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Der U-Wert: ein wirklichkeitsfremdes Maß für die Qualität der Wärmedämmung?

Erschienen am 17.08.2017 im RP-Energie-Blog (als E-Mail-Newsletter erhältlich!)

Permanente Adresse: https://www.energie-lexikon.info/rp-energie-blog_2017_08_17.html

Autor: Dr. Rüdiger Paschotta, RP-Energie-Lexikon, RP Photonics AG

Inhalt: Gelegentlich wird behauptet, U-Werte würden die Wirklichkeit so unzureichend beschreiben, dass sie für die Praxis gar nicht relevant sein - gar, dass man auf Wärmedämmung zwecks Verminderung von U-Werten gerade verzichten könne. Hier werden einige gängige Argumente analysiert.

Rüdiger Paschotta

Bekanntlich ist es in unseren Breiten wichtig, die Wärmeverluste von Gebäuden zu minimieren, um den Heizwärmebedarf und die sich daraus ergebenden ökonomischen und ökologischen Probleme zu reduzieren. Der größte Teil dieser Wärmeverluste entsteht normalerweise in Form sogenannter Transmissionswärmeverluste, also als Folge von Wärmeleitung durch Bauteile wie Wände und Fenster.

Um beispielsweise die Qualität verschiedener Wandkonstruktionen in Bezug auf die Wärmedämmung miteinander vergleichen zu können, hat man den Wärmedurchgangskoeffizienten eingeführt, der auch als U-Wert bezeichnet wird. Mit ihm lässt sich leicht berechnen, welche Wärmeleistung durch ein Bauteil pro Quadratmeter Fläche fließt, wenn eine bestimmte Temperaturdifferenz zwischen den beiden Seiten besteht. Beispiel: Bei einer gut wärmegedämmten Außenwand mit einem U-Wert von 0,2 W / (m2 K) und einer Temperaturdifferenz von 20 K (z. B. 20 °C Innentemperatur und 0 °C Außentemperatur) verliert man pro Quadratmeter der Wand eine Wärmeleistung von 0,2 · 20 = 4 Watt, die letztlich durch die Heizungsanlage ausgeglichen werden muss; bei schlechter Dämmung kann es leicht mehr als das Fünffache sein.

Obwohl die große Mehrheit der Fachleute die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Wärmedämmung absolut bestätigen – was sich beispielsweise auch in entsprechenden Baunormen niedergeschlagen hat –, gibt es einige "Dämmkritiker", die mit den verschiedensten Einwänden dagegen ankämpfen. Dies habe ich vor einiger Zeit in meinem Artikel über Einwände gegen Wärmedämmung ausführlich behandelt. Heute möchte ich gezielt auf eine ganz bestimmte Sorte von Einwänden eingehen – nämlich die Behauptung, U-Werte seien gar kein sinnvolles Maß für die thermische Qualität von Bauteilen. Dahinter steckt ein unzureichendes Verständnis der Bauphysik. Eine entsprechende Sammlung hatte ich bereits in meinem Artikel über den Wärmedurchgangskoeffizienten, und diesen Teil des Textes übernehme ich für den heutigen Artikel leicht geändert.

Behindert die Wärmedämmung solare Wärmegewinne?

Gelegentlich wird behauptet, eine Wärmedämmung behindere die Aufnahme von Wärme durch die Wand bei Sonneneinstrahlung. Es ist zwar tatsächlich so, dass die Wand einer Südfassade bei starker Sonneneinstrahlung und nicht zu tiefen Außentemperaturen so warm werden kann, dass sie einen Wärmefluss nach innen zur Folge hat – was mit Wärmedämmung kaum mehr möglich ist. In dieser Situation wird man aber normalerweise (zumindest im gedämmten Haus) ohnehin keine Heizwärme benötigen, da bereits viel Wärme über die Fenster gewonnen wird. Dagegen kommt es nachts oder an trüben Tagen sehr darauf an, möglichst wenig Wärme nach außen zu verlieren, und dies ist eben nur mit Wärmedämmung möglich.

Gelegentlich wird auch behauptet, die diffuse Globalstrahlung habe den gleichen Effekt, die Außenwände aufzuheizen. Dieser Effekt ist aber viel schwächer als der Wärmeverlust durch Abstrahlung. Wenn es anders wäre, müssten Thermografie-Aufnahmen gedämmter Häuser auch im Winter hohe Oberflächentemperaturen zeigen, aber das Gegenteil ist der Fall.

Richtig ist generell, dass der U-Wert den Wärmeaustausch über Strahlung nicht erfasst, sondern nur die Wärmeleitung im Material. Daraus folgt aber keineswegs, dass man mit Berücksichtigung nur des U-Werts die Wärmeverluste völlig falsch einschätzen würde. Lediglich wird die Temperatur der Oberfläche einer Fassade auch durch Strahlungseffekte geändert – meist geringfügig, nur bei direkter Sonneneinstrahlung recht deutlich.

Natürlich kann man auch sagen, dass den Wärmeverlusten ja auch Wärmegewinne gegenüberstehen. Nur spricht dies natürlich nicht dagegen, die Wärmeverluste zu reduzieren, wenn man gleichzeitig die Wärmegewinne in etwa erhalten kann. Lediglich bei Fenstern ist es so, dass solche mit besonders niedrigen U-Werten tendenziell auch niedrigere g-Werte (ein Maß für den Wärmegewinn) aufweisen. Auf der Sonnenseite kann deswegen ein etwas schlechterer U-Wert u. U. durch einen besseren g-Wert ausgeglichen werden.

Dynamische Effekte werden vernachlässigt

Ein anderer Einwand ist, die U-Wert-Berechnungen seien statisch, die Wirklichkeit aber dynamisch. Das ist zwar im Prinzip völlig richtig, jedoch ist nicht ersichtlich, wie im Tagesrhythmus schwankende Außentemperaturen die relevanten Endresultate wesentlich verändern sollten. Die entscheidende Einsicht ist hier, dass der Transmissionswärmeverlust (wie auch die Lüftungsverluste) im Tagesmittel im Wesentlichen nur von der mittleren Außentemperatur abhängt und von Wärmespeichereffekten kaum beeinflusst wird. Es spielt also gar keine Rolle, dass die momentanen Wärmeflüsse zeitweise nach oben oder unten von den statisch berechnenden abweichen (was mit deutlich gekrümmten statt linearen Temperaturverläufen in Wänden einhergeht) – es kommt eben nur auf den Tagesmittelwert an.

Übrigens könnte es auch deutliche Abweichungen geben, wenn Feuchtigkeit in Wänden zeitweise gefriert. Diese Situation möchte man aber ohnehin nicht ausgeprägt haben, weil sonst die Wand früher oder später kaputtgeht. Man vermeidet dies natürlich durch entsprechende Konstruktion.

U-Werte erfassen Luftströmungen nicht

Tatsächlich wenig bedeutsam ist der U-Wert, wo nicht Wärmeleitung das Hauptproblem ist, sondern durch Undichtigkeiten strömende Zugluft. Deswegen bringt es beispielsweise nichts, Dämmplatten lose auf einen Dachboden zu legen, so dass Luft zwischen ihnen durchströmen kann. Dies rechtfertigt natürlich keine Kritik am Konzept des U-Werts, der eben dafür gemacht ist, speziell die Wärmeleitung zu erfassen.

Bei heutigen Hauswänden und Dächern sind Luftströmungen freilich kein Thema; die Baunormen fordern ohnehin eine luftdichte Gebäudehülle. (Die nötige Belüftung muss mit anderen Mitteln sichergestellt werden.) Diese Luftdichtigkeit wird übrigens nicht unbedingt durch eine Wärmedämmung erzielt (sondern z. B. durch dicht schließende Fensterrahmen), ist aber eine Voraussetzung für deren vollständige Wirksamkeit.

"Ziegelphysiker" können keine Passivhäuser bauen!

Wer sich mit den theoretischen Grundlagen (Bauphysik) nicht befassen möchte, kann auch einfach Erfahrungswerte ansehen. Beispielsweise gibt es bekanntlich Passivhäuser, die an den meisten Tagen überhaupt keine Heizung benötigen, und sonst auch nur ganz wenig. Solche Häuser brauchen deswegen gar keine vollwertige Heizungsanlage. Dieses Konzept setzt eine besonders effektive Wärmedämmung voraus; es gibt keine Passivhäuser, die gemäß den Rezepten der "Ziegelphysiker" ohne Wärmedämmung auskämen – jedenfalls bei mitteleuropäischen Klimaverhältnissen.

Dessen ungeachtet beschäftigen sich ein paar Zeitgenossen mit der Konstruktion und Pflege von Verschwörungstheorien etwa der Art, dass die Fachwelt zwar wisse, dass diese ganzen U-Wert-Berechnungen völlig unsinnig sind, dies aber der Dämmindustrie zuliebe verschleiere. (Auch mir wurde wiederholt vorgeworfen, ich müsse von dieser Industrie bezahlt sein.) Dass es extrem unplausibel ist, eine riesige Anzahl von Fachleuten als bestochen und zuverlässig kooperierend anzusehen, liegt auf der Hand. Und wenn man Passivhäuser mit schlechten U-Werten bauen könnte, müsste dies ja längst demonstriert sein. Offensichtlich sind solche Kritiker durch Sachargumente aber nicht zu erreichen. Mir liegt aber daran, der durch sie gestifteten Verwirrung durch sachlich fundierte Aufklärung entgegen zu wirken.

Vielleicht interessiert Sie auch mein früherer Artikel über verbreitete Missverständnisse zu Isolation, Wärmedämmung und Luftdichtheit.

Fragen und Kommentare von Lesern

20.03.2018

Aus meiner Sicht ist der U-Wert statisch gemessen. Ich denke die Wirklichkeit ist, dass sich der U-Wert dynamisch verhält, also abhängig von der Frequenz des Temperaturwechsels. Vergleichbar z. B. mit einem Lautsprecher: Statisch gemessen mit einem Multimeter erhält man ca. 0 bis 1 Ohm, jedoch für höhere Frequenzen sind es je nach Typ 4 oder 8 Ohm.

Aus meiner Sicht müssten alle Baustoffe auf die Tagesdynamik erneut geprüft werden. Und wenn man dabei ist, ebenso verschiedene Verläufe messen mit unterschiedlichem Feuchtegehalt.

Antwort vom Autor:

Die Physik von Wärmeflüssen ist völlig anders als die von Strömen in einem Lautsprecher. Der durchschnittliche Wärmeverlust durch ein Bauteil hängt einfach von der durchschnittlichen Temperaturdifferenz und dem U-Wert ab. Temperaturschwankungen spielen hierfür keine Rolle.

Zutreffend ist aber, dass der Feuchtegehalt einen Einfluss haben kann. Beispielsweise kann der Wärmeverlust durch eine feuchte Wand erheblich erhöht sein. Wenn also eine ungedämmte Außenwand auf der Innenseite an kalten Tagen zu kalt wird, kommt es dort zur Kondensation; das Kondenswasser wird von der Wand aufgenommen, die der noch stärker Wärme ableitet, womit es noch schlimmer wird.

06.12.2018

Zum Wärmedurchgangskoeffizienten des Bauteils kommen noch zwei Wärmeübergangskoeffizienten an den Flächen des Bauteils zur angrenzenden Luft. Dabei addieren sich die Dämmeffekte.

Antwort vom Autor:

Das ist richtig; der Wärmewiderstand wird damit noch ein wenig erhöht. Der effektive U-Wert z. B. einer Wandkonstruktion ist damit etwas niedriger, als wenn man das nicht berücksichtigt. Bei guten Dämmungen macht das aber kaum mehr etwas aus.

23.12.2021

Die Theorie der Bauphysik missachtet ein wesentliches Kriterium, die Dynamik. Im Tag-Nacht-Wechsel ist doch eine relevante Energiemenge nachzuliefern. Schafft man hier eine Phasenverschiebung über 14 Stunden, so wird doch ein erheblicher Teil der Speichermasse entkoppelt. Betrachtet man den verbleibenden statischen Verlust, so ist der kaum relevant. In Folge könnten wirtschaftliche Dämmungen viel kleiner ausfallen.

Antwort vom Autor:

Dies ist zur Hälfte falsch, insbesondere auch betreffend Ihre Schlussfolgerung. Die dynamischen Verhältnisse werden genau deswegen in vielen Fällen vernachlässigt, weil sie letztendlich kaum relevant sind. Man kann so den Wärmeverlust innerhalb von 24 Stunden sehr gut berechnen. Dass die Wärmeverluste in dieser Zeit oszillieren, spielt keine Rolle. Schon gar nicht führt es dazu, dass die Wärmeverluste effektiv geringer würden. Die Speichermassen können im Tagesmittel nur so viel Wärme abgeben, wie sie zu anderen Zeiten aufnehmen.

Auch wenn man solche Dinge immer mal wieder liest, glauben Sie besser einem Physiker, der dafür wirklich ein gutes Verständnis hat.

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