Irrtümer und Propaganda
Die Stromversorgung ist ein hoch politisches Gebiet, in dem massive wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Entsprechend viel Propaganda beeinflusst die öffentliche Diskussion. Es gibt aber auch gut gemeinte und dennoch sachlich ganz unfundierte Meinungen, die oft in die Irre führen.
Klicken Sie einfach auf die jeweiligen Behauptungen, um Erklärungen dafür anzuzeigen bzw. wieder verschwinden zu lassen.
Kategorien: ungeprüfte Annahme, Irreführung
Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in der Schweiz, und von Ihrem Energieversorgungsunternehmen wissen Sie, dass es nur mit Wasserkraft produziert. Sie gehen somit davon aus, dass Ihr Strom sauber ist, insbesondere nicht mit klimaschädlichen CO2-Emissionen behaftet.
So überzeugend das klingt, mit dieser letzteren Annahme können Sie vollkommen falsch liegen. Manche Stromversorger arbeiten nämlich mit der folgenden Strategie:
- Der von ihnen produzierte Strom ist tatsächlich sauber. Zwecks Erzielung höherer Erlöse wird dieser aber anderswo, z. B. im Ausland, als Ökostrom verkauft.
- Den Kunden im eigenen Versorgungsgebiet liefert man dagegen importierten Dreckstrom, z. B. aus sehr klimaschädlichen Kohlekraftwerken. Dies reibt man ihnen natürlich nicht unter die Nase. Selbst wenn man sie fragt, wird der gelieferte Strom als "Strom aus nicht überprüfbaren Energieträgern" deklariert.
Zumindest in einem erweiterten Sinne wird hier also Ökostrom doppelt verkauft: einmal den dafür zahlenden Kunden im Ausland, ein zweites mal scheinbar den Kunden im eigenen Versorgungsgebiet, denen man durch Werbung für seine saubere Stromerzeugung vorgaukelt, sie bekämen diesen Strom auch.
Wenn Ihr Stromversorger nun aber mit Zertifikaten nachweist, dass der Ihnen gelieferte Strom wirklich Wasserkraft-Strom ist (der nicht zusätzlich woanders als Ökostrom verkauft wird), dann sollte wohl alles in Ordnung sein, oder? Nein, oft nicht einmal in diesem Fall, wenn nämlich Ihr Stromversorger auch mit Dreckstrom handelt. Wie im folgenden Abschnitt erklärt wird, kann es dann sein, dass jeder Mehrverbrauch bei Ihnen mehr Dreckstrom-Einkauf bedeutet, so dass Ihr Strom effektiv keineswegs klimaneutral ist.
Verständlich, dass diejenigen, die so etwas merken, angesichts dieser Verlogenheit manchmal ziemlich erzürnt sind. Ein mögliches Mittel dagegen wären griffige Deklarationspflichten: Jeder Stromkunde müsste darüber aufgeklärt werden (nicht erst auf Anfrage), mit welcher Art von Strom er versorgt wird. In Deutschland, der Schweiz und Österreich gibt es diese Pflicht zur Stromkennzeichnung, aber auch diese verhindert nicht den Ökostromschwindel, wie er im folgenden Abschnitt beschrieben wird. Übrigens: "Strom aus nicht überprüfbaren Energieträgern" sollte es nur heißen dürfen, wenn man tatsächlich mit vernünftigem Aufwand nicht klären kann, woher er stammt – was selten der Fall sein dürfte.
Kategorien: unzulässige Verallgemeinerung
Bei Bezug von Ökostrom von unseriösen Anbietern kann tatsächlich leicht das Folgende passieren: Der Energieversorger schreibt auf dem Papier einen entsprechenden Anteil seiner Stromerzeugung aus Wasserkraft den etwas mehr bezahlenden Ökostrom-Kunden zu, und die anderen Kunden (denen es egal ist oder die es nicht wissen) beziehen einen entsprechend höheren Anteil "Dreckstrom" z. B. aus Kohlekraftwerken. Somit hat der Energieversorger seinen Gewinn erhöht, die Ökostromkunden haben vielleicht ein etwas besseres Gewissen, und für die Umwelt ist rein gar nichts getan, da außer auf dem Papier (und den Konten der Kunden) ja nichts passiert. Das erinnert in der Tat auf fatale Weise an den mittelalterlichen Ablasshandel.
Allerdings ist es grundfalsch, deswegen Ökostrom pauschal als sinnlosen Ablasshandel abzuqualifizieren. Seriöse Ökostromanbieter agieren nämlich ganz anders. Sie stellen mit einem ausgefeilten Regelwerk sicher, dass der Ökostrombezug tatsächlich die Struktur der Stromerzeugung in Richtung von umwelt- und klimafreundlichen Lösungen verändert. Ein wichtiges Element hiervon ist, dass ein wesentlicher Teil des Ökostroms aus neu zu bauenden Anlagen kommen muss, so dass nicht nur einfach zusätzliches Geld mit ohnehin schon produzierenden Anlagen eingespielt wird.
Die Details erläutert der Artikel über Ökostrom. Wer sich damit nicht detailliert befassen möchte, kann einen seriösen Ökostrom-Anbieter an einem Label oder Zertifikat erkennen, das von einer vertrauenswürdigen Institution gekennzeichnet ist. Beispielsweise kann man sich nach Ansicht des Autors auf das "ok-power"-Label und das "Grüner Strom Label" verlassen. Aber Vorsicht: Es werden immer wieder auch Label auf den Markt gebracht, die nicht wirklich aussagekräftig oder gar irreführend sind.
Kategorien: Halbwahrheiten, Propaganda
Hierfür sollte man genauer darüber nachdenken, welche Aspekte der Begriff Versorgungssicherheit hat. Einen Beitrag zur Versorgungssicherheit im Sinne von Reserveleistung oder Regelenergie kann Windenergie freilich nicht leisten; Windenergieanlagen wären – wie übrigens diverse andere Typen von Kraftwerken – hierfür denkbar wenig geeignet. Der Anteil der gesicherten Kraftwerksleistung, den z. B. die Windenergie in Deutschland zur Zeit bringt, beträgt nur rund 6 % der gesamten Maximalleistung der Anlagen. Jedoch kann die Windstromerzeugung definitiv die Abhängigkeit von Strom- oder auch Erdgasimporten vermindern und somit wesentliche Faktoren, die die Versorgungssicherheit beeinträchtigen können.
Welchen Effekt die Windstromerzeugung konkret hat, hängt sehr von den jeweiligen Umständen ab. Würde man Windstrom verwenden, um Kernkraftwerke je nach Wetter mit reduzierter Kapazität laufen zu lassen (was freilich ziemlich unsinnig wäre), hätte man so gut wie keinen Beitrag zur Versorgungssicherheit gewonnen; man hätte lediglich etwas Uran gespart (und weniger Atommüll produziert). Verwendet man Windstrom dagegen, um die in Stauseen gespeicherten Energiereserven zu schonen (ein viel realistischeres Szenario), sieht es völlig anders aus. Dann ist es auch ziemlich unerheblich, wann genau der Wind weht. Windstrom muss dann eben nicht die Erzeugung der momentan benötigten Leistung garantieren, sondern das Vorhandensein genügend großer Energiereserven in den Stauseen.
Eine ausführlichere Diskussion dieser Thematik enthält der Artikel "Windkraft – eine Gefahr für die Versorgungssicherheit?".
Kategorien: Halbwahrheiten
Die gesicherte Kraftwerksleistung ist in der Tat ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Versorgungssicherheit: Sie muss immer größer sein als die Jahreshöchstlast. Allerdings führt die alleinige Berücksichtigung der gesicherten Kraftwerksleistung zu falschen Einschätzungen, da dies die Wirklichkeit nicht genügend erfasst. Beispiele hierfür:
- Im Februar 2012 gab es in Süddeutschland Engpässe in der Erdgasversorgung durch die Kombination sehr kalter Tage (mit hohem Strombedarf z. B. durch Elektroheizungen) mit Einschränkungen der Lieferungen von Russland. In der Folge konnten nicht mehr alle Gaskraftwerke betrieben werden. In dieser Situation hätten zusätzliche Gaskraftwerke die Versorgungssicherheit nicht erhöht, weil für ihren Betrieb ja kein Gas vorhanden gewesen wäre. Dies trotz des Umstands, dass die gesicherte Leistung eines Gaskraftwerks im Prinzip einem Großteil seiner maximalen Leistung entspricht.
- In der gleichen Situation haben Windenergie und Photovoltaik wesentlich zum Meistern der Engpässe beigetragen – obwohl sie kaum etwas zur gesicherten Leistung beitragen. Sie haben zwar nicht in jedem Moment viel Strom produziert, aber in einem wesentlichen Teil der kritischen Wochen. Dies hat die Erdgasvorräte in Speichern und im Gasnetz genauso wie die Reserven in Speicherkraftwerken geschont.
- Ein stark von der Kernenergie abhängiges Land kann in eine kritische Versorgungssituation geraten, wenn nach einem schweren Reaktorunglück die Bevölkerung einen schnellen Atomausstieg verlangt. In dieser Situation befindet sich zur Zeit (2012) Japan. Effektiv kommt es zu einem Kompromiss zwischen schnellstmöglichem Ausstieg und einer möglichst guten Versorgungssicherheit. Betrachtungen der gesicherten Kraftwerksleistung beinhalten solche Aspekte natürlich nicht.
Kategorien: Halbwahrheiten
Die Beurteilung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) im Vergleich mit anderen technischen Optionen ist ein sehr komplexes Gebiet und erfordert sehr sorgfältige Überlegungen. Leider wird dies oft versäumt, so dass man zu grundfalschen Schlussfolgerungen gelangt.
Richtig ist zunächst, dass die Energieeffizienz eines Kraftwerks in aller Regel deutlich höher wird, wenn man seine Abwärme nutzt, d. h. Kraft-Wärme-Kopplung betreibt. Falsch ist dagegen die Annahme, dass Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung grundsätzlich energieeffizienter sind als solche ohne Abwärmenutzung.
Auf den ersten Blick scheinen sich die beiden obigen Aussagen diametral zu widersprechen. Sie tun es aber nicht, weil bei der ersten Aussage von einem bestimmten Kraftwerk ausgegangen wird, bei dem man die Abwärme entweder nutzt oder nicht nutzt, während im zweiten Fall Kraftwerke verschiedener Art – und mit meist unterschiedlichen elektrischen Wirkungsgraden – miteinander verglichen werden.
Als Beispiel betrachte man den folgenden Vergleich:
- Ein Erdgas-befeuertes Blockheizkraftwerk (BHKW) mit einer kleinen Gasturbine hat einen elektrischen Wirkungsgrad von 25 % und einen thermischen Wirkungsgrad von 60 %. Man bekommt also z. B. 100 kWh elektrische Energie und 240 kWh Wärme aus 400 kWh in Form von Erdgas.
- Ein großes Gas-und-Dampf-Kombikraftwerk, welches ebenfalls mit Erdgas arbeitet, erreicht einen elektrischen Wirkungsgrad von 50 % (im besten Fall sogar ca. 60 %) und erlaubt keine Abwärmenutzung. Damit erzeugt man die 100 kWh elektrischer Energie mit Erdgas im Wert von 200 kWh. Zusätzlich benötigen wir aber noch 240 kWh Wärme, um die Effizienz mit dem BHKW vergleichen zu können. Hierfür produzieren wir weitere 80 kWh elektrische Energie aus 160 kWh Erdgas und treiben damit eine Wärmepumpe mit einer Leistungszahl von 3 an. Insgesamt brauchen wir also 360 kWh Erdgas für die gleiche Menge von Strom und Wärme – deutlich weniger als das BHKW!
Wenn wir für das GuD-Kraftwerk einen Wirkungsgrad von 55 bis 60 % wie für modernste Anlagen annehmen und zusätzlich eine Wärmepumpe mit einer höheren Leistungszahl (wie sie zumindest für die Beheizung von Neubauten realistisch ist), erweist sich diese Lösung also sogar noch deutlich effizienter. Gleichzeitig wird das BHKW ineffizienter, wenn es zeitweise ohne Abwärmenutzung produzieren muss oder wenn manchmal ein Spitzenlastkessel für zusätzliche Wärmeleistung eingesetzt wird.
Man sieht, dass der elektrische Wirkungsgrad für eine hohe Energieeffizienz des Gesamtsystems besonders wichtig ist – so wichtig, dass ein Vorteil auf dieser Seite oft den Vorteil der Abwärmenutzung mehr als aufwiegen kann.
So richtig diese Einsicht ist, werden daraus aber oft wieder falsche Schlussfolgerungen gezogen. Insbesondere ist es unsinnig, daraus zu folgern, dass man Heizkessel nicht durch KWK-Anlagen ersetzen sollte, weil GuD-Kraftwerke noch effizienter sind. Zwar ist die Beheizung mit Elektrowärmepumpen oft energetisch besser als die mit KWK, aber die KWK ist immer noch viel besser als eine mit Heizkesseln (von Elektroheizungen ganz zu schweigen), und Wärmepumpenlösungen scheitern oft z. B. an zu hohen benötigten Vorlauftemperaturen.
Es ergeben sich also folgende Schlussfolgerungen:
- Wo Elektrowärmepumpen effizient und kostengünstig betrieben werden können, sind sie oft die beste Lösung – besser als KWK. Vor allem im Bereich neuer, gut wärmegedämmter aber nicht allzu großer Gebäude ist dies oft der Fall.
- Bei Gebäuden, bei denen eine Wärmepumpenlösung nicht praktikabel ist, ist dagegen die KWK meist am besten. Dies ist oft der Fall bei alten Gebäuden, die nicht auf wirtschaftlich vertretbare Weise energetisch saniert werden können, oder wenn der Wärmebedarf aus anderen Gründen hoch ist und eine hohe Vorlauftemperatur benötigt wird. Der Ersatz von Heizkesseln durch KWK ist energetisch praktisch immer sinnvoll, wo es mit Wärmepumpen nicht geht.
- Jedoch sollte die Nutzung des Erdgases in einem modernen Gaskraftwerk nicht als ineffizient verteufelt werden, selbst wenn dort keine Abwärmenutzung erfolgt. Es kommt dann freilich auf die effiziente Nutzung des damit erzeugten Stroms an: Wenn das z. B. Wärmepumpen mit einer vernünftigen Jahresarbeitszahl sind, ist dagegen wenig einzuwenden.
Kategorien: Fehlschlüsse
Richtig ist, dass der direkte Nachweis der Wirkung eines Kleinkraftwerks auf das Stromnetz und die Stromerzeugung in anderen Kraftwerken praktisch unmöglich ist. Entsprechende Messungen würden daran scheitern, dass die Messfehler viel größer wären als die zu messende Änderung.
Falsch ist, daraus zu schließen, dass diese Effekte nicht existieren. Ob ein Gigawatt elektrischer Leistung in einem Großkraftwerk oder verteilt in vielen tausend Kleinkraftwerken erzeugt wird, spielt hierfür überhaupt keine Rolle.
Für den Stromverbrauch ist es übrigens natürlich genauso. Kein Stromversorger würde darauf verzichten, einem Kleinkunden seinen Verbrauch zu berechnen, nur weil dieser seine Kraftwerke nicht messbar belastet. Die Summe vieler Kleinkunden tut dies sehr wohl, und so müssen sie natürlich auch anteilig zur Kostendeckung beitragen – auch wenn die Zahlung der Stromrechnung eines Kleinkunden für einen Großkonzern finanziell völlig unerheblich ist.
Kategorien: Irrtümer
Die Angabe von 380 kV bezieht sich auf den Effektivwert der Spannung zwischen zwei verschiedenen Phasen. Die Effektivspannung zwischen Leitung und Erde ist kleiner um den Faktor Wurzel von 3 (ca. 1,73), also nur ca. 220 kV.
Genau genommen liegt die Spannung bei 380-kV-Leitungen in Wirklichkeit meist bei ca. 400 kV, so dass sich gegen Erde ca. 230 kV ergeben. Ähnlich spricht man bei Kleinverbraucher häufig von 220-Volt-Geräten, obwohl die Netzspannung heutzutage meist 230 Volt ist.
Kategorie: quantitative Fehleinschätzungen
Es ist zwar richtig, dass die Energiewende mit einem starken Ausbau erneuerbarer Energien einen verstärkten Ausbau der Stromnetze erfordert. Allerdings liegen die Kosten hierfür keineswegs in einem nicht mehr tragbaren Bereich. Der aktuelle Netzentwicklungsplan 2012 schätzt, dass die bis 2022 nötigen Investitionen je nach Szenario rund 19 bis 23 Milliarden Euro betragen werden. Das klingt zunächst nach viel Geld. Wenn wir aber 23 Mrd. Euro auf zehn Jahre verteilen und den jährlichen Aufwand von 2,3 Mrd. Euro auf die deutsche Bruttostromerzeugung von z. Zt. 625 Mrd. kWh umlegen, ergibt dies weniger als 0,4 ct/kWh – zu vergleichen mit Haushaltsstromtarifen von rund 25 ct/kWh. Aber natürlich sind diese Summen nach zehn Jahren nicht etwa verbraucht, sondern uns stehen dann verbesserte Netze für mehrere Jahrzehnte zur Verfügung. Insofern müsste man die Investition sogar auf sehr viel mehr als 10 Jahre verteilen, und die Belastung pro Kilowattstunde wäre noch viel geringer.
Fazit: Es ist vollkommener Unsinn zu glauben, dass die Kosten des Ausbaus der Stromnetze ein wesentliches Problem darstellen.
Noch ein Vergleich: Der jährliche deutsche Erdölverbrauch kostet bei einem Preis von 100 USD/Barrel rund 100 Milliarden USD oder 75 Mrd. Euro. Wenn dieser in den nächsten Jahren um 50 % ansteigt (es könnte auch weit mehr werden), kostet uns das in einem einzigen Jahr bereits fast doppelt so viel zusätzlich wie der gesamte Netzausbau bis 2022.
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