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ETH Zürich: "Emissionsfreie Architektur" statt Wärmedämmung und Energiesparen?

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Ein Positionspapier aus der ETH Zürich verkündet einen "Paradigmenwechsel vom Energiesparen zur Emissionsfreiheit". Dies dürfte einige Aufregung verursachen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch schnell, dass es sich nur um ein neues Kommunikationsdebakel handelt, jedoch keineswegs um eine Revolution mit einer grundsätzlichen Abwendung von längst als essenziell erkannten Einsichten. Energieeffizienz bleibt das wichtigste Instrument der ETH-Energiestrategie.

Das Departement Architektur (DARCH) der ETH Zürich hat im November 2010 ein Positionspapier mit dem Titel "Towards Zero-Emissions Architecture" (hin zu einer emissionsfreien Architektur) verabschiedet, welches eine "grundsätzliche Neuorientierung" der Architektur im Hinblick auf die energetische Optimierung ankündigt – insbesondere einen "Paradigmenwechsel vom Energiesparen zur Emissionsfreiheit". Man distanziert sich ausdrücklich vom Minergie-Ansatz und von dem wohlgemerkt an der ETH entwickelten Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft. Insoweit diese Initiative mediale Aufmerksamkeit erzeugen soll, dürfte sie einigen Erfolg bekommen, da es mit Sicherheit rote Köpfe geben wird. Es gibt bereits einigen Aufruhr gegen die "Nicht- und Fehldenk-ProfessorInnen" der ETH, und da dürfte noch mehr kommen. Ich möchte diese Angelegenheit aber lieber nüchterner betrachten.

Positionspapier und Interviews

Betrachtet man das Positionspapier selbst, so entsteht nur ein wenig Verwirrung. Die formulierten Ziele sind zunächst durchaus anerkennenswert: Insbesondere geht es um eine massive Senkung des klimaschädlichen CO2-Ausstoßes. Dann aber kommt die Behauptung, das Erreichen dieser Ziele fordere "nicht mehr das Energiesparen um jeden Preis". Das führt natürlich zur Frage, wie die Emissionen ohne Energiesparen denn dramatisch abgesenkt werden sollen. Und genau hierauf gibt es keine konkrete Antwort, sondern nur diverse Gemeinplätze. Die "Entkoppelung des Energieverbrauchs von den Emissionen" wird gefordert, aber wie soll das gehen?

Dieses Geheimnis lüften die Autoren wenigstens ein kleines Stück weit in den die Aktion medial begleitenden Interviews, insbesondere dem Interview von Prof. Angélil (Professur für Architektur und Entwurf, Vorsteher des Departements Architektur) in ETH Life. Dieses kann freilich einiges Kopfschütteln verursachen.

Zunächst werden wieder die Ziele formuliert – vor allem eine drastische Reduktion der CO2-Emissionen – und dazu vermerkt, es könne nicht mehr darum gehen, "ad absurdum Energie zu sparen, ohne dabei die Gesamtheit der Emissionen zu berücksichtigen". Zunächst mal: Wer plädiert denn überhaupt für so etwas?? Und haben die Fortschritte bei der Wärmedämmung etwa nicht zu erheblichen Emissionsreduktionen geführt? Dann geht es gegen die angeblich ausufernde Wärmedämmung, die von den Architekten als eine "Zwangsjacke" empfunden wird. Statt dem wünscht man sich "intelligentere Wärmeflüsse" und verrät im Folgenden etwas mehr:

Wohlgemerkt unter "weniger Einsatz von Material" soll ein Erdwärmesondenfeld (ein "Schwarm von Erdwärmesonden"), welches bis in 300 m Tiefe vordringt, eine reduzierte (anscheinend nicht etwa weggelassene) Wärmedämmung ermöglichen. Außerdem möchte man "alle emissionsarmen Quellen anzapfen", beispielsweise menschliche Exkremente, die ja auch warm seien. Da müssten die ETH-Mitarbeiter freilich viel produzieren, um so nennenswert zur Beheizung beitragen zu können! (Ob so viele Toiletten vorgesehen sind und wann die Mitarbeiter dann überhaupt noch arbeiten sollten, ist nicht klar.) Dazu soll dann eben noch Solarwärme und die Abwärme z. B. von Personen kommen – als würden diese zusätzlichen Wärmequellen nicht schon seit der Steinzeit genutzt. Im übrigen sollen Wärmepumpen eine wichtige Rolle spielen. Im Sommer soll überschüssige Wärme über die Erdwärmesonden versenkt und im Winter mit Hilfe der Wärmepumpen wieder zurückgeholt werden. Das ist selbstverständlich keine neue Idee, sondern vielmehr eine Technik, welche bei neueren Gebäuden bereits vielfach genutzt wird (beispielsweise am Flughafen Zürich).

Wenn nun wirklich die Wärmedämmung weitgehend entfiele, wäre ein entsprechend großer Heizwärmebedarf die Folge. Selbst wenn dieser mit saisonaler Speicherung und Wärmepumpen gedeckt würde, ergäbe das einen erheblichen Primärenergieverbrauch. Und wie der emissionsfrei gedeckt werden soll, wird nicht verraten – außer dass es nicht die Kernenergie sein soll. Ohne den abgelehnten "Fokus auf Energieverbrauch" lassen sich solche Ziele wohl kaum erreichen, solange man nicht erneuerbare Energie in Hülle und Fülle zu niedrigen Kosten nutzbar machen kann.

Im übrigen wüsste man gerne, gegen wen man sich eigentlich wehrt, indem man fordert, die Architektur müsse "wieder ehrlicher und direkter werden".

Was verfolgen die ETH-Experten konkret?

Viel konkreter werden die Dinge, wenn man die Arbeiten von Prof. Dr. Hansjürg Leibundgut (Professur für Gebäudetechnik) betrachtet:

  • Auf seiner Website viagallia.ch beschreibt er zunächst einmal das Pilotprojekt "B 35" des Bundesamtes für Energie. Hier handelt es sich um einen Neubau in Zürich, und zwar um ein Vierfamilienhaus. Die 3-Schicht-Außenwand mag ungewöhnlich konstruiert sein, aber eine Abkehr von der konsequenten Wärmedämmung ist hier keineswegs zu erkennen: Der U-Wert der Fassade liegt bei nur 0,19 W / (m2 K). Das entspricht z. B. einer rund 20 cm dicken Polystyrol-Dämmung. Hinzu kommt eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, wie es ebenfalls bei Minergie-Häusern üblich ist. Kein Zweifel, dass das Gesamtkonzept funktionieren wird: Ein geringer Heizwärmebedarf kann auf sehr energieeffiziente Weise mit Hilfe von sehr wenig Primärenergie (bzw. Exergie) gedeckt werden. Nur ist das eben gerade nicht ein Paradigmenwechsel oder eine Abkehr von dem Instrument der optimierten Energieeffizienz!
  • Ein anderes Konzept wurde entwickelt zur Anwendung auf das (mir gut bekannte) Hörsaal-, Mensa- und Bürogebäude HPZ der ETH Hönggerberg. Bei diesem energetisch ungünstigen Bau der 1960er Jahre wäre eine nachträgliche Wärmedämmung nur sehr teuer zu realisieren. Es scheint deswegen durchaus vernünftig, dass hier darauf verzichtet wird, die Wärmedämmung auf den heutigen Standard zu bringen. Stattdessen kommt hier die die Wärmeversorgung mit saisonaler Speicherung und Wärmepumpen zum Einsatz. Ebenfalls zum Konzept gehört die optimierte Lüftungsanlage sowie insbesondere die optimierte Wärme- und Kälteverteilung (unter weitgehender Minimierung der benötigten Temperaturdifferenzen) sowie die konsequente Wärmerückgewinnung. Wenn dies realisiert ist, wird der Heizwärme- und Kühlbedarf zwar immer noch nicht wirklich gering sein, der Primärenergiebedarf aber gerade für einen ursprünglich sehr ungünstigen Altbau sehr respektabel. Im Kern geht es um eine LowEx-Strategie (Minimierung des Exergie-Einsatzes), die anderswo als thermodynamisch optimiertes Heizen bezeichnet wird. Hinzu kommt, dass der Strombedarf (insbesondere auch für die Wärmepumpen) mit erneuerbarer Energie aus Windenergie und Photovoltaik gedeckt werden soll (nicht beim Gebäude, sondern durch Investitionen in ferne Anlagen).

Es sei noch angemerkt, dass die Situation bei einem ETH-Gebäude erheblich anders ist als in einem typischen Wohngebäude. Die installierten Anlagen – beispielsweise für die Forschung, aber auch eine Mensa-Küche – produzieren viel mehr Abwärme, als sie in Wohnhäusern verfügbar ist. Das ändert die Energiebilanz eines Gebäudes natürlich massiv und reduziert die Anforderungen an die Wärmedämmung. Auf der anderen Seite würde eine ähnliche Energiestrategie bei vielen Wohnhäusern allein schon daran scheitern, dass die Installation von Erdwärmesonden an vielen Orten gar nicht erlaubt ist (z. B. wegen Grundwasserschutzgebieten).

Also ist das, was an der ETH tatsächlich praktiziert wird, kaum zu kritisieren. Nur zeigen die genannten Konzepte keine Abwendung vom Prinzip der Wärmedämmung – auch wenn im Einzelfall der Sanierung die Wärmedämmung mal eine geringere Rolle spielen mag als beim Neubau. Schon gar nicht geht es um eine Abkehr von einer optimierten Energieeffizienz, die übrigens im übergeordneten Energiekonzept der ETH Zürich in der Tat eine dominierende Rolle spielt. Nur in einem ziemlich verzerrten Sinne mag man eine Abkehr vom Energiesparen verzeichnen: Im Einzelfall darf der Heizwärmebedarf auch etwas höher sein, wenn man diesen dafür besonders effizient decken kann. Primärenergie wird so trotzdem gespart, nur nicht die Endenergie. Ich kenne freilich niemanden, der unter Energiesparen die Minimierung des Endenergieeinsatzes ohne Beachtung der Primärenergie (und der Emissionen) versteht.

Das Problem ist nur, dass mit dieser Aktion wieder einmal unnötig Verwirrung geschaffen wird. Bauherren in der ganzen Schweiz werden nun wohl unnötige Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer guten Wärmedämmung bekommen, obwohl diese zumindest für neue Wohngebäude praktisch immer die vernünftigste Methode ist. Gewisse Bemerkungen dürften zudem den Widerstand gegen die fortschreitende Verbesserung der Bauvorschriften stärken, obwohl diese in der Schweiz bereits zu erheblichen Verbrauchsreduktionen insbesondere beim Heizöl ermöglicht hat und somit zu den wenigen Maßnahmen gehört, mit denen die Schweiz erfolgreich Klimaschutz betreibt. Es ist schon sehr ärgerlich, welchen Bärendienst man hier dem Klimaschutz erweist.

Warum kommuniziert man so?

Das entstandene Kommunikationsdebakel erinnert fatal an das, was etwas früher schon entstanden ist: Im Jahr 2008 wurde (auch vom ETH-Präsidenten Prof. Eichler) die Abkehr von der 2000-Watt-Gesellschaft verkündet; es ginge nun um eine Tonne CO2 pro Kopf und Jahr. Auch damals zeigte sich bei genauerer Betrachtung, dass die sachlichen Differenzen weitaus kleiner sind, als es zunächst schien: Zwar könnte man mit reichlich genutzten erneuerbaren Energien im Prinzip auch mehr Energie umsetzen, aber Energieeffizienz bleibt sehr wichtig. Allerdings wurde unnötig Verwirrung geschaffen und nach außen der Eindruck erweckt, Energieeffizienz sei nun plötzlich doch weniger wichtig (was wichtige ETH-Experten im Gespräch freilich eindeutig dementierten). Der Autor veröffentlichte am 08.04.2008 einen Artikel hierzu in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).

Im aktuellen Fall dürfte zusätzlich wieder einmal die Neigung gewisser Architekten eine Rolle spielen, die Lösung energetischer Probleme möglichst vollständig von der Haustechnik lösen zu lassen, um architektonisch keine zusätzlichen Aufgaben übernehmen zu müssen. (Einen ähnlichen Fall habe ich in einem Artikel über den Ansatz "Kraft-Wärme-Kopplung statt energetischer Sanierung" beschrieben.) Man redet sich dann gerne ein, die moderne Gebäudetechnik würde die Probleme ohnehin besser und billiger lösen, als wenn man die Architektur selbst energetisch optimiert. Dies mag in Einzelfällen stimmen, oft ist es aber gerade nicht so. Beispielsweise ist die passive Nutzung von Sonnenenergie durch optimierte Architektur oft weitaus kostengünstiger (wie auch robuster und dauerhafter) als der Einsatz aktiver Technik mit Sonnenkollektoren, Pufferspeichern, Wärmepumpen etc. Ähnliches gilt für den architektonischen Sonnenschutz, der meist weitaus vernünftiger ist als die Klimatisierung über Kälteaggregate und die dazu notwendige Infrastruktur. (Letzteres scheint immerhin auch bei den ETH-Architekten angekommen zu sein.) Und was die Wärmedämmung betrifft, sagen die eigenen Experten ja keineswegs, was man sich offenbar wünschen würde: dass Wärmedämmung gar nicht mehr wichtig sei und man grundsätzlich hier mit viel weniger auskäme.

Jedenfalls würde man sich wünschen, dass von der ETH zukünftig mit mehr Sorgfalt kommuniziert wird, um dem Klimaschutz nicht nochmals einen solchen Bärendienst zu erweisen.

Nachtrag: ein weiteres Diskussionspapier

Am 25.11.2010, wenige Tage nach Erscheinen des ETH-Positionspapiers und dieses Artikels, haben drei Autoren eine weitere Kritik am ETH-Positionspapier (leider nicht mehr online verfügbar) herausgegeben: Prof. Armin Binz von der Fachhochschule Nordwestschweiz, Paul Eggimann vom Hochbauamt des Kantons Zürich und Dr. Heinrich Gugerli vom Amt für Hochbauten der Stadt Zürich. Ihre Stellungnahme deckt sich vollkommen mit meiner Ansicht. Es wird auch hier davor gewarnt, die Energieeffizienz (z. B. durch Wärmedämmung) gegen andere Maßnahmen wie saisonale Speicherung, Wärmepumpen und die Nutzung erneuerbarer Energie etc. auszuspielen; einzig sinnvoll ist eine auf den Einzelfall abgestimmte Kombination von Maßnahmen. Ebenfalls wird völlig richtig angemerkt, dass der Weg zur Emissionsreduktion in aller Regel über die Energieeffizienz führt, da praktisch nutzbare erneuerbare Energien nicht im Überfluss zu niedrigen Kosten zur Verfügung stehen. Wichtig ist auch der Hinweis, dass passive bauliche Maßnahmen am Gebäude im Vergleich zu aktiven technischen Systemen sowohl langlebiger als auch robuster z. B. gegen ungünstigem Nutzerverhalten sind.

Siehe auch: Energieeffizienz, thermodynamisch optimiertes Heizen, Wärmedämmung

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