Zykluserkennung
Definition: die automatische Erkennung eines Abgastests durch eine Motorsteuerung
Englisch: drive cycle recognition
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Ursprüngliche Erstellung: 28.09.2015; letzte Änderung: 20.08.2023
Bei den üblichen Messverfahren für Kraftstoffverbrauch und Abgaswerte für Fahrzeuge werden der Kraftstoffverbrauch und die Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand unter genau definierten Laborbedingungen ermittelt. Die entsprechenden Resultate werden unter anderem bei der Typenprüfung neuer Fahrzeuge verwendet, um die Einhaltung gesetzlicher Grenzwerte zu überprüfen, die die folgenden Aspekte betreffen können:
- den Kraftstoffverbrauch und die damit einhergehenden klimaschädlichen (CO2)-Emissionen
- Schadstoffe wie Stickoxide, Kohlenmonoxid, unverbrannte Kohlenwasserstoffe und Rußpartikel (v. a. Dieselruß, siehe auch Feinstaub)
- die Lärmemissionen
Wie funktioniert die Zykluserkennung?
Verbrennungsmotoren, wie sie in heutigen Fahrzeugen eingesetzt werden, sind in der Regel mit einer digitalen Motorsteuerung (ECU = electronic control unit) ausgestattet. Eine solche wird benötigt, um diverse Einstellungen des Motors den jeweiligen Betriebszuständen anzupassen, Defekte rasch zu erkennen und auf diese ggf. angemessen reagieren zu können (z. B. mit Fehlermeldungen, Warnleuchten oder notfalls dem Abstellen des Motors zur Vermeidung schwerer Folgeschäden). Für die Erzielung eines niedrigen Kraftstoffverbrauchs und einer hohen Abgasqualität ist eine ausgefeilte computerbasierte Motorsteuerung unerlässlich.
Mit den also ohnehin eingesetzten Mikroprozessoren lässt sich auch ohne Weiteres eine sogenannte Zykluserkennung realisieren. Dies bedeutet, dass die Motorelektronik anhand gewisser Kriterien erkennen kann, ob gerade ein offizieller Messzyklus z. B. für die Überprüfung der Abgasemissionen gefahren wird (etwa der europäische Zyklus NEFZ) oder sich das Fahrzeug im normalen Praxisbetrieb befindet. Hierfür kann die Motorelektronik diverse Kriterien berücksichtigen; einige Beispiele:
- Auf dem Prüfstand drehen sich in der Regel nur die Räder der Antriebsachse, nicht aber die beiden anderen (außer bei Fahrzeugen mit Vierradantrieb). Dies kommt in der Praxis natürlich nicht vor.
- In den Tests kommen gewöhnlich keinerlei Lenkradbewegungen vor.
- Der zeitliche Verlauf der Geschwindigkeit ist charakteristisch für einen bestimmten Testzyklus; damit lässt sich ohne Weiteres bestimmen, welche Variante (z. B. NEFZ- oder US-Zyklus) gefahren wird.
Wenn die dafür benötigten Sensoren im Fahrzeug ohnehin schon vorhanden sind (z. B. für ABS-System, Servolenkung und Kilometerzähler), genügt für die Zykluserkennung eine entsprechende Software (ein Computerprogramm) in der Motorsteuerung. Deren Entwicklung kann Geld kosten, wären die Herstellungskosten für die Fahrzeuge dadurch in der Regel nicht erhöht werden.
Was kann mit einer Zykluserkennung erreicht werden?
Mithilfe einer Zykluserkennung kann ein Fahrzeughersteller bewirken, dass das Fahrzeug im Praxisbetrieb erheblich anders betrieben wird als während eines offiziellen Tests auf dem Rollenprüfstand. Dies ermöglicht ihm, gewisse Zielkonflikte je nach Situation anders aufzulösen. Ein Beispiel für eine solche Strategie könnte für ein Fahrzeug mit Dieselmotor und SCR-Abgaskatalysator folgendermaßen aussehen:
- Wenn der Testzyklus erkannt wird, wird die vom SCR-Katalysator für eine effektive Entstickung (Reduktion von Stickoxid-Emissionen) benötigte Menge einer Harnstofflösung (AdBlue) eingesetzt. Ein erhöhter Verbrauch dieser Flüssigkeit ist in der Testsituation nicht nachteilig.
- Im Praxisbetrieb dagegen wird diese Flüssigkeit sehr sparsam eingesetzt, was vermeidet, dass das Fahrzeug u. U. mehrmals pro Jahr zum Auffüllen des AdBlue-Tanks in die Werkstatt gebracht werden muss. Die Folge davon ist, dass die Stickoxid-Emissionen vor allem bei hoher Motorlast stark ansteigen, weil der Abgaskatalysator einen Großteil seiner Wirkung verliert. Dies bemerkt allerdings der Fahrer nicht und womöglich auch keine Umweltbehörde.
Es ist auch möglich, die NOx-Rohemissionen beispielsweise durch Verwendung eines späteren Zeitpunkts der Kraftstoffeinspritzung (eine Kennfeldverschiebung) zu reduzieren, sodass der AdBlue-Verbrauch entsprechend reduziert wird. Dies kann allerdings eine Erhöhung des Dieselkraftstoffverbrauchs zur Folge haben, weil der Wirkungsgrad des Motors dann reduziert wird. Je nach der jeweiligen Gesetzgebung und den Prioritäten der Autokäufer in einem Land kann ein im Testzyklus etwas erhöhter Kraftstoffverbrauch vom Hersteller hingenommen werden oder auch nicht; bei den in einigen Jahren kommenden strengeren CO2-Grenzwerten in der EU wird eine solche Strategie für die Hersteller weniger attraktiv, da die Einhaltung der Klimaschutzvorgaben technisch zunehmend schwierig wird.
Entsprechende Manipulationen sind also geeignet, um die Umweltgesetzgebung effektiv zu unterlaufen. Sie sind deswegen in der Regel gesetzlich verboten. Konsequenzen hat dies für die Hersteller allerdings natürlich erst dann, wenn solche Manipulationen aufgedeckt werden. Dies ist im Falle von Volkswagen (VW) im September 2015 geschehen und bald darauf auch öffentlich geworden [2]. Als Folge hiervon drohen Volkswagen unter anderem stark sinkende Fahrzeugverkäufe, milliardenschwere Strafzahlungen und ein nachhaltiger Vertrauensverlust.
Eine andere mögliche technische Maßnahme ist der Verzicht auf eine angemessene AdBlue-Dosierung bei hoher Motorleistung. Da in den Testzyklen die volle Motorleistung ohnehin in aller Regel nicht benötigt wird, ist dafür keine Zykluserkennung nötig. Dieses Beispiel zeigt, das Schadstoffemissionen im Praxisbetrieb, die die im Testzyklus gemessenen Werte massiv überschreiten, auch ohne eine Zykluserkennung durchaus möglich sind – vor allem dann, wenn die für den Testzyklus definierten Bedingungen stark von denen im Praxisbetrieb abweichen.
Ein Hersteller könnte Probleme bei hoher Motorleistung auch vermeiden, indem er die maximale Motorleistung reduziert. Dadurch würde ein erhöhter AdBlue-Verbrauch auch ohne ausufernde Abgasemissionen vermieden. Jedoch wurde das Fahrzeug für manche Käufergruppen damit weniger attraktiv.
Auch bei Fahrzeugen mit Ottomotor existieren Zielkonflikte, die das Unterlaufen der Abgasgesetzgebung mit oder ohne Zykluserkennung motivieren können (falls entsprechende Risiken in Kauf genommen werden). Beispielsweise wird auch bei vielen modernen Fahrzeugen bei hoher Last eine sogenannte Volllastanreicherung vorgenommen, die zwar Motorteile und insbesondere den Abgaskatalysator trotz hoher Leistungsausbeute vor Überhitzung schützen kann, aber nicht nur einen erhöhten Kraftstoffverbrauch zur Folge hat, sondern auch exzessive Abgasemissionen (v. a. betreffend Kohlenmonoxid und unverbrannte Kohlenwasserstoffe). Diese Technik dürfte in der Regel legal sein (obwohl ökologisch gesehen äußerst unerwünscht), da die bislang verwendeten Testzyklen in der Regel keine hohe Motorleistung erfordern, also den Effekt der Volllastanreicherung auch ohne Zykluserkennung gar nicht berücksichtigen. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass in manchen Fahrzeugen auch eine illegale Zykluserkennung eingesetzt wird, um technisch schwer auflösbare Zielkonflikte zu bewältigen.
Literatur
[1] | V. Franco et al., "Real-world exhaust emissions from modern diesel cars", International Council of Clean Transportation, https://theicct.org/publication/real-world-exhaust-emissions-from-modern-diesel-cars/ |
[2] | Blog-Artikel: Dieselfahrzeuge von Volkswagen: Einhaltung von Abgasgrenzwerten mit illegalen Tricks |
[3] | Blog-Artikel: Stickoxidemissionen von modernen Dieselfahrzeugen – deutlich höher als gedacht |
Siehe auch: Messverfahren für Kraftstoffverbrauch und Abgaswerte, SCR-Katalysator, Kraftstoff, Abgasqualität, Stickoxide, RP-Energie-Blog 2015-09-21
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