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Stromnetz

Definition: ein System elektrischer Stromleitungen zum Transport elektrischer Energie

Spezifischere Begriffe: Übertragungsnetz, Verteilnetz, Versorgungsnetz, Höchstspannungsnetz, Hochspannungsnetz, Mittelspannungsnetz, Niederspannungsnetz, Wechselstromnetz, Drehstromnetz, Gleichstromnetz

Englisch: electricity network, electricity grid

Kategorien: elektrische Energie, Grundbegriffe

Autor:

Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen

Ursprüngliche Erstellung: 05.04.2012; letzte Änderung: 11.02.2024

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Ein Stromnetz ist ein System, welches dem Transport und der Verteilung elektrischer Energie dient. Dieser Artikel behandelt im Wesentlichen das öffentliche Stromnetz (Versorgungsnetz), an welches z. B. in Europa die meisten Verbraucher und Stromerzeuger angeschlossen sind. Es handelt sich um ein Verbundnetz, welches durch Verbindung vieler kleinerer Netze entstanden ist. Darüber hinaus gibt es auch Inselnetze, welche kleinräumig gewisse Erzeuger und Verbraucher miteinander verbinden.

Der große Vorteil großer Stromnetze besteht darin, dass Schwankungen sowohl bei der Stromerzeugung als auch beim Stromverbrauch stark "ausgemittelt" werden, so dass der Bedarf an Regelenergie und Reservekapazitäten stark reduziert wird und eine höhere Betriebssicherheit erzielt wird. Ebenso erlaubt dies, Kraftwerke an den jeweils am besten geeigneten Standorten zu betreiben, also nicht unbedingt sehr nahe bei den Verbrauchern.

Ursprünglich fand der Stromaustausch vorwiegend auf regionaler Ebene statt, aber zunehmend entstand auch ein überregionaler und internationaler Stromaustausch und Stromhandel. Beispielsweise exportieren die Schweiz und Österreich in erheblichem Umfang Spitzenlast und importieren andererseits verstärkt Grundlast. Durch die Schweiz hindurch werden auch erhebliche Strommengen z. B. aus Frankreich und Deutschland nach Italien geleitet. Die stark ansteigende Erzeugung erneuerbarer Energie verstärkt den Trend zunehmenden Stromaustausches teilweise noch weiter. Zukünftig wird voraussichtlich Windenergie sowie Energie aus Wasserkraft auch über weitere Strecken ausgetauscht werden. Das europäische Verbundsystem ist damit auch ein wichtiger Teil des Energie-Binnenmarkts der Europäischen Union (EU).

Verwendung von Wechselstrom

Die meisten Stromnetze arbeiten mit Wechselstrom bzw. Drehstrom, also mit oszillierenden elektrischen Spannungen und Strömen. Dies hat sich historisch so ergeben, da Transformatoren nur mit Wechselstrom funktionieren und ihre Funktion (das Hoch- oder Heruntersetzen des Spannungsniveaus) in einem Gleichstromnetz technisch nicht realisierbar gewesen wäre. Die Wechselstromtechnik hat diverse wichtige Vorteile (insbesondere die Verwendbarkeit von Transformatoren und die bessere Realisierbarkeit von Hochleistungsschaltern), aber auch wesentliche Nachteile gegenüber einem Gleichstromnetz, beispielsweise die Blindstrom-Problematik.

Die Spannungsebenen

Spannungsebenen
Abbildung 1: Stark vereinfachte Darstellung der Spannungsebenen (verbunden über Transformatoren) sowie der zugehörigen Einspeisungen und Verbraucher.

Stromnetze arbeiten mit unterschiedlichen Spannungsebenen. Diverse Details der folgenden Erklärungen gelten nur für das europäische Verbundsystem:

  • Der Ferntransport und die Grobverteilung geschieht auf der Höchstspannungsebene über leistungsfähige Hochspannungsleitungen. Dieser Teil des Netzes wird als das Übertragungsnetz bezeichnet. Der Effektivwert der elektrischen Spannung liegt hier sehr hoch – z. B. 220 kV oder 380 kV, damit die Übertragung sehr hoher elektrischer Leistungen mit nicht allzu hoher elektrischer Stromstärke möglich ist. Große Kraftwerke speisen ihre Leistung über Transformatoren direkt in das Hochspannungsnetz ein.
  • Darunter gibt es eine Hochspannungsebene mit Spannungen von z. B. 110 kV.
  • Auf der Mittelspannungsebene mit z. B. 10 kV, 20 kV oder 30 kV wird auf der ländlichen und städtischen Ebene gearbeitet. Beispielsweise kann damit die elektrische Energie zu einem Umspannwerk am Rande einer Kleinstadt, in einem Stadtteil einer größeren Stadt oder in einem Industriebetrieb gebracht werden.
  • Auf der Niederspannungsebene mit z. B. 230 V (bzw. 400 V zwischen den Drehstrom-Leitern) erfolgt die Feinverteilung z. B. für die einzelnen Häuser. Dieses Spannungsniveau ist an den Steckdosen direkt nutzbar. Früher wurde das Niederspannungsnetz auch als Lichtnetz bezeichnet.

Eine neue Entwicklung ist die Errichtung von Overlay-Netzen. Dies sind zusätzliche Verstärkungen quasi oberhalb der Ebene der Übertragungsnetze – also zusätzliche leistungsfähige Verbindungen zwischen wichtigen Netzknoten, die häufig mit HGÜ-Technik, teils aber auch mit 750-kV-Drehstromtechnik geschaffen werden.

Das Mittelspannungs- und Niederspannungsnetz wird auch als Verteilungsnetz bezeichnet. (Dies schließt freilich nicht aus, dass ein Verteilnetzbetreiber z. B. eine 110-kV-Ringleitung (also Hochspannung) rund um das Siedlungsgebiet betreibt, an das an verschiedenen Stellen die Mittelspannungs-Transformatoren angeschlossen sind.) Die niedrigeren Spannungen bei der Feinverteilung haben den Vorteil, dass hier Freileitungen weniger hoch installiert werden müssen und Erdkabel eine weniger starke Isolation benötigen. Entsprechend geringer sind auch die Gefahren bei Defekten oder Unfällen.

Die verschiedenen Spannungsebenen werden (bei den üblichen Wechselstromnetzen) über Transformatoren miteinander verbunden, die die Spannung hoch- bzw. heruntersetzen. Alle Teilnetze müssen nicht nur mit der gleichen Netzfrequenz arbeiten, sondern sogar synchron arbeiten, d. h. die Spannungsmaxima und Nulldurchgänge ziemlich genau zeitgleich erreichen. Wenn Netze gekoppelt werden sollten, ohne diese Bedingungen zu erfüllen, werden aufwendigere Umrichter- oder Umformeranlagen benötigt.

Einzelne Netzabschnitte vor allem innerhalb des Höchstspannungs- oder Hochspannungsnetzes können auch mit Hochspannungs-Gleichstromübertragung arbeiten. Dies ist insbesondere bei hohen Leistungen für weite Entfernungen sowie für Seekabel vorteilhaft, u. a. weil Blindstrom-Probleme wegfallen.

Im Prinzip können auf allen Spannungsebenen sowohl Freileitungen als auch Erdkabel eingesetzt werden, wobei diese spezifische Vor- und Nachteile aufweisen. Auf der Niederspannungsebene z. B. in europäischen Städten werden weitgehend Erdkabel verwendet, weil dies die sicherere, langlebigere und weniger störende Methode ist. Durch die Verlegung der Kabel zusammen mit anderen Leitungen (etwa für Erdgas, Wasser und Abwasser, Telefon und Internet) bei der Erschließung von Baugebieten sind die Kosten moderat. Dagegen besteht bei Hochspannungsleitungen meist ein starker Kostenvorteil für Freileitungen.

In Deutschland weisen die Übertragungsnetze eine Gesamtlänge von rund 35 000 km auf, die Verteilungsnetze sogar über 1,7 Millionen km. Innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre dürften diese Werte noch um einige Prozent zunehmen.

Einspeisung auf verschiedenen Spannungsebenen

Während große Kraftwerke ihre Leistung auf der Höchstspannungsebene einspeisen, sind kleinere Stromerzeuger wie z. B. Blockheizkraftwerke, Windenergieanlagen und Photovoltaikanlagen auf der Mittel- oder Niederspannungsebene angeschlossen. In früheren Zeiten wurde fast nur auf der Höchstspannungsebene eingespeist, so dass die Mittel- und Niederspannungsnetze reine Verteilungsnetze waren. Insbesondere die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien führt aber inzwischen zu einer gewissen Dezentralisierung mit stärkerer Einspeisung auf den niedrigeren Spannungsebenen. Die vertikale Netzlast (der Abfluss von der Höchstspannungsebene) ist deutlich geringer als die gesamte Last im Netz. Diese Änderungen machen gewisse lokale Anpassungen (insbesondere Verstärkungen) von Stromnetzen notwendig.

Wenn die Windenergie verstärkt in einzelnen Regionen (z. B. an den Küsten der Nordsee und Ostsee) genutzt wird und dort mehr Leistung erzeugt, als regional benötigt wird, erfordert dies auch den Ausbau von Hochspannungsleitungen über weitere Strecken. Auf der anderen Seite wird erneuerbare Energie z. B. aus Photovoltaik (Solarstrom) oder Biogas (in Blockheizkraftwerken verstromt) häufig recht verbrauchernah eingespeist und kann dadurch die Netze eher entlasten.

Energieverluste in Stromnetzen

Im Durchschnitt gehen in den öffentlichen Stromnetzen einige Prozent der durchgeleiteten Energie verloren. Diese Energieverluste entstehen auf verschiedenen Weisen:

  • Die Stromleitungen haben einen gewissen elektrischen Widerstand, durch den ein Teil der elektrischen Energie in Wärme umgewandelt wird. (Die verursachte Aufheizung der Stromleitungen begrenzt deren Übertragungskapazität.) Die Folge ist, dass entlang der Leitungen ein Teil der angelegten elektrischen Spannung verloren geht. Diese "ohmschen Verluste", verstärkt durch Wirbelstromverluste, steigen mit zunehmender Auslastung einer Leitung stark an: Bei doppelter übertragener Leistung auf das Vierfache.
  • Koronaentladungen und ähnliche Effekte an Hochspannungsleitungen führen zu gewissen Energieverlusten unabhängig von der Auslastung.
  • Die elektrische Kapazität von Leitungen (besonders bei Erdleitungen) führt bei Wechselstromübertragung (nicht bei Gleichstromübertragung) zu Blindströmen, die entweder zusätzliche Leitungsverluste verursachen oder aber kompensiert werden müssen, wobei wiederum gewisse Verluste auftreten.
  • Diverse Anlagen des Stromnetzes, insbesondere Transformatoren, Gleichrichter, Wechselrichter und Umrichter, haben ebenfalls Energieverluste.

Die Netzverluste können geringer sein, wo Leistung über kurze Distanzen in gut ausgebauten Netzen übertragen wird. Sie sind höher bei Überlastung langer, schwach ausgebauter Leitungen. Wegen der lastunabhängigen Verluste sind aber auch sehr schwach ausgelastete Leitungen ineffizient.

In Deutschland gingen in 2013 ca. 26 TWh elektrischer Energie durch Verluste in den Netzen verloren, und zwar zum größten Teil in den Verteilungsnetzen und nicht etwa in den Übertragungsnetzen, obwohl in diesen die größten Transportdistanzen absolviert werden. Dies sind ca. 4,4 % der Nettostromerzeugung.

Die Aufwendungen der Netzbetreiber für den Ausgleich der Energieverluste zählen zu den sogenannten Systemdienstleistungen und werden über die Netznutzungsentgelte den Verbrauchern belastet.

Betrieb von Stromnetzen

Der Betrieb der einzelnen Stromnetze, aus denen das Verbundnetz besteht, erfolgt durch Firmen, die als Netzbetreiber bezeichnet werden. Auf der Höchstspannungsebene spricht man von Übertragungsnetzbetreibern, von denen es z. B. in Deutschland zur Zeit nur ganz wenige gibt. Um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen und Interessenkonflikte zu minimieren, gelten z. B. im EU-Binnenmarkt Regeln, die die Entflechtung der Übertragungsnetzbetreiber von den Betreibern der Kraftwerke fordern. Die Netzbetreiber sind verpflichtet, auch elektrische Energie von anderen Erzeugern gegen entsprechende Gebühren (die der Regulierung unterliegen) durch ihre Netze zu leiten (Durchleitungspflicht, teils mit Vorrang für erneuerbare Energien). Ebenfalls werden Netzbetreiber ggf. dazu gezwungen, Netztrassen zu verstärken oder neu zu bauen, wenn dies energiewirtschaftlich notwendig ist. Konflikte entstehen beispielsweise, wenn Netzbetreiber zu wenig in den Unterhalt und Ausbau der Netze investieren und in der Folge Kraftwerkskapazitäten nicht gut genutzt werden können. Unter anderem drängt die EU-Kommission auf eine weitere eigentumsrechtliche Entflechtung der Energiekonzerne, um Interessenkonflikte zu reduzieren.

Die Übertragungsnetzbetreiber sind auch für die Beschaffung der nötigen Mengen von Regelenergie verantwortlich, die sie zur Frequenzhaltung benötigen. Innerhalb der Regelzonen der Übertragungsnetzbetreiber erfolgt die sogenannte Sekundärregelung, während die Primärregelung auf höherer Ebene mit Koordination zwischen verschiedenen Netzbetreibern stattfindet. Genauer erklärt dies der Artikel über die Frequenzregelung im Stromnetz.

Allgemein sind die Netzbetreiber zu einem wesentlichen Teil für die Gewährleistung der Netzstabilität und Versorgungssicherheit zuständig. Die Übertragungsnetzbetreiber müssen auch drohende Überlastungen der Netze im Vorfeld erkennen und ggf. Gegenmaßnahmen zu deren Vermeidung einleiten (→ Redispatch-Maßnahmen]). Sie betreiben auch eigene Anlagen, etwa Netzstabilitätsanlagen.

Die Spannungshaltung, d. h. die Gewährleistung einer ungefähr konstanten elektrischen Spannung für alle Verbraucher, ist eine weitere Aufgabe der Netzbetreiber, und zwar sowohl im Bereich der Übertragungsnetze als auch der Verteilungsnetze.

Die Netzbetreiber erhalten für die durchgeleitete elektrische Energie Netznutzungsentgelte als Kompensation für die Nutzung ihrer Infrastruktur und damit verbundenen Dienstleistungen. Beispielsweise wird die Vorhaltung von Regelleistung darüber abgegolten. In Deutschland wird dies von der Bundesnetzagentur gemäß der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) geregelt. In den Stromtarifen schlagen sich die Netznutzungsentgelte als ein wesentlicher Kostenfaktor nieder. Beispielsweise kann dies für Haushaltskunden rund ein Drittel der Gesamtkosten ausmachen, während energieintensive Industrien oft nicht mit Netzentgelten belastet werden.

Die Verteilungsnetze gehören zum Teil den großen Energieversorgungsunternehmen, aber zum Teil gehören sie auch Kommunen. Zum Betrieb gehört einerseits der technische Unterhalt und andererseits die administrative Abwicklung, beispielsweise die Ermittlung die Verbräuche und das Erstellen von Stromrechnungen für die Endverbraucher.

Ausbau der deutschen Stromnetze

Im Zuge der Energiewende ist es notwendig, die Kapazitäten der deutschen Stromnetze an einigen Stellen weiter auszubauen. Dies betrifft zum Teil die Übertragungsnetze, vor allem in Norddeutschland aber auch manche Verteilungsnetze, die inzwischen zum guten Teil als "Einsammelnetze" für Windenergie dienen. Betreffend die Übertragungsnetze werden zum Teil die Kapazitäten konventioneller Drehstrom-Netze erweitert, und zum anderen Teil sollen diese durch einige längere Strecken mit Hochspannung-Gleichstromübertragung (HGÜ) für den Ferntransport vor allem von Norden nach Süden ergänzt werden.

Nach dem Energiewirtschaftsgesetz sind die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, jährlich einen sogenannten Netzentwicklungsplan zu erstellen, der die aus ihrer Sicht notwendigen Maßnahmen zum bedarfsgerechten Ausbau der Netze enthält. Zusätzlich zum landseitigen Netzentwicklungsplan gibt es seit einigen Jahren auch einen seeseitigen Ausbauplan betreffend die für die Anbindung von Offshore-Windenergieanlagen nötigen Kapazitäten. Die Bundesnetzagentur prüft jeweils diese Pläne und bestätigt den Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen, den sie als tatsächlich notwendig erachtet. Mindestens alle drei Jahre übergibt die Bundesnetzagentur der Bundesregierung die bestätigten Netzentwicklungspläne; auf dieser Grundlage wird dann ein Bundesbedarfsplangesetz entwickelt. Wenn dieses vom Parlament bestätigt wird, gelten die darin enthaltenen vorgeschlagenen Maßnahmen als energiepolitisch notwendig. Dann kann eine konkretere Planung der zu schaffenden oder zu verbessernden Kapazitäten (z. B. mit konkreten Trassenverläufen) erfolgen. Hierbei muss eine Vielzahl von Gegebenheiten berücksichtigt werden, beispielsweise lokale Umweltbelange und ausreichende Abstände zu Wohngebieten sowie gewisse technische Aspekte. Bis zur tatsächlichen Realisierung solcher Pläne können viele Jahre vergehen.

Weitere Entwicklung der europäischen Stromnetze

Auch auf europäischer Ebene werden die Stromnetze werden weiter ausgebaut, insbesondere auch mit einer nennenswerten Verstärkung der Leitungskapazitäten für den interregionalen und internationalen Stromaustausch. So ist beabsichtigt, mittelfristig große Reservekapazitäten, die über norwegische Wasserkraftwerke schon vorhanden sind bzw. relativ kostengünstig zugebaut werden können, stärker auch für Mitteleuropa nutzbar zu machen. Hierfür wird aber eine deutlich verstärkte Kopplung der Netze auf der Höchstspannungsebene notwendig werden. Innerhalb von Deutschland wird voraussichtlich ein verstärkter Stromfluss von Norden nach Süden stattfinden, wobei längerfristig aber u. U. auch erhebliche Leistungen von Süden her eingespeist werden könnten (→ DESERTEC-Projekt). Verglichen mit den bestehenden Leitungskapazitäten ist der in den nächsten Jahren nötige Ausbau von erheblichem, aber nicht dramatischem Umfang: Es geht in Deutschland um eine Vergrößerung der gesamten Leitungslängen im Höchstspannungsnetz in der Größenordnung von 10 % innerhalb von 10 Jahren, was ohne dramatische Einflüsse auf die Strompreise möglich ist. Die begrenzte zur Verfügung stehende Zeit erfordert allerdings erhebliche Anstrengungen für eine rechtzeitige Realisierung.

Die vermehrte Einspeisung auf niedrigeren Spannungsebenen macht, wie bereits oben angemerkt, mancherorts auch Netzverstärkungen auf diesen Ebenen nötig. Teilweise genügt es aber, nur einzelne Komponenten anzupassen, beispielsweise regelbare Ortsnetztransformatoren zu verwenden. So kann eine Überhöhung der Spannung im lokalen Netz aufgrund vermehrter Einspeisung kompensiert werden, indem man die Übersetzung am Verteiltransformator anpasst.

Auch wenn Elektroautos einmal flächendeckend genutzt werden sollten, müssten dafür die Stromnetze deutlich ausgebaut werden. Vor allem für Schnellladungen sind sehr hohe Anschlussleistungen nötig, die man sonst im Haushaltsbereich nur für Elektroheizungen hat. Auch bei langsameren Laden der Batterie eines Elektroautos über mehrere Stunden entsteht an einem Tag ein Verbrauch von z. B. über 15 kWh – deutlich mehr als der typische tägliche Gesamtverbrauch eines Haushalts ohne Elektroauto und Elektroheizung.

Neben der Verstärkung von Leitungen gibt es Überlegungen, die Stromnetze "intelligenter" zu machen. Ein "intelligentes Stromnetz" würde vielfältige neue Möglichkeiten insbesondere für ein verbessertes Lastmanagement bieten, befindet sich aber in einer noch frühen Phase der Entwicklung. Auch ein intelligentes Stromnetz dürfte aber kaum eine generelle Verstärkung der Netze überflüssig machen.

Es gibt bereits Überlegungen für ein europäisches Supergrid, welches den Austausch großer Mengen elektrischer Energie in ganz Europa und u. U. auch mit Nordafrika ermöglichen würde. Dies würde die verstärkte Einbindung erneuerbarer Energien ermöglichen (sowohl dezentrale als auch zentrale Anlagen), insbesondere auch die verstärkte Nutzung skandinavischer Pumpspeicherkraftwerke. Die Hochspannungs-Gleichstromübertragung würde hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Alternativen zum Ausbau der Stromnetze

Im Prinzip kann der benötigte Ausbau von Stromnetzen durch verschiedene Maßnahmen vermindert werden:

  • Die vorhandenen Stromnetze könnten effizienter genutzt werden. Beispielsweise könnten die vorhandenen Kapazitäten weiter ausgenutzt werden, wenn die Temperatur der Leitungen fernüberwacht würde (Leiterseilmonitoring): Dies würde die Reduktion von Sicherheitsmargen erlauben. Leider steigen die Energieverluste dann aber noch erheblich an.
  • Die Erzeugungskapazitäten könnten näher bei den Verbrauchern platziert werden. Allerdings dürfte der Aufwand für zusätzliche Netze meist kleiner sein als der für die Verlagerung von Kraftwerken. Beispielsweise würden zusätzliche Windenergieanlagen in Süddeutschland statt in Norddeutschland den nötigen Zubau von Netzen verringern, wegen der in Süddeutschland aber meistens schlechteren Windverhältnisse Einbußen am Ertrag bedeuten. Von daher ist der Ausbau der Windenergienutzung vorwiegend in Norddeutschland wirtschaftlicher trotz des dann stärkeren Netzausbaus.
  • Die Stromerzeugung in vorhandenen Anlagen könnte konsequenter dem Bedarf angepasst werden. Beispielsweise könnten Blockheizkraftwerke, die bisher häufig rein wärmegeführt arbeiten, vermehrt auch stromgeführt arbeiten, wenn sie mit Wärmespeichern ausgestattet würden und von den Energieversorgungsunternehmen direkt beeinflusst werden könnten.
  • Man könnte ein häufigeres "Abschneiden" von Erzeugungsspitzen aus erneuerbaren Energien (d. h. eine Abregelung der Leistung unter Verzicht auf erzeugbare Energie) akzeptieren. In gewissem Umfang ist dies ökonomisch sinnvoll, aber man möchte damit keine größeren Energiemengen verlieren.
  • Der Verbrauch und insbesondere die Spitzenlast könnte durch Effizienzmaßnahmen reduziert werden. Dies reduziert allerdings den Ausbaubedarf der Netze nur, insoweit Einsparungen in Gegenden mit geringer Stromerzeugung erzielt werden.
  • Ein umfangreicher eingesetztes Lastmanagement könnte den zeitlichen Verlauf des Verbrauchs besser an die Erzeugungs- und Netzkapazitäten anpassen. Umfangreiche Möglichkeiten böte hier die Realisierung eines intelligenten Stromnetzes. Dies würde zwar auch Netzausbauten erfordern, aber auf der Ebene von Steuerungseinrichtungen und nicht durch Verstärken von Leitungen.
  • Wenn nahe den Erzeugungsanlagen Energiespeicher mit großen Kapazitäten verfügbar wären, könnte Energie ggf. zwischengespeichert werden, wenn die momentanen Netzkapazitäten für den Transport zu Verbrauchern nicht ausreichen. Solche Speicher sind bisher aber kaum vorhanden, und ihre Errichtung wäre je nach Technologie teuer oder sogar sehr teuer.
  • Überschüssige elektrische Energie könnte zur Erzeugung von EE-Gas genutzt werden, das in das Gasnetz eingespeist wird. Allerdings bringt dies sehr hohe Energieverluste und ebenfalls wesentliche Kosten mit sich.

Derzeit scheint z. B. in Deutschland aber keine Möglichkeit zu bestehen, den vorgesehenen Netzausbau entscheidend zu vermindern, ohne die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien für die Stromerzeugung erheblich zu behindern.

Literatur

[1]Blog-Artikel: Energiespeicher oder Stromnetze: Was ist die richtige Lösung?
[2]G. Czisch, "Interkontinentale Stromverbünde – Perspektiven für eine regenerative Stromversorgung", http://gc.tnrc.de/wiki/images/4/44/2002-04-03_fvs2001_potsdam.pdf (2001)

Siehe auch: elektrische Energie, intelligentes Stromnetz, Supergrid, Inselnetz, Verbundnetz, europäisches Verbundsystem, Übertragungsnetz, Übertragungsnetzbetreiber, Verteilungsnetz, Systemdienstleistungen, Regelenergie, Frequenzregelung im Stromnetz, Spannungshaltung, Hochspannungsleitung, Drehstrom, Gleichstrom, Hochspannungs-Gleichstromübertragung, Kraftwerk, vertikale Netzlast, Speicher für elektrische Energie, Energiewende, dezentrale Energieerzeugung, Strommarkt, Redispatch

Fragen und Kommentare von Lesern

25.01.2022

Guten Tag,

Ich finde leider nirgends Angaben zu den in Verteilungsnetzen erlaubten Ampere. Ich hätte gerne gewusst, mit wie vielen Kilowatt so eine Leitung belastbar ist.

Antwort vom Autor:

Das hängt stark von den lokalen Gegebenheiten ab. Bei der Auslegung solcher Netze muss jeweils abgewogen werden, ob man lieber Leitungen mit hoher Strombelastbarkeit verlegt oder lieber mehr Transformatoren aufstellt, um weniger Verbraucher pro Kabel zu haben.

30.01.2024

Ich halte den Begriff "Netzkapazität" für missverständlich und empfehle, stattdessen von Übertragungsleistung zu sprechen.

Antwort vom Autor:

Das wäre m. E. nicht weniger missverständlich, denn es wäre nicht klar, welche Übertragungsleistung gemeint ist: die tatsächliche oder die maximal mögliche? Die Kapazität drückt diesen Aspekt aus.

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