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Kohleausstieg

Definition: der Ausstieg aus der Nutzung von Kohle zur Energiegewinnung

Englisch: coal phase-out

Kategorien: elektrische Energie, Energiepolitik, Ökologie und Umwelttechnik

Autor:

Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen

Ursprüngliche Erstellung: 10.11.2017; letzte Änderung: 20.08.2023

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Unter Kohleausstieg versteht man den Verzicht auf die Nutzung von Kohle (v. a. Braunkohle und Steinkohle) zur Energiegewinnung, insbesondere der Erzeugung elektrischer Energie in Kohlekraftwerken. Kohle würde dann zwar weiterhin für bestimmte andere Zwecke genutzt, insbesondere für die Produktion von Eisen und Stahl (wo Kohle als Reduktionsmittel dient) und in der Chemieindustrie, jedoch insgesamt in massiv verringertem Umfang.

In Ländern wie Deutschland, die für die Stromerzeugung bisher sehr stark auf Kohlekraftwerke setzen, hätte der Kohleausstieg als wichtigstes Element einer Dekarbonisierung der Energieversorgung mehrere sehr positive Auswirkungen in ökologischer und gesundheitlicher Hinsicht:

  • Der Kohleausstieg ist ein unverzichtbares Instrument für den Klimaschutz, da die klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen in der Gesamtbilanz stark zu Buche schlagen. Es gibt für Deutschland (wo z. Zt. mit ca. 250 Millionen Tonnen pro Jahr mehr als ein Viertel der CO2-Emissionen von Kohlekraftwerken stammt) keine anderen Klimaschutzmaßnahmen, die mit vertretbaren Nebenwirkungen einen ähnlich großen Effekt hätten; ohne einen sehr bald eingeleiteten Kohleausstieg sind von der Bundesregierung längst beschlossene Klimaziele definitiv nicht erreichbar. Die Kohlestromerzeugung würde zwar teilweise z. B. durch Gaskraftwerke ersetzt, aber deren Emissionen lägen weitaus tiefer. (Moderne Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke emittieren rund 400 g CO2 pro kWh, Kohlekraftwerke jedoch in der Größenordnung von 1000 g/kWh.)
  • Es würde ein großer Teil der Emissionen von Luftschadstoffen entfallen, die von Kohlekraftwerken weiträumig verteilt werden. Hierzu gehören vor allem Stickoxide, Schwefeldioxid, Feinstaub und diverse Schwermetalle wie Quecksilber, Arsen und auch diverse radioaktive Stoffe; trotz Abgasreinigungsanlagen entstehen auch heute noch erhebliche Emissionen solcher Stoffe. Durch den Kohleausstieg würden also in erheblichem Umfang gesundheitliche Schäden vermieden, insbesondere Atemwegserkrankungen. Die Belastung der Böden mit problematischen Schadstoffen würde dadurch mit der Zeit auch erheblich geringer, mit der Folge, dass negative Wirkungen z. B. auf Landwirtschaft und Wälder nachließen. Ebenfalls würde die Eutrophierung von Gewässern vermindert.
  • Die großräumige Zerstörung von Landschaften durch den Tagebau zur Gewinnung von Braunkohle würde entfallen, ebenso wie die Notwendigkeit zur Vertreibung vieler dort seit Jahrzehnten lebenden Einwohner. Gleiches gilt für umweltschädliche Kohlegewinnung in anderen Ländern, aus denen derzeit Steinkohle importiert wird.

Die Beendigung des Kohlebergbaus (für Steinkohle) ist ebenfalls zu begrüßen, erfolgt in Deutschland aber ohnehin bereits ca. 2018 durch das Auslaufen von Subventionen.

Bisher: Kohlenutzung trotz Netto-Schaden für die Volkswirtschaft

Die genannten negativen Nebenwirkungen der Kohlenutzung sind im Preis der Kohle bzw. des damit erzeugten Kohlestroms größtenteils nicht enthalten; für die Nutzer sind sie also sogenannte externe Kosten, die in Kosten-Nutzen-Rechnungen ignoriert werden, obwohl sie für die Gesellschaft als tatsächliche Kosten bzw. Schäden entstehen – und zwar in einer Höhe, die mehrfach über den durchschnittlichen Börsenstrompreisen liegt. Nur aus diesem Grund gibt es überhaupt eine umfangreiche Nutzung von Kohle trotz des Umstands, dass diese volkswirtschaftlich gesehen mehr Schaden anrichtet, als sie Nutzen bringt. Würden die bislang externen Kosten internalisiert, also auf den Preis des Kohlestroms aufgeschlagen, so hätte der Kohlestrom augenblicklich seine Konkurrenzfähigkeit verloren und würde deswegen nicht mehr genutzt. (Man beachte auch, dass die jahrelangen milliardenschweren Kohlesubventionen sehr deutlich zeigen, dass die Kohlewirtschaft volkswirtschaftlich schädlich ist.) Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für viele andere Länder. Auch die sogenannte Kohlenstoffblase (ein gefährliches Phänomen auf den Finanzmärkten) kann nur bestehen, solange die Profiteure der Kohlenutzung die Nebenwirkungen auf Andere abwälzen können.

Im Prinzip könnte das europäische Emissionshandelssystem für CO2 zu einer Internalisierung der Kosten der Kohlenutzung beitragen, jedoch geschieht dies seit Jahren kaum, weil dieses Emissionshandelssystem auf Druck von Lobbyisten so stark mit überflüssigen Zertifikaten aufgebläht wurde, dass es seine Wirkung weitgehend verloren hat. (Erst in den letzten Jahren wurden dies wieder etwas besser.) Ohnehin können damit nur die CO2-Emissionen bewertet werden, während vielfältige andere ökologische und gesundheitliche Schäden unbeachtet bleiben.

In Deutschland erfolgt eine gewisse, aber auch nur unvollständige Kompensation externer Kosten im Strombereich durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz insofern, dass erneuerbare Energie durch Einspeisevergütungen unterstützt wird.

Kohleausstieg durch politischen Beschluss oder durch Setzung von Randbedingungen?

Die meisten Stimmen, die den Kohleausstieg fordern, erwarten hierfür einen politischen Beschluss ähnlich wie beim Atomausstieg. Die Bundesregierung würde also einen Plan festlegen, nach dem die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken nach und nach vermindert und letztendlich (z. B. bis 2030) ganz aufgegeben würde. Dazu kämen flankierende Maßnahmen, um einerseits die Versorgungssicherheit im Strombereich weiterhin zu gewährleisten und andererseits den Kohleausstieg sozialverträglich zu gestalten, vor allem mit Blick auf die entfallenden Arbeitsplätze. Hierbei beachte man, dass derzeit ohnehin nur noch ein kleiner Bruchteil der Arbeitsplätze in der Kohleindustrie besteht, die es beispielsweise 1990 noch gab; die massive Abnahme dieser Arbeitsplätze liegt nicht an der Energiewende, sondern hauptsächlich an der Streichung sehr umfangreicher Subventionen für den Kohlebergbau und an der zunehmenden Automatisierung.

Im Prinzip wäre es auch möglich, den Kohleausstieg ohne direkte Anordnung von der Politik dadurch herbeizuführen, dass die externen Kosten (siehe oben) konsequent internalisiert würden und die detaillierten Entscheidungen z. B. für die Stilllegung von Kraftwerken dann von den Marktteilnehmern getroffen würden. Ein solcher marktwirtschaftlicher Ansatz hätte theoretisch den Vorteil, dass er eine bessere volkswirtschaftliche Optimierung der Maßnahmen ermöglichen würde. Allerdings dürfte dies in der Praxis schwer zu realisieren sein, schon wegen der Vielfalt der zu berücksichtigenden negativen Wirkungen der Kohlenutzung, und man dürfte damit auch kaum auf weniger politische Widerstände stoßen als mit einem direkt von der Politik geforderten Ausstieg – eher im Gegenteil: Da eine plötzliche vollständige Internalisierung der Kosten absehbar einen sehr schnellen Kohleausstieg zur Folge hätte (wobei dann negative Nebenwirkungen eines solchen Vorgehens wiederum teilweise nicht in den Marktpreisen erscheinen würden), kann ein solches Vorgehen auch nicht einmal im Interesse der Kohleindustrie liegen. Wenn dagegen bewusst die externen Kosten nur allmählich internalisiert würden, wäre dies politisch nicht weniger willkürlich als ein Ausstiegsbeschluss.

Für die Energiewirtschaft ist Planungssicherheit von großer Bedeutung. Diese würde wohl am besten erreicht, wenn die Politik mit einem Budgetansatz bezüglich der CO2-Emissionen arbeiten würde, wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen vorgeschlagen hat [2]. Man könnte beispielsweise ein Gesamtbudget von 3000 Millionen Tonnen CO2 festlegen, die die deutsche Energiewirtschaft noch emittieren darf, und 2000 Millionen Tonnen hiervon für die Kohlekraftwerke reservieren. Auf dieser Basis könnte mit der Energiewirtschaft im Rahmen eines Kohlekonsenses [3] (wie früher beim Atomkonsens für den Atomausstieg) vereinbart werden, wie genau dieses Emissionsbudget genutzt werden soll. Während es klimapolitisch nicht darauf ankommt, in welchem Jahr welche Emissionsmenge erreicht wird, sondern nur, dass das Gesamtbudget eingehalten wird, könnte der genaue Fahrplan volkswirtschaftlich optimiert eingerichtet werden. Hierbei wäre es sicher sinnvoll, mit den ersten Kraftwerksabschaltungen schon sehr bald zu beginnen, anstatt die Problemlösung aufzuschieben und in späteren Jahren dann umso schwerer zu machen. Ohnehin erfordert die Verfehlung der Klimaziele 2020 rasche Maßnahmen. Übrigens würden die verbleibenden Mengen weitgehend nur noch im Winter verfeuert, wo am ehesten Engpässe auftreten.

Stromerzeugung in Deutschland

Als Folge der deutschen Energiewende mit ihrem System von Einspeisevergütung ist die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien innerhalb des letzten Jahrzehnts massiv angestiegen. Erneuerbare Energien tragen mittlerweile deutlich mehr zur Stromerzeugung bei, als die mittlerweile im Rahmen des Atomausstieg abgeschalteten Kernkraftwerke ursprünglich erzeugt haben. Trotzdem ist aber die Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken in den letzten Jahren nur geringfügig gesunken. Dies liegt nicht etwa an einer gestiegenen Stromnachfrage in Deutschland, sondern hängt mit dem ständig zunehmenden Stromexport in europäische Nachbarländer zusammen, ebenfalls mit den sehr niedrigen Zertifikatspreisen im europäischen Emissionshandelssystem, welches wie oben erwähnt seit Jahren nicht richtig funktioniert. In dieser Situation werden große Mengen insbesondere von Kohlestrom, der mangels Berücksichtigung externer Kosten zu niedrigen variablen Kosten erzeugt werden kann, exportiert, anstatt dass entsprechende Kapazitäten aus dem Markt genommen worden wären. Eine Folge davon ist, dass die deutschen CO2-Emissionen seit Jahren nicht mehr so absinken, wie es zur Erreichung der beschlossenen Klimaziele notwendig wäre.

Der Beginn eines deutschen Kohleausstiegs hätte somit absehbar zur Folge, dass zunächst einmal die Stromexporte reduziert würden. Auf die Versorgungssicherheit würde sich dies am ehesten in Frankreich auswirken, das im Winter immer wieder auf erhebliche Stromimporte angewiesen ist, um den sehr hohen Strombedarf der vielen Elektroheizungen zu decken. Dort würden somit voraussichtlich neue Gaskraftwerke notwendig, am besten kombiniert mit Maßnahmen gegen die Energieverschwendung in Elektroheizungen.

Auch in Deutschland würde durch den Kohleausstieg die Stromerzeugung in Gaskraftwerken wieder zunehmen, da die bezüglich der variablen Kosten billigeren Kohlekraftwerke als Konkurrenz entfielen. Für die Versorgungssicherheit wäre dies eher positiv, da Gaskraftwerke schneller regelbar sind und somit besser geeignet sind, um die fluktuierende Bereitstellung von Strom aus Windkraft und Photovoltaik auszugleichen. Reine Grundlast-Kraftwerke wie Braunkohlekraftwerke passen in Zeiten der Energiewende immer weniger in das Versorgungssystem; davon gibt es derzeit wesentliche Überkapazitäten.

Die Börsenstrompreise würden tendenziell wieder etwas anziehen, nachdem in den letzten Jahren ein regelrechter Verfall zu beobachten war. Für industrielle Großverbraucher würden die Stromkosten damit nach etlichen sehr günstigen Jahren wieder etwas anziehen. Auf Kleinverbraucher würde sich dies dagegen kaum auswirken, da dort die Stromerzeugungskosten ohnehin nur einen kleinen Teil des Endverbraucherpreises ausmachen. Gleichzeitig würden auch die Kosten für die EEG-Umlage sinken, da ein höherer Börsenstrompreis automatisch geringere Zuschüsse an die Erzeuger erneuerbarer Energien bewirkt.

Internationale Bedeutung des deutschen Kohleausstieg

Deutschland hat mit seiner Energiewende eine Vorreiterrolle eingenommen, und es wird nun international beobachtet, ob diese geeignet ist, ihre Ziele zu erreichen: eine verminderte Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und Kernenergie, somit ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und Gesundheitsschutz, und dies zu vertretbaren Kosten und in sozial verträglicher Weise. Sollte sich Deutschland nicht bald seinen Kohleausstieg ankündigen und damit absehbar seine bereits beschlossenen Klimaziele massiv verfehlen, wäre dies ein verheerendes Signal an die internationale Staatengemeinschaft; offensichtlich würde es wesentlich schwieriger, andere Länder zu einer solchen Energiewende und generell zu engagierten Klimaschutz zu motivieren. Damit würde die Gefahr einer katastrophalen Klimaerwärmung signifikant steigen.

Natürlich muss es Sorgen machen, dass der weltweite Kohleverbrauch derzeit noch zunimmt. Immerhin ist beispielsweise in China die Trendwende bereits geschafft: Nach dem Höhepunkt des Verbrauchs in 2013 oder 2014 ist nun jedes Jahr eine Abnahme von mehreren Prozent zu verzeichnen. (Dies dürfte vor allem auch daran liegen, dass die Regierung die Belastung mit Luftschadstoffen als völlig inakzeptabel erkannt hat.) Auch in vielen anderen Ländern wurde zumindest die Geschwindigkeit der Verbrauchszunahme in den letzten Jahren stark gedrosselt – auch weil sich Investoren zunehmend aus dem Kohlegeschäft zurückziehen. Offensichtlich kann Deutschland diesen Trend nur stärken, indem es selbst den Kohleausstieg einleitet.

Emissionsbudget für Energiewirtschaft und Kohlekraftwerke

Auch abseits von psychologischen Überlegungen ist klar, dass Deutschlands Verantwortung für den Klimaschutz aufgrund der Sachlage eindeutig gegeben ist. Man kann beispielsweise davon ausgehen, dass die nach dem Pariser Vertrag von 2015 noch akzeptablen CO2-Emissionen auf die Länder der Welt entsprechend ihren momentanen Bevölkerungszahlen verteilt werden müssen. (Hierbei wird nicht berücksichtigt, dass Deutschland in der Vergangenheit pro Kopf weit überdurchschnittlich emittiert hat, und dass sein Anteil an der Weltbevölkerung noch sinken wird.) Wenn so das bekannte 2-Grad-Ziel mit einiger Wahrscheinlichkeit erreicht werden soll, ergibt sich eine Obergrenze von ca. 850 Milliarden Tonnen weltweit, für Deutschland somit anteilig 9,35 Milliarden Tonnen.

Dieses Budget ist nun auf die verschiedenen Sektoren zu verteilen, wobei beispielsweise ein Drittel der Energiewirtschaft (ca. 3 Milliarden Tonnen) zugeteilt werden kann. (Bislang liegt deren Anteil bei gut 40 %, aber da Einsparungen in anderen Sektoren wie Verkehr, Haushalte und Industrie tendenziell schwieriger erreichbar sind, muss der Anteil der Energieerzeugung deutlich abnehmen.) Innerhalb der Energiewirtschaft würden dann aber zwei Drittel der Emissionen den Kohlekraftwerken zugestanden, resultierend in ca. 2 Milliarden Tonnen CO2. Diese Menge würden die deutschen Kohlekraftwerke nach heutigem Stand innerhalb von nur acht Jahren emittieren. Es wäre somit für einen geordneten Übergang notwendig, die Emissionen schnellstmöglich zu reduzieren, um nicht bereits in acht Jahren das letzte Kohlekraftwerk außer Betrieb nehmen zu müssen. Natürlich wäre es sinnvoll, mit der Stilllegung älterer und damit besonders ineffizienter und unsauberer Kraftwerke zu beginnen.

Dieser Pfad mag ehrgeizig erscheinen. Jedoch ist die Problemlösung zwingend, wenn nicht unabsehbare Auswirkungen einer massiven Klimaerwärmung in Kauf genommen werden sollen. Ebenfalls ist nicht ersichtlich, wie das Problem anders gelöst werden sollte. Zwar wäre theoretisch vorstellbar, dass sich Länder wie Deutschland wie bisher einen erheblich höheren Anteil der weltweiten Emissionen erlauben und andere Länder ihre Emissionen entsprechend stärker absenken, um dies auszugleichen. Jedoch ist nicht ersichtlich, wie man andere Länder hierfür motivieren könnte. Schließlich ist es für Entwicklung- und Schwellenländer bereits schwer zu akzeptieren, dass sie am verbleibenden CO2-Budget keinen größeren Anteil haben sollen, d. h. dass ihr bisher sehr kleiner Anteil an den Emissionen nicht zu ihren Gunsten berücksichtigt wird.

Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung

Im Juni 2018 hat die deutsche Bundesregierung die "Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" eingesetzt, die oft auch kürzer als Kohleausstiegs-Kommission bezeichnet wird. Ihr Auftrag ist, bis zum Dezember 2018 (also bis zur nächsten UN-Klimakonferenz) einen konkreten Plan für einen Kohleausstieg (einen Kohleausstiegspfad) zu erarbeiten. Ähnlich wurde in 2011 die "Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung" beauftragt, den Atomausstieg zu gestalten. Es geht nun darum, den wegen des Klimaschutzes unabdingbaren Kohleausstieg so zu gestalten, dass möglichst weitgehend ein gesellschaftlicher Konsens erreicht wird, also Konflikte und andere negativen Nebenwirkungen minimiert werden. Dafür muss der (teils schon längst begonnene) Strukturwandel in den Kohleregionen politisch gestaltet werden.

Das Bundesumweltministerium geht davon aus, dass die kurz-, mittel- und langfristigen Klimaschutzziele erreicht werden müssen; das würde offenbar die Erreichung des Klimaziels 2020 der Bundesregierung einschließen. Andere politische Akteure haben aber betont, dass das Klimaziel 2020 bereits aufgegeben sei, die Kommission somit nur längerfristige Ziele verfolge. Wie oben ausgeführt, wäre die Festsetzung eines Emissionsbudgets, wie es Sachverständigenrat für Umweltfragen vorgeschlagen hat [2], sehr wichtig. Es ist allerdings nicht bekannt, dass die Bundesregierung der Kommission ein solches Emissionsbudget vorgegeben habe.

Die Zusammensetzung der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission ist von Anfang an auf Kritik gestoßen. Zu den 28 stimmberechtigten Mitgliedern gehören mehrere Abgeordnete der CDU/CSU und SPD, jedoch keine von der Opposition, obwohl sich vor allem die Grünen und Linken wesentlich stärker für den Kohleausstieg eingesetzt haben. Auch der vierköpfige Vorstand der Kommission wird von Personen dominiert, die nicht als Umweltschützer bekannt sind, sondern eher als Lobbyisten, die den Strukturwandel und somit auch den Kohleausstieg bremsen wollen. Diese Zusammensetzung der Kommission lässt einerseits befürchten, dass umweltpolitisch unabdingbare Entscheidungen verzögert und/oder verwässert werden, könnte andererseits aber auch dazu beitragen, dass der Widerstand gegen notwendige Entscheidungen verringert wird.

Die Kommission hat Ende Januar 2019 schließlich ihre Ergebnisse vorgestellt [1]. Kernpunkte des Berichts sind die folgenden Vorschläge:

  • Die deutschen Braunkohlekraftwerke sollen nach und nach außer Betrieb genommen werden: die ersten schon sehr bald, das letzte im Jahr 2038 oder eventuell bereits 2035, abhängig vom regelmäßig zu überwachenden Fortschritt.
  • Der Strukturwandel in den Bundesländern, die besonders stark betroffen sind, soll mit zusätzlichen finanziellen Hilfen des Bundes unterstützt werden. Insbesondere geht es um die Schaffung neuer Arbeitsplätze als Ersatz für verloren gegangene Arbeitsplätze z. B. im Bereich des Tagebaus und der Kraftwerke. Außerdem soll es zusätzliche Hilfen für betroffene Arbeitnehmer geben.
  • Private Verbraucher und Unternehmen sollen ab 2023 von steigenden Strompreisen entlastet werden, etwa durch Reduktionen bei der Stromsteuer. Die Begünstigung energieintensiver Unternehmen bei den Strompreisen soll bis 2030 bestehen bleiben.

Es ist noch offen, inwieweit die Politik diesen Vorschlägen der Kommission folgen wird. Wenn beispielsweise die deutschen Klimaziele erreicht werden sollen ohne schnellere Fortschritte bei der Braunkohle, wie von der Kommission vorgeschlagen, sind recht ambitionierte Maßnahmen in anderen Sektoren unverzichtbar – die jedoch wiederum politisch nicht einfach durchsetzbar sind. Bisher (Stand 01/2020) deutet einiges darauf hin, dass die Bundesregierung nicht gewillt ist, die Vorschläge umfassend umzusetzen, was bereits zu scharfen Protesten von etlichen Mitgliedern der Kommission geführt hat.

Ein wichtiger Punkt wird sein, wie die Politik auf die Gefahr reagieren wird, dass CO2-Reduktion in Deutschland durch das geltende europäische Emissionshandelssystem unterlaufen werden könnte. Dieses System enthält nämlich nach wie vor zu hohe Mengen von Zertifikaten. Jedoch könnte die Reduktion dieser Menge von Zertifikaten politisch leichter durchsetzbar werden, sobald konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Emissionsreduktionen beschlossen werden. Die durch Emissionsreduktion in Deutschland nicht mehr benötigten Zertifikate könnten annulliert oder stillgelegt werden, anstatt sie am europäischen Emissionshandelsmarkt zu verkaufen; so ließe sich verhindern, dass anderswo die Emissionen ansteigen oder zumindest vorerst nicht mehr sinken. Siehe auch Ref. [5] zu dieser Problematik.

Literatur

[1]Abschlussbericht der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung vom Januar 2019
[2]Stellungnahme vom Oktober 2017 des Sachverständigenrats für Umweltfragen: Kohleausstieg jetzt einleiten, https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/20162020/2017_10_Stellungnahme_Kohleausstieg.html
[3]Agora Energiewende, "Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens (Kurzfassung)", Konzept zur schrittweisen Dekarbonisierung des deutschen Stromsektors
[4]R. Paschotta, "Klimaschutz: Es kommt auf Deutschland an"
[5]R. Paschotta, Blog-Artikel "Macht der Emissionshandel den deutschen Kohleausstieg für den Klimaschutz wirkungslos?"

Siehe auch: Kohle, Klimaschutz, CO2-Budget, Dekarbonisierung, Energiewende, Kohlenstoffblase, Atomausstieg

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