Scheinleistung
Definition: das Produkt der Effektivwerte von elektrischer Spannung und Stromstärke
Allgemeiner Begriff: elektrische Leistung
Englisch: apparent power
Kategorien: elektrische Energie, Grundbegriffe, physikalische Grundlagen
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Einheit: Voltampere (VA)
Formelsymbol: <$S$>
Ursprüngliche Erstellung: 16.01.2011; letzte Änderung: 20.10.2023
Die beispielsweise an ein elektrisches Gerät übertragene elektrische Leistung ist in jedem Moment gleich dem Produkt von elektrischer Spannung und Stromstärke. Wenn man jedoch bei (einphasigem) Wechselstrom einfach das Produkt der Effektivwerte von elektrischer Spannung und Stromstärke bildet, so erhält man nur die Scheinleistung: <$S = U \cdot I$>, wobei <$U$> und <$I$> die Effektivwerte von Spannung und Stromstärke sind (siehe den Artikel über Wechselstrom).
Die Wirkleistung (die im zeitlichen Mittel übertragene Leistung) ist im Idealfall gleich hoch wie die Scheinleistung, ist aber häufig geringer als diese, z. B. wenn Strom und Spannung nicht phasengleich (d. h. zeitlich etwas verschoben) schwingen, oder wenn der zeitliche Verlauf des Stroms nicht sinusförmig ist, so dass der Strom einen Blindstrom-Anteil hat. (Der Artikel über Blindstrom erläutert dies genauer.) Die Scheinleistung entspricht dann der geometrischen Summe von Wirkleistung und Blindleistung, d. h. das Quadrat der Scheinleistung ist gleich der Summe der Quadrate von Wirkleistung und Blindleistung: <$S^2 = P^2 + Q^2$>.
Als Einheit für die Scheinleistung verwendet man üblicherweise das VA (Voltampere) und nicht das Watt, das der Wirkleistung vorbehalten ist. Dies verdeutlicht, dass man lediglich das Produkt aus Spannung und Stromstärke berechnet hat, ohne den Phasenwinkel zwischen beiden zu berücksichtigen. Für größere Werte gibt es die abgeleiteten Einheiten kVA und MVA.
Die Scheinleistung und nicht etwa die Wirkleistung bestimmt die Stromstärke (bei gegebener Spannung) und somit die Belastung des Leitungsnetzes. Deswegen wird beispielsweise die Nennleistung von Transformatorenstationen häufig als Scheinleistung angegeben; der für die Belastung des Transformators entscheidende Aspekt ist hier nämlich die elektrische Stromstärke und nicht etwa die abgegebene Wirkleistung. Allerdings liegt der Phasenfaktor in der Praxis ohnehin meist nahe 1, sodass die praktisch lieferbare Wirkleistung fast gleich groß ist wie die angegebene Scheinleistung.
Kollektive Scheinleistung bei Drehstrom
Bei Drehstrom sind die Verhältnisse deutlich komplizierter. Naiv würde man einfach erwarten, dass die Scheinleistung der Summe der Scheinleistungen in den drei Außenleitern ist, aber dies ist nicht korrekt (obwohl manchmal noch so gerechnet wird). Stattdessen muss man die kollektive Scheinleistung <$S_{\Sigma }$> berechnen als das Produkt von kollektiver Spannung <$U_{\Sigma }$> und kollektivem Strom <$I_{\Sigma }$>. Im Falle eines Dreileiternetzes ist nach DIN 40110 Teil 2
$$S_\Sigma = \sqrt{U_1^2 + U_2^2 + U_3^2} \cdot \sqrt{I_1^2 + I_2^2 + I_3^2}$$
mit den Sternspannungen und den Strömen in den drei Außenleitern (Phasen) (alles Effektivwerte). Für ein Vierleiternetz gilt
$$S_\Sigma = \sqrt{U_1^2 + U_2^2 + U_3^2} \cdot \sqrt{I_1^2 + I_2^2 + I_3^2 + I_\textrm{N}^2}$$
wobei auch die Stromstärke <$I_{N}$> im Neutralleiter zu berücksichtigen ist.
Bei symmetrischen Spannungen (wie es normalerweise sein sollte) entspricht die erste Wurzel in diesen Formeln jeweils der Dreieckspannung. Wenn keine Schieflast auftritt, ist außerdem <$I_{N}$> = 0.
Wir betrachten außerdem den Fall einer völlig asymmetrischen Belastung, nämlich nur der ersten Phase (L1). (Die Spannungen nehmen wir aber als symmetrisch an.) Dann gilt <$I_{N} = I_1$>, da der ganze Strom über den Neutralleiter zurückfließen muss, und
$$S_\Sigma = \sqrt{6} \, U_1 \, I_1$$
Es mag zunächst überraschen, dass dieser Wert ca. 2,45 mal höher ist als <$U_1 \cdot I_1$> (also den Wert, den man bei fehlenden Leitern L2 und L3 erhalten hätte). Dies reflektiert jedoch den Umstand, dass die Netzbelastung wesentlich höher ist als bei gleichmäßiger Verteilung über die drei Phasen (also ohne Schieflast). Im letzteren Fall erhält man für die Scheinleistung tatsächlich die Wirkleistung, falls die Ströme sinusförmig synchron mit den Spannungen schwingen.
Die kollektive Scheinleistung erlaubt also den Vergleich mit der optimalen Situation einer symmetrischen Netzbelastung ohne Blindströme. Sie ist leider messtechnisch weniger leicht zu ermitteln als ein Wert auf der Basis des Summenstroms, der aber nicht die physikalisch relevante Größe ist.
Siehe auch: Leistung, Voltampere, Wirkleistung, Blindleistung, Wechselstrom, Drehstrom, Stromnetz
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