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Wissenschaft als Grundlage für Klima- und Energiepolitik

Erschienen am 05.06.2019 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2019_06_05.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Die Wissenschaft liefert viele Antworten zu Fragen, die für die Klima- und Energiepolitik relevant sind - und dies mit besserer Verlässlichkeit als jede andere Methode. Hier wird erläutert, warum dies so ist. Andererseits müssen auch die Grenzen verstanden werden - insbesondere dort, wo bei Entscheidungen Werte ins Spiel kommen.

Rüdiger Paschotta

Mir scheint es sinnvoll, einmal einige Gedanken zu entwickeln zur Frage, was genau die Wissenschaft zur Entwicklung der Klima- und Energiepolitik beitragen kann und welchen Stellenwert ihre Resultate verdienen. Ich selbst habe jahrelang als Wissenschaftler gearbeitet, wenn auch nicht in diesen Fachgebieten, und denke viel über diese Dinge nach. Ich hoffe sehr, dass diese Gedanken für viele Leser nützlich sein werden – etwa für diejenigen jungen Menschen, die sich zunehmend für Klimaschutz engagieren. (Kennen Sie welche? Dann leiten Sie diese Informationen doch bitter weiter!)

Offenkundig liefern verschiedene Disziplinen der Wissenschaft Antworten auf diverse Fragen, die für die Klima- und Energiepolitik und andere Bereiche wie Gesundheit relevant sind. Einige Beispiele:

  • Zum Klimaschutz: Gibt es eine Klimaerwärmung? Inwieweit sind menschliche Aktivitäten hierfür verantwortlich? Welchen Unterschied macht es, ob die CO2-Emissionen ungebremst weiterlaufen oder durch Klimaschutz-Maßnahmen mehr oder weniger reduziert werden?
  • Zur Energiepolitik: Welche Klimaeffekte haben verschiedene Energietechnologien? Inwieweit lassen sie sich voraussichtlich durch weitere Forschung und Entwicklung optimieren, etwa betreffend ihre Klimaeffekte, ihre Ausbeute, ihr Lösungsbeitrag und ihre Kosten?
  • Zur Gesundheit: Wie schädlich sind Feinstaub und Stickoxide wirklich? (Muss der Stand der Wissenschaft durch die Beiträge gewisser Lungenärzte umgeworfen werden?) Wo genau entstehen Stickoxide in welchen Mengen? Welche Maßnahmen erlauben eine effektive Reduktion der Belastung?

Es dürfte klar sein, dass solche Fragen und Antworten darauf für die Politik relevant sind bzw. beachtet werden sollten. Trotzdem besteht häufig eine Verunsicherung darüber, inwieweit man wissenschaftlichen Resultaten trauen kann und welchen Wert diese Resultate im Vergleich zu Aussagen aus anderen Quellen haben.

Wie sicher sind wissenschaftliche Erkenntnisse?

Eine allgemein gültige Antwort auf die Frage, welche Qualität und Verlässlichkeit wissenschaftliche Erkenntnisse haben, lässt sich selbstverständlich nicht geben, allein schon weil verschiedenen Fragen sehr unterschiedlich schwierig zu beantworten sind.

Manche Fragen können als sicher geklärt gelten – etwa die, ob es deutliche Klimaveränderungen gibt, ob diese fortschreiten werden (also in den nächsten Jahrzehnten immer stärker werden) und ob der Mensch darauf einen wesentlichen Einfluss hat. Zwar findet man auch für beliebig abstruse Thesen oft irgendwo ein paar Wissenschaftler, die diese unterstützten – etwa dass unsere Welt in Wirklichkeit vor einigen tausend Jahren erschaffen worden sei und mitnichten schon für Milliarden von Jahren existiere. Wenn aber deutlich mehr als 95 % derjenigen, die in einem Fachgebiet aktiv arbeiten, gemeinsam zu einer Überzeugung gelangen, braucht es meines Erachtens schon sehr spezielle Argumente, um dem noch überzeugend zu widersprechen – ich würde mir das jedenfalls nicht erlauben. Beispielsweise sind Theorien über eine massenweise Verschwörung von Wissenschaftlern im Rahmen des IPCC, um der Bevölkerung ein in Wirklichkeit gar nicht existierendes Problem zu suggerieren, einfach nur irr.

Bei anderen Fragen gibt es größere Unsicherheiten. Beispielsweise sind Vorhersagen darüber, wie genau sich das Klima unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. mit ungebremsten CO2-Emissionen) entwickeln würde, sehr schwierig bis unmöglich, da das Klimasystem der Erde äußerst kompliziert ist; dazu müsste z. B. man diverse positive und negative Mechanismen der Rückkoppelung genau verstehen. Dies, obwohl sehr klar ist, dass es große Veränderungen gibt und diese noch stark zunehmen werden. Wohl noch schwieriger sind Vorhersagen darüber, wie genau die Menschheit darauf reagieren würde: Welche kriegerischen Konflikte, Migrationsbewegungen oder auch welche Änderungen durch technische Maßnahmen wird es geben, wenn sich die Lebensgrundlagen der Menschheit massiv ändern? Wie lange ging es gegebenenfalls, bis unsere Wohlstandsgesellschaft komplett zusammenbrechen würde?

Es gibt sogar Fragen, die die Wissenschaft wahrscheinlich nie wird beantworten können – beispielsweise die, wie das Wetter in einem Jahr sein wird: Wird es beispielsweise am 04.06.2020 oder auch am 04.06.2030 in Süddeutschland eine Hitzewelle geben oder eher unterdurchschnittliche Temperaturen? Die chaotische Natur des Klimasystems macht solche Vorhersagen mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft unmöglich – außer wenn wir das Wetter eines Tages aktiv einstellen könnten (was wohl sehr fern liegt). Wohlgemerkt ist die Entwicklung des Klimas – also beispielsweise der Schwankungsbreiten von Temperaturen, Niederschlägen etc. – sehr wohl vorherzusagen; wer den Unterschied zwischen Wetter- und Klimaprognosen nicht verstanden hat, sollte zu solchen Dingen besser schweigen.

Warum genau bringt Wissenschaft sicherere Erkenntnisse als andere Methoden?

Daraus, dass Wissenschaft je nach Situation sichere, unsichere oder gar keine Prognosen erlaubt, folgern manche, dass Wissenschaft auch keine bessere Erkenntnisquelle ist als andere. Dies ist freilich grundfalsch. Ich würde Wissenschaft grundsätzlich definieren als die systematische Bemühung, so sicheres Wissen zu schaffen wie in der jeweiligen Situation möglich. Hierfür wird eine Kombination von Maßnahmen eingesetzt:

  • Man bemüht sich um die immer weitere Verbesserung von Arbeitsmethoden, um alle möglichen erkennbaren Fehlerquellen so weit wie möglich zu minimieren. Beispielsweise optimiert man Experimente so, dass mögliche verfälschende Effekte entweder unterdrückt oder aufgedeckt werden, sodass man sie kompensieren kann. Eine Vielzahl von Methoden wurde entwickelt, um die Plausibilität von Resultaten zu überprüfen.
  • Man bemüht sich um eine möglichst klare Sprache (beispielsweise mit klar definierten Begriffen) als Grundlage für ein klares Denken und eine unmissverständliche Kommunikation.
  • Man richtet systematische Ausbildungen (z. B. Studiengänge) ein, damit Forscher möglichst viel von dem wissen, was bereits bekannt wurde, um auf dieser Basis das gemeinschaftliche Wissen dann weiter vermehren zu können.
  • Man pflegt einen umfangreichen Wissensaustausch unter aktiven Forschern, insbesondere mit wissenschaftlichen Publikationen, bei denen mit dem Peer-Review-Verfahren möglichst viele Fehler und andere Mängel ausgesiebt werden. Das bedeutet, dass ein Fachartikel erst einmal von einigen Kollegen begutachtet und kommentiert wird, bevor man ihn veröffentlicht. (Wer sich darum herumdrückt, etwa die erwähnten Lungenärzte, gilt in der Wissenschaft nicht als glaubwürdig.) Wo sich bestehende Wissenslücken oder Widersprüche zwischen verschiedenen Aussagen finden, geht man diesen weiter nach. Zudem muss immer offengelegt werden, wie genau man etwas untersucht hat, damit andere die gewählte Methodik kritisch überprüfen können.

Perfekt funktioniert dieses System nicht, aber immerhin wohl besser als jedes andere. Seine Leistungsfähigkeit stützt sich keineswegs einfach darauf, dass die Arbeit von möglichst klugen Leuten ausgeführt wird. In der Tat gibt es leider immer wieder mangelhafte Arbeiten, deren Resultate dann wieder korrigiert werden müssen. Jedoch wird es kaum gelingen, die ganze wissenschaftliche Community in einem Fachgebiet von falschen Resultaten zu überzeugen; was falsch ist, wird normalerweise rasch erkannt und korrigiert. Nur in seltenen Fällen setzen sich falsche Überzeugungen über längere Zeit durch.

Ich würde also einer einzelnen wissenschaftlichen Studie oder einer Forscherpersönlichkeit nicht ohne weiteres glauben, vor allem wenn sie überraschende oder gar schräg aussehende Behauptungen portiert. Wenn jedoch der größte Teil einer wissenschaftlichen Community zu einer Überzeugung gelangt, dürfte diese annähernd so gut abgesichert sein, wie es Menschen überhaupt möglich ist.

Eine entscheidende Einsicht ist für mich die folgende: Die Beantwortung mancher Fragen mag sehr schwierig sein, und völlige Sicherheit gibt es nie. Aber es geht sicherlich nicht besser und sicherer, wenn man die oben genannten für die Wissenschaft geltenden Grundsätze aufgibt und durch etwas anderes ersetzt. Schließlich sind diese Methoden ja genau für den Zweck optimiert worden, möglichst sicheres Wissen zu schaffen.

Wie soll man mit Unsicherheiten umgehen?

Viele Dinge sind nicht sicher geklärt oder vielleicht auch niemals mit Sicherheit erklärbar – was aber keineswegs heißt, dass Wissenschaft hier eben nicht mehr weiterhilft. Im Gegenteil gehört ein sinnvoller Umgang mit noch oder dauerhaft bestehenden Unsicherheiten genau zu den Dingen, wo die Wissenschaft stark ist. Man untersucht nicht nur, was ist, sondern auch was man wie genau wissen oder erfahren kann, welche störenden Einflüsse es dabei gibt und wie bzw. wie weit man sie reduzieren kann.

Beispielsweise kann die Wissenschaft inzwischen gut darüber Auskunft geben, warum langfristige Wettervorhersagen unmöglich sind, aber auch, was man über zu erwartende Schwankungen des Wetters sagen kann, wenn beispielsweise klimaschädliche Emissionen nicht rechtzeitig gestoppt werden. Und solche Erkenntnisse werden natürlich Jahr für Jahr noch genauer.

Natürlich wäre es völlig unsinnig, Erkenntnisse wegen bleibender Unsicherheiten einfach zu ignorieren. Beispielsweise sollte man eine drohende katastrophale Entwicklung des Klimas der Erde sehr ernst nehmen, auch wenn noch nicht im Detail klar ist, wie diese verlaufen wird. Die Null-Hypothese – "Setzen wir darauf, dass in Wirklichkeit überhaupt nichts passiert!" – ist für einen vernünftig denkenden Menschen unhaltbar. Es gibt ja sogar Hinweise, dass wichtige Dinge wie etwa das Abschmelzen der polaren Eiskappen lange deutlich unterschätzt wurden.

Welche Fragen kann die Wissenschaft nicht beantworten?

Es gibt Fragen, für die die Wissenschaft schlicht nicht zuständig ist. Beispielsweise kann man nicht wissenschaftlich festlegen, wie die notwendige Reduktion klimaschädlicher Emissionen auf bestimmte Länder verteilt werden muss. Natürlich kann man mehr oder weniger sinnvolle Argumente hierzu anbringen – etwa basierend auf Kriterien wie den folgenden:

  • Wie hoch sind die Emissionen eines Landes pro Kopf? (Wir liegen weit über dem Durchschnitt!)
  • Wie viel hat ein Land in der Vergangenheit zum Klimawandel beigetragen?
  • Gibt es entschuldigende Umstände, beispielsweise ein bitter kaltes Klima oder elende Armut?
  • Welche technologischen Möglichkeiten hat ein Land?
  • Wie hoch bewerten wir die Interessen zukünftiger Generationen im Vergleich zur jetzigen?

Man kann aber nicht wissenschaftlich festlegen, welche Kriterien wie genau angewandt werden sollen; das sind Fragen von Werten, über die wir letztendlich subjektiv entscheiden müssen – wenn auch möglichst unter Berücksichtigung objektiver Fakten. Als Wissenschaftler sollte man sich darüber völlig klar sein.

Übrigens ist man als Wissenschaftler nebenbei auch noch Mensch und darf, ja sollte sich sehr wohl auch mit Werten beschäftigen und zu Entscheidungen kommen – so wie ich es hier gerade auch tue.

Verdient die Wissenschaft Vertrauen?

Mir scheint, dass die Grundsätze der Wissenschaft für die Beantwortung vieler Fragen enorm hilfreich sind; ich kenne keine andere Methodik, die ein Potenzial für annähernd so detaillierte und abgesicherte Aussagen beanspruchen könnte.

Wie gut die Wissenschaft in der Praxis arbeitet, ist eine andere Frage. Ich ärgere mich immer wieder über die mangelnde Qualität von Aussagen einzelner Wissenschaftler. Perfekt funktioniert das System also keineswegs. Aber ich denke, es funktioniert zumindest weitaus besser als jedes andere.

Auch Wissenschaft kann im Prinzip korrumpiert werden, und hier und da ist dies sogar konkret beobachtbar. Beispielsweise kommt es immer wieder vor, dass sich Wissenschaftler für Studien hergeben, die durch Geldgeber in unangemessener Weise beeinflusst, manchmal sogar richtig verfälscht werden. In der Wissenschaft reagiert man darauf mit der Verschärfung diverser Standards, etwa Pflichten zur Offenlegung möglicher Interessenkonflikte. Sicherlich war es auch schädlich, dass sich lange Zeit Wissenschaftler dafür hergegeben haben, Probleme der Kernenergie zu verniedlichen. Dass auch in den fortgeschrittenen Industrieländern ein paar schwere Atomunfälle geschehen sind, die nach der früheren Propaganda hätten extrem unwahrscheinlich sein müssen, hat natürlich viel Vertrauen gekostet. Aber deswegen Wissenschaft gleich rundherum abzulehnen, hieße das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Wissenschaft durch die nicht perfekte Vermeidung korrumpierender Einflüsse (und natürlich auch durch politische Propaganda) immer wieder an Vertrauen in der Bevölkerung verliert. Die Folgen davon treffen nicht nur die Wissenschaft selbst, sondern auch die gesamte Bevölkerung – wenn dann etwa "alternative Fakten" hoffähig werden, die gewiss ein weitaus größeres Misstrauen verdienen würden, und in der Folge falsche Entscheidung getroffen werden. Gefördert wird diese Gefahr durch Politiker, die nicht nach der Wahrheit suchen, sondern nach Rechtfertigungen für ihre Klientelpolitik – wenn etwa ein Verkehrsminister Scheuer begeistert den neuen "wissenschaftlichen Ansatz" einer Gruppe abgeklärter Lungenärzte begrüßt und geltende Grenzwerte für Luftschadstoffe auf dieser Basis am liebsten kräftig verwässern würde. Ähnliches gilt für diejenigen, die ständig die Resultate der Klimawissenschaft infrage stellen, um das Entstehen einer wirksamen Klimapolitik möglichst lange hinauszuzögern.

Mein Vorschlag: Vertrauen Sie niemandem blind, aber schon gar nicht denen, die offenkundig Partikularinteressen vertreten. Wo es volle Sicherheit nicht gibt, wählt man, was immerhin am vernünftigsten erscheint – anstatt etwa die ganze Problematik zu ignorieren.

Eine naive Wissenschaftsgläubigkeit würde ich keineswegs propagieren. Eine solche findet man wohl eher bei denjenigen, die sich einfach darauf verlassen wollen, dass Wissenschaft und Technik die Dinge auch ohne eigene Mitwirkung schon irgendwie in Ordnung bringen werden.

Einige Konsequenzen

Im Folgenden erläutere ich kurz einige persönliche Einschätzungen und Einstellungen, die auf den oben dargestellten Überlegungen beruhen.

Bei Klimafragen haben Klimawissenschaftler die verlässlichsten Antworten.

Als Physiker (aber nicht Klima-Physiker) kann ich diverse Zusammenhänge etwa im Bereich der Klimaveränderung sicherlich besser als der Durchschnitt der Bevölkerung beurteilen. Meine Beschäftigung mit diesen Dingen über Jahrzehnte trägt hierzu bei. Trotz allem kann ich mir aber keineswegs anmaßen, diese Dinge besser beurteilen zu können als die Fachwelt, d. h. die Experten, die sich mit diesen Dingen Tag für Tag wissenschaftlich befassen. Es käme für mich nicht infrage, beispielsweise im RP-Energie-Lexikon Positionen zu vertreten, die im Widerspruch zur großen Mehrheit der Klimaforscher stehen.

Es gibt viele Interessen, aber auch gesichertes Wissen.

Es scheint mir offenkundig, dass milliardenschwere Interessen teils systematisch daran arbeiten, entsprechende Meinung der Öffentlichkeit zu beeinflussen – beispielsweise dadurch, dass unfundierte Zweifel am menschengemachten Klimawandel gestreut werden. Wir wissen beispielsweise, dass Teile der Ölindustrie seit Jahrzehnten in dieser Richtung arbeiten, obwohl sie die Klimagefahren schon lange erkannt haben – aber eben in erster Linie als Gefahren für ihr Geschäft wahrnehmen. Auf der anderen Seite mag es sein, dass der eine oder andere Umweltschützer auch ohne finanzielle Interessen einmal etwas übertreibt oder mangels Wissen etwas schräg darstellt. Vielleicht gibt es sogar auch mal Einflüsse finanzieller Interessen von Klimaforschern, etwa bei der Beantragung von Forschungsgeldern. Es ist aber absurd anzunehmen, dass wir in erster Linie von geldgierigen Klimaforschern irregeführt würden und nicht etwa von der weitaus mächtigeren Ölindustrie.

Es ist aber jedenfalls klar, dass es zunehmend abgesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die man nicht vom Tisch wischen kann, wenn man glaubwürdig sein möchte. Schon gar nicht kommt es infrage, irgendwelchen offenkundig interessengeleiteten Politikern mehr zu glauben als der Wissenschaft.

Es drohen gewaltige Gefahren.

Nach dem besten verfügbaren Wissen – nämlich dem der Klimawissenschaft – besteht die ernsthafte Gefahr, dass sich das Klima in katastrophaler Weise entwickeln wird, wenn wir nicht sehr bald energisch umsteuern. Dies nicht von heute auf morgen, aber in durchaus absehbarer Zeit – so, dass es viele der heute lebenden jüngeren Menschen voll treffen kann.

Jedes einzelne Detail zu diesen Dingen mag mehr oder weniger unsicher sein, aber es wäre tollkühn, davon auszugehen, dass alles falsch ist und in Wirklichkeit gar nichts Wesentliches passieren wird.

Wer sich Sorgen macht um unsere wirtschaftliche Zukunft oder um zukünftige Migrationsströme, müsste unbedingt einen entschiedenen Klimaschutz fordern. Die drohenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Klimaveränderungen sind nämlich immens, und die zu erwartenden Migrationsströme durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen drohen völlig unbeherrschbar zu werden.

Übrigens ist auch eine resignierte Aufgabe auf der Basis, es sei ohnehin zu spät, völlig irrational. Es ist nämlich keineswegs egal, in welchem Maße wir das Notwendige verfehlen. Bei einer Klimakatastrophe geht es nicht um ja oder nein, sondern um das Ausmaß und die Geschwindigkeit. Und diese Dinge hängen definitiv von unserem Verhalten ab.

Untätigkeit ist ein Verbrechen.

Angesichts der drohenden Gefahren einfach wie bisher weiter zu wursteln – ohne eine glaubwürdige Perspektive für die Abwendung dieser Gefahren – halte ich für ein Verbrechen. Dies läuft seit Jahrzehnten so, auf internationaler wie auch nationaler Ebene, mit einigen Milliarden von Tätern. Es geht nicht an, dass sich ein oder zwei Generationen – genauer gesagt, der kleinere Teil der heute weltweit lebenden Generationen – herausnimmt, einen wesentlichen Anteil der gesamten Ressourcen der Erde auszubeuten (etwa fossile Energieträger) und damit die Lebensgrundlagen aller weiteren Generationen massiv zu gefährden.

Wohlgemerkt ist dies keine wissenschaftliche Aussage, sondern eine, die auf Werten wie Verantwortung basiert. Sie stützt sich aber auf wissenschaftliche Erkenntnisse betreffend die Natur und Schwere der Gefahren. Dies ist der Unterschied zu Panikmache: Es geht nicht um eingebildete Gefahren, sondern um eine Einschätzung basierend auf dem besten verfügbaren Wissen.

Wir brauchen einen vernünftigen Plan.

Ich hielte es für grundfalsch, jede denkbare Lösung zum Klimaschutz zu ergreifen und umzusetzen. Vielmehr müssen wir einen kohärenten Plan entwickeln und die verfügbaren Ressourcen gezielt auf die Maßnahmen konzentrieren, die am ehesten effektive Wirkungen versprechen können. Wir haben nämlich keineswegs unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung, um die Ziele rechtzeitig zu erreichen.

Beispielsweise stehe ich der Einführung batteriebasierter Solarstromspeicher sehr kritisch gegenüber, da diese einen sehr begrenzten Lösungsbeitrag zu sehr hohen Kosten bieten. Leicht übersehen wird dabei, dass es weitaus verlustärmere und kostengünstigere Methoden für die Speicherung von Energie gibt – etwa die Anbindung längst bestehender und auch weiter ausbaubarer Speicherkapazitäten z. B. in Skandinavien durch den Ausbau von Stromnetzen hin zu einem europäischen Supergrid.

Ebenso wende ich mich gegen diverse andere technologische Scheinlösungen. Wenn etwa gewisse klimaschädliche Politiker ein Alibi-System mit einigen Wasserstofftankstellen aufbauen wollen und damit suggerieren, so könne man eine unbegrenzte individuelle Mobilität beliebig weiter fortführen, halte ich dies für eine gefährliche Ablenkung von dem, was wirklich dringend nötig wäre – nämlich einer ganz neuen Konzeption für die Mobilität der Zukunft.

Hoffnung auf zukünftige Technologien

Grundsätzlich hoffe ich sehr, dass wir möglichst viele Probleme durch neue und verbesserte Technologien ein ganzes Stück weit entschärfen können. Beispielsweise halte ich es für durchaus realistisch, dass zumindest neue Gebäude bald netto keine Energie mehr verbrauchen werden, wenn wir dafür die Weichen geeignet stellen. Auch eine europaweite Vollversorgung mit elektrischer Energie durch die nachhaltige Nutzung erneuerbarer zu erreichen halte ich für mittelfristig sehr wohl umsetzbar, wenn man dafür das richtige Konzept wählt – wobei aus meiner Sicht starke Stromnetze eine entscheidende Rolle spielen müssen und ein Streben nach Energieautarkie (etwa auf nationaler Ebene) ein Irrweg wäre, weil die Kosten kaum beherrschbar wären.

Gleichzeitig müssen wir die Grenzen aller technologischen Ansätze erkennen und respektieren. Dringend warnen möchte ich vor der Hoffnung, unsere Wissenschaftler und Ingenieure würden für alle Probleme einfach so schöne Lösungen finden, und wir könnten einfach weitermachen wie bisher. Wenn gewisse Politiker Hoffnungen auf überhaupt nicht absehbare technologische Lösungen als die klügere Alternative zu tatsächlichem Handeln ausgeben, ist das einfach nur dumm und unverantwortlich.

Es geht nicht ohne Suffizienz.

Mit einem rechtzeitigen entschiedenen Handeln – etwa mit einer international abgestimmten zielorientierten Klimapolitik seit dem Jahr 2000 – hätte man sicher einen größeren Teil der Probleme mit Technologie und klugen Anpassungen lösen können. Jedoch nimmt dieser Spielraum mit jedem weiterem Jahr der Untätigkeit immer weiter ab. Entsprechend wird der Beitrag der Suffizienz immer größer werden müssen.

Ein erster Anfang in Deutschland wäre es etwa, endlich ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen einzuführen. Dies kostet finanziell weniger als gar nichts, auch wenn es die Nerven einiger Zeitgenossen etwas beanspruchen wird. Wenn wir aber angesichts der anstehenden Probleme nicht einmal hierzu bereit sind – auch nicht etwa zum Verzicht wenigstens auf unnötig schwere und übermotorisierte Fahrzeuge – zeigt das einen Grad von Verantwortungslosigkeit, den zukünftige Generationen wohl für unfassbar halten werden. (Natürlich wird es wieder heißen, es hätte einem ja niemand gesagt, wie ernst die Sache wirklich ist.)

Wir werden die Welt nicht alleine retten.

Der oft gehörte Einwand, dass wir in Deutschland die Welt nicht alleine retten können, ist selbstverständlich richtig. Grundfalsch ist jedoch die gerne gemachte Folgerung, wir könnten die Sache genauso gut auch schleifen lassen. Denken wir doch einfach mal vom Resultat her: Falls es die Menschheit schafft, das Steuer noch rechtzeitig herum zu reißen, um die ärgsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden, dann sicher nicht ohne dass wir einen entschiedenen Beitrag dazu leisten. Jedes Jahr, in dem Deutschland seine Klimaziele absehbar verfehlt und darauf wartet, dass viele ärmere Länder vorangehen, ist ein verlorenes Jahr und überdies eine Schande.

Etwas haben wir immerhin schon geliefert: den Beginn einer Energiewende in einem der wesentlichen Sektoren (elektrische Energie), und dadurch eine Markteinführung einiger erneuerbarer Energien verbunden mit drastischen Kostensenkungen, die die Verbreitung dieser Technologien nun weltweit stark begünstigen. Der letztere Effekt dürfte in der Tat der für das globale Klima wichtigste sein; seltsamerweise wird ausgerechnet dies in der Diskussion immer wieder übersehen. Das reicht aber sicherlich nicht, zumal unsere Kohlekraftwerke weiterlaufen – nun eben oft für den Stromexport. Seit vielen Jahren haben wir eine Bundesregierung, die sich in der Klima- und Energiepolitik vorwiegend als Bremser betätigt, sogar auch auf EU-Ebene (etwa mit der Torpedierung strengerer Grenzwerte für Autos); das schadet enorm. Wenigstens zeichnet sich ab, dass immer mehr Bürger genug haben von einer Politik, die sich mit ihrer wahrhaft zukunftsblinden Art gerade um die größten und wichtigsten Herausforderungen herumdrückt.

Ohne internationale Kooperation läuft nichts.

Ganz offenkundig brauchen wir in der nächsten Zeit vermehrte internationale Kooperation. Einerseits müssen wir dringend für alle Länder geltende Regeln aufstellen und durchsetzen, wovon wir leider noch weit entfernt sind. Wir können aber unmöglich darauf verzichten, da dies die Kapitulation wäre und das für unsere Politik keine Option sein kann. Selbstverständlich ist es schwierig, aber wer hat einen besseren Ansatz zu bieten?

Fordern und auch konstruktiv mitmachen!

Ich hoffe darauf, dass vor allem die jüngere Generation zunehmend Druck aufbaut und sich dabei nicht vorschnell frustrieren lässt. Es ist traurig, dass so etwas wie Schüler-Streiks (Fridays for Future) notwendig sind, aber wiederum muss man fragen: Wer weiß etwas Besseres?

Wir brauchen Kooperation nicht nur zwischen Nationen, sondern auch zwischen Generationen. Selbstverständlich kann die junge Generation die Probleme unmöglich im Alleingang lösen. Sehen wir mal, wer was zum Erfolg beitragen kann. Für meinen Teil hoffe ich, mit diesem Blog und vor allem mit dem Energie-Lexikon einen wertvollen Beitrag zu liefern. Fachlich fundierte und von Lobby-Interessen unbeeinflusste Informationen sind ja oft die Grundlage für zielgerichtetes Handeln. Und gerne würde ich auch gezielt Schüler unterstützen, etwa mit Antworten auf offene Fragen. Wer weiß, vielleicht möchte auch jemand eine jugendgerechte Video-Version dieses Textes produzieren?

Wohlgemerkt reicht es nicht, einfach viel von anderen zu fordern (etwa von Politikern): Wir müssen bereit sein mitzumachen, auch wo es Einschnitte hinzunehmen gilt. Das genannte Tempolimit wäre ein Anfang, der immerhin schon ein paar Millionen Tonnen von CO2 pro Jahr einspart, und das kann übrigens jeder auch für sich schon praktizieren. Der weitgehende Verzicht auf besonders umweltbelastende Aktivitäten, etwa auf Urlaubsreisen mit Flugzeug oder Kreuzfahrtschiff, ist ein weiterer Schritt. Zudem sollte man vermeiden, notwendige energiepolitische Entwicklungen – etwa betreffend Energiepreise oder Stromtrassen – ohne glaubwürdige (wissenschaftlich fundierte) Alternative zu torpedieren.

Noch ein allerletzter Gedanke: Große Probleme anzugehen, mag zwar schwierig und oft auch frustrierend sein, aber es fühlt sich doch immerhin meistens besser an als eine resignierte Kapitulation. Dies gerade auch im Zusammenwirken mit anderen engagierten Menschen. Zwar ist der Weg hier wohl nicht mehr als das Ziel, aber immerhin hat er auch motivierende Elemente!

Fragen und Kommentare von Lesern

17.07.2020

Es wundert mich, dass der Autor unbeschwert immer von Klima und der Notwendigkeit klarer Begriffe spricht, aber den Begriff Klima gar nicht definiert.

Antwort vom Autor:

Es ist allgemein üblich (und sinnvoll), das Verständnis diverser Grundbegriffe in einem Artikel vorauszusetzen. Für eine genaue Definition des Begriffs Klima können Sie etwa in der Wikipedia beginnen oder ggf. auch wissenschaftliche Quellen verwenden.

Hier können Sie Fragen und Kommentare zur Veröffentlichung und Beantwortung vorschlagen. Über die Annahme wird der Autor des RP-Energie-Lexikons nach gewissen Kriterien entscheiden. Im Kern geht es darum, dass die Sache von breitem Interesse ist.

Wegen starker Arbeitsbelastung bitten wir um Verständnis dafür, dass nicht gut passende Kommentare und Fragen nicht bearbeitet werden können, und dass die Bearbeitung oft einige Wochen benötigt.

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