Versorgungssicherheit
Definition: die Sicherheit, dass bei Bedarf ausreichende Energiemengen zur Verfügung stehen
Englisch: security of supply
Kategorien: elektrische Energie, Energiepolitik, Grundbegriffe, Kraftmaschinen und Kraftwerke
Autor: Dr. Rüdiger Paschotta
Wie man zitiert; zusätzliche Literatur vorschlagen
Ursprüngliche Erstellung: 08.08.2010; letzte Änderung: 20.08.2023
URL: https://www.energie-lexikon.info/versorgungssicherheit.html
Die Versorgungssicherheit ist eines der zentralen Ziele der Energiepolitik. Grundlegend bedeutet Versorgungssicherheit im Bereich der Energieversorgung, dass jederzeit die benötigten Energiemengen zur Verfügung stehen. Je nach Energieträger und Verbrauchssektor kommen hierbei jedoch sehr unterschiedliche Aspekte zum Tragen, da es sehr unterschiedliche Gefährdungen der Versorgungssicherheit gibt. Die wichtigsten werden in den folgenden Abschnitten diskutiert, und zwar im Zusammenhang mit elektrischer Energie sowie von anderen Energieträgern. Ist die Versorgungssicherheit eine sehr wesentliche Komponente der Versorgungsqualität, die außerdem auch andere Aspekte wie beispielsweise die Qualität der Spannungshaltung beinhaltet.
Verfügbarkeit von Brennstoffen
Die Versorgungssicherheit ist gefährdet, wo die Energieversorgung von der ausreichenden Verfügbarkeit von Brennstoffen oder Kraftstoffen abhängig ist und deren Verfügbarkeit gefährdet oder begrenzt ist. Solche Probleme können in verschiedenen Zusammenhängen auftreten und für unterschiedliche Zeithorizonte relevant sein.
Erdöl und Erdgas
Erdöl ist der Ausgangsstoff für viele Brennstoffe wie Heizöl und für Kraftstoffe wie Benzin, Dieselkraftstoff und Kerosin. Eine ebenfalls sehr wichtige Rolle spielt Erdgas, sowohl bei Heizungsanlagen als auch in Gaskraftwerken. Die Wirtschaft praktisch aller Industrieländer, zunehmend auch von aufstrebenden Ländern wie China, ist von diesen Brenn- und Kraftstoffen in hohem Maße abhängig. Beispielsweise bezieht die Schweiz trotz ihrer weitgehend von fossilen Energieträgern unabhängigen Stromerzeugung (mit 76 % Strom aus erneuerbaren Energien, v. a. Wasserkraft) rund 48 % ihrer gesamten Primärenergie aus Erdöl und Erdgas (Stand 2015), vor allem weil große Mengen von Erdgas und Erdöl für Heizungsanlagen und Verbrennungsmotoren benötigt werden. Der Anteil erneuerbarer Energien am gesamten schweizerischen Verbrauch von Endenergie beträgt nur 27,2 % (Stand 2020).
Kurzfristig kann die Versorgung mit Erdöl und Erdgas bei politischen Krisen stark beeinträchtigt sein. Insbesondere geschah dies während der Ölkrisen in 1973 und 1979. Ähnliche Krisen können wieder auftreten, wenn z. B. der Konflikt der westlichen Welt mit dem Iran um dessen Kernenergienutzung eskaliert, mit Auswirkungen auch auf nahe gelegene Erdölproduzenten. Seit Februar 2022 gibt es starke Gefährdungen der Versorgung durch Russlands Krieg gegen die Ukraine und daraus resultierende Konflikte mit einem Großteil der restlichen Welt. Es muss davon ausgegangen werden, dass dieser Konflikt lange dauern wird und umfangreiche Anpassungen erforderlich macht.
Da die weltweiten Ölförderkapazitäten durch den derzeitigen Weltverbrauch weitgehend ausgeschöpft werden, bestehen nur in recht begrenztem Umfang Möglichkeiten, größere Lieferboykotts durch andere Quellen auszugleichen. Die gesamte Weltwirtschaft wäre stark gefährdet, wenn größere Konflikte die Ölversorgung über längere Zeit beeinträchtigen würden. Nur über kürzere Zeithorizonte (höchstens ein paar Monate) können Lieferausfälle mit Speichern für Öl und Erdgas überbrückt werden; danach wäre eine Rationierung nötig.
Bei Erdgas ist die kurzfristige Situation trotz der größeren Reichweite der Vorräte eher noch kritischer als beim Öl, da Erdgas weitgehend über Pipelines geliefert wird und nur begrenzte Möglichkeiten bestehen, in Krisenfällen Erdgas auf anderen Wegen zu beschaffen. Zunehmend wird Flüssigerdgas erzeugt, welches mit Tankern transportiert werden kann. Die dafür nötige Infrastruktur – Flüssiggastanker sowie LNG-Terminals mit Anlagen zur Verflüssigung und Anlandung – ist aufwendig, kann aber immerhin schneller errichtet werden als lange Pipelines.
Mittel- und langfristig ist die ausreichende Öl- und Gasversorgung schon ohne politische Krisen stark gefährdet. Das globale Ölfördermaximum (Peak Oil) dürfte bald erreicht sein, bzw. ist für konventionell gefördertes Erdöl seit kurzem bereits überschritten. Obwohl dann immer noch große Ölreserven vorhanden sind, werden die Förderkapazitäten nicht ausreichen, um die globale Nachfrage zu decken, was entsprechende Preisausschläge verursachen dürfte. Die Internationale Energieagentur (IEA) warnt seit einigen Jahren davor, dass solche massiven Probleme für die nahe Zukunft drohen.
Die diesbezügliche Lage könnte sich aber erheblich entspannen, wenn in den nächsten Jahren doch noch ein Durchbruch für den Klimaschutz erreicht würde. Dies würde nämlich die Nachfrage nach fossilen Energieträgern stark drosseln und somit zu einer völligen Entspannung der Versorgungslage führen. Die Mengen Erdöl und Erdgas, die unter der Maßgabe des unbedingt nötigen Klimaschutzes noch verbrannt werden dürfen, sind nämlich erheblich geringer als die schon bekannten globalen Vorräte.
Kohle
Bei der Kohle ist die Versorgungssicherheit auf absehbare Zeit ein viel kleineres Problem als bei Erdöl und Erdgas. Dies liegt nicht nur daran, dass die weltweiten Kohlevorräte sehr viel größer und besser auf viele Länder verteilt sind, sondern auch daran, dass zumindest Steinkohle mit Schiffen gut transportierbar ist und dass diese Transporte keine besondere Infrastruktur voraussetzen. Allenfalls dürften die Weltmarktpreise für Kohle moderat ansteigen, wenn die globale Nachfrage weiter zunimmt.
Die Kohlenutzung ist also viel eher durch die Klimagefahren begrenzt als durch begrenzte Verfügbarkeit. Dies würde sich ändern, wenn die Technologie der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS = carbon capture and storage) in großem Umfang einsetzbar würde, weil dann allein schon aufgrund des stark reduzierten Wirkungsgrads der Kraftwerke der Kohlebedarf stark ansteigen würde.
Nuklearbrennstoffe
Die Nutzung von Kernbrennstoffen wie Uran bringt auf Seiten des Rohstoffs kurzfristig kaum Probleme der Versorgungssicherheit, obwohl es sich für die meisten Nutzerländer nicht um eine heimische Energie handelt. Einerseits gibt es eine Reihe zuverlässiger Lieferanten auf dem Weltmarkt, und andererseits lassen sich große Energiemengen in Form von Uran leicht lagern, da die Energiedichte sehr hoch ist. Andererseits können auch starke Preisausschläge gut toleriert werden, da die Stromerzeugungskosten der Kernenergie durch Bau- und Kapitalkosten dominiert werden, während die Brennstoffkosten eine untergeordnete Rolle spielen. Kurzfristig sind bei politischen Krisen allerdings Engpässe nötig, da oft nicht das reine Uran importiert wird, sondern Uran-Brennelemente einer Art, die bei anderen Lieferanten nicht verfügbar ist. Beispielsweise finden sich 2022 schweizerische Betreiber von Kernkraftwerken in der Situation, von russischen Brennelementen abhängig zu sein. Weder die Belieferung aus anderen Quellen noch die Umrüstung von Reaktoren auf andere Arten von Brennelementen dürften einfach realisierbar sein.
Längerfristig dürften die Uranpreise erheblich ansteigen, selbst wenn die von einigen Kreisen angekündigte "Renaissance der Kernenergie" nicht stattfinden sollte. Es ist nämlich derzeitig nicht klar, wie die zur Vermeidung von Engpässen nötige Ausweitung der weltweiten Förderkapazitäten in den nächsten Jahrzehnten erreicht werden sollte. Allerdings dürften wie oben erwähnt selbst massive Preisausschläge keine dramatische Wirkung auf die Kernenergienutzung haben, zumindest in den wohlhabenderen Ländern. Die Entwicklung der Kernenergie wird deswegen kaum durch die Verfügbarkeit von Uran begrenzt werden sondern eher durch andere Probleme, beispielsweise die ausufernden Baukosten für Kraftwerke, die Endlagerproblematik und die Gefahr der weiteren Verbreitung von Atomwaffen.
Verfügbarkeit von Kraftwerken und Übertragungskapazitäten
Bei der Versorgung mit elektrischer Energie spielt nicht nur die Verfügbarkeit von Brennstoffen, sondern auch von Kraftwerken und Übertragungskapazitäten mit Hochspannungsleitungen eine wichtige Rolle. Auch spezielle Betriebsmittel wie z. B. große Transformatoren können hier relevant sein.
Ausfall einzelner Kraftwerke
Da zumindest in den Industrieländern alle Kraftwerke an ein großes Versorgungsnetz (die Großkraftwerke direkt an das Übertragungsnetz) angeschlossen sind, können auch unvorhergesehene Ausfälle einzelner Kraftwerke (auch Grundlastkraftwerke) meist relativ gut mit anderen Kraftwerken überbrückt werden, da die insgesamt zur Verfügung stehende gesicherte Kraftwerksleistung ausreichend ist. Im Notfall können mancherorts auch Netzstabilitätsanlagen eingesetzt werden.
Gehäufte Kraftwerksausfälle
Unerwartete längerfristige und vor allem gehäufte Ausfälle von Großkraftwerken können ernste Probleme verursachen. So wurde z. B. bekannt, dass im Dezember 2021 zeitgleich 15 von 56 französischen Kernkraftwerken nicht verfügbar waren. Wohl nur wegen relativ milden Wetters und durch Stromimporte an der Grenze der verfügbaren Leitungskapazitäten (z. B. von deutschen Kohlekraftwerken) konnte diese Situation ohne Stromausfälle verkraftet werden. Bei starken Kälteeinbrüchen können ebenfalls kritische Situationen entstehen, selbst wenn weniger Kraftwerke gleichzeitig ausfallen.
In 2022 verschärfte sich die Lage bei den französischen Kernkraftwerken noch weiter. Nachdem bedenkliche Korrosion an sicherheitsrelevanten Teilen gefunden wurde, mussten mehrere Kraftwerke abgeschaltet und näher untersucht werden. Weitere mussten abgeschaltet oder in der Leistung reduziert werden, weil die Dürre die Aufnahmefähigkeit der Flüsse für die riesigen Abwärmemengen begrenzte; in der Not mussten aber Flüsse weiter aufgeheizt werden, als dies für die Fische noch verträglich ist.
Gehäufte Kraftwerksausfälle allein durch Kombination voneinander unabhängiger Zufälle sind relativ unwahrscheinlich. Jedoch gibt es Faktoren, die den gleichzeitigen Ausfall mehrerer Kraftwerke verursachen können; drei Beispiele:
- Wenn infolge einer politischen Krise (wie z. B. mit Russland in 2022) ein Einbruch der Gasversorgung durch einen Lieferboykott oder auch von den Abnehmerländern beschlossene Sanktionen stark vermindert wird, ist eine große Zahl von Kraftwerken getroffen, schon ohne irgendwelche technische Ausfälle. Dieses Problem besteht insbesondere bei Erdgas, welches weitgehend durch Pipelines geliefert wird – weniger bei Kohle.
- Wenn an einem Kernkraftwerk ein ernstes neues Sicherheitsproblem entdeckt wird, müssen manchmal baugleiche andere Kraftwerke ebenfalls aus Sicherheitsgründen außer Betrieb genommen werden, um genau inspiziert und eventuell technisch verbessert zu werden. Dies geschieht insbesondere in Frankreich gelegentlich.
- Wenn eine Dürre die Kühlung von Kraftwerken einschränkt, trifft dies in der Regel mehrere gleichzeitig.
- Eine Großwetterlage kann europaweit die Produktion der Windkraft für einige Zeit stark reduzieren, womöglich sogar gleichzeitig die Produktion von Solarstrom.
Absehbare Entwicklung
Mittelfristig werden in Europa viele Kraftwerke ersetzt werden müssen, da sehr viele alte fossil befeuerte Kraftwerke v. a. aufgrund des Klimaschutzes außer Betrieb gehen müssen und außerdem sehr viele Kernkraftwerke zunehmend ein kritisches Alter erreichen. (Schon heute werden viele Kernkraftwerke weit über die ursprünglich geplante Betriebsdauer hinaus eingesetzt, obwohl sie das heute eigentlich als notwendig erkannte Sicherheitsniveau nicht erreichen: Als neue Kraftwerke wären sie niemals genehmigungsfähig.)
Sollten entsprechende Ersatzinvestitionen (hauptsächlich mit erneuerbaren Energien) nicht in ausreichendem Maße getätigt werden, droht eine "Stromlücke", die an Tagen mit einer Kombination ungünstiger Faktoren (vor allem Kraftwerksausfällen) zu Lieferengpässen mit Stromausfällen führen könnten. Jedoch gibt es noch Zeit und Möglichkeiten, diese Probleme zu vermeiden. Beispielsweise können auch etliche Kraftwerke in die Kaltreserve gestellt werden, anstatt dass man sie endgültig stilllegt; sie können dann in Wochen mit angespannter Versorgungslage aktiviert werden – vorausgesetzt, dass dann genügend Brennstoffe verfügbar sind.
In vielen Ländern besteht die Gefahr, dass eine absehbare Stromlücke zu lange ignoriert wird oder eigentlich als notwendig erkannte Maßnahmen (z. B. Ausbau der erneuerbaren Energien) immer wieder auf die lange Bank geschoben werden. In Krisensituationen wird man dann in der Regel nicht genügend Zeit für Lösungen haben, wenn man sich nicht vorher darauf vorbereitet hat. Die Hoffnung, notfalls die Lücken mit zusätzlichem Strom aus dem Ausland decken zu können, ist gerade in Krisen, die nicht nur ein Land betreffen, natürlich sehr trügerisch. Auch die Vorbereitung auf Engpasssituationen ist häufig ungenügend, da entsprechende Maßnahmen wenig populär sind. Aus solchen Gründen ist es durchaus vorstellbar, dass auch ein hoch entwickeltes und politisch stabiles Land wie z. B. die Schweiz einmal unzureichend vorbereitet mit schmerzhaften Einschränkungen der Stromversorgung konfrontiert werden wird.
Stromnetze
Die Möglichkeiten der internationale Stromnetze tragen ebenfalls ein Stück weit zur Versorgungssicherheit bei, wenn auch die Übertragungskapazitäten bislang beschränkt sind. Wenn das europäische Verbundsystem gezielt ausgebaut wird in Richtung zu einem Supergrid, können auch größere Mengen von Windenergie problemlos aufgenommen werden, obwohl die Windkrafterzeugung naturgemäß stark mit den Wetterverhältnissen schwankt.
Gelegentlich treten Probleme auf, wenn leistungsfähige Hochspannungsleitungen plötzlich ausfallen, ohne dass genügende Reservekapazitäten vorhanden sind. Dann können auch Kraftwerkskapazitäten womöglich nicht genutzt werden, weil die erzeugte Energie nicht dorthin transportiert werden kann, wo sie benötigt wird. Um solche Probleme relativ klein und selten zu halten, werden regelmäßig ergänzende Ausbauten und Verbesserungen der Übertragungsnetze vorgenommen (Netzengpassmanagement).
Inselnetze
Eine weitaus größere Herausforderung ist die Gewährleistung der Versorgungssicherheit in kleinen Inselnetzen. Hier müssen recht hohe Reservekapazitäten der Erzeugung ständig bereitgehalten werden, mit entsprechenden hohen Kosten. Genau deswegen gibt es wenige Inselnetze, die nur wenige Abnehmer versorgen; der Löwenanteil der elektrischen Energie wird über große Verbundnetze verteilt.
Energie und Leistung
Es sollte im Zusammenhang mit Versorgungssicherheit bei elektrischer Energie unterschieden werden zwischen Energie und Leistung, zumal beide von bestimmten Gefährdungen sehr unterschiedlich betroffen sein können und auch auf unterschiedliche Arten gewährleistet werden müssen:
- Oft wird nur an die augenblicklich verfügbare Leistung (die gesicherte Kraftwerksleistung) gedacht, z. B. an elektrische Leistung, die aus dem Stromnetz bezogen werden kann. Dies ist im Wesentlichen eine Frage der bereit stehenden Kraftwerkskapazitäten sowie auch der Kapazitäten des Hochspannungsnetzes zum Transport der Leistung. Es gibt Situationen, in denen eine bestimmte Leistung nur momentan nicht verfügbar ist, etwas später aber schon – beispielsweise wenn momentan nicht genügend Kapazitäten für Spitzenlast zur Verfügung stehen. Hier könnte außer dem Zubau von Spitzenlastkraftwerken oder Hochspannungsleitungen auch ein gezieltes Lastmanagement helfen.
- In anderen Fällen sind die verfügbaren Energiemengen limitiert, beispielsweise die in einem Land über den ganzen Winter verfügbare elektrische Energie. Solche Begrenzungen können im Falle von Wasserkraft durch die Niederschlagsmengen erfolgen oder sonst z. B. durch Verknappung von fossilen Energieträgern. In diesem Fall erhöht jede Energiezufuhr innerhalb des Winters (z. B. aus Windenergie, Sonnenenergie oder durch Niederschläge, die Stauseen auffüllen) – egal, wann genau sie erfolgt – die Versorgungssicherheit. Dasselbe gilt für Energieeinsparungen z. B. durch erhöhte Energieeffizienz, während das Lastmanagement (mit kurzzeitigen Verschiebungen von Verbrauchsanteilen) kaum beitragen kann. Ähnliche Verhältnisse bestehen im Fall von Lieferengpässen bei Erdgas: Begrenzt ist dann nicht die an einem Tag durch einzelne Verbraucher beziehbare Gasmenge (bzw. erzeugbare Strommenge), sondern die insgesamt für ein Land innerhalb von Wochen oder Monaten verfügbare Menge.
Je nachdem, ob Leistung oder Energie betrachtet wird, kann man also zu sehr unterschiedlichen Aussagen darüber gelangen, ob oder wie verschiedene Energiequellen oder Verbrauchsmuster die Versorgungssicherheit tangieren. In einer Situation wie z. B. im Deutschland der Nachkriegszeit waren fossile Energieträger leicht verfügbar, und die Versorgungssicherheit hing hauptsächlich an den Kraftwerks- und Leitungskapazitäten. In Zukunft dürfte jedoch die Verknappung von Energieträgern sowie die Problematik politischer Konflikte wichtiger werden, was die Versorgungssicherheit in einem anderen Licht erscheinen lässt. Dazu kommen weitgehend neue Aspekte, beispielsweise die Bedrohung der Infrastruktur durch Hackerangriffe.
Bedrohungen durch Hackerangriffe
Schwerwiegende Störung der Stromversorgung könnten zukünftig auch ganz andere Ursachen haben als gewöhnliche technische Ausfälle. Insbesondere steigt die Sorge, dass unsere teils ungenügend abgesicherte IT-Infrastruktur zum Ziel von orchestrierten Hackerangriffen werden könnten, womöglich mit der Folge länger dauernder Stromausfälle in weiten Regionen. Leider ist es angesichts der Komplexität der oft organisch gewachsenen und nicht systematisch geplanten Infrastruktur sehr schwierig, die Möglichkeit solcher Angriffe konsequent auszuschließen. Es besteht auch immer die Gefahr, dass mangels genügend klare Hinweise auf drohende Probleme solche Dinge über lange Zeit sträflich vernachlässigt werden. Gelegentlich werden haarsträubende Sicherheitslücken bekannt, die für lange Zeit existiert haben. Vor allem für den Fall schwerer internationaler Konflikte bedeutet dies eine große Gefahr, da diverse Verwundbarkeiten insbesondere auch feindlichen Geheimdiensten bekannt sein dürften. Diese Verwundbarkeit betrifft die Stromversorgung ähnlich wie gewisse andere Teile kritischer Infrastruktur, beispielsweise die Gasversorgung (die ebenfalls Einfluss auf die Stromversorgung hat) und die Wasserversorgung.
Eine starke Warnung ging von dem erfolgreichen Angriff auf eine sehr wichtige Pipeline für Benzin in den USA im Juni 2021 aus. Der Betreiber namens Colonial Pipeline wurde zu einer Lösegeldzahlung von ca. 2,3 Millionen USD-Dollar (in Bitcoin) gezwungen, nachdem in Teilen des Landes bereits schwere Engpässe bei der Benzinversorgung aufgetreten waren. Auch wenn dieses Problem nicht die Stromversorgung betraf und nicht in Deutschland auftrat, zeigt dies die Möglichkeit schwerer Probleme klar an. Zu beachten ist hier auch, dass es in diesem Fall offenbar eine rein kriminelle Aktion war und dass staatlich bestellte und entsprechend ausgestattete und beschützte Hacker im Konfliktfall sicherlich weit größere Möglichkeiten hätten, einen maximalen Schaden anzurichten.
Bedrohungen in speziellen Krisensituationen
Der zuverlässige Weiterbetrieb der Stromversorgung kann in Frage gestellt werden in speziellen Krisensituationen, in denen normalerweise völlig gewährleistete Voraussetzungen plötzlich nicht mehr erfüllt sein können. Beispielsweise könnte eine außer Kontrolle geratende Pandemie auch für die Stromversorgung gefährlich werden, wenn ein großer Teil der Bevölkerung infiziert wird, sehr viele Leute erkranken, nur noch unter sehr erschwerten Bedingungen gearbeitet werden kann und womöglich noch öffentliche Unruhe entsteht. Es ist deswegen von großer Bedeutung, dass mit einer sehr sorgfältigen Planung und großen Reserven sichergestellt wird, dass auch in schweren Krisensituationen das für bestimmte Aufgaben benötigte Personal unbedingt zur Verfügung steht. Bei solcher Planung muss eine Vielzahl von Abhängigkeiten berücksichtigt werden.
Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit
Da die Versorgungssicherheit wie oben gezeigt sehr unterschiedliche Aspekte hat, gibt es auch sehr unterschiedliche Maßnahmen zu ihrer Verbesserung. Grundsätzlich kann auf den Seiten von Angebot und Nachfrage angesetzt werden:
- Bei der elektrischen Energie kann investiert werden in zusätzliche Kraftwerke, Hochspannungsleitungen und andere Teile von Stromnetzen, um mehr Energie bereitstellen zu können. Hierzu gehören auch Maßnahmen zur ausreichenden Bereitstellung von Energieträgern, einschließlich einer umfangreichen Vorratshaltung zur Überbrückung von Krisenzeiten. Unterstützend wirken Abkommen mit anderen Ländern, die Energielieferungen sichern. Ebenfalls können Energiespeicher eine wichtige Rolle spielen.
- Das Design des Strommarkts muss ausreichend hohe finanzielle Anreize für die Bereitstellung ausreichender Kraftwerkskapazitäten bieten. In Deutschland ist z. Zt. nicht klar, ob der bestehende "Energy-only-Markt" hierfür auf Dauer genügen wird, bzw. wie er durch Kapazitätsmechanismen oder auch durch vermehrte direkte staatliche Eingriffe ergänzt werden müsste.
- Ähnliches gilt für andere Arten von Endenergie wie z. B. Erdgas und Heizöl – wobei Maßnahmen auf der Angebotsseite hier schwieriger sind, da eine starke Abhängigkeit vom Ausland besteht.
- Dazu müssen ausreichende Maßnahmen zur Absicherung gegen böswillige Angriffe auf die Infrastruktur kommen – etwa gegen Hackerangriffe über das Internet; diesbezüglich scheint es praktisch überall noch erhebliche Risiken zu geben, die sich im Falle eines schweren internationalen Konflikts massiv auswirken könnten. Vielerorts dürfte es notwendig sein, auch vorbeugend in die Jahre gekommene Systeme durch neue, äußerst sorgfältig entwickelte und getestete Systeme zu ersetzen. Die Kosten hierfür dürften erheblich sein, trotzdem aber minimal im Vergleich zu den sonst drohenden Schäden.
- Andererseits kann daran gearbeitet werden, die Nachfrage und damit die Abhängigkeit besonders bei den Energiearten, bei denen die Versorgungssicherheit besonders bedroht ist, zu vermindern. Hierfür kann z. B. die Substitution durch erneuerbare Energien erfolgen oder die Verminderung des Verbrauchs durch erhöhte Energieeffizienz. Auch die Schaffung geeigneter Infrastrukturen – z. B. öffentliche Verkehrsnetze – ist hier hilfreich, um grundlegende Bedürfnisse auch mit wenig fossiler Energie erfüllen zu können.
- Die Nachfrage kann in angespannten Zeiten weiter vermindert werden, indem temporär gewisse Verbräuche unterbrochen werden. Beispielsweise kann ein zeitweiser Lastabwurf elektrischer Verbraucher, die nicht unbedingt immer laufen müssen, zur Vermeidung von Stromausfällen beitragen. Ähnlich können industrielle große Gasverbraucher ohne essenzielle Funktion für die Volkswirtschaft notfalls für einige Zeit außer Betrieb genommen werden. Offenkundig ist es hilfreich, wenn solche Maßnahmen sorgfältig vorbereitet sind und nicht erst im Krisenfall überlegt werden.
- Unter Umständen kann eine verstärkte Energieautarkie zur Versorgungssicherheit beitragen (siehe unten).
Die Energiepolitik vernachlässigt häufig die Nachfrageseite. Beispielsweise werden zwar große Erdöllager angelegt, aber gleichzeitig wird die immer weitere Ausdehnung des Individualverkehrs und des Flugverkehrs gefördert, obwohl diese die Abhängigkeit von Erdöl besonders stark erhöhen. Im Bereich der elektrischen Energie werden einerseits Ausbauten der Stromnetze vorgenommen, andererseits aber Verbraucher wie Elektroheizungen, die die Stromnetze besonders stark belasten (gerade in Wochen mit Engpässen), nicht beachtet, oder es wird sogar ein zukünftiges Elektroheizungsverbot in Frage gestellt und verwässert. Dabei wären Maßnahmen auf der Seite der Nachfrage häufig wirksamer oder kostengünstiger. Beispielsweise gibt es kaum Mittel, um die wirtschaftliche Verwundbarkeit durch stark steigende Erdgas- und Erdölpreise im Krisenfall zu mildern, wenn eine starke Abhängigkeit besteht.
Erhöhte Versorgungssicherheit durch Energieautarkie?
Einige der beschriebenen Bedrohungen der Versorgungssicherheit können gemindert oder ganz vermieden werden, wenn eine stärkere Energieautarkie erreicht wird. Beispielsweise kann die verminderte Abhängigkeit von Importen von Energieträgern hilfreich sein.
Andererseits ist zu beachten, dass bei autarken Lösungen in der Regel andere Risiken auftreten. Insbesondere bei Energieautarkie im kleinen Maßstab (etwa auf der Ebene einzelner Gebäude) besteht ein großes Risiko für Ausfälle der Versorgung durch technische Defekte, wenn nicht einfach auf die Versorgung aus dem öffentlichen Stromnetz umgestellt werden kann. Auch autarke Lösungen für ganze Regionen oder Länder kranken in der Regel daran, dass diverse Probleme im Notfall weniger durch Kooperation gelöst werden können – etwa durch Stromimporte von außen.
Aus diesen Gründen ist die Versorgungssicherheit mit autarken Lösungen häufig sogar deutlich geringer. Im Prinzip kann aber auch eine höhere Versorgungssicherheit erreicht werden, wenn die autarke Versorgung im Normalfall durch eine Versorgung von außen im Notfall ergänzt werden kann – was aber den technischen Aufwand und die Kosten noch weiter erhöht.
Quantifizierung der Versorgungssicherheit
Um beispielsweise die Entwicklung der Versorgungssicherheit zu überwachen oder die Versorgungssicherheit in verschiedenen Ländern vergleichen zu können, sind manchmal quantitative Angaben nützlich. Im Bereich der elektrischen Energie kann man dazu statistischen Daten über ungeplante Stromausfälle (Versorgungsunterbrechungen) heranziehen – etwa die Unterbrechungshäufigkeit, die gesamte Unterbrechungsdauer in einem Jahr, die Menge der durch Unterbrechungen nicht gelieferten Energie und die Höhe der nicht gedeckten Last. Die Bundesnetzagentur verwendet derzeit nur die ersten beiden Kriterien.
Grundsätzlich ist klar, dass solche quantitative Angaben auf relativ einfachen, objektiv prüfbaren Kriterien basieren müssen. Genau deswegen können sie aber längst nicht alle für die Versorgungssicherheit relevanten Aspekte berücksichtigen. Vor allem seltene, aber womöglich schwere Ereignisse sind schwer statistisch zu erfassen – anders als häufige, bei denen man durch Mittelung verlässliche Durchschnittswerte erhalten kann. Gar nur theoretisch befürchtete, aber noch nie eingetretene Gefahren lassen sich besonders schwer erfassen und werden in der Regel gar nicht berücksichtigt. Ein Beispiel hierfür wäre die Gefahr, dass im Rahmen eines internationalen Konflikts Hacker die Strom-Infrastruktur angreifen und dadurch womöglich umfangreiche Versorgungsausfälle verursachen.
Einfluss der deutschen Energiewende auf die Versorgungssicherheit
Die deutsche Energiewende führt zu wesentlichen Änderungen des Kraftwerksparks und hat deswegen potenziell auch einen Einfluss auf die Versorgungssicherheit.
Ein tendenziell negativer Einfluss ist, dass die sicher verfügbare Leistung von Windenergieanlagen und Photovoltaikanlagen nur ein relativ geringer Teil ihrer Maximalleistung ist. Allerdings werden solche Kraftwerke im Verbund mit anderen betrieben, die Leistung nicht dargebotsabhängig, sondern bedarfsabhängig produzieren können. Das Gesamtsystem kann weiterhin stabil betrieben werden, solange das Gesamtsystem auf geeignete Weise zusammengesetzt ist und gesteuert wird. Der weiter steigende Anteil von fluktuierenden Einspeisungen erfordert aber einen Ausbau der Stromnetze und einen Ausbau von Speichern für elektrische Energie, wobei allerdings aus Kostengründen der Beitrag der Stromnetze der wichtigste sein muss.
In den letzten Jahren wurde beobachtet, dass sogenannte Redispatch-Maßnahmen aufgrund mangelnder Kapazitäten der Übertragungsnetze wesentlich häufiger geworden sind. Dieses Problem dürfte mit weiterem Ausbau der erneuerbaren Energien eher noch zunehmen, da der Ausbau der Stromnetze aufgrund diverser Schwierigkeiten bisher noch hinterherhinkt. Allerdings ist eine Abnahme der Versorgungssicherheit, gemessen durch die durchschnittliche Dauer von ungeplanten Stromausfällen pro Jahr, seit Beginn der Energiewende nicht verzeichnet worden; im Gegenteil sind die Ausfälle eher sogar noch seltener geworden [2]. Auch die Bundesnetzagentur [1] hat in ihrem Monitoring-Bericht 2021 festgestellt, dass die Versorgungssicherheit weiterhin sehr hoch ist. In den letzten Jahren war sie stets deutlich besser als in der Zeit vor der Energiewende. Ein maßgeblicher negativer Einfluss der Energiewende auf die Versorgungsqualität ist bislang nicht empirisch erkennbar. Übrigens ist die Versorgungssicherheit, gemessen an der durchschnittlichen Dauer der Lieferunterbrechungen für die Verbraucher, in Deutschland erheblich höher als beispielsweise in Frankreich und in den USA. Die Qualität der Infrastruktur spielt hier offenbar eine wichtigere Rolle als die Zusammensetzung des Kraftwerksparks.
Gelegentlich hört man Stimmen, die vor einem steigenden Risiko großflächiger und länger dauernder Stromausfälle warnen. Klar ist, dass das Eintreten solcher Fälle katastrophale Wirkungen haben dürfte. Eine andere Frage ist, ob die Gefahr des Eintretens solcher Fälle gestiegen ist, z. B. als Folge der Energiewende. Immerhin wäre es denkbar, dass ein solches Risiko zunimmt, obwohl die Häufigkeit kleinerer Stromausfälle abgenommen hat, weil Letzteres zwar objektiv überprüfbar, aber u. U. kein zuverlässiger Indikator ist. Allerdings sind entsprechende Warnungen von der Bundesnetzagentur, die in Deutschland für die Überwachung solcher Risiken zuständig ist, nicht bekannt. Es scheint auch nirgends belegt zu sein, dass diese Gefahr wächst; meist werden lediglich Faktoren genannt, die theoretisch das Risiko erhöhen könnten (z. B. häufigere Redispatch-Maßnahmen), ohne dass aber der Sachverhalt detailliert analysiert wird.
Durch die große politische Krise, die der Krieg Russlands gegen die Ukraine ausgelöst hat, erscheint die Versorgungssicherheit für viele in einem neuen Licht. Der drohende Ausfall von Erdgaslieferungen in größerem Umfang, womöglich noch kombiniert mit Einschränkungen für die Erdölversorgung, macht erstmals seit den Energiekrisen der 1970er Jahre wieder deutlich, dass die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ein massives Problem für die Versorgungssicherheit ist. Hieraus folgt, dass die deutsche Energiewende, die auf die Verringerung solcher Abhängigkeiten zielt, in der Tat die wohl wichtigste Aktivität zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist. Nur wurde sie jahrelang stark ausgebremst und konnte deswegen ihre Wirkung noch nicht voll entfalten. Dies dürfte sich aber in der nächsten Zeit deutlich ändern.
Literatur
[1] | Bundesnetzagentur über Versorgungssicherheit, https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/Versorgungssicherheit/start.html; Monitoringbericht Energie 2021 |
[2] | Bisherige Auswirkungen des Kernkraftausstiegs auf die Versorgungssicherheit, eine Kurzanalyse von Energy Brainpool im Auftrag von Greenpeace energy eG, http://www.greenpeace-energy.de/fileadmin/docs/pressematerial/Hinkley_Point/2016-08-30_Energy-Brainpool_Kurzstudie_Kernenergieausstieg-und-Versorgungssicherheit_Greenpeace-Energy_3.Entwurf.pdf |
[3] | Blog-Artikel: Gedanken zur drohenden Energiekrise: Gas- und Stromkrise kombiniert zum perfekten Sturm |
[4] | Blog-Artikel: Gefährdet die Energiewende unsere Versorgungssicherheit? |
[5] | Extra-Artikel Windkraft -– eine Gefahr für die Versorgungssicherheit? |
Siehe auch: Energiepolitik, Erdöl, Erdgas, elektrische Energie, Stromnetz, gesicherte Kraftwerksleistung, Netzstabilitätsanlage, Stromlücke, Regelenergie, Grundlast, erneuerbare Energie, Stromausfall, Kaltreserve, Energiespeicher, Strommarkt, Energy-only-Markt
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