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Leistung und Drehmoment beim Elektroauto richtig verstehen

Erschienen am 17.08.2024 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2024_08_17.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Der Artikel erläutert diverse Zusammenhänge von Drehmoment, Leistung und Beschleunigung beim Auto, auch im Vergleich zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor.

Rüdiger Paschotta

Hier möchte ich technisch interessierten Leuten helfen, diverse Details beim Antrieb eines Elektroautos genauer zu verstehen – etwa die folgende Fragen klären (mit Zahlenbeispielen für den VW ID.7):

  • Welche Bedeutung und Relevanz hat das Drehmoment des Antriebs? Wie variiert es mit der Drehzahl?
  • Wie vergleicht sich die Beschleunigung mit der eines Verbrennungsmotors?
  • Welche Einflüsse bringt die Reifengröße?

Man findet zu solchen Dingen im Internet viele Texte, die unklar und teils sogar grob falsch sind. Das von einem Physiker aufgeklärt zu bekommen, dürfte auch für allgemein an Physik und Technik interessierte Menschen interessant sein.

Was bedeutet das Drehmoment des Antriebs?

Grundsätzlich gibt ein Drehmoment an, wie stark eine Drehbewegung angetrieben wird. Es ergibt sich als das Produkt von einer an einem Hebel angreifenden Kraft und der Länge des jeweiligen Hebelarms.

Entscheidend ist natürlich zu wissen, auf welche Achse sich eine Drehmomentangabe bezieht. Diesbezüglich gibt es leider öfter mal Verwirrung: Ist bei einem Antrieb mit Getriebe das Drehmoment vor oder nach dem Getriebe gemeint?

Beim Elektroauto hat man häufig einen Elektromotor, der über ein Untersetzungsgetriebe z. B. die hintere Radachse des Fahrzeugs antreibt – in aller Regel ohne verschiedene Schaltstufen. Die Radachse macht beispielsweise nur eine Umdrehung pro 5 Umdrehungen der Motorachse; dieses Verhältnis weiß man aber oft nicht. Dann kann man aus dem Drehmoment des Motors (der typischerweise gegebenen Größe) nicht dasjenige an der Radachse berechnen und auch nicht die mögliche Beschleunigung des Fahrzeugs. Eine solche unvollständige Angabe sagt also an sich nicht direkt etwas Brauchbares aus.

Wir können mit zusätzlichen Informationen allerdings oft mehr herausbekommen; im Folgenden zeige ich das am Beispiel des VW ID.7, einem aktuellen Modell der oberen Mittelklasse, das derzeit viele Leute interessiert. Hierzu habe ich das Folgende gefunden:

  • Ein ziemlich detailliertes Video von Auto, Motor und Sport enthält ein Effizienzkennfeld, eingetragen in ein Diagramm, welches zunächst das maximale Drehmoment als Funktion der Drehzahl des Elektromotors zeigt. (Dieses Diagramm habe ich aus den Eckdaten rekonstruiert, siehe Abb. 1.) Das Drehmoment bleibt zunächst konstant bei ca. 540 Nm bis hin zu einer Drehzahl von ca. 3700 U/min, entsprechend einer Fahrzeuggeschwindigkeit von ca. 60 km/h, um danach ungefähr umgekehrt proportional zur Drehzahl abzufallen. Dieses Verhalten mit einem relativ scharf definierten Knick bei einer bestimmten Drehzahl ist ein typisches Verhalten für Antriebe mit Synchronmotor:
    • Das Drehmoment ergibt sich ziemlich direkt aus der elektrischen Stromstärke in den Motorwicklungen. Diese kann nicht beliebig hoch werden, weil sonst die Wicklungen zu heiß werden, und evtl. weil die eingesetzte Elektronik (ein Dreiphasen-Wechselrichter) diesbezüglich eine Grenze hat.
    • Die an die Radachse abgegebene mechanische Leistung ist in den typischen Betriebszuständen nur wenige Prozent kleiner als die aus der Fahrzeugbatterie aufgenommene elektrische Leistung; dieser Antrieb weist einen hervorragenden Wirkungsgrad in einem großen Bereich von Drehzahlen und Drehmomenten auf. Die Leistung ist das Produkt von Drehmoment und Winkelgeschwindigkeit; die Letztere ergibt sich an direkt aus der Drehzahl in Umdrehungen pro Minute. An der Stelle des genannten Knicks haben wir <$P$> = 3700 · 2<$\pi$> / (60 s) · 540 Nm = 211 kW; das entspricht ziemlich gut der spezifizierten Leistung von 210 kW. Bei niedrigeren Drehzahlen bleibt die erreichbar Leistung niedriger, weil das Drehmoment begrenzt bleibt. Bei höheren Drehzahlen muss jedoch das Drehmoment abfallen wegen der Begrenzung der Leistung.
    • Der Motor selbst könnte im Prinzip das maximale Drehmoment (oder nur geringfügig weniger) auch bei noch höheren Drehzahlen bringen, was eine noch weiter erhöhte Leistung bedeuten würde, aber die Grenze wird hier vermutlich durch den Wechselrichter und eventuell durch das Batteriesystem gesetzt.
    • Wir haben also unterhalb von ca. 60 km/h die stärkste Beschleunigung, aber noch nicht die maximale Leistung. Mit einem Schaltgetriebe könnte man die Beschleunigung deutlich verbessern, aber diesen Aufwand treibt man beim Elektroauto normalerweise nicht. Bei höheren Geschwindigkeiten ist die Leistung maximal, und das Drehmoment fällt ab, damit auch die Beschleunigung. Daran ließe sich auch mit Schaltgetriebe nichts ändern; Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor betrifft dies in ähnlicher Weise.
Drehmomentkurve des Antriebs des VW ID.7
Abbildung 1: Drehmomentkurve des Antriebs des VW ID.7 (blau), bezogen auf die Achse des Motors (nicht die Radachse). Diese wurde etwas vereinfacht aus den Kenndaten erstellt. Der Knick ist in der Praxis ein wenig weicher. Die ebenfalls gezeigte Leistung (rot) ergibt sich daraus.
  • Die Untersetzung des Getriebes können wir Mithilfe des gefundenen Diagramms ebenfalls abschätzen: Wir haben z. B. ca. 6050 U/min bei 100 km/h. Falls das für die 19-Zoll-Reifen (Grundausstattung) gilt, haben wir dann an der Radachse eine Drehzahl von 100 km/h / (60 min/h) / (<$\pi$> · 19 · 25;4 mm) = 1100 U/min. (Eine Umdrehung der Reifen bedeutet eine Fahrstrecke gleich dem Reifenumfang, also <$\pi$> mal dem Reifendurchmesser.) Das Getriebe reduziert die Drehzahl also um einen Faktor von ca. 6050 / 1100 = 5,5. Das Antriebsdrehmoment an der Radachse ist also etwa um diesen Faktor höher (streng genommen minimal weniger wegen der Reibung im Getriebe, die aber sehr schwach ist).
  • Das Getriebe könnte VW für eine stärkere Reduktion der Drehzahl auslegen und damit entsprechend mehr Beschleunigung erzielen. Das könnte allerdings zu einer Reduktion der maximalen Fahrgeschwindigkeit führen, soweit diese durch die Motordrehzahl begrenzt ist. Nach meiner Meinung ist eine Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h ohnehin verrückt hoch; der Energieverbrauch wächst hier maßlos an, genauso wie die Unfallgefahren. Und die Energieeffizienz im Alltagsbetrieb würde mit dem geänderten Getriebe nochmals ein wenig besser, außer bei schnellen Autobahnfahrten.
  • Die resultierende Antriebskraft für das Fahrzeug ergibt sich nun aus dem Drehmoment an der Radachse dividiert durch den Hebelarm, also den Radius der Reifen. Für das volle Drehmoment (bis ca. 60 km/h) ist das: <$F$> = 5,5 · 540 Nm / (0.5 · 19 · 25,4 mm) = 12,3 kN, entsprechend dem Gewicht einer Masse von 1253 kg auf der Erde. Wenn wir Rollwiderstand und Luftwiderstand vernachlässigen (was z. B. bei 30 km/h noch nicht so viel ausmacht), ergibt das mit der geschätzten Fahrzeugmasse von 2300 kg (inkl. Fahrer) eine Beschleunigung von 12,3 kN / 2300 kg = 5,35 m/s2, was ca. 0,54 <$g$> entspricht, also gut der halben Fallbeschleunigung. Das ist deutlich mehr als bei einem typischen Verkehrsflugzeug, während ein Kampfflugzeug gut das Dreifache schaffen kann, und dies auch noch bei deutlich mehr als 60 km/h.
  • Hätten wir diese berechnete Beschleunigung rein theoretisch bei allen Geschwindigkeiten, wäre die Zeit für den Spurt auf 100 km/h wie folgt: 100 km/h / 3,6 { Umrechnung in m/s } / 5,35 m/s2 = 5,2 s – zu vergleichen mit dem realen Wert von 6,5 s. Vor allem der Luftwiderstand bremst hier noch deutlich.

Vergleich mit einem Verbrennungsmotor gleicher Leistung

Viele interessiert, wie sich nun die Beschleunigung eines Elektroautos vergleicht zu der eines Autos mit einem Verbrennungsmotor gleicher Leistung. Hierzu herrscht aber viel Verwirrung:

  • Die Motordrehmomente miteinander zu vergleichen, wäre nicht sinnvoll, da man ja eine unterschiedliche Getriebeübersetzung hat – beim konventionell angetriebenen Fahrzeug auch noch erheblich abhängig von dem gewählten Getriebegang.
  • Ein Verbrennungsmotor bringt die volle Leistung nur bei einer ziemlich hohen Drehzahl; beschleunigt wird aber in einem relativ weiten Drehzahlbereich, sodass die durchschnittliche Leistung beim Beschleunigen deutlich niedriger ausfällt.
  • Beim Elektroauto ist das Drehmoment an der Antriebsachse bei niedrigen Geschwindigkeiten (z. B. unter 50 km/h) begrenzt, sodass man hier nicht die volle Leistung erzielt. In einem tiefen Gang schafft ein Verbrennungsmotor hier mehr. Die Grenze setzen bei starker Motorisierung letztendlich die Reifen, die nur eine begrenzte Kraft übertragen können.
  • Ein Nachteil des Verbrennungsmotors ist außerdem der Zeitverlust durch das Schalten der Gänge – der allerdings mit einem (ziemlich teuren) Doppelkupplungsgetriebe minimiert werden kann.

Ein sachgemäßer Vergleich ist also nur möglich, wenn man all diese Dinge versteht. Die Resultate:

  • Bei niedrigen Geschwindigkeiten (z. B. unter 50 km/h) hat das Fahrzeug mit Verbrennungsmotor meist einen gewissen Vorteil – nicht wegen des Motors an sich, sondern wegen des Schaltgetriebes.
  • Bei höheren Geschwindigkeiten entfällt dieser Nachteil des Elektroantriebs, während die Vorteile voll zur Geltung kommen: keine Unterbrechung durch das Schalten und eine fast konstant maximale Leistung.
  • Für den Spurt von 0 auf 100 km/h würde ich grob geschätzt ähnliche Werte erwarten. Für besonders stark motorisierte Fahrzeuge dürfte der Elektroantrieb einen gewissen Vorteil haben, da beim Verbrennungsmotor der Vorteil des Schaltgetriebes wegen der Grenzen der Reifen nicht voll zum Einsatz kommen kann. Andererseits könnte ein Auto mit Verbrennungsmotor deutlich leichter sein und dann bei gleicher Leistung besser beschleunigen.

Teils kann man auch direkt Messwerte miteinander vergleichen. Den VW ID.7 gibt es nur mit elektrischem Antrieb, aber ein ähnlich schweres und motorisiertes Fahrzeug mit Verbrennungsmotor ist der Audi Q8 50 TDI Quattro. Letzterer braucht 6,4 s von 0 auf 100 km/h, praktisch identisch mit dem VW ID.7 (6,5 s). Die Vor- und Nachteile gleichen sich hier also ziemlich genau aus. Bei noch deutlich stärkerer Motorisierung beider Fahrzeuge wäre das Elektroauto wohl im Vorteil.

Was macht die Reifengröße aus?

Bei manchen Fahrzeugen, wie z. B. dem VW ID.7, kann man unterschiedliche Reifengrößen einsetzen, etwa 19 oder 20 Zoll Durchmesser. Dies hat die folgenden Auswirkungen:

  • Der größere Reifen bewirkt bei gegebener Geschwindigkeit des Fahrzeugs eine etwas niedrigere Drehzahl des Antriebs. Dies reduziert die Beschleunigung ein wenig, solange man unterhalb des genannten Knicks liegt, also langsamer als ca. 60 km/h fährt. Bei höheren Geschwindigkeiten macht es dagegen nichts aus, da die Leistung des Antriebs dann kaum von der Antriebsdrehzahl abhängt.
  • Schwieriger zu beurteilen ist, wie sich dies auf die Energieeffizienz auswirkt:
    • Die geringfügig niedrigere Drehzahl des Antriebs ist bei niedriger Geschwindigkeit und starker Beschleunigung tendenziell negativ, wie man dem Effizienzkennfeld des Antriebs entnehmen kann. Dies gilt übrigens auch für die Rekuperation. Diese Effekte sind allerdings ziemlich schwach.
    • Ein anderer, aber ebenfalls schwacher Einfluss betrifft Aspekte des Reifens selbst. Der Rollwiderstand könnte tendenziell bei größeren Reifen ein wenig geringer ausfallen, jedoch hängt dies von vielen Details ab. Deswegen würde man besser konkrete Reifenmodelle vergleichen, wenn deren Rollwiderstand angegeben wird.

Unsinniges liest man übrigens häufig über den Einfluss der Breite der Reifen. Die größere Auflagefläche von Breitreifen wird in etwa durch den geringeren Anpressdruck (also die Verteilung des Fahrzeuggewichts auf eine größere Auflagefläche) ausgeglichen. Von der grundlegenden Physik her gibt es also zunächst keinen Grund, einen Einfluss der Reifenbreite auf den Rollwiderstand anzunehmen. Allerdings gibt es diverse kleinere Details; beispielsweise steigt der Luftwiderstand für breitere Reifen etwas an, und auch der Rollwiderstand kann je nach Konstruktion, Materialwahl etc. ein wenig abweichen.

Siehe auch: Elektroauto, Elektromotor, Drehmoment, Leistung

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