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Kernfusion mit Helium-3 – die geniale Lösung der Energieprobleme?

Erschienen am 04.03.2017 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2017_03_04.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Kernfusionsreaktoren mit Helium-3 anstelle von Deuterium und Tritium zu betreiben, hätte mehrere große Vorteile - aber auch enorme Probleme. Solche Reaktoren zu entwickeln, ist extrem schwierig, der Bau wäre deswegen extrem teuer, und dazu kommt die enorme Schwierigkeit der Gewinnung von Helium-3. Deswegen wird auch aus dieser nuklearen Science-Fiction sicherlich nichts werden.

Rüdiger Paschotta

Wenn von Kernfusion gesprochen wird, geht es in aller Regel um die Ausnutzung der Fusionsreaktion zwischen Deuterium (2H) und Tritium (3H). In dieser Richtung wird seit Jahren z. B. im ITER-Projekt geforscht – übrigens mit enormen Verzögerungen und Kostensteigerungen, sodass brauchbare Resultate (ein stabil laufender Fusionsreaktor, aber noch ohne nutzbare Energiegewinnung) allenfalls gegen Mitte des Jahrhunderts zu erwarten sind.

Von daher wäre es doch toll, wenn mit einem anderen technischen Ansatz, basierend auf Helium-3 (3He), viel schneller nutzbare Energie erzeugt werden könnte – gemäß manchen Stimmen gar schon ab ca. 2030! Diese Vision, die seit etlichen Jahren immer mal wieder diskutiert wird, dürfte jedenfalls interessant genug sein, um hier näher beleuchtet zu werden.

Die Verwendung von Helium-3 statt Deuterium und Tritium verspricht mehrere wichtige Vorteile:

  • Als Energie-Rohstoff wird nur das nicht radioaktive Helium-3 benötigt, während Tritium ein radioaktives Element mit ziemlich unangenehmen Eigenschaften ist.
  • Bei der Fusionsreaktion entsteht auch hier das ebenfalls völlig harmlose Helium-4.
  • Der Großteil der Energie entsteht wieder in Form von Teilchenstrahlung – in diesem Fall aber mit Protonen anstelle von Neutronen. Da Protonen elektrisch geladen sind, kann man ihre Energie gewinnen, indem man sie einfach gegen ein starkes elektrisches Feld laufen lässt, welches sie abbremst. Auf diese Weise würde man direkt elektrische Energie erhalten – ohne den aufwendigen und verlustreichen Umweg über Wärme. Dies wäre offenkundig ein sehr hilfreicher Vorteil für die Entwicklung eines Fusionskraftwerks, da der bisher vorgesehene Weg – Absorption der schnellen Neutronen unter Gewinnung von Wärme, damit Erzeugung von Wasserdampf für Dampfturbinen – diesbezüglich viel aufwendiger wäre.

Leider hat dieser Ansatz aber auch diverse Haken:

  • Helium-Kerne lassen sich wegen ihrer doppelten elektrischen Ladung noch schwerer einer Kernfusion zuführen. Schon für Deuterium und Tritium braucht man extrem hohe Temperaturen und Dichten im Plasma; mit Helium liegt die Latte diesbezüglich nochmals wesentlich höher.
  • Wenn es gelänge, würden parallel auch Fusionsprozesse von Deuterium mit sich selbst ablaufen, wobei das radioaktive Tritium entstünde. Dieses würde dann an weiteren Fusionsreaktionen teilnehmen, bei denen auch Neutronen freigesetzt würden. Um diese energetisch zu nutzen, bräuchte man dann doch wieder den Umweg über Wärme und Dampfturbinen. Vielleicht würde man versuchen, das Tritium ständig zu entfernen, um es zu entsorgen oder irgendwie anders zu nutzen. Oder man würde die Reaktion von Helium-3 mit sich selbst ausnutzen, also ohne Deuterium, womit kein Tritium mehr anfallen würde und man eine wirklich sehr "saubere" Quelle von Kernenergie hätte. Nur wäre der Fusionsprozess dann nochmals schwieriger erreichbar.
  • Das Hauptproblem ist aber, dass Helium-3 auf der Erde nur in verschwindend geringen Mengen vorkommt; zurzeit werden weltweit pro Jahr nur rund 8 kg davon gewonnen und zu extrem hohen Preisen verkauft (über 2000 USD pro Liter Gas, also mehr als 15 Millionen Dollar pro kg). Auch wenn die Energiedichte des Helium-3 sehr hoch ist, hätte man für eine umfangreiche Nutzung gerne viele Tonnen davon pro Jahr.

Also müsste man vor allem die folgenden Probleme lösen:

  • Es müsste ein Fusionsreaktor entwickelt werden, der noch höhere Temperaturen und Dichten des Plasmas erreicht; schon für Deuterium und Tritium ist das extrem schwierig. Immerhin wäre wenigstens die Nutzung der Strahlungsenergie einfacher (siehe oben).
  • Man müsste das benötigte Helium-3 wohl auf dem Mond holen. Tatsächlich kommt es im Mondstaub in zwar niedriger, aber im Vergleich zu irdischen Quellen doch viel höherer Konzentration vor. (Das liegt an der Einwirkung des Sonnenwinds auf die Mondoberfläche.) Man müsste also Anlagen auf dem Mond aufbauen, die Helium-3 aus enormen Mengen von Mondstaub extrahieren (etwa mit solar betriebenen Schmelzöfen) und dann zur Erde bringen. Das ist natürlich denkbar, zumal die zurück zu transportierenden Materialmengen moderat wären, aber sicherlich wäre es nicht gerade billig. Trotzdem verfolgt z. B. die indische Raumfahrtbehörde solche Pläne – vermutlich, weil man eher Milliarden bekommt, wenn man dafür einen Nutzen für das ganze Land verspricht. Ähnliches hat man auch aus Russland, China und Japan gehört.

Bevor sich nun meine Leser darüber aufregen, dass für unsere Energiegewinnung nun auch noch der Mond verwüstet werden soll, und dass man weiterhin mit Radioaktivität zu tun hätte (wenn auch in viel geringerem Umfang als bei der Kernspaltung), gebe ich folgende Einschätzungen ab:

  • Es mag denkbar sein, dass ein solcher Helium-3-Fusionsreaktor mit gewaltigem Aufwand irgendwann realisiert werden kann – aber kaum, dass dieser jemals wirtschaftlich arbeiten könnte, selbst wenn jemand freundlicherweise das Helium-3 kostenlos dafür zur Verfügung stellen würde. Dies liegt daran, dass ein solcher Reaktor extrem viel schwieriger zu realisieren und deswegen auch extrem viel teurer sein würde als ein herkömmlicher Kernspaltungsreaktor. Schon bei diesen herkömmlichen Reaktoren aber sind die Kosten zu hoch, weswegen niemand mehr so etwas baut, wenn nicht der Staat Steuergelder in Milliardenhöhe dafür bereitstellt.
  • Dazu kommt noch der extreme Aufwand für die Gewinnung des Heliums. Angesichts des vorherigen Punkts erübrigt es sich wohl, die Kosten dafür zu schätzen. Es wird ja so oder so nichts aus dem Vorhaben!

Das Hauptproblem – die extremen Kosten des Fusionsreaktors – besteht in ähnlicher Form natürlich auch für den konventionelleren Ansatz basierend auf der Deuterium-Tritium-Reaktion. Auch hier gibt es seit Jahrzehnten Leute, die uns weismachen wollen, dies würde am Ende doch funktionieren (meist in mehreren Jahrzehnten, wobei diese Spanne nicht abnimmt, wie bei der Karotte am Stab vor dem Kopf des Esels). Meines Wissens konnte aber noch niemand plausibel machen, wie eine so extrem komplizierte Technik plötzlich bezahlbar werden soll, oder wie man sie massiv vereinfachen könnte. Die kalte Kernfusion hätte die Sache wirklich massiv vereinfacht; das Problem ist nur, dass sie eben nicht funktioniert.

Mein Fazit: Machen wir uns keine Sorgen über die drohende Verwüstung des Mondes oder die verbleibenden radioaktiven Gefahren der Kernfusion; das wird ohnehin nicht kommen, und schon gar nicht bis 2030. Vor allem aber sollten wir uns nicht zurücklehnen in der Erwartung, dass irgendwelche genialen Ingenieure unser Energie- und Klimaproblem schon irgendwie lösen werden. Was bleibt, sind die altbekannten Ansätze: erneuerbare Energien, höhere Energieeffizienz, dazu ein gutes Stück weit auch Suffizienz. Wenn wir es damit nicht schaffen, gehen wir eben unter; nukleare Science-Fiction wird uns jedenfalls nicht retten.

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