Missverständnisse zur Rekuperation (Bremsenergierückgewinnung) bei Hybrid- und Elektroautos
Erschienen am 08.08.2024 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)
Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2024_08_08.html
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG
Inhalt: Zur Rolle der Rekuperation beim Elektroauto zirkulieren einige Missverständnisse, die hier geklärt werden.
Elektrische Antriebe erlauben in vielen Fällen – insbesondere auch bei Elektroautos und Autos mit Hybridantrieb – die Rückgewinnung von Bremsenergie (technisch als Rekuperation bezeichnet). Das ist eine feine Sache, hauptsächlich wegen der damit verbesserten Energieeffizienz, und oft mit zusätzlichem Nutzen wie einem reduzierten Verschleiß von Bremsen. Nur gibt es dazu bei physikalisch weniger informierten Leuten oft Missverständnisse, die auch in vielen publizierten Artikeln zu falschen oder zumindest irreführenden Aussagen führen. Das kann ich als Physiker hier solide aufklären.
Unvermeidliche Energieverluste
Naiv könnte man meinen, dass eine gute Sache wie Rekuperation am besten so oft wie möglich gemacht wird, aber schon das stimmt nicht. Wird beispielsweise ein Elektroauto von einer anfänglichen Geschwindigkeit bis zum Stand heruntergebremst und dann wieder auf die ursprüngliche Geschwindigkeit beschleunigt, kann zwar ein erheblicher Teil der für die Beschleunigung nötigen Energie von der Energie stammen, die vorher beim Bremsen zurückgewonnen wurde, aber ein gewisser Teil der Energie geht auch verloren. Je nach Qualität der Technik kann dieser Energieverlust grob geschätzt irgendwo in der Gegend zwischen 30 und 50 % liegen (ohne Berücksichtigung z. B. von Reibungsverlusten durch Luftwiderstand und Rollwiderstand während der Fahrt). Dies liegt daran, dass kein Elektromotor einen Wirkungsgrad von 100 % beim Antrieb und beim Bremsen erreicht (sondern in einem guten Elektroauto inkl. Wechselrichter und Getriebe rund 90 %, im Extremfall gut 95 %) und dass auch die Batterie gewisse Energieverluste hat (weil sie zum Laden etwas mehr elektrische Spannung benötigt, als sie beim Entladen abgibt); zusätzlich gibt es noch gewisse Verluste in der Elektronik. In Fahrzeugen mit Hybridantrieb sind die Energieverluste tendenziell noch etwas höher.
Die Rekuperation ist also zwar sicherlich sehr hilfreich, aber eben nicht perfekt. Deswegen ist es nach wie vor sinnvoll, Bremsvorgänge von vornherein zu minimieren – auch wenn das immerhin deutlich weniger wichtig ist als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Eine "sportliche" Fahrweise resultiert auch beim Elektroauto in einem erhöhten Verbrauch und reduziert die Reichweite. Besser reduziert man die Geschwindigkeit schon vorausschauend, bevor sie ohnehin runter muss.
Ist die Einstellung einer starken Rekuperation günstig?
Bei manchen Elektroautos kann über die Wahl eines Fahrmodus (z. B. Eco oder Sport) oder mit einem separaten Bedienelement am Lenkrad die Stärke der Rekuperation eingestellt werden. Gemeint ist damit, wie stark das Fahrzeug verzögern soll, wenn man den Fuß ganz vom "Gaspedal" nimmt – nicht etwa, was passiert, wenn man das Bremspedal betätigt! Im letzteren Falle wird immer ein so großer Teil der Bremsenergie wie möglich rekuperiert. Verzögert wird so weit wie möglich nur mit der Elektromaschine (d. h. mit dem Teil, das sonst als Elektromotor arbeitet). Die eigentlichen Bremsen, die die nicht mehr benötigte Bewegungsenergie nutzlos "vernichten", kommen erst zum Einsatz, wenn es nicht mehr anders geht: um ganz zum Stillstand zu kommen oder wenn die nötige Bremsleistung für die Elektromaschine oder für die Batterie zu hoch wäre.
Von daher ist es per se keineswegs schlechter, die Geschwindigkeit nur mit dem Bremspedal zu reduzieren anstatt schon beim Loslassen des Gaspedals. Die einzige Einschränkung: Wenn jemand das Bremspedal ungünstig verwendet, nämlich erst im letzten Moment sehr stark bremst, wird die Effizienz der Rückgewinnung wesentlich schlechter – dies vor allem beim Hybridfahrzeug, wo die kleinere Batterie nur eine begrenzte Bremsleistung überhaupt aufnehmen kann.
Die Einstellung einer starken Rekuperation allein über das Gaspedal kann sogar energetisch ungünstig sein, wenn sie dazu verleitet, die Geschwindigkeit andauert zu ändern, anstatt einfach zu "segeln" (antriebslos zu gleiten).
Wer diese Dinge verstanden hat, kann mit beliebiger Einstellung dieser Rekuperation effizient fahren; die Wahl der genannten Einstellung ist dann nur noch eine Frage der Bequemlichkeit. Bei eingestellter starker Rekuperation sollte man eben möglichst oft das Bremspedal gerade soweit gedrückt lassen, dass die Geschwindigkeit ungefähr gleich bleibt, anstatt unnötig immer wieder zu verzögern und zu beschleunigen. Im anderen Falle (bei Benutzung nur des Bremspedals zum Verzögern) sollte man nicht zu intensiv bremsen, also rechtzeitig damit beginnen. Je höher die Leistung und Effizienz des Antriebssystems und der Batterie ist, desto weniger kritisch ist dieser Aspekt.
Warum hohe Geschwindigkeiten sind schädlich sind
Das Hauptproblem bei hohen Fahrgeschwindigkeiten ist der dann unweigerlich stark ansteigende Luftwiderstand. Zusätzlich hat die Fahrgeschwindigkeit aber einen Einfluss über die nicht perfekte Rekuperation: Je schneller man fährt, desto öfter muss man die Geschwindigkeit aus irgendeinem Grund wieder reduzieren und verliert dann eben zusätzlich wieder etwas. Wichtig ist hier noch die Erkenntnis, dass die im Fahrzeug gespeicherte Bewegungsenergie mit dem Quadrat der Geschwindigkeit ansteigt. Vergleichen wir beispielsweise die Abbremsung von 100 km/h auf 50 km/h mit der von 75 km/h auf wiederum 50 km/h: Das bedeutet schon eine 2,4-fach erhöhte Bremsenergie, und nicht etwa nur eine verdoppelte.
Siehe auch: Rekuperation, Elektroauto, Hybridantrieb
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