch dieses Jahr und (beim nächsten Fahrzeugwechsel) den Kauf eines Elektroautos (zusätzlich zu allen bereits implementierten Maßnahmen).

Es ist unbedingt notwendig, dass einen sehr hohen Preis zahlt, wer solche monströse Verbrechen wie den aktuellen Angriffskrieg begeht – nicht nur aus moralischen Gründen, sondern vor allem auch zur Verhinderung erneuter Verbrechen durch dieselben oder andere Täter. Auch wenn man das nie wird quantifizieren können, halte ich einen zügigen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern (insbesondere denen von Russland gekauften) auch für sehr wichtig für unsere zukünftige Sicherheit und Freiheit.

Wohlgemerkt werden solche Maßnahmen nicht erst wirksam, wenn wir Russland gar nichts mehr abkaufen. Eine erhebliche Reduktion der Abnahmemengen, die gleichzeitig auch preisdämpfend wirkt (v. a. soweit sich auf Verbrauchsreduktion basiert), kommt Russland bereits sehr teuer zu stehen und dürfte die Bewertung, ob sich das Abenteuer gelohnt hat, mit der Zeit deutlich beeinflussen.

Lösungsansätze

Lieferanten auswechseln

Wie oben bereits ausgeführt, ist der Wechsel zu anderen Lieferanten nur eine kurzfristige Notlösung mit sehr unangenehmen Nebenwirkungen, also ganz klar nicht ausreichend. Wenn wir die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern nicht zügig abbauen, droht uns neben dem Scheitern des Klimaschutzes noch so manche zusätzliche große Gefahr. Immerhin ist dies der derzeitigen Bundesregierung sicher bewusst.

Erneuerbare Energien

Mittel- und langfristig ist der Ausbau der erneuerbaren Energien einer der entscheidenden Wege zur Problemlösung. Leider haben die letzten Bundesregierungen ihre Aufgabe offenbar hauptsächlich darin gesehen, den Ausbau der erneuerbaren Energien nach Kräften zu bremsen – mit großem Erfolg. Beispielsweise ist der Ausbau der Stromerzeugung mit Windkraft in den letzten Jahren massiv eingebrochen – nicht nur wegen Abstandsregelungen, sondern auch wegen der Umstellung von Einspeisevergütungen auf das angeblich intelligentere System mit Ausschreibungen, was auch anderswo schon früher krachend gescheitert war. Auf die Kritiker wollte man nicht hören, vermutlich weil das Ausbremsen der erneuerbaren Energien in Wirklichkeit gewollt war – nämlich im Interesse derjenigen, die an den fossilen Energieträgern verdienen und auch diverse Parteien finanzieren.

Nun werden diverse Hebel sicherlich schnell und stark umgelegt werden, aber ein wesentlicher Effekt kann aus diversen Gründen erst innerhalb einiger Jahre erwartet werden. Übrigens geht es nicht nur um den Zubau von Erzeugungsanlagen, sondern auch um die Verstärkung der Stromnetze. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch in manchen "grünen" Kreisen die Einsicht schnell noch stärker durchsetzt, dass verstärkte Stromnetze für den Erfolg der Erneuerbaren äußerst wichtig sind und nicht zu vertretbaren Kosten durch Energiespeicher ersetzen lassen. Die brauchen wir zwar auch, aber in einem vernünftigen (auch kostenoptimierten) Mix von Maßnahmen müssen starke Stromnetze eine sehr wichtige Rolle spielen. Es geht nicht an, dass regelmäßig z. B. an einem Ende einer zu schwachen Stromleitung Windstrom abgeregelt werden muss, während am anderen Ende ein Gaskraftwerk als Reserve einspringt. Dieses Problem würde bei weiterem Ausbau der Erzeugung ohne Verstärkung der Stromnetze immer größer. Man sollte sich dabei aber bewusst sein, dass die nötigen Kapazitätserweiterungen im Vergleich zu den bereits vorhandenen Netzkapazitäten auch wieder nicht so groß sind; man wird nicht das ganze Land mit Strommasten zustellen müssen.

Betont werden muss auch, dass die Erneuerbaren hauptsächlich im Stromsektor wichtig sind, weil insbesondere für Windenergie und Sonnenenergie (hauptsächlich in Form von Photovoltaik) immer noch sehr große Potenziale nutzbar sind – anders als beispielsweise bei sogenannten Biokraftstoffen (besser bezeichnet als Agrokraftstoffe), deren Anbau durch die verfügbaren Flächen stark begrenzt ist, weil die Flächennutzungeffizienz (gewonnene Energiemenge pro Hektar und Jahr) im Vergleich z. B. zur Photovoltaik miserabel ist. Auch deswegen ist eine zunehmende Elektrifizierung z. B. des Wärme- und Verkehrssektors und in der Folge eine starke Sektorkopplung unverzichtbar. Anders wird es nicht gelingen, die Dekarbonisierung auch in diesen Sektoren zu vertretbaren Preisen zu erreichen.

Heizungen

Viele werden (und sollten) sich jetzt fragen, wie wir in Zukunft noch unsere Häuser heizen können. Dass Ölheizungen keine Zukunft haben, ist längst bekannt – trotzdem gibt es noch viele. Dass immer noch viele Gasheizungen selbst bei Neubauten zum Einsatz kommen, ist ein Resultat kurzsichtiger Planung; immerhin haben die Neubauten in der Regel aber auch eine Fußbodenheizung, sodass der Ersatz der Gasheizung durch eine Wärmepumpenheizung gut möglich ist – vor allem bei Mehrfamilienhäusern zu erträglichen Kosten.

Große Probleme haben wir mit der großen Zahl von energetisch sehr ungünstigen älteren Häusern: Mangels Wärmedämmung haben sie einen sehr hohen Heizwärmebedarf (ein Mehrfaches im Vergleich zu heutigen Neubauten), und zusätzlich braucht man für die Heizkörper meist eine recht hohe Vorlauftemperatur, was den Einsatz von Wärmepumpen erschwert. Vor man sich um die Wärmequelle kümmert, sollte man jeweils prüfen, ob bzw. wie man den Wärmebedarf möglichst weit senken kann, insbesondere durch nachträgliche Wärmedämmung – was aber leider nicht überall praktikabel und bezahlbar ist. Leider geschah eine energetische Sanierung von Gebäuden bislang selbst dort oft jahrelang nicht, wo es technisch und finanziell durchaus möglich und sinnvoll gewesen wäre. Dies rächt sich für die Hausbesitzer nun dadurch, dass die Kosten der Sanierung nun sicherlich höher werden, während der Nutzen später eintritt. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass es keinen Sinn macht, eine früher oder später ohnehin unverzichtbare Sanierung auf die lange Bank zu schieben.

Da die konkreten Umstände bei Immobilien sehr unterschiedlich sein können, kann man nicht auf Patentrezepte setzen, sondern muss jeden einzelnen Fall individuell sachkundig analysieren und bewerten, um die jeweils passende Strategie zu finden. Der erste Schritt für den Hausbesitzer ist die Beauftragung eines (hoffentlich kompetenten) Energieberaters.

Nicht übersehen sollte man auch die Chancen des Energiesparens beim Heizen durch sorgsamen Umgang, z. B. Vermeidung unnötig starker oder lange dauernder Beheizung, sinnvolle Belüftung sowie eine gute Einstellung der Heizungsanlage. Das allein reicht natürlich nicht aus. Es bringt aber immerhin sehr schnell spürbare Effekte.

Verkehr

Mit Verbrennungsmotoren angetriebene Autos haben keine Zukunft mehr – was hoffentlich bald den allerletzten klar wird. Trotz gewisser Beschränkungen wird das Elektroauto der entscheidende Lösungsansatz sein – natürlich zusammen mit einem entsprechenden Ausbau der grünen Stromerzeugung, weil sonst die Klimaschutzwirkung bescheiden ist. Noch bestehende Probleme mit den Batterien (z. B. Energieaufwand und Kosten der Herstellung, nötige Rohstoffe etc.) werden inzwischen zügig angegangen, und erhebliche Fortschritte sind zu erwarten. Es ist absurd, Batterieautos etwa mit Hinweis auf Probleme der Lithium-Gewinnung abzulehnen und deswegen weiter ein Benzinauto mit steigendem Anteil von Fracking-Benzin zu fahren. Ähnlich unsinnig ist es, den Energieaufwand bei der Herstellung der ersten Batterien (mit noch längst nicht optimierter Technologie) als maßgeblich für die nächsten Jahrzehnte darzustellen. Dagegen sehe ich beim alternativen Ansatz mit Wasserstoff diverse grundlegende Probleme, die der technische Fortschritt wohl nur sehr begrenzt vermindern kann – insbesondere die miserable Energieeffizienz, die den Bedarf an ohnehin knappem grünem Strom noch vervielfachen würde. In manchen Sektoren des Verkehrs (z. B. Schiffe und Flugzeuge) wird es nur so gehen, aber für Autos taugt Wasserstoff wohl eher zur Vertröstung als zur realen Problemlösung.

Ganz schnell wirksame Effekte (oft zu Kosten von weniger als gar nichts) sind natürlich erreichbar, wenn man die Nutzung des Autos beeinflusst, etwa durch

  • ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen (ggf. auch freiwillig),
  • die Verwendung der Bahn für längere Strecken,
  • die Verwendung des Fahrrads (oder E-Bikes) für kurze Strecken,
  • oder auch ganz einfach durch den Verzicht auf gewisse Reisen, die nicht wirklich notwendig sind.

Natürlich ist Verzicht (siehe auch Suffizienz) bei vielen verpönt – wobei diese natürlich übersehen, dass bei nicht erreichten Problemlösungen das Resultat sein kann, dass wir am Ende massiv leiden: etwa unter erzwungenen Verzicht durch Versorgungsengpässe oder extreme Preise. Grundsätzlich sollte man immer wieder an die Prioritäten erinnern: Offensichtlich sollten die Bewahrung der natürlichen Lebensbedingungen ganz oben stehen, weit oben auch die Sicherheit in einem umfassenden Sinne (etwa Sicherheit vor politischer Erpressung), und deutlich weiter unten die kurzfristige Bequemlichkeit. Wer beispielsweise selbst in der heutigen Situation ein Tempolimit auf Autobahnen brüsk ablehnt oder auf Langstrecken-Urlaubsreisen besteht, sonst aber natürlich keine ähnlich wirksame Problemlösung ohne schlechte Nebenwirkungen anbieten (und als umgesetzt vorweisen!) kann, zeigt damit nur eines: dass er nicht ernsthaft an Problemlösungen arbeitet – etwa weil er immer noch nicht begriffen hat, was die Lage ist, oder hofft, auf Kosten anderer auch so durchzukommen.

Kernenergie

Ein Stück weit ist es durchaus nachvollziehbar, dass manche den Atomausstieg als einen Fehler betrachten, nachdem die Kernenergie im Prinzip große Mengen elektrischer Energie klimafreundlich und mit begrenzten Abhängigkeiten erzeugen könnte. Nur folgt daraus nicht zwangsläufig, dass eine Kernenergie-Strategie sinnvoll wäre; dafür müsste man die Probleme der Kernenergie ernsthaft analysieren, zusammen mit denkbaren Lösungsansätzen, und am Ende die Vor- und Nachteile bei einem Vergleich mit anderen Strategien sachgerecht abzuwägen. Vielfach beobachte ich aber (gerade auch bei Physikern) häufig ein ganz anderes Denken: Das Setzen auf Kernenergie erfolgt ohne ernsthafte Analyse von deren Potenzialen und Problemen, ergibt sich nämlich mehr oder weniger nur aus der Ablehnung anderer Ansätze. Konsequent übersehen werden oft

  • die enormen Kosten des Neubaus von Kraftwerken (beispielsweise die Milliarden-Debakel in Finnland und Frankreich),
  • die langen Bauzeiten und entsprechend späten Lösungsbeiträge,
  • die ebenfalls enormen Kosten (und anderen Risiken) der immer noch weitgehend ungeklärten Endlagerung des Atommülls,
  • die Gefahren der Weiterverbreitung von Atomwaffen (bei weltweit intensivierter Nutzung, die ja für einen Klimaschutz-Effekt unverzichtbar wäre), und
  • die gar nicht so positiven Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit – siehe zum Beispiel den Ausfall vieler Kernkraftwerke in Frankreich im letzten Winter (und bis heute).

Bekannt ist übrigens, dass beispielsweise einige schweizerische Atomkraftwerke mit Brennelementen aus Russland betrieben werden, was sich auch gar nicht so leicht ändern lässt. Also besteht hier zumindest mit bestehenden Reaktoren auch wieder eine heikle Abhängigkeit.

Ich gehe davon aus, dass allein schon aus Kostengründen nicht mehr viel laufen wird bei der Kernenergie weltweit; die immer noch fortgeführten Rückzugsgefechte behindern nur den Weg in die Zukunft. Allenfalls werden wir an vielen Stellen erhebliche Laufzeitverlängerungen erleben – mit entsprechend erhöhten Betriebsrisiken. Siehe zu dieser Thematik auch meinen früheren Artikel "Zurück zur Kernenergie, um das Klima zu retten?".

Fazit

Die folgenden Schlussfolgerungen drängen sich klar auf:

  • Ein zügiger Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger ist dringend notwendig – kurz- und mittelfristig für unsere Sicherheit und Freiheit, mittel- und langfristig wegen des Klimaschutzes.
  • Umschichtungen auf andere Lieferanten oder andere fossile Energieträger sind nicht mehr als kurzfristige Notlösungen, die letztendlich nicht viel bringen.
  • Eine hohe Geschwindigkeit des Ausstiegs ist sicherheitspolitisch extrem wichtig. Hierbei müssen wir auch bald (d. h. zum nächsten Winter) vorbereitet sein auf einen plötzlichen Lieferstopp, um nicht durch eine Drohung damit erpresst werden zu können.
  • Starke kurzfristige Effekte sind aber nicht ohne die Aufgabe diverser Bequemlichkeiten und Vorbehalte erreichbar. Wer immer noch ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen ablehnt und Freizeit-Fernreisen als unverzichtbar darstellt, ist offenkundig für Problemlösungen nicht brauchbar.
  • Ähnlich wichtig ist eine möglichst starke konstruktive und intelligente internationale Kooperation, insbesondere innerhalb der EU. Wenn wir in der Krise eine solche Kooperation nicht richtig hinbekommen, zahlen wir alle zusammen einen noch höheren Preis als eigentlich nötig.
  • Manche kurzfristigen Maßnahmen gehen klar zulasten des Klimaschutzes. Dies muss natürlich später entsprechend ausgeglichen werden: Die vertretbaren CO2-Budgets werden durch den Krieg natürlich nicht größer. So dringend notwendig kurzfristige Problemlösungen sind, darf man die längerfristigere Perspektive auch jetzt nicht vernachlässigen. Kernpunkte müssen sein: der Ausbau der erneuerbaren Energien (vorwiegend im Strombereich), die weitere Elektrifizierung und Sektorkopplung, sowie eine hohe Energieeffizienz (z. B. keine Stromverschwendung mit Wasserstoff- statt Batterieautos).
  • Jetzt wieder eine neue Kernenergie-Debatte zu beginnen, brächte uns gewiss nicht voran.
  • Man sollte nicht auf die Analysen und Vorschläge derjenigen Leute vertrauen, deren Strategien uns in die derzeitige Doppel-Krise gebracht haben.
  • Jeder prüfe, was er selbst zur Problemlösung kurz-, mittel- und langfristig beitragen kann, und werde sich im Konflikt mit anderen Interessen und Bedürfnissen der richtigen Prioritäten bewusst.

Fragen und Kommentare von Lesern

06.04.2022

Ich würde es begrüßen, wenn Sie auch das Thema der Erdgasleckage bei russischem Gas behandeln würden. Einerseits könnte es sein, dass unsere Dekarbonisierung per Erdgas von vornherein ein Irrtum war, andererseits sieht damit das amerikanische Gas nicht ganz so übel aus.

Antwort vom Autor:

Leider ist nur sehr wenig über diese Problematik bekannt, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass die meisten Produzenten wenig Interesse daran haben, solche Dinge aufzuklären und allgemein bekannt zu machen.

Ich empfinde es nicht als einen Trost, dass nicht nur amerikanisches Gas sehr klimaschädlich ist.

06.04.2022

Der Beitrag zum beschleunigten Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger benennt zu 100 % richtig die Ursachen und Handlungsanforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich möchte noch ein paar Aspekte ergänzen:

  • Die Bedeutung des Energiesparens als Schlüssel zur Energiesicherheit muss noch viel stärker betont werden, nicht nur für die individuell handelnden Menschen, sondern vor allem als Suffizienz-Strategien für Unternehmen und für die politische Rahmensetzung in allen Bereichen.
  • Im Wärmebereich bietet die Nutzung von Solarthermie den höchsten energetischen Wirkungsgrad. Besonders gilt dies für deren Kombination mit (relativ preiswerten) großen Wärmespeichern und mit Biomasse-Heizwerken und durchdachten Nah- bzw. Fernwärmelösungen auf Quartiers-, Dorf- und kommunaler Ebene. In Dänemark sind diese kommunalen Nahwärmenetze oder zumindest konkrete Planungen dafür schon seit etlichen Jahren verpflichtend und hoch wirksam. Als Biobauer (und "Klimaschutzpreisträger" des Landkreises Kelheim) versuche ich, in meiner Heimatgemeinde eine solche Planung anzuregen. Das geht aber sehr zäh, wenn die Rahmenbedingungen so etwas nicht aktiv fördern oder verlangen.

Antwort vom Autor:

Mit der meisten bin ich völlig einverstanden – insbesondere auch mit Ihrem Hinweis auf Suffizienz, die immer unverzichtbarer wird.

Ein kleiner Einwand nur zum zweiten Punkt: Der Wirkungsgrad ist nicht das entscheidende Kriterium für eine sinnvolle Energienutzung, u. a. weil er außer acht lässt, welche Art von Energie gewonnen wird. Beispielsweise lässt sich mit Photovoltaik in Kombination mit einer Wärmepumpe pro Quadratmeter mehr Heizwärme gewinnen als mit Solarthermie.

06.04.2022

Unerträgliche russophobe Hetze und geballter fachlicher Unsinn ohne jede Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten! Dann gehen Sie doch schon mal vorbildlich voraus bei der "Aufgabe diverser Bequemlichkeiten und Vorbehalte". Ich jedenfalls habe mich als Abonnent Ihres Newsletters soeben abgemeldet. Auf solchen Blödsinn kann ich auch in Zukunft gut verzichten.

Antwort vom Autor:

Leider haben Sie nicht erläutert, was hier Hetze sein soll und der geballte fachliche Unsinn. Deswegen kann ich die geäußerten Ansichten leider nicht korrigieren.

08.04.2022

Vielen Dank für die kompakte Übersicht über das komplexe Thema und das deutliche Aussprechen unbequemer Wahrheiten (muss leider sein)! Prägnanter hätte man es wohl kaum machen können.

Antwort vom Autor:

Herzlichen Dank für diese Rückmeldung. Leider sind diese Dinge für manche Leute wirklich zu unbequem, siehe beispielsweise den vorangehenden Kommentar.

10.04.2022

Gibt es im Blog etwas über die Energieeffizienz der Flüssiggastankerlieferkette?

Antwort vom Autor:

Nein, aber im Artikel über Flüssigerdgas.

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